Von Michael Stürmer und Michael Borgstede
Luftangriffe und Bodeneinsatz der Israelis sind ausgelöst durch den andauernden Beschuss des Südens Israels durch Raketen der Hamas mit steigender Reichweite, die für die Menschen im Süden Israels das Leben zum alltäglich-tödlichen Würfelspiel machen. Was immer die historischen Ursachen in der langen Konfliktgeschichte des Nahen Ostens sind: Keine Regierung kann zulassen, dass die eigene Bevölkerung ohne Gegenwehr Tag und Nacht Tod und Bedrohung ausgesetzt ist. Israel handelt, rechtlich gedeckt durch Artikel 51 der Charta der UN, in Notwehr.
2. Was will Israel erreichen?
In Zielen und Mitteln handelt es sich um einen typisch post-modernen Krieg: Israel will den Beschuss dauerhaft verhindern, die Hamas-Führung ausschalten, künftige Raketen- und Terrorangriffe abschrecken.
3. Welche Ziele verfolgt die Hamas?
Wer den Wolf nicht töten könne, solle ihn auch nicht am Schwanz ziehen, schrieb die ägyptische Zeitung „al-Ahram“ zum Verhalten der Hamas. Die Analogie ist deutlich: Mit ihrem andauernden Raketenbeschuss israelischer Städte hatte die Hamas jegliche Zurückhaltung aufgegeben und die Geduld und Kampfesunlust des israelischen Wolfes vollkommen falsch eingeschätzt. In der Führungsriege der Hamas hatte man wohl eher gehofft, durch die Raketenangriffe auf das israelische Grenzgebiet Härte der israelischen Angriffe den Druck erhöhen zu können, den Mitte Dezember ausgelaufenen Waffenstillstand zu besseren Bedingungen zu erneuern. Von der Härte der israelischen Reaktion war die Hamas Führung dann auch vollkommen überrascht. Nun will die Hamas der überlegenen Armee bei der Bodenoffensive heftige Verluste beibringen, um sich zum Sieger zu stilisieren und so ihre Versagen als Ordnungsmacht in Gaza vergessen zu machen. International geht es der Hamas darum, die Friedensverhandlungen Israels mit Syrien zu stoppen.
4. Ist der Krieg der Bilder zu gewinnen?
Wahrscheinlich nicht für Israel, obwohl gegenüber früheren Kriegen die Web-Präsenz sehr viel stärker wurde. Hamas will durch das Leiden moralische Überlegenheit beweisen. Bilder toter Kinder und Frauen sollen beweisen, Israel führe Krieg gegen die Zivilbevölkerung. Deshalb richten die religiösen Fanatiker ihre Depots und Feuerstellungen , in Wohnhäusern, Schulen, Krankenhäusern, ja sogar Moscheen ein. Hier Angriffe zu fliegen und erfolgreich Hamas zu schwächen, bedeutet zu gleich moralische Kosten einzugehen. Um dies zu verhindern, warnt die israelische Luftwaffe per SMS oder Flugblatt die Bevölkerung vor Angriffen. Die Hamas manövriert durch diese Strategie auch die Regierungen der sunnitisch-konservativen Staaten in eine Zwangslage. Denn sie fürchten die überstaatliche Muslim-Bruderschaft in ihrer Doppelgestalt als Wohltätigkeitsorganisation und religiös-soziale Revolutionsbewegung. Unvergessen ist, dass der Vorgänger des ägyptischen Präsidenten, Anwar al-Sadat, dem Attentat eines jungen Offiziers, der Muslim-Bruder war, zum Opfer fiel. Es herrscht abgründiges Misstrauen.
Die Zerstrittenheit der Palästinenser untereinander gehört zu den Gründen, warum die Regierungen in Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien in ihren Erklärungen zu den israelischen Luftangriffen zunächst sehr zurückhaltend reagierten. Als sie dann allerdings fürchteten, der Zorn der arabischen Straße würde der Geheimpolizei außer Kontrolle geraten, wurden die öffentlichen Erklärungen und die Kritik an Israel schärfer. Ähnlich verhielt sich Mahmud Abbas, Präsident der „Palästinensischen Administration“ in der Westbank. Er hat das Massaker der Hamas an seinen Fatah-Leuten vor zwei Jahren nicht vergessen. Zunächst hatte er mit kaum verhohlener Schadenfreude angedeutet, die Hamas bekäme nun von Israel, was sie verdiene. Dann musste er unter dem Druck der Straße Sympathie heucheln. Für ihn ist die Lage besonders schwierig, weil seine Amtszeit als Präsident aus Hamas-Sicht am 9.?Januar endet, aus Sicht der Fatah ein Jahr später.
6. Warum ist Gaza ein gescheiterter Staat?
Alle Welt – einschließlich der EU, die viele Millionen Euro an Hilfsgeldern bereitgestellt haben – stellt sich die Frage, warum sich die Lebensbedingungen in Gaza nicht verbessert haben in den vergangenen zwei Jahren. Nach dem vollständigen Abzug der Israelis im August 2005 hatte die Koalition, die anfangs noch Hamas und Fatah verband, jede Chance, mit Hilfe der gesamten Welt einen arabischen Musterstaat aufzubauen. Stattdessen wurde die Fatah des früheren Führers Arafat ausgeschaltet, ein Schreckensregime errichtet, der Kampf bis zur Vernichtung gegen Israel erklärt. Mit der Machtergreifung der Hamas im Sommer 2007 verhängte Israel eine Warenblockade. Die Tunnelverbindungen an der Südgrenze zu Ägypten erlaubten Schmuggel von Waffen wie Lebensmitteln und Medikamenten. Elektrizität und Wasser lieferte Israel, wie auch gegenwärtig weiterhin eine humanitäre Notversorgung. Es war der israelische Außenminister Aba Eban, der einmal sagte, die Palästinenser verfehlten selten eine Chance, eine Chance zu verfehlen.
7. Hält die Gesellschaft Israels dem Druck stand?
Israelis teilen die Geschichte ihres Lebens ein nach den Kriegen, die sie überlebten, den Freunden, die sie verloren, und den Ängsten, die sie überstanden. Israel ist so klein, dass kein Tod anonyme Ziffer bleibt: Jeder kennt einen oder eine, die gefallen ist. Die Gefangennahme des Soldaten Gilad Schalit durch Hamas hat vor zwei Jahren die Nation aufgestört und solidarisiert. Die Heimführung der sterblichen Überreste Gefallener ist nationale und religiöse Selbstverständlichkeit. Die Kriege verbinden, und zugleich trennen sie: Es gehört zur politischen Kultur Israels, dass noch in jedem der jüngsten Kriege große Demonstrationen dagegen stattfanden. Die Gefahr verbindet, wie das Trauma alter Verfolgung. Aber zugleich gibt es die Frage der kleinen Jungen, ob auch sie im Krieg sterben müssen, und die Antwort der Eltern, die Rückversicherung in einer zweiten Staatsangehörigkeit, in Besitz im Ausland, in ferner Verwandtschaft suchen.
8. Ist Gaza durchweg radikalisiert oder Geisel der Hamas?
Es klingt unwahrscheinlich, aber beides ist gleichermaßen wahr. Die Hamas hat in den vergangenen zwei Jahren nicht nur die Fatah-Anhänger ausgeschaltet, sondern auch mächtige Familien entmachtet und gedemütigt und einzelne junge Männer mitunter öffentlich hingerichtet. Kritische Meinungsäußerungen sind kaum geduldet. Der Vorwurf, es mit dem israelischen Feind zu halten, führt ins Gefängnis, das in der Vergangenheit oftmals der einzig sichere Ort war, der die Beschuldigten vor der sofortigen Massakrierung rettete. Armut und Arbeitslosigkeit, Fanatismus und Abenteuerlust treiben die jungen Männer – und neuerdings oft auch junge Frauen – als Lebenszweck dem Tod zu.
9. Ist Frieden im Nahen Osten möglich?
Möglich schon, aber nicht wahrscheinlich. Denn jeder sucht seinen eigenen Frieden, und die Landkarte, die Religion, die Lebensform schließen einander aus. Stabilität wäre schon viel, Verzicht auf die Vernichtungsdrohung. Die Mehrheit der Israelis würde, nicht anders als die Mehrheit der befragten Palästinenser, auf Krieg und Leid und Heldentum verzichten.
10. Besteht Hoffnung auf eine Zweistaaten-Lösung?
Für die Palästinenser gilt, dass die arabische Welt ihren Konflikt bis heute ausnutzt, um Tyranneien zu rechtfertigen, und die Flüchtlinge von 1948 und 1967 zumeist nicht integriert. Die Forderung nach Rückkehrrecht aller Flüchtlinge einschließlich ihrer Nachfahren – die Zahlen gehen an die 4,5 Millionen – würde Israel als jüdischen Staat zerstören, es wäre der Anfang vom Ende. In Israel wusste jede Regierung in den vergangenen 30 Jahren, dass die Siedlungen jenseits der Grenzen von 1949/67 ein wachsendes Hindernis sein würden auf dem Weg zum Kompromiss. Zwei Nationen in einem Land: Das ist für Israelis und Araber mit israelischem Pass schwer genug. Für Israelis und Palästinenser ist es nur denkbar in zwei Staaten – eine politische Scheidung. Das wäre die nächste Annäherung an Frieden, die denkbar ist.
11. Welche Rolle spielen UN, USA, EU und Russland?
Das Gute am Nahost-Quartett ist, dass es überhaupt existiert und ein Forum schafft, in dem USA und Russland, die UN und die EU Kollisionen untereinander verhindern können. Dass sie am grünen Tisch eine Lösung ausarbeiten, nachdem schon die „Roadmap“ – Ende der palästinensischen Terrors, Einfrieren der Siedlungen, und dann weiter – so offenkundig gescheitert ist, ist schwer denkbar, obwohl angesichts der Gaza-Krise dringend geboten. Obamas Nahost-Team ist kompetent, und er hat nicht den Ehrgeiz Bill Clintons, durch Mikromanagement die Probleme zu lösen, noch die Nonchalance des Nachfolgers George W. Bush, den Konflikt lange sich selbst überließ.
12. Sind die Palästinenser ein tragisches Volk?
Nicht von Geburt an, aber auch nicht ohne eigene Schuld. Seit dem Jahr 1948, dem Ende des britischen Mandats Palästina, haben die Palästinenser auf ihre Mit-Araber gesetzt, auf Widerstand und Gewalt, dann auf Intifada und Selbstopfer und auf den listenreichen Arafat, den sie zuerst in den Zeiten des Terrors für ihren Retter hielten und dann, in den Zeiten des Oslo-Prozesses, für ihren Erlöser. Die Israelis fanden für den Frieden mit Ägypten Sadat, für den mit Jordanien König Hussein. Aber für den Frieden mit den Palästinensern fehlte es an ihresgleichen, als Itzhak Rabin, General und Regierungschef, die Kraft aufbrachte zum Verzicht. So ist die Tragik der Palästinenser auch die Tragik der Israelis.
Die Kämpfe in Gaza sind die blutigsten in der Geschichte der autonomen Palästinensergebiete. Nach Palästinenser-Angaben wurden mindestens 520 Menschen getötet. Israel meldete seinen ersten toten Soldaten. Trotz der Flut der Bilder und Nachrichten bleiben viele Fragen offen. WELT ONLINE erklärt die Lage in der Region.1. Handelt es sich um einen Verteidigungskrieg Israels?
Luftangriffe und Bodeneinsatz der Israelis sind ausgelöst durch den andauernden Beschuss des Südens Israels durch Raketen der Hamas mit steigender Reichweite, die für die Menschen im Süden Israels das Leben zum alltäglich-tödlichen Würfelspiel machen. Was immer die historischen Ursachen in der langen Konfliktgeschichte des Nahen Ostens sind: Keine Regierung kann zulassen, dass die eigene Bevölkerung ohne Gegenwehr Tag und Nacht Tod und Bedrohung ausgesetzt ist. Israel handelt, rechtlich gedeckt durch Artikel 51 der Charta der UN, in Notwehr.
2. Was will Israel erreichen?
In Zielen und Mitteln handelt es sich um einen typisch post-modernen Krieg: Israel will den Beschuss dauerhaft verhindern, die Hamas-Führung ausschalten, künftige Raketen- und Terrorangriffe abschrecken.
3. Welche Ziele verfolgt die Hamas?
Wer den Wolf nicht töten könne, solle ihn auch nicht am Schwanz ziehen, schrieb die ägyptische Zeitung „al-Ahram“ zum Verhalten der Hamas. Die Analogie ist deutlich: Mit ihrem andauernden Raketenbeschuss israelischer Städte hatte die Hamas jegliche Zurückhaltung aufgegeben und die Geduld und Kampfesunlust des israelischen Wolfes vollkommen falsch eingeschätzt. In der Führungsriege der Hamas hatte man wohl eher gehofft, durch die Raketenangriffe auf das israelische Grenzgebiet Härte der israelischen Angriffe den Druck erhöhen zu können, den Mitte Dezember ausgelaufenen Waffenstillstand zu besseren Bedingungen zu erneuern. Von der Härte der israelischen Reaktion war die Hamas Führung dann auch vollkommen überrascht. Nun will die Hamas der überlegenen Armee bei der Bodenoffensive heftige Verluste beibringen, um sich zum Sieger zu stilisieren und so ihre Versagen als Ordnungsmacht in Gaza vergessen zu machen. International geht es der Hamas darum, die Friedensverhandlungen Israels mit Syrien zu stoppen.
4. Ist der Krieg der Bilder zu gewinnen?
Wahrscheinlich nicht für Israel, obwohl gegenüber früheren Kriegen die Web-Präsenz sehr viel stärker wurde. Hamas will durch das Leiden moralische Überlegenheit beweisen. Bilder toter Kinder und Frauen sollen beweisen, Israel führe Krieg gegen die Zivilbevölkerung. Deshalb richten die religiösen Fanatiker ihre Depots und Feuerstellungen , in Wohnhäusern, Schulen, Krankenhäusern, ja sogar Moscheen ein. Hier Angriffe zu fliegen und erfolgreich Hamas zu schwächen, bedeutet zu gleich moralische Kosten einzugehen. Um dies zu verhindern, warnt die israelische Luftwaffe per SMS oder Flugblatt die Bevölkerung vor Angriffen. Die Hamas manövriert durch diese Strategie auch die Regierungen der sunnitisch-konservativen Staaten in eine Zwangslage. Denn sie fürchten die überstaatliche Muslim-Bruderschaft in ihrer Doppelgestalt als Wohltätigkeitsorganisation und religiös-soziale Revolutionsbewegung. Unvergessen ist, dass der Vorgänger des ägyptischen Präsidenten, Anwar al-Sadat, dem Attentat eines jungen Offiziers, der Muslim-Bruder war, zum Opfer fiel. Es herrscht abgründiges Misstrauen.
Zweite Woche des Kriegs beginnt5. Warum reagiert die arabische Welt so verhalten?
Die Zerstrittenheit der Palästinenser untereinander gehört zu den Gründen, warum die Regierungen in Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien in ihren Erklärungen zu den israelischen Luftangriffen zunächst sehr zurückhaltend reagierten. Als sie dann allerdings fürchteten, der Zorn der arabischen Straße würde der Geheimpolizei außer Kontrolle geraten, wurden die öffentlichen Erklärungen und die Kritik an Israel schärfer. Ähnlich verhielt sich Mahmud Abbas, Präsident der „Palästinensischen Administration“ in der Westbank. Er hat das Massaker der Hamas an seinen Fatah-Leuten vor zwei Jahren nicht vergessen. Zunächst hatte er mit kaum verhohlener Schadenfreude angedeutet, die Hamas bekäme nun von Israel, was sie verdiene. Dann musste er unter dem Druck der Straße Sympathie heucheln. Für ihn ist die Lage besonders schwierig, weil seine Amtszeit als Präsident aus Hamas-Sicht am 9.?Januar endet, aus Sicht der Fatah ein Jahr später.
6. Warum ist Gaza ein gescheiterter Staat?
Alle Welt – einschließlich der EU, die viele Millionen Euro an Hilfsgeldern bereitgestellt haben – stellt sich die Frage, warum sich die Lebensbedingungen in Gaza nicht verbessert haben in den vergangenen zwei Jahren. Nach dem vollständigen Abzug der Israelis im August 2005 hatte die Koalition, die anfangs noch Hamas und Fatah verband, jede Chance, mit Hilfe der gesamten Welt einen arabischen Musterstaat aufzubauen. Stattdessen wurde die Fatah des früheren Führers Arafat ausgeschaltet, ein Schreckensregime errichtet, der Kampf bis zur Vernichtung gegen Israel erklärt. Mit der Machtergreifung der Hamas im Sommer 2007 verhängte Israel eine Warenblockade. Die Tunnelverbindungen an der Südgrenze zu Ägypten erlaubten Schmuggel von Waffen wie Lebensmitteln und Medikamenten. Elektrizität und Wasser lieferte Israel, wie auch gegenwärtig weiterhin eine humanitäre Notversorgung. Es war der israelische Außenminister Aba Eban, der einmal sagte, die Palästinenser verfehlten selten eine Chance, eine Chance zu verfehlen.
7. Hält die Gesellschaft Israels dem Druck stand?
Israelis teilen die Geschichte ihres Lebens ein nach den Kriegen, die sie überlebten, den Freunden, die sie verloren, und den Ängsten, die sie überstanden. Israel ist so klein, dass kein Tod anonyme Ziffer bleibt: Jeder kennt einen oder eine, die gefallen ist. Die Gefangennahme des Soldaten Gilad Schalit durch Hamas hat vor zwei Jahren die Nation aufgestört und solidarisiert. Die Heimführung der sterblichen Überreste Gefallener ist nationale und religiöse Selbstverständlichkeit. Die Kriege verbinden, und zugleich trennen sie: Es gehört zur politischen Kultur Israels, dass noch in jedem der jüngsten Kriege große Demonstrationen dagegen stattfanden. Die Gefahr verbindet, wie das Trauma alter Verfolgung. Aber zugleich gibt es die Frage der kleinen Jungen, ob auch sie im Krieg sterben müssen, und die Antwort der Eltern, die Rückversicherung in einer zweiten Staatsangehörigkeit, in Besitz im Ausland, in ferner Verwandtschaft suchen.
8. Ist Gaza durchweg radikalisiert oder Geisel der Hamas?
Es klingt unwahrscheinlich, aber beides ist gleichermaßen wahr. Die Hamas hat in den vergangenen zwei Jahren nicht nur die Fatah-Anhänger ausgeschaltet, sondern auch mächtige Familien entmachtet und gedemütigt und einzelne junge Männer mitunter öffentlich hingerichtet. Kritische Meinungsäußerungen sind kaum geduldet. Der Vorwurf, es mit dem israelischen Feind zu halten, führt ins Gefängnis, das in der Vergangenheit oftmals der einzig sichere Ort war, der die Beschuldigten vor der sofortigen Massakrierung rettete. Armut und Arbeitslosigkeit, Fanatismus und Abenteuerlust treiben die jungen Männer – und neuerdings oft auch junge Frauen – als Lebenszweck dem Tod zu.
9. Ist Frieden im Nahen Osten möglich?
Möglich schon, aber nicht wahrscheinlich. Denn jeder sucht seinen eigenen Frieden, und die Landkarte, die Religion, die Lebensform schließen einander aus. Stabilität wäre schon viel, Verzicht auf die Vernichtungsdrohung. Die Mehrheit der Israelis würde, nicht anders als die Mehrheit der befragten Palästinenser, auf Krieg und Leid und Heldentum verzichten.
10. Besteht Hoffnung auf eine Zweistaaten-Lösung?
Für die Palästinenser gilt, dass die arabische Welt ihren Konflikt bis heute ausnutzt, um Tyranneien zu rechtfertigen, und die Flüchtlinge von 1948 und 1967 zumeist nicht integriert. Die Forderung nach Rückkehrrecht aller Flüchtlinge einschließlich ihrer Nachfahren – die Zahlen gehen an die 4,5 Millionen – würde Israel als jüdischen Staat zerstören, es wäre der Anfang vom Ende. In Israel wusste jede Regierung in den vergangenen 30 Jahren, dass die Siedlungen jenseits der Grenzen von 1949/67 ein wachsendes Hindernis sein würden auf dem Weg zum Kompromiss. Zwei Nationen in einem Land: Das ist für Israelis und Araber mit israelischem Pass schwer genug. Für Israelis und Palästinenser ist es nur denkbar in zwei Staaten – eine politische Scheidung. Das wäre die nächste Annäherung an Frieden, die denkbar ist.
11. Welche Rolle spielen UN, USA, EU und Russland?
Das Gute am Nahost-Quartett ist, dass es überhaupt existiert und ein Forum schafft, in dem USA und Russland, die UN und die EU Kollisionen untereinander verhindern können. Dass sie am grünen Tisch eine Lösung ausarbeiten, nachdem schon die „Roadmap“ – Ende der palästinensischen Terrors, Einfrieren der Siedlungen, und dann weiter – so offenkundig gescheitert ist, ist schwer denkbar, obwohl angesichts der Gaza-Krise dringend geboten. Obamas Nahost-Team ist kompetent, und er hat nicht den Ehrgeiz Bill Clintons, durch Mikromanagement die Probleme zu lösen, noch die Nonchalance des Nachfolgers George W. Bush, den Konflikt lange sich selbst überließ.
12. Sind die Palästinenser ein tragisches Volk?
Nicht von Geburt an, aber auch nicht ohne eigene Schuld. Seit dem Jahr 1948, dem Ende des britischen Mandats Palästina, haben die Palästinenser auf ihre Mit-Araber gesetzt, auf Widerstand und Gewalt, dann auf Intifada und Selbstopfer und auf den listenreichen Arafat, den sie zuerst in den Zeiten des Terrors für ihren Retter hielten und dann, in den Zeiten des Oslo-Prozesses, für ihren Erlöser. Die Israelis fanden für den Frieden mit Ägypten Sadat, für den mit Jordanien König Hussein. Aber für den Frieden mit den Palästinensern fehlte es an ihresgleichen, als Itzhak Rabin, General und Regierungschef, die Kraft aufbrachte zum Verzicht. So ist die Tragik der Palästinenser auch die Tragik der Israelis.
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