Mittwoch, 29. Oktober 2008

Neue Linkspartei in Spanien?

Am Sonntag ist der Chef der Vereinten Linken (IU) Spaniens zurückgetreten. Lange hatten Teile der Koalition Gaspar Llamazares aufgefordert, nach den Wahldebakeln ( http://de.indymedia.org/2008/03/210152.shtml) die „Koffer zu packen“ ( http://de.indymedia.org/2008/05/217256.shtml). Er selbst hat stets eine besondere Lesart seiner Debakel gezeigt und sieht auch heute noch keine Schuld bei sich am Scheitern der IU ( http://de.indymedia.org/2004/03/78459.shtml). Auf dem Regionalkongress der IU in der nordspanischen Region Asturien, wo seine Karriere einst begann, hat er den angekündigten Schritt umgesetzt. Nun schält sich heraus, dass er sein Projekt einer linksgrünen Partei, die an der Seite der Sozialisten (PSOE) unter seiner Führung agiert, nicht aufgibt. Deshalb bringt er die Neugründung einer Partei ins Gespräch.
In einem Buch, das er mit Almudena Grandes am Dienstag in Madrid vorgestellt hat, wirbt er für eine neue Linkspartei. In dem Buch, das die Schriftstellerin und IU-Sympathisantin mit ihm herausgibt, beziehen sie unverhohlen Stellung. Die Zeitung "Publico" zitierte am Montag aus "El rojo vivo" folgendermaßen: “Die IU hat ausgedient”, weil die “Wunden sie ausgeblutet haben". Als Alternative zu der Koalition müsse eine neue Partei gegründet werden: “Wir brauchen eine neue Partei, keine Koalition, keine Allianz, keine Wahlplattform". Davon habe man seit der Gründung der IU 1986 genug gehabt. Dabei ist von dem einstigen Bündnis kaum noch etwas übrig, weil viele Parteien es längst verlassen haben. Die neue Partei brauche eine einfache hierarchische Struktur mit nur einem Führungsorgan. Die IU sei eines "natürlichen Todes" gestorben, weshalb Wiederbelebungsversuche unnütz seien. Verantwortlich für das Ableben machen Grandes und Llamazares die Kommunistische Partei (PCE). Die IU-Gründer seien für ihr "Scheitern" verantwortlich: "Ihre Führung kann sich in keiner Form unschuldig und noch weniger als Opfer einer Situation fühlen, die niemand so stark, so wütend, vorangetrieben hat, wie sie", heißt es in dem Buch so, als wäre Llamazares vor vier Jahren nicht durch merkwürdige Vorgänge noch einmal Parteichef geworden. Beim föderalen Parteirat wurde Llamazares zwar als IU-Chef bestätigt, doch nur mit 53,7 Prozent der Stimmen und damit fiel das Ergebnis äußerst knapp aus. Erwartet hatte Llamazares eine Zustimmung von etwa 60 Prozent. Mit einem relativ guten Ergebnis wollte er die Schlappe wettmachen, die ihm die Delegierten auf dem Parteikongress im Dezember beschert hatten. Denn nicht einmal 50 Prozent der Delegierten hatten ihm das Vertrauen ausgesprochen. In weiser Voraussicht des Debakels hatte er eine Satzungsänderung vornehmen lassen, um seine Wiederwahl zu garantieren. Erstmals durften sich damals auch die 19 Regionalchefs an der Wahl des Chefs beteiligen, und nur so erreichte Llamazares im Dezember einen knappen Sieg im Parteirat. Viele Gegner bezeichneten den Vorgang als Schiebung, weil die Änderung nicht auf der Tagesordnung des Kongresses stand und zu später Stunde vorgenommen wurde, als fast nur noch Anhänger von Llamazares anwesend waren. Der Aufruf von Grandes und Llamazares zu einer Partei, die eine "ernsthafte, verantwortungsvolle und effiziente Opposition von links" betreibt, kann nicht sehr ernst gemeint sein. Er war es, der eine reale Opposition gegenüber der neoliberalen Politik einer PSOE-Regierung verhinderte. Die IU stützte die Minderheitsregierung vier Jahre und erhielt dafür die Rechnung bei den Wahlen im März. Sie stürzte weiter ab und erhielt nur noch 3,8 Prozent der Stimmen und zwei Parlamentarier, wobei einer davon auf die katalanischen Linksgrünen (ICV) entfiel. Unter der Führung der PCE erreichte die IU 1996 noch 11 Prozent und 21 Sitze. Von Selbstkritik war so am Sonntag erneut nichts zu hören. Llamazares übernimmt zwar die Verantwortung für die Lage, trage aber "keine Schuld". Mit dem Buch zeigt er auch sofort, was von seinen Worten am Sonntag zu halten ist. Denn in Mieres forderte er noch eine "Neugründung" einer "angenehmeren IU". Deshalb dürfe der Parteikongress Mitte November in Madrid nicht mit "Vorwürfen und Konfrontation" im Blick zurück beginnen, sondern müssen den Blick nach vorne für eine "unentbehrliche" IU richten. Auch das Wortspiel des Buchtitels, das sowohl "Tiefrot" oder auch "Offene Wunde" bedeutet, vernebelt. Llamazares und Grandes, die in Verlautbarungsorganen der PSOE wie "El País" und der Radiokette "SER" tätig ist, stehen nicht für eine tiefrote Kritik an der Regierung, sondern für den rosa Schmusekurs. Dass sie merkwürdige Manifeste unterschreibt und zu einem Zirkel von Interlektuellen gehört, die "aus dem Terrorismus" der ETA "die zentrale Achse der Opposition machen wollen" ( http://es.wikipedia.org/wiki/Almudena_Grandes), zeigt, dass sie ihren Frieden mit dem Kapitalismus längst geschlossen hat. Deshalb soll sich die neue Partei soll sich deshalb auch gegen die Gefahr einer "kommunistische Neugründung der IU" wenden und soll Linke in der sozialdemokratischen PSOE ansprechen. Doch diese Linie, die Llamazares acht Jahre in der IU vorantrieb, ist längst auf Grund gelaufen. Die neue Partei wird die schwache spanische Linke weiter spalten. Llamazares, der seinen Sitz im Parlament behalten will, raubt zudem der IU jede Repräsentanz im Parlament. Schon Anfang Oktober hatte Llamzares auf einer Pressekonferenz in Madrid erklärt: „Ich habe gerade meinen Rücktritt schriftlich dargelegt“. Denn damit wollte er seiner Abwahl beim Parteikongress zuvorkommen und muss keine Rechenschaft vor den Delegierten ablegen, die eine massive Kritik an ihrem Chef aufgestaut haben. Damit hatte er auch Spekulationen um einen Plan B beerdigt, wonach er noch einmal für die gespaltene Formation kandidieren wolle. Der Plan war mit dem Auftauchen vom „Dritten Weg“ zerstoben. Diese Kritiker sind seine früheren Unterstützer, weshalb er nun keine Chance mehr hatte, erneut eine Mehrheit gegenüber der PCE zu erhalten, die die Zügel in der IU nach acht Jahren wieder in die Hand nehmen will. Zwar hatte Llamazares den Rücktritt schon nach dem neuen Wahldebakel bei den Parlamentswahlen im März angekündigt. Seither hat er den Schritt, der schon mit einer Neuwahl im Juni besiegelt werden sollte, hinausgezögert. Der jahrelange Machtkampf und die dringende Neubestimmung wurden weiter in die Länge gezogen. Angeblich habe der Druck, den die PCE wegen der Verzögerungen aufgebaut hat, „keinen Einfluss“ auf seinen Schritt gehabt. Der diene dazu, den „internen Aderlass” zu stoppen. Es dürfe nicht zu einem Harakiri von IU-Führern kommen, sagte Llamazares. Er appellierte damals noch: “Wir müssen einiger, intern freundlicher und durchlässiger für die Gesellschaft sein“. Darin steckt viel Wahrheit, denn ein Problem ist die Spaltung in diverse Flügel und die Tatsache, dass ganze Strömungen und Parteien die IU verlassen haben ( http://de.indymedia.org/2005/04/111788.shtml). Aber auch die inhaltliche Kritik wird darüber verdeckt, denn Llamazares hat die Partei mit seinem Kurs in die Bedeutungslosigkeit geführt, die nur noch 3,8 Prozent der Wählerstimmen erhielt. Die Uneinigkeit war bisher sogar sein Glück. Wären sich seine Gegner einig gewesen, hätten sie sich vor vier Jahren auf einen Kandidaten geeinigt und ihn abgesägt. So konnte er weiter auf Schmusekurz zur neoliberalen Politik der sozialistischen Regierung gehen und erhielt für die Unterstützung eine geringe Machtbeteiligung, statt reale linke Alternativen zu entwickeln. Ausgerechnet in der Wirtschaftskrise, die sich seit Jahren ankündigt und Spanien schon jetzt die höchste Arbeitslosenquote in Europa bescherte, befindet sich die IU in der existenziellen Krise. Es fällt ihr auf die Füße, dass sie lieber Machtkämpfe führte und die Konflikte auf die lange Bank schob und auch massiver Streit ist programmiert. Erneut ist dafür Llamazares verantwortlich, weil er seinen Abgeordnetensitz nicht räumen will. Das wäre nicht so schlimm, wäre das nicht der einzige Sitz, den die IU noch selbst erreichte. Statt dem neuen IU-Chef einen Raum in der Öffentlichkeit zu sichern, der in Debatten eingreifen und die Politik der Regierung angreifen kann, will er den gut dotierten Posten behalten. Der Wechsel in der Spitze müsse mit dem geprüften „Profil“ im Parlament kombiniert werden. Selbstkritik und Bescheidenheit klingt anders. Er will vielmehr seinen Einfluss absichern und verhindern, dass die PCE wieder die Zügel übernimmt und den Kurs zur Umwandlung der IU in eine grüne Linkspartei umkehrt Unter der PCE-Führung erreichte die IU 1996 noch 11 Prozent der Stimmen und 21 Parlamentssitze.

Folter in Spanien

Image Die Folter im EU-Staat hat trotz aller Bemühungen auch hochoffizieller Stellen nicht abgenommen; aktuelle Dokumentation
695 DOKUMENTIERTE FÄLLE VON FOLTER IM SPANISCHEN STAAT 2007

Mehr als 5.400 Fälle von Folter in Spanien sind zwischen Januar 2001 und den ersten 5 Monaten 2008 von Menschenrechtsorganismen dokumentiert worden. Eine Studie über Misshandlungen, die in Kürze veröffentlicht werden wird, belegt dass bei nur 12% dieser Fälle insgesamt eine mündlichen Anhörung vor Gericht stattgefunden hat und dass 5% bereits durch ein Urteil in der ersten Instanz hängengeblieben sind.

Im Verlauf des Jahres 2007 wurden 1.025 Fälle von Folter oder Misshandlungen auf Komissariaten, in Gefängnissen, Internierungslagern oder auf offener Strasse registriert. Das bedeutet eine Zunahme von 40% gegenüber den verzeichneten Anklagen vom Vorjahr. So lauten die Ergebnisse des am 31. Mai in Bilbao vorgelegten Berichts der Koordination für Folterprävention (Coordinadora para la Prevención de la Tortura, CPT), die sich aus mehr als 40 menschenrechteverteidigenden Organismen aus dem gesamten Staat zusammensetzt. Dieser jüngste Bericht der CPT detailliert Fall für Fall die Umstände und die prozessuale Situation der 695 dokumentierten Anklagen. Der CPT liegen laut ihren Angaben überdies Informationen über 330 weitere Fälle vor, die jedoch auf die Bitte der Betroffenen hin oder wegen noch laufender Ermittlungen nicht in die Studie einbezogen worden sind.

FALL FÜR FALL

Die gesammelten Daten zeigen, dass Misshandlungen und Folter ein weites Feld umfassen; die Mehrzahl der Betroffenen aber sind soziale AktivistInnen, ImmigrantInnen, Personen in Haft oder Verhaftete unter totaler Kontaktsperre/ incomunicado (siehe hierzu: http://de.indymedia.org/2007/02/167931.shtml
und http://de.indymedia.org/2007/02/167927.shtml). Von den Anklagen stammen 39,6% von AktivistInnen verschiedener Sozialer Bewegungen (insgesamt 285 Anklagen); 11% wurden von ImmigrantInnen erhoben (80); 9,9% sind von Inhaftierten (71 Fälle) und 4,4% stammen von Festgenommenen unter totaler Kontaktsperre im Rahmen des Anti-Terrorismusgesetzes (32 Anklagen). Aus den Zentren für Minderjährige sind 9 Anklagen (1,2%) eingegangen.

Unter den 2007 registrierten Fällen tauchen insbesondere wiederholt Missbräuchlichkeiten auf dem Komissariat Les Corts in Barcelona auf; dort wurden zahlreiche Misshandlungen mit versteckten Videokameras aufgezeichnet. Aber es sind weitaus mehr Fälle..., so etwa die erschütternde Aussage des im Dezember in Durango verhafteten Gorka Lupiañez oder die eines taubstummen Ehepaares, das laut seiner Aussage, geschlagen worden war, nachdem es Lokalpolizisten in der Zeichensprache beleidigt hatte.

Das Ranking der aktuellen Liste wird angeführt von der Lokalpolizei mit insgesamt 220 Anklagen (eine Zunahme von 54% gegenüber 2006), gefolgt von der Nationalpolizei mit einem Zuwachs von 30% = 185 Anklagen. An dritter Stelle steht mit der schier unglaublichen Zuwachsarate von 132%, 128 Anklagen, die autonome, katalanische Polizei. Es folgen die Gefängnisbeamten mit 73 Anklagen und die Guardia Civil, die 66 Übergriffe (32% mehr als im Vorjahr) zu verantworten hat. Auch die autonome, baskische Polizei verzeichnet einen Zuwachs, 128% = 48 Anklagen. Geographisch führend ist Katalanien mit insgesamt 173 Anzeigen entsprechend 69 Fällen. In Madrid haben 119 Personen Misshandlungen/Folter angezeigt; in Andalusien 109; in der autonomen, baskischen Provinz 84 zusätzlich 23 in Navarra. Gallizien verzeichnet 49 Anklagen; das Land Valencia 39 und die Kanarischen Inseln 33.

Weiter benennen die von der CPT erstellten Daten mindestens 115 Todefälle unter Freiheitsentzug (in Gefängnissen, auf Komissariaten, Besserungsanstalten etc.). Damit beläuft sich die traurige Billanz auf 558 Tote zwischen dem 01.Januar 2001 bis Ende 2007 in geschlossenen Einrichtungen des spanischen Staates

BESUCH DES UN-BERICHTERSTATTERS (WIEDEREINMAL)

Als Schlussfolgerung und Einschätzung der abgeschlossenen, definitiven Statistik für 2007 hebt der Sprecher der CPT, Jorge del Cura, "die signifikante Einlegung von Anklagen im Vergleich zu den Vorjahren" und "die Beschwerden darüber, "dass die Untersuchungen weiterhin der Schnelligkeit, Effizienz und der Unabhängigkeit entbehren" hevor. Überdies betont Del Cura "die wiederholte Nichteinführung der staatlichen Mechanismen zur Ausmerzung der Folter, zu der die spanische Regierung nach der Unterzeichnung des neuen Fakultativen UN-Protokollls 2006 verpflichtet ist."

Zwischen dem 07. und 14. vergangenen Mai stattete der Sonderberichterstatter der UNO für Menschenrechte im Anti-Terrorismuskampf, Martin Scheinin, dem spanischen Staat einen Besuch ab und veröffentlichte danach seine professionellen Ergebnisse... Darin warnt er vor "der alarmierenden Zersetzung des spanischen Rechtssystems, das - mit vagen Definitionen - Delikte als Terrorismus klassifiziert, die keiner sind." Scheinin: " An dieser Hürde zu straucheln bedeutet das Risiko zahlreicher Rechtsverletzungen." Der Sonderberichterstatter fordert zudem die Abschaffung des Systems der incomunicación (totale Kontaktsperre) sowie eine Untersuchung des speziellen Systems des Nationalegerichts und dessen Monopol zur Bestimmung anderer Gerichte bezüglich terroristischer Verbrechen. Laut der Beurteilung des UN-Berichterstatters verletzt dies Rechte und führt zu strukturellen Defiziten bei der demokratischen Funktion der Justiz (indem keine Möglichkeit zugelassen ist, sich an eine höhere Gerichtsinstanz zu wenden).

MANGELNDER WILLE VON RICHTER UND GERICHTEN

Nach einer Jahr für Jahr Berichterstattung (dies ist das vierte), bestätigt die CPT, dass sich die von der Brutalität der Sicherheitskräfte Betroffenen, aufgrund der Aufschubs der Prozesse und ungenügenden, rechtlichen Untersuchungen, beim Versuch einen angemessenen Gerichtstitel zu erhalten, zahlreichen Schwierigkeiten gegenüber sehen.
Die Berichte der Koordination beschreiben einen Weg voller Hindernisse in den Gerichten, der sich beim Vertrautmachen bei den meisten der Prozessarchive auftut ..., wie etwa zu diesem:
Im April 2007 verurteilte das Provinzgericht von Almería einen Guardia Civil wegen schweren Verstosses gegen die moralische Integrität zu 15 Monaten Gefängnis und 3 Jahren Suspendierung. Der Beamte hatte im Juli 2005 eine Schägerei begonnen, die den Landwirt Juan Martínez Galdeano von Roquetas, das Leben kostete. Drei Beamte wurden wegen leichter Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt, während weitere fünf Guardia Civiles einen Freispruch erhielten.
Monate später verurteilte ein anderes Gericht von Almería einen Angehörigen des getöteten Bauern wegen Körperverletzung zu 6 Monaten Haft. Als die Angehörigen und Verbündeten des Landwirts vor den Gerichtstüren warteten, erschienen dort die Frauen der Guardia Civiles des Reviers mit noch weiteren Demonstranten, bestückt mit Plakaten zur Unterstützung der (Para-)Polizisten. Als der Angeklagte versuchte, ihnen eines davon zu entreissen, kam es zu einer Auseinandersetzung, bei welcher eine der Frauen sich eine Verstauchung des Handgelenks zuzog. Laut dem Richter hat ein böswilliger Vorsatz bestanden, da die Spannung der Situation eindeutig war und der Verurteilte sich über das Risiko zu verletzen bewusst gewesen sei, bevor er gehandelt hat.

Quelle: www.nodo50.org/Documentados-695-casos-de-torturas.html

Übersetzung: tierr@
www.tierra.bloggospace.de

LINKS:

Aktuelle Stellungnahme von Amnesty International zur Folter im Staat Spanien:
"Salz in der Wunde“: www.amnesty.de/länder;
Originalbericht: http://web.amnesty.org/library/Index/ENGEUR410062007?open&of=ENG-ESP;
Feature: http://web.amnesty.org/pages/esp-141107-feature-eng

Erste "Nationale Versammlung Gefolterter"
http://de.indymedia.org/2007/02/168229.shtml
http://de.indymedia.org/2007/02/168851.shtml

Zwangernährung eine Form der Folter
http://de.indymedia.org/2007/02/168357.shtml

Auch Lebenslänglich ist eine Art der Folter
http://de.indymedia.org/2007/11/200771.shtml

ZeugInnenaussagen gefolterter Personen
http://de.indymedia.org//2005/09/127238.shtml
http://de.indymedia.org//2005/09/127236.shtml

Folter auf Intensivstation
http://de.indymedia.org/2008/01/204661.shtml

Vergewaltigung einer Frau durch die spanische Guardia Civil ( dtsch.im Kommentar):
http://www.de.indymedia.org/2004/12/102704.shtml
http://www.stoptortura.com

Información sobre torturas en prisiones:
http://www.apdha.org/areas/carceles.asp

Spaniens Antiterrorkrieg im Innern
http://de.indymedia.org/2007/11/198643.shtml

Demokratischer Ausnahmezustand im Baskenland
Link-Übersicht 2005 - 2007
http://de.indymedia.org/2005/06/119234.shtml

Artikel zum "Normalzustand" in spanischen Gefängnissen:
Spanische Gefängnisse vor dem Kollaps
http://de.indymedia.org/2006/10/158207.shtml

Gefangene produzieren die Gitter, die sie einsperren
http://de.indymedia.org/2006/10/158484.shtml

MISSHANDLUNGEN AN JUNGENDLICHEN
"ZENTREN "FÜR" MINDERJÄHRIGE WERDEN ZU GEFÄNGNISSEN
http://de.indymedia.org/2006/10/159507.shtml

EU-Regierungen untergraben Folterverbot
http://de.indymedia.org/2007/02/167939.shtml

Das Geschäft mit dem Schmerz
http://de.indymedia.org/2003/12/69302.shtml

Sonntag, 26. Oktober 2008

Eric Breininger: Aus dem Saarland in den Dschihad

Eric Breininger: Der 21-jährige Deutsche hat sich dem Dschihad verschrieben.

Er ist das Gesicht einer neuen Generation islamischer Terroristen, die den "Heiligen Krieg" in den Westen tragen wollen: Eric Breininger. Der Deutsche wuchs im Saarland auf, spielte Fußball, trank zu viel - bis er Kontakt zur Sauerland-Zelle aufnahm.

Ein junger Deutscher, mitten aus der Gesellschaft, konvertiert zu einer extremen Strömung des Islam, radikalisiert sich unter dem Einfluss von Hasspredigern, trainiert für Terroranschläge und richtet am Ende seinen Hass gegen Unschuldige in seiner eigenen Heimat: So lässt sich die Entwicklung Eric Breiningers zusammenfassen.

Gut in Fußball, mittelmäßig in der Schule

Breininger wurde 1987 geboren. Nach der Scheidung seiner Eltern lebte er gemeinsam mit seiner Mutter im saarländischen Neunkirchen. Er spielte gern und gut Fußball, brachte es bis in die Landesauswahl. Seine schulischen Leistungen waren eher mäßig. Ein großes Geltungsbedürfnis, gelegentlicher Haschischkonsum, Alkoholmissbrauch und Ärger mit der Polizei und seinen Eltern kennzeichnen seine Jugend.

Breininger ist auf der Suche nach Halt und Orientierung, als er Anfang 2007 bei seiner Arbeit in einem Transportunternehmen den pakistanischen Kollegen Anis P. kennenlernt, der ihn mit einer extremen Auslegung des Koran vertraut macht. In nur wenigen Monaten radikalisiert sich der junge Mann, bricht die Handelsschule ab und konvertiert zum Islam.

Kein Schweinefleisch, kein Haargel

In einem ZDF-Interview beschreibt Breiningers Schwester Anke die Verwandlung ihres Bruders von einem lebenslustigen, jungen Mann zu einem fanatischen Islamisten: "Er hat sich Anfang 2007 vermehrt für den Koran und den Islam interessiert, was ein bisschen ungewöhnlich war, weil er vorher jahrelang ausländische Freunde hatte, auch muslimische Freunde, und sich nie dafür interessiert hat. Auf einmal hat er dann angefangen, sich dafür zu interessieren. Er wollte den Koran haben, er wollte den Koran lesen können", erzählt sie. Ihr Bruder habe begonnen, kein Schweinefleisch mehr zu essen. Er sei morgens früh aufgestanden, um zu beten. Er habe sich nicht mehr zurecht gemacht, also nicht mehr die Haare gestylt, weil er das laut Koran halt nicht machen sollte.

Eric Breininger. Quelle: ZDF
Eric Breiningers Steckbrief auf einem Fahndungsplakat in Afghanistan: 1, 73 Meter groß, etwa 90 Kilogramm schwer, blaue Augen, dunkle Haare.

Zitat

  • „Er hat seine komplette Zimmerausstattung verkauft, kein TV mehr geschaut und den Computer verkauft.“

Breiningers Schwester Anke

Und dann brach Breiniger auch seine Kontakte in die deutsche Gesellschaft ab. "Er ist nicht mehr weggegangen, er hat den Kontakt zu früheren Freunden abgebrochen und hat sich mehr darum gekümmert, dass er in die Moschee geht, dass er beten geht und den Koran liest und arabisch lernt", erzählt die Schwester. "Das Ganze hat sich dann weiter verschlimmert. Er hat seine komplette Zimmerausstattung verkauft, kein TV mehr geschaut, hat den Computer verkauft, hat in der Wohnung Bilder von den Wänden genommen und umgedreht, damit sie nicht mehr zu sehen waren und hat dann auch bis auf die Gänge zur Moschee keinen Kontakt mehr zu früheren Freunden oder Bekannten gehabt."

WG mit mutmaßlichem Terrorist

Nach einem Streit mit seiner Familie zieht Breininger in Saarbrücken-Dudweiler mit seinem großen Vorbild und Gesinnungsgenossen Daniel Schneider zusammen. Schneider ist zu diesem Zeitpunkt mit der Beschaffung von Material zum Bau von Sprengsätzen beschäftigt. Im September 2007 wird er mit seinen Kameraden Fritz Gelowicz und Adem Yilmaz in einem Ferienhaus im Sauerland unter Terrorverdacht verhaftet. Kurz zuvor taucht Schneiders Schützling Breininger aus Deutschland ab, reist zu Sprachstudien nach Kairo und von dort weiter in ein Trainingslager der Islamischen Jihad Union (IJU), einer Terrorgruppe mit engem Kontakt zu Taliban und El Kaida.

Die IJU hat sich zu zahlreichen Terroranschlägen in Afghanistan und Pakistan bekannt. Ihre Anführer gelten als Drahtzieher hinter dem Plan der Sauerland-Zelle, im Herbst 2007 schwere Autobombenanschläge im Rhein-Main-Gebiet zu verüben. Nach Erkenntnissen deutscher Sicherheitsbehörden haben bis heute mehrere Dutzend junger Männer aus Deutschland ein Terrortraining in den Lagern der IJU absolviert.

Nach Abschluss seiner Ausbildung mit Schusswaffen und Sprengstoff taucht Eric Breininger im Frühjahr 2008 mehrfach in Propagandavideos der Terrorgruppe auf, der rund 300 aktive Kämpfer zugeordnet werden.

Zitat

  • „Mit dem Leben in Deutschland habe ich schon längst abgeschlossen. Mein Leben wird hier im Dschihad sein.“
    Eric Breininger

"Selbstverteidigung des Islam"

In einer Botschaft vom vergangenen Mai ist Breininger gemeinsam mit seinem Freund Houssein el-Malla zu sehen, der ihm Fragen zu seinen Plänen stellt. In seinen Antworten rechtfertigt der junge Saarländer den brutalen Terrorismus der IJU als Selbstverteidigung des Islam gegen einen angeblichen Kreuzzug des Westens und kündigt seinen Einsatz als Selbstmordattentäter an: "Gelobt sei Allah, der mir diesen Weg zum Dschihad geöffnet hat. Mit dem Leben in Deutschland habe ich schon längst abgeschlossen. Mein Leben wird hier im Dschihad sein. Inshallah wird Allah mich als Schahid zu sich nehmen. Dass sie hier in Afganistan nach mir suchen, macht mir ehrlich gesagt keine Sorgen."

Jetzt suchen deutsche Sicherheitsbehörden fieberhaft nach Eric Breininger, weil er sich offenbar entschieden hat, den Dschihad doch nach Deutschland zu tragen.

Spanischer Justizminister warnt Richter

Im spanischen Justizwesen ging am Dienstag praktisch nichts. Zahllose Prozesse fielen aus, weil ein Streik der Justizbeamten die Gerichte lahm gelegt hat. Auch Richter, die nicht streiken dürfen, schlossen sich der Kampfansage an die sozialistische Regierung an und hielten zumeist Richterversammlungen ab. Umso konservativer die Region, desto stärker war die Streikbeteiligung. Die Reaktion der Regierung fiel entsprechend aus. Der Justizminister Mariano Fernández Bermejo sprach von einem "verdeckten Streik" der Richter und machte deutlich, dass niemand "unangreifbar" sei, womit er weiter Öl ins Feuer goss.

Derlei Protest ist erstaunlich, da sich sonst in Spanien niemand dagegen auflehnt, dass es die Gewaltenteilung im Fall der Basken nicht gibt.

Vordergründig wurde gegen die Bestrafung eines Richters und einer Beamtin im Rahmen eines Justizskandals gestreikt, welcher der fünfjährigen Mari Luz das Leben kostete. Sie wurde im Januar im südspanischen Huelva entführt, als sie kurz zu einem Laden mit Süßigkeiten ging. Nach fast zweimonatiger Suche wurde ihre Leiche am Hafen der Stadt gefunden. Wenig später nahm die Polizei einen vorbestrafter Kinderschänder fest, der die Polizei an den Ort führte, wo er das Mädchen ins Wasser geworfen habe.

Der 43jährige Santiago del Valle ist ein Päderast, der im Knast sitzen sollte, weil er 2006 zu fast drei Jahren Haft verurteilt worden war, weil er sich an seiner fünfjährigen Tochter vergangen hatte. Das Urteil war rechtskräftig, doch Richter Rafael Tirado versäumte es, den Vollzug der Haftstrafe anzuordnen. Er redet sich nun mit fehlenden Mitteln und dem Chaos im Justizwesen heraus. Dabei hatte er jahrelang keine Hilfe angefordert und machte auch seine Sekretärin für den Irrtum verantwortlich. Als der Fall noch heiß diskutiert wurde, sprach sich auch der zuständige Kontrollrat für Justizgewalt (CGPJ) für eine "strenge Bestrafung" des Richters aus. Die Staatsanwaltschaft forderte, Tirado drei Jahre vom Dienst zu suspendieren. Als sich die Wogen wieder etwas geglättet hatten, verurteilte der Kontrollrat, der von der konservativen Volkspartei (PP) kontrolliert wird, den Richter zu einer Geldstrafe von 1500 Euro, während die Sekretärin vom Justizministerium für zwei Jahre vom Dienst suspendiert wurde.

Die Eltern von Mari Luz traf die lächerliche Geldstrafe wie ein Tiefschlag. Der Vater, der trotz seines Schmerzes stets besonnen argumentiert, erklärte: "Wir klammerten uns ans letzte was uns blieb, die Justiz, doch die Justiz hat uns betrogen." Juan José Cortés fordert, den Richter gänzlich vom Dienst zu suspendieren. Die Familie hat dafür die Unterstützung von fast 2,4 Millionen Menschen erhalten, die mit ihrer Unterschrift auch höhere Strafen für Kinderschänder und eine bessere Umsetzung bestehender Gesetze fordern.

In dem Streik kamen verschiedene Interessen zusammen. Einige Beamten streikten, weil der Richter die Verantwortung nach unten abgewälzt hat. Andere befürchten, bald ebenfalls für gravierende Fehler verantwortlich gemacht zu werden. Andere fordern Hilfen für die chronisch überlastete Justiz, denn die Regierung macht schnell neue Gesetze, doch stellt keine Mittel für die Umsetzung bereit. Die zumeist konservative Richterschaft wirft dagegen der Regierung Einmischung vor, weil sogar Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero die Suspendierung von Tirado gefordert hat.

Es ist schon erstaunlich, dass sich die konservativen Richter hier über die Einmischung der Regierung beschweren, dabei ist die Politisierung im System angelegt, wie sich bei der Ernennung der Justizkontrolleure gerade wieder gezeigt hat . Im Fall der Basken geben die Regierungen, ob PSOE oder PP, stets vor, wie geurteilt werden muss. Sei es die verbotene Volksbefragung der baskischen Regionalregierung, die am Samstag durchgeführt werden sollte . Die Linie hatte die Regierung vorgegeben und die Richter haben im Eiltempo auf allen Ebenen bis zum Verfassungsgericht gehorcht. Das gilt ebenfalls für die die neuen Parteiverbote von EHAK und EAE-ANV. Deutlicher als der Justizminister kann man es nicht sagen, wonach man Anklagen konstruieren" werde, damit bestimmte Leute nicht aus dem Knast kommen .

Richter, die sich den Anweisungen widersetzen, werden abserviert. Bestes Beispiel ist die Vierte Kammer am Nationalen Gerichtshof. Diese drei Richter wollten die Foltergeständnisse nicht anerkennen und stellten im Zusammenhang verschiedener baskischer Organisationen fest, dass sie "keinen illegalen Handlungen" nachgehen, "öffentlich arbeiten und rechtmäßig gegründet wurden". Das "spanische Justizsystem zu kritisieren oder international für das Recht auf Selbstbestimmung zu werben oder auch innerhalb und außerhalb Spaniens die »Demokratische Alternative für das Baskenland« zu verbreiten sind keine strafbaren Handlungen“, heißt es in einer Entscheidung, mit der die Richter die These von Garzón zerpflückten, alle Organisationen der linken Unabhängigkeitsbewegung gehörten zur ETA. Die bloße Bekanntschaft, professionelle Treffen (zum Beispiel mit Journalisten) der Besuch eines Geflohenen und ihn mit Essen zu versorgen, seinen eben keine Unterstützungshandlungen. Garzóns Anklagen im Dienst der Regierung krankten "an einem Fehlen von Konkretisierung, nicht einmal das vermeintliche Ziel der Anklage ist benannt“ und „es gibt nicht einmal Indizien...“ für seine Behauptungen urteilen die Richter. Trotzdem verbot Garzón die Organisationen "vorläufig".

Da die Vierte Kammer trotz scharfer Kritik der Regierung die Anklagen Garzóns zerpflückte, wurden die Richter letztlich abserviert und damit die Vorbereitungen getroffen, dass die Angeschuldigten im Hauptverfahren verurteilt werden konnten . In einem mit Merkwürdigkeiten gespickten Verfahren, näheres kann man im Buch Tondar nachlesen, wurden sie vom Dienst suspendiert. Angeblich hätte ihr Verhalten zur Flucht eines Drogenbosses geführt. Zwar konnte ihnen später nichts nachgewiesen werden, aber die Richter waren weg. Dass dies nur ein Vorwand war wird spätestens klar, als der Ermittlungsrichter del Olmo, welcher die Zeitung Egunkaria schließen ließ, nicht diszipliniert wird. Er schaffte es in vier Jahren nicht Anklage gegen vier Drogenbosse zu erheben, die dann frei gelassen wurden sich abgesetzt haben.

© Ralf Streck, Donostia

Samstag, 25. Oktober 2008

Auch Luca wurde aus dem Zug geworfen

Für Zugbegleiter gelten klare Vorschriften, doch nicht alle halten sich daran: Einige springen rüde mit Fahrgästen um.

Von Elisabeth Jessen

Was Deborah (12) aus Bad Doberan am Montagabend passierte, als sie von einer Schaffnerin aus dem Zug geworfen wurde, ist nach Aussage von Achim Stauß, Konzernsprecher der Deutschen Bahn, ein "extremer Einzelfall". "Die Zugbegleiterin hätte sich ganz anders verhalten müssen." Dass der rüde Umgang mit Fahrgästen jedoch gar nicht so selten ist, zeigen die Reaktionen zahlreicher Abendblatt-Leser, die über ähnliche Erfahrungen berichten.

So wie die 14-jährige Luca Schick aus Hamburg-Curslack, die am 23. August mit einem Eurocity (EC) von Oldenburg (Holstein) nach Hamburg fahren wollte. "Die Mutter ihrer Freundin hatte versehentlich eine Fahrkarte für den Regionalzug am Automaten gelöst", erzählt ihre Mutter Gabi Schick. "Die Schaffnerin hat gesagt, ,du musst in Lübeck aussteigen.'" Luca habe schweres Gepäck - einen großen Rucksack sowie Schlafsack und Zelt - dabeigehabt. "Ihr Handyakku war fast leer, sie konnte uns nur noch sagen, dass sie später ankommt", erzählt die Mutter von vier Kindern. "Direkt nach dem Vorfall war ich sehr geladen", so Gabi Schick. Sie habe dann eine Beschwerde-Mail an mehrere Bahnadressen geschickt: "Es ist ja nicht einfach, die Mail-Adresse eines Zuständigen herauszufinden." Die Leiterin des Kundendialogs antwortete schließlich und entschuldigte sich "in aller Form" und erklärte, "es hätte sicherlich auch eine kundenfreundlichere Lösung gefunden werden können." Mehr als diese E-Mail kam nicht. Auch die Zugbegleiterin in diesem Fall hat gegen die Vorschrift der Deutschen Bahn verstoßen, derzufolge Minderjährige auch dann nicht aus dem Zug verwiesen werden dürfen, wenn sie keine gültige Fahrkarte haben. Sie können gegebenenfalls in die Obhut der Bundespolizei übergeben werden.

Langsam scheint es auch der suspendierten Zugbegleiterin aus der Regionalbahn von Bad Doberan zu dämmern, was sie am Montagabend angerichtet hat, als sie Deborah an der kleinen Haltestation Parkentin (Kreis Bad Doberan) samt Cello in der anbrechenden Dunkelheit aus dem Zug gewiesen hat, weil das Mädchen das Geld für die Fahrkarte vergessen hatte. "Die Mitarbeiterin möchte sich bei dem Mädchen und der Familie entschuldigen. Ihr Fehlverhalten tut ihr aufrichtig leid", erklärte Bahnsprecher Stauß. "Wir werden auch arbeitsrechtliche Konsequenzen ziehen. Welche, kann ich noch nicht sagen, weil die Bundespolizei noch ermittelt", so der Bahnsprecher. Mittlerweile gibt es Zweifel, ob ein Mann, der dem Mädchen seine Hilfe angeboten haben will, tatsächlich im Zug saß. Die Polizei sucht daher weitere Zeugen.

Die Hamburgerin Tanja Schuit (18) hat Ähnliches wie Deborah und Luca erlebt. Sie sei am 4. März 2007 von einem Schaffner gegen 23.15 Uhr in Ashausen (Kreis Harburg) aus der Regionalbahn gewiesen worden, mit der Begründung, ihr HVV-Ticket sei nicht bis Winsen/Luhe gültig, erzählt sie. "Aus Verzweiflung fing ich an, mitten in der Nacht an wildfremden Haustüren zu klingeln", erzählt die junge Frau, die damals noch 17 war. Ein netter Herr, der die Tür öffnete, habe sie schließlich nach Winsen gefahren.

Für Zugbegleiter gelten klare Vorschriften, doch nicht alle halten sich daran: Einige springen rüde mit Fahrgästen um.

Auch der Hamburger Julian Gehlert (27) erinnert sich an eine albtraumhafte Wanderung querfeldein. Weil der Aufdruck seiner Fahrkarte unleserlich war, habe die Zugbegleiterin ihn aufgefordert, den Zug zu verlassen. "Es waren 36 Grad, und ich hatte den Fahrschein aus Thermopapier den ganzen Tag in der Hosentasche", so seine Erklärung. Die Schaffnerin habe seine Reisetasche an einem Haltepunkt zwischen dem bayerischen Plattling und Deggendorf aus dem Zug geworfen. "Ich bin dann sieben Kilometer bis Deggendorf gelaufen."

Zumindest aus dem Fall Deborah will die Bahn Lehren für die Zukunft ziehen: "Wir werden diesen Vorfall in unseren Schulungen sicher noch mal aufarbeiten", versichert Bahnsprecher Stauß.

Wie schlimm ist Hetero-Sexualität?

Christian Ortner

Wer die Berichte über die letzten Stunden Jörg Haiders verfolgte, dem drängt sich ein eigentümliches Gefühl auf: dass hier ziemlich viel um den heißen Brei herumgeredet wird, mit Andeutungen operiert wird, die irgendwo im Nebel enden, dass hier zwar jemandes Privatleben teilweise geoutet wird, aber auch das nur mit angezogener Handbremse.

Österreichs Medien gehen mit dem Privatleben von Politikern relativ vernünftig um: Wer welche sexuellen Präferenzen hat, ist oft bekannt, steht aber so gut wie nie in der Zeitung. Solange zwischen dem Privaten des Betroffenen und seinen politischen Haltungen keine krasse Diskrepanz besteht, geht das niemanden etwas an.

Sehr wohl von öffentlichem Interesse ist hingegen, was dazu führt, dass ein Politiker dermaßen schnell dermaßen viel Alkohol zu sich nimmt, dass er in der Folge zu einer rasenden Bombe wird, die nur durch Zufall ausschließlich ihn selbst und sonst niemanden vom Leben zum Tode befördert.

Dass in Haiders Fall der schützenswerte Privatbereich in kausalem Zusammenhang mit den öffentlich zu machenden Unfallursachen steht, generiert diese in vielen Fällen merkwürdig herumeiernde Form der Berichterstattung. Dass Haider unmittelbar vor dem Unfall in einer Bar war, die sich selbst als "Schwulenlokal" beschreibt, wird ja von seinem Privatleben möglicherweise nicht ganz zu trennen sein – steht aber offenkundig auch in einem Zusammenhang mit dem Unfall.

Die Fiktion aufrecht zu erhalten, die sexuellen Präferenzen des Betroffenen auch und gerade über den Tod hinaus nicht publik zu machen, wird natürlich zwangsläufig zu einer bizarren Verrenkung, wenn dann eben gleichzeitig und korrekt darüber berichtet wird, ja werden muss, in welcher Art von Gaststätte und von Gesellschaft das Unglück seinen Lauf nahm.

Der tiefere Grund für diese manchmal scheinheilig wirkende Berichterstattung ist, dass hierzulande der Umgang mit Homosexualität noch immer ein verkrampfter ist, allen diesbezüglichen Fortschritten zum Trotz. Dass viele ein posthumes "Outing" eines Politikers pietätlos fänden, unterstellt ja, dass es sich bei Homosexualität um eine Eigenschaft handelt, die negativ konnotiert ist. (Niemand würde es hingegen pietätlos finden, jemanden posthum als heterosexuell zu bezeichnen. Warum?).

Nicht wirklich zu beweisen, aber stark zu vermuten ist: In Deutschland etwa wäre das anders. Wo schwule Spitzenpolitiker (wie Klaus Wowereit, Guido Westerwelle, Ole von Beust) Teil der Normalität sind, kann sich die Berichterstattung auch derartige Verrenkungen ersparen, wie sie in bei uns zu beobachten sind.

Das mag mit dem in Deutschland schwächeren Einfluss der (katholischen) Kirche zu tun haben und/oder mit einem avancierteren Selbstbewusstsein mancher deutscher Politiker – die Berichterstattung über Haiders letzte Stunden zeigt jedenfalls, dass hierzulande noch einige sexuelle Entkrampfung günstig wäre. Dies ist immerhin das 21. Jahrhundert.

Jörg Haiders Witwer: Die Tränen von Stefan Petzner

Der Rechtspopulist Jörg Haider, sein Witwer Stefan Petzner und die Öffentlichkeit: Was gerade in Österreich und anderswo geschieht, ergibt in seiner Gesamtheit ein Schmierenstück.

JAN FEDDERSEN

Das Offensichtliche wurde ignoriert: Haider und Petzner waren ein Paar

Liest man dieses öffentlich dargebotene Stück mit einer Perspektive, die falsche Tränen von echten unterscheidet, wählt man eine Blickrichtung, die wahre Betroffenheit ermessen möchte, lohnt es sich, Bilder von der Trauerfeier Jörg Haiders anzuschauen. Was da in Klagenfurt zu sehen war, kommt einer Gegendiagnose zu Alexander Mitscherlichs "Unfähigkeit zu trauern" nah. Zehntausende von Österreichern weinten um einen ihnen extrem Beliebten.

In privater Hinsicht aber weckte freilich nur eine Person jene ein Publikum immer ein wenig beschämende Trostlosigkeit, die Trauer immer birgt: Und das war nicht die nominelle Witwe Claudia Haider, sondern der Partner Stefan Petzner.

Hemmungslos weinte er um den Verlust eines Geliebten, den er nun in Interviews als "Mann seines Lebens" bezeichnete. Seine Tränen waren erkennbar nicht die eines Mannes, der einen politischen Alliierten oder Lehrer verlor. Petzners erschütternde Reaktion bewiesen ihn als ersten und wichtigsten Hinterbliebenen.

Und was wird trotz dieser Bekenntnisse medial transportiert? Ein schmieriges Stück von verhohlenem Beschweigen und mit einem Vokabular, das den Fünfzigerjahren geziemt hätte - aber heute? Petzner und Haider waren ein Paar.

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Tränen während Haiders Beerdigung: Sein Witwer Stefan Petzner

Eines, das sich dem Vernehmen nach unmittelbar vor dem Crash des Seniorpartners heftig in der Wolle hatte - wie es in tausenden von Ehen passiert. Sie haben, das legt die Rekonstruktion der letzten Stunden des Verunglückten nahe, einen bösen Konflikt gehabt; nicht unüblich bei allen Partnern und Gatten; das Normale quasi, wenn zwei, die als Paar eine Welt teilten, einander zu verlieren drohen.

Haider und Petzner waren seit Langem liiert, und Petzner hat dies nie verschwiegen. Allein: Das (überwiegend) heterosexuelle Publikum mochte es nicht zur Kenntnis nehmen; Haider selbst war kein Typ, sich damit zu outen, dass er morgens lieber mit einem Mann aufwacht - aber er hat es auch nie dementiert. Warum das so war?

Die heterosexuelle Öffentlichkeit mag diese Offensichtlichkeiten nicht. Selbst wenn nun von Interviews geredet wird, in denen Petzner ihre schwule Beziehung bestätigt, darüber schrieb noch gestern in Österreich niemand, und zu sehen oder zu hören ist dieses Interview bisher noch nicht.

Nur in der Irish Times werden seine Worte als das bezeichnet, was sind sind: eine Bestätigung der Beziehung. Überall sonst werden selbst die offensichtlichen Bekenntnisse nicht als solche gewertet. Als ob Petzner vor lauter Trauer nicht wüsste, was er sagte.

Das Offensichtliche zu sehen, das Paar Haider und Petzner, war schwierig: Ein Mann liebt einen Mann liebt einen Mann. Aber man wolle sie nicht outen, wohinter sich das ehrenwerte Motiv verbirgt, einer Person nicht schaden zu wollen.

Weil ein Outing ja eine üble Wirkung haben könnte. Doch das ist eine Unterstellung, nichts weiter. Denn in Wahrheit will man nicht anerkennen, dass Homosexuelle in ebenso verliebten, abtörnenden, öden, wieder auflebenden oder absterbenden Beziehungsverhältnissen leben wie Heterosexuelle.

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Gemeinsamer Auftritt: Stefan Petzner und der "Mann seines Lebens".

So wurde aus Mediensicht das Offensichtliche in Sachen Haider und Petzner einfach ignoriert. Da schrieb die Süddeutsche Zeitung von "homophilen" Neigungen Haiders. Würde man eine Liebschaft eines Mannes mit einer Frau als "heterophile Neigung" bezeichnen?

Haider sollte nicht schwul sein und Petzner jetzt als Heulsuse verächtlich gemacht werden. Das im Übrigen aktuell mit Erfolg. Petzner wurde nicht, wie von Haider gewünscht, zu seinem Nachfolger als BZÖ-Fraktionschef im Parlament gewählt. Wohl auch, weil er sich allzu sehr als Witwer dargestellt hat. Als Kumpan war er wohl recht, als Witwer nicht mehr satisfaktionsfähig.

Das ist wenigstens ehrlich: Da wurde einer politisch durch die Erbmasse wie durch eine selbst angeschubste Geröllmasse erschlagen. Unehrlich hingegen: die Diffamierung des Schwulseins. Es war die österreichische Autorin Elfriede Jelinek, die Haider schon vor Jahren outete - und zugleich einen Zusammenhang mit homoerotisch-nationalsozialistisch Gefühlsseilschaften insinuierte.

Die Linke kennt sich bei dieser ideologischen Zuweisung aus: Nach Hitlers Machtübernahme schrieben KP-nahe Autoren, der Faschismus sei eine homoerotische Kumpanei. Auch hier darf anderes als wahr gelesen werden: Hinter Haider als Rudelführer der österreichischen Rechtspopulisten standen nicht mehr Männer als hinter jedem heterosexuellen Politik-Alphatier, heißt es nun Berlusconi, Bush oder Brown.

Bei Haider unterstellte das Publikum, entsetzt, dass er irgendwie nicht so recht heterosexuell spielte, nur Schlüpfriges. Und kultivierte so eine tiefe Furcht vor dem homosexuellen Gegenüber. Der weinende Petzner macht niemandem Angst. Die Deutlichkeit seiner Worte wird übergangen.

Freitag, 24. Oktober 2008

Bundespolizei ermittelt gegen Schaffnerin

In der Bahn-Zentrale ist man sich einig, die Vorschriften sind klar: Die Bahnbedienstete hätte das Mädchen ohne Fahrkarte nicht einfach aussetzen dürfen. Augenzeugen berichten, dass sich die Frau zudem extrem stur verhielt.

Das Verhalten einer Bahnbediensteten gegenüber einem Mädchen, das keine Fahrkarte hatte, wird ein juristisches Nachspiel haben. Wegen des Aussetzens der Zwölfjährigen auf dem Bahnhof Parkentin in Mecklenburg-Vorpommern ermittelt nun die Bundespolizei gegen die Schaffnerin. Die Zugbegleiterin war wegen ihres offensichtlich falschen Handelns zunächst vom Dienst suspendiert worden.

«Wir prüfen im Auftrag der Staatsanwaltschaft, ob eine strafrechtlich relevante Verfehlung vorliegt», sagte eine Sprecherin der Bundespolizei in Rostock am Freitag. Zu diesem Zweck wurden Zeugen gesucht. Den Bahn-Bestimmungen zufolge dürfen Minderjährige nicht einfach wegen Schwarzfahrens aus dem Zug gesetzt werden. Die Zugbegleiterin hätte das Mädchen der Bundespolizei übergeben müssen.

«Stören Sie die Amtshandlung nicht»

Das Mädchen war Montagabend auf dem Weg von Bad Doberan zur Musikschule in Rostock unterwegs gewesen und musste wegen einer fehlenden Fahrkarte bei anbrechender Dunkelheit und mit einem schweren Cello auf dem Rücken fünf Kilometer vom Bahnhof Parkentin nach Hause laufen. Die Schaffnerin hatte die Minderjährige des Zuges verwiesen, obwohl Mitreisende für die 2,90 Euro für eine Karte zahlen wollten. «Ich sollte die Amtshandlung nicht stören», zitierte der Mitreisende Fred Zuppke im «Hamburger Abendblatt» die Schaffnerin.

Das Mädchen habe das von der Mutter bereitgelegte Geld vergessen, dies aber erst im Zug bemerkt, sagte die Urgroßmutter Irmgard Kummer dem Blatt. Als die Schülerin am Bahnhof ausgesetzt worden war, habe sie versucht, ihre Eltern und ihre Uroma anzurufen, aber niemanden erreicht. Dann sei sie zu Fuß gegangen - gut eine Stunde. «Sie hat kein Fahrzeug angehalten, schließlich hat ihre Mutter ihr immer gesagt, sie dürfe nicht in fremde Autos einsteigen», sagte Kummer dem Blatt.

Entsetzen in der Bahn-Zentrale

Die Deutsche Bahn und die Mutter haben sich inzwischen über einen Ausgleich verständigt. Die Bahn habe sich mit einem Blumenstrauß und einer Fahrkarte für den Vorfall entschuldigt, sagte ein Unternehmenssprecher. Details zum Umfang der Leistung wollte er nicht nennen, sie sei aber umfangreicher als das zunächst versprochene Länderticket im Wert von 25 Euro. «Wir haben uns geeinigt, wie wir das wiedergutmachen können.»

In der Berliner Bahn-Zentrale war das Entsetzen über das Verhalten der Mitarbeiterin groß. «Börsengang abgesagt, ICE-Züge wegen Sicherheitsüberprüfungen überfüllt - da hat uns so etwas gerade noch gefehlt», war der Tenor. Kopfschütteln herrschte auch darüber, dass die Schaffnerin sich trotz aller Schulungen über diese elementare Regel hinweggesetzt hat.

Die Vorschrift, die sie hätte beachten müssen, sei in dem Regelwerk für Bahn-Mitarbeiter festgelegt, das auf der Eisenbahn-Verkehrsordnung aufsetzt. Dieses kennt jeder Mitarbeiter in Personenzügen der Bahn von der Regionalbahn bis zum ICE. Ein Bahnsprecher bezeichnete den Vorfall als extremen Einzelfall. Jeden Tag befördere die Bahn rund sieben Millionen Kunden. «Wir nehmen das sehr, sehr ernst», sagte er.

Kurzzeit-Entführung macht Ermittler ratlos

Die Frau war aus dem Büro gekidnappt und einige Stunden später wieder ausgesetzt worden - hunderte Autobahnkilometer entfernt. Man glaube dem Opfer, sagt die Staatsanwaltschaft. Obwohl gegen sie ein Ermittlungsverfahren läuft.

Der Schreck beim Opfer sitzt noch tief. Nur wenige Stunden nach dem unblutigen Ende der Kurzzeit-Entführung einer 46 Jahre alten Geschäftsfrau aus dem badischen Lörrach gehen die Ermittler ersten Spuren nach. Am Freitag gaben sie in Lörrach Einblicke in die Tat und die möglichen Hintergründe. Die Entführung war offenbar eine Warnung an das Opfer und dessen Familie. «Die Täter sagten am Ende der Entführung zu der Frau, dass dies eine Warnung sei und ihr Mann sich einen anderen Arbeitsplatz suchen solle», berichtet Polizeisprecher Dietmar Ernst. Zudem solle sie auf ihre Familie aufpassen.

Die 46-Jährige war am Mittwochabend aus ihrem Lörracher Büro von drei unbekannten Männern verschleppt worden. Am Donnerstagmorgen fand man sie gefesselt und geknebelt im 540 Kilometer entfernten Dortmund.

Die Frau, der von den Entführern Beruhigungsmittel verabreicht wurden, war bis auf einen Schock unverletzt geblieben. Nach ihrer Befreiung stellte sie sich den Fragen der Ermittler. Aufklärung brachte dies nicht. Von den Tätern fehlt jede Spur.

Ermittlungsverfahren gegen Ehepaar

Das Ehepaar, das ein Kind hat, lebt in Basel. Die Frau ist Deutsche, ihr Mann Schweizer. Beide sind in der Aus-, Weiter- und Fernbildungsbranche tätig. Und zwar im selben Firmengeflecht. Gegen das Ehepaar läuft bei der Mannheimer Schwerpunktstaatsanwaltschaft ein größeres Ermittlungsverfahren. Bei diesem geht es unter anderem um Steuerhinterziehung und Verletzungen des Urheberrechtes. «Es muss nun geprüft werden, ob ein Zusammenhang zwischen dem Verfahren und der Entführung besteht», sagt Oberstaatsanwalt Dieter Inhofer. Darauf wollen sich die Beamten konzentrieren. «Wir halten ein rein privates Motiv für unwahrscheinlich», meint Polizeisprecher Ernst.

Inwieweit die Familie auch jetzt noch einer konkreten Gefährdung unterliege, werde derzeit geprüft, sagt Ernst. Möglich sei, dass die Familie unter Polizeischutz gestellt werde. Dies falle jedoch in die Zuständigkeit der Schweizer Behörden.

Unordentlicher Arbeitsplatz

Bei der Suche nach den Tätern verfolgt die Polizei derzeit noch keine heiße Spur. Die Frau hatte ausgesagt, die drei Männer noch nie zuvor gesehen zu haben. «Und wir haben derzeit keinen Grund, an den Aussagen des Opfers zu zweifeln», sagt Ernst.

Der Ehemann hatte am Mittwochabend gegen 22 Uhr die Polizei verständigt. Als seine Frau nicht nach Hause gekommen war, hatte er im Büro nachgeschaut und den Arbeitsplatz «unordentlich und verlassen» vorgefunden. Dies hatte ihn beunruhigt.

Ermittlung auf Hochtouren

Die etwa zehnstündige Entführung erfolgte nach momentanen Erkenntnissen der Polizei in einem schwarzen Kleintransporter. Sie endete unter einem Baum an einer Hauptstraße im Dortmunder Stadtteil Marten, wenige hundert Meter von einer Autobahnauffahrt zur stark befahrenen Autobahn 45 entfernt. Diese gilt als eine der wichtigsten Nord-Süd-Verbindungen.

Die Lörracher Polizei hat eine 15-köpfige Ermittlungsgruppe eingesetzt. «Wir ermitteln auf Hochtouren und hoffen auf weitere Zeugenaussagen», sagt Ernst. Davon werde abhängen, ob die Täter gefunden werden können.

(Stefan Ummenhofer)

Deutsche Post verweigert die Auslieferung von pro-Köln-Zeitungen

Über die Ereignisse vor und während des Anti-Islamisierungs-Kongresses wollte pro Köln die Bürger mit 300.000 Postwurfsendungen "aufklären". Dummerweise weigert sich die Deutsche Post nun aus inhaltlichen Gründen, die Broschüren auszuliefern. Somit stecken die Sendungen nun seit zwei Tagen in einem bayerischen Verteilzentrum fest.

In einem Schreiben an "Biedermanni" Manfred Rouhs bemängelt die Post "eine persönliche Diffamierung des Kölner Oberbürgermeisters Fritz Schramma". Die Wahrheit dieser Aussagen sei nicht ersichtlich und die Post-Bediensteten würden sich mit der Zustellung der Zeitungen an einer Straftat beteiligen. Zudem fordert sie pro Köln auf, in Zukunft etwaige Werbemittel im Vorfeld der Post "zur vorherigen Einschätzung und Prüfung" vorzulegen.

Schon der reißerische Titel der Postwurfsendung mag an die Proklamierung des neuesten Blockbusters erinnern: "(Pro) Köln im Ausnahmezustand: 20.9.2008 - Der Tag, an dem Köln die Demokratie verlor". Dazu ein Hintergrundbild, das ebenso einer Dokumentation über die Pogrome in Hitler-Deutschland entstammen könnte - kurzum eine Propoganda-Sülze der übelsten Sorte. Dazu will pro Köln 300.000 Haushalten die Wahl von Markus Beisicht ans Herz legen - denn: "SIE sind gegen IHN, weil ER für EUCH ist!".
Seine Argumente zielen dabei ausschließlich auf die Instrumentalisierung von Schrammas "Missetaten" für pro-Köln-Zwecke ab. So wird Schramma als untragbarer Bürgermeister dargestellt, der "für Misswirtschaft, eine ausufernde Kriminalität und Bürgerfeindlichkeit" stehe. Zum Abschluss der Hetzschrift darf selbstverständlich die übliche Petition "für Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Köln" nicht fehlen.


Auf das Schreiben der Deutschen Post reagiert pro Köln wie gewohnt in der Manier einer beleidigten Leberwurst. Auf deren Internetseite bezeichnen die Rechtspopulisten die Aktion der Post als Anmaßung und Unglaublichkeit; juristische Schritte würden sie "auf jeden Fall" einleiten. Sie seien fassungslos und befürchten schon die Verweigerung der Strom- und Lebensmittelversorgung.
Hiermit nun die Aufforderung an die Stadtwerke Köln GmbH und alle Lebensmittelläden, Supermärkte und Kaufhäuser der Stadt: Tut pro Köln doch wenigstens den Gefallen und bestätigt deren Befürchtung!

Damit sie doch immerhin ein einziges Mal ein wahres Wort in den Mund genommen haben...

Madonna-Biografie vom kleinen Bruder: «Sogar beim 'ersten Mal' übertraf sie mich»

Wie demütigend es sein kann, mit Madonna verwandt zu sein, das beschreibt Christopher Ciccone in seinem Buch «Meine Schwester Madonna und ich». Ein Buch, das für den kleinen Bruder der «Queen of Pop» Geldquelle und Therapie zugleich ist, meint Bettina Cosack.

Fleisch ist verboten, Milch, Zucker und Salz ebenso. Misosuppe lässt die Hausherrin gelten, gedünsteten Fisch, Hülsenfrüchte. Madonna, die Perfektionistin, hat es Guy Ritchie, von dem sie alsbald geschieden werden wird, in Ernährungsfragen nicht leicht gemacht, wenn man den rachegetränkten Angaben aus dem Lager des britischen Regisseurs glauben darf. Die Popsängerin soll sich des weiteren nachts stets in einem Plastikanzug schlafen legen, damit Luxus-Lotionen besser in ihren durchtrainierten Luxus-Körper einziehen können. Was Ritchie nicht allzu viel ausgemacht haben dürfte. Madonna im Arm zu halten, soll er geklagt haben, sei so, als kuschele man mit einem Stück Knorpel. Soviel zu den Beschwerlichkeiten des Londoner Ehelebens in Zeiten der Fitness-Diktatur. Ritchie, der ein echter Kerl sein will und kein Misosuppenesser, ist inzwischen ausgezogen.

Wohl wahr, Männer haben es schwer im Schatten durchsetzungsfähiger Frauen. Wie demütigend es sein kann, mit Madonna verwandt zu sein, das beschreibt Christopher Ciccone in seinem Buch «Meine Schwester Madonna und ich», das heute in Deutschland erscheint. Auch Ciccone, der Bruder, ist mit Madonna zerstritten. Was ungünstig für ihn ist. Zum einen ist er bis zum Geschwister-Zwist immer Angestellter seiner Schwester gewesen. Zum anderen verfügt er, anders als sein Schwager Guy Ritchie, über kein nennenswertes Privatvermögen, schließlich hat ihn seine Schwester und Chefin immer kurz gehalten. So ist denn das Buch, das in den USA und in Großbritannien im Sommer zum 50. Geburtstag Madonnas erschien (nettes Geschenk!) und sogleich die Bestsellerlisten erklomm, für Ciccone Geldquelle und Therapie zugleich. Die Einkünfte und die Erleichterung, die die Niederschrift eines solchen Klagebuchs mit sich bringen dürfte, seien ihm gegönnt, er hat gelitten. Und hat es nicht anders gewollt. 27 Monate jünger als Madonna ist Christopher, 48 Jahre alt also und tief verstrickt in die Abhängigkeit von Madonna. «Ich wurde als Sohn meiner Mutter geboren, aber ich werde als Bruder meiner Schwester sterben», schreibt er. «Ich werde mich nicht länger gegen die Wahrheit sperren, denn letzten Endes bin ich aufrichtig stolz, dass Madonna meine Schwester ist und immer sein wird.» Kurz und gut: Dem Mann ist nicht zu helfen.

Gemeinsam mit sechs weiteren Geschwistern wachsen die beiden Ciccone-Kinder in Rochester im US-Staat Michigan auf, wortkarg und streng regieren der Vater und die Stiefmutter die Truppe. Madonna, die Temperamentvolle, nimmt den musikalischen, aber antriebslosen Christopher mit zum Ballett. Er ist dreizehn und dankbar für die Aufmerksamkeit der Schwester, sie ist ehrgeizig, und in ihrem Kurs fehlt ein männlicher Tänzer. Später, als Madonna Modern Dance studiert, führt sie ihn in eine Schwulenbar, was ihm die Augen öffnet für die eigene Homosexualität. Seine Unschuld verliert Christopher auf dem Rücksitz eines Wagens im Autokino. Sehr komisch seine vergleichende Anmerkung zu diesem Vorfall: «Zufälligerweise hat Madonna ihre Unschuld auch an einen Typen namens Russell verloren - und auch auf dem Rücksitz eines Autos. Offensichtlich haben wir nicht nur fast identische Gene, sondern auch unsere Schicksale gleichen sich. Aber auch hierbei übertraf sie mich, denn ihr erstes Mal fand in einem Cadillac und nicht in einem Datsun statt.»

Das Datsun-Leben des Christopher Ciccone

Trübselig geht es weiter im Datsun-Leben des Christopher Ciccone, das aus seiner Sicht voller Ungerechtigkeiten steckt. Immer steht er im Schatten der majestätischen, planvoll agierenden Schwester, ein Loser und doch ein Liebender, der um die Zuneigung der Verehrten bettelt und sie nur in homöopathischen Dosen bekommt. Zum Leben zu wenig, zum Hassen zu viel. Weil Madonna sagt, Tänzer könne man nur in New York werden, zieht er wie sie nach New York. Er ist ihr Background-Tänzer, als sie ihre erste Single vorstellt, er wird auf Tourneen ihr Garderobier, er wischt ihr bei den Kostümwechseln den Schweiß vom Körper, er sammelt ihre abgelegte Unterwäsche ein. Später, als er immerhin als Regisseur für eine ihrer Shows zuständig ist, spuckt sie ihm aus alter Gewohnheit ihr Hustenbonbon in die Hand, bevor sie auf die Bühne geht. Nie wird er ausreichend bezahlt, nie schläft er in angemessen luxuriösen Hotelzimmern. Und immer ist er da, wenn die Schwester ruft. Über viele Jahre richtet er Madonnas Häuser ein, unterbezahlt natürlich, doch mit Begeisterung.

Beim Geld hört die Liebe auf, immer

Als Guy Ritchie in Madonnas Leben tritt, beginnt die stabil-ungleiche Bruder-Schwester-Beziehung ernsthaft zu kriseln. Wenn man Ciccone glauben darf, dann verachtet Ritchie, der Macker, Homosexuelle und lässt den Schwager diese Verachtung deutlich spüren. Madonna wiederum verachtet das Partyleben des Bruders und seinen Hang zum Kokain, will ihn wegen angeblicher Unzuverlässigkeit nicht weiter als Innenarchitekten beschäftigen. Als Ritchie und Madonna im Dezember 2000 auf dem schottischen Schloss Skibo heiraten, bekommt der Bruder das Dienerzimmer zugewiesen und keine Suite. Die Kosten für das Flugticket zieht die große Schwester ihm vom letzten Inneneinrichtungs-Honorar ab. Beim Geld hört die Liebe auf, immer.

Die Jahrzehnte mit Madonna, schreibt Christopher Ciccone therapiegeschult, seien für ihn ein großes Abenteuer und ein enormer Lernprozess gewesen. Eine der wichtigsten Lektionen laute: «Wenn man mit einem Familienmitglied Geschäfte macht, sollte man immer einen Vertrag abschließen.»

Es ist eine böse Pointe, dass Madonna, die Frau, die dem Bruder immer weit voraus war, sich scheiden lässt, kaum dass sein Buch über sie auf dem Markt ist. Er schreibt: «In diesem Jahr ist meine Schwester fünfzig geworden. Ich hoffe und glaube, dass sie noch viele Jahre im Showbusiness vor sich hat und dass ich bis zum Ende da sein und applaudieren werde. Außerdem glaube ich, dass Guy auch da sein wird.» So kann man sich täuschen.

Christopher Ciccone: «Meine Schwester Madonna und ich»; 352 Seiten, Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, 19,90€.

Mit freundlicher Genehmigung aus der «Berliner Zeitung»

Donnerstag, 23. Oktober 2008

John McCain - ein miserabler Verkäufer

Die Steuerversprechen von John McCain stellen die Mittelschicht besser als die Pläne seines Konkurrenten Barack Obama. Dumm nur, dass diese das gar nicht mitbekommt.

In John McCains Wahlkampf läuft so vieles schief, dass es geradezu überrascht, dass er in den Umfragen nicht noch deutlicher hinter seinem demokratischen Gegner Barack Obama herhinkt. Wie kann es zum Beispiel sein, dass der Republikaner McCain beim Thema Steuerpolitik - einem der Kompetenzfelder seiner Partei - auf ganzer Linie so ausmanövriert wurde?

Beide Präsidentschaftskandidaten haben komplexe Programme zur Steuerpolitik vorgelegt. Sich ständig wandelnde Grundlinien - mit oder ohne Ausweitung der von Präsident George W. Bush verordneten Steuersenkungen, mit oder ohne Korrektur der alternativen Mindeststeuer - lassen die Verwirrung nur noch wachsen. Und weil die Wähler die Einzelheiten nicht verstehen, wägen sie Wahlparolen gegeneinander ab. Obama etwa verspricht Steuersenkungen für 95 Prozent aller erwerbstätigen Familien. McCain fordert dagegen, dass auch für die Reichen die Steuern gesenkt werden. Dreimal darf man raten, wer hier punktet.

Eine Tatsache scheinen die meisten Amerikaner allerdings übersehen zu haben: Unter einem Präsidenten McCain erhielte der typische US-Haushalt mehr Steuererleichterungen als unter einem Präsidenten Obama.

Die McCain-Kampagne schläft

Grob gesagt schlägt McCain vor, Bushs Steuersenkungen beizubehalten. Obama dagegen plant enorme Steuererhöhungen für Personen, die mehr als 250.000 $ pro Jahr verdienen, um am unteren Ende Steuern kürzen und Subventionen anheben zu können. Bei Obamas Konzept werden Haushalte mit mittlerem Einkommen zwar etwas besser gestellt - aber auch nur, wenn man den Effekt von McCains Plänen für die Gesundheitsfürsorge außen vor lässt. Aber warum sollte man das tun? McCain möchte die steuerfreien Jahre für die vom Arbeitgeber bereitgestellte Krankenversicherung abschaffen und sie durch einen erstattungsfähigen Kredit von 5000 $ ersetzen. Obama sagt, die Krankenversicherung für eine Familie könnte jährlich 12.000 $ kosten. Und Familien, die sich selbst versichern, stünden um 7000 $ schlechter da. Das ist allerdings nicht korrekt.

Richtig ist, dass der Kredit für die Gesundheitsfürsorge längerfristige Konsequenzen mit sich brächte - einige davon wünschenswert, andere nicht. Der feste Wert des Kredits gibt den Steuerzahlern einen Anreiz, eine billigere Krankenversicherung zu wählen. Das ist eine positive Folge, weil sie die Inflation im Gesundheitswesen eindämmen würde.

Weniger wünschenswert ist, dass gesunde junge Arbeitnehmer sich womöglich gegen eine vom Arbeitgeber angebotene Krankenversicherung entscheiden. Der Grund: Sie erhielten im Gegenzug mehr Lohn, weil sie privat eine billigere Versicherung finden könnten. Damit würde der Mitarbeiterpool des Arbeitgebers risikoreicher, die Prämien würden steigen. Manche Arbeitgeber könnten versucht sein, gar keine Krankenversicherung mehr anzubieten, und die Arbeitnehmer mit höherem Risiko hätten das Nachsehen.

Ein weiterer Makel des McCain-Plans besteht darin, dass die steuerlichen Sparanreize nicht mit angemessenen Deckungsmaßnahmen einhergehen. Dennoch: Als direkte Folge sinken die Steuern für Haushalte mittleren Einkommens bei McCains Vorhaben stärker als nach Obamas Plan. Es ist komisch, dass McCains Kampagne nicht auf dieser Tatsache herumreitet.

Der Republikaner hat nicht nur verschlafen, diesen Aspekt richtig zu verkaufen. Er hatte auch der Behauptung seines Widersachers, "reiche Unternehmen" könnten es sich leisten, mehr zu bezahlen, kaum etwas entgegenzusetzen. Unternehmenssteuern werden letztlich von Menschen bezahlt - in Form geringerer Löhne, höherer Preise und niedrigerer Dividenden auf ihre Pensionsvorsorgepläne. Es geht nicht nur darum, dass die Unternehmenssteuern in den USA im internationalen Vergleich hoch sind und dies negativ für das Investitions- und Beschäftigungsklima ist. Sondern darum, dass diese Last auf den gewöhnlichen Amerikaner zurückfällt. Vielleicht fällt es McCain schwer, darauf hinzuweisen, weil er zuletzt das Augenmerk stark auf die Gier der Firmen gelegt hat.

Steuern hoch statt Steuern runter

Wenn also McCain Obama in einem schlechten Licht erscheinen lassen möchte, dann tut er es nicht überzeugend. Obama will in der Tat für 95 Prozent der erwerbstätigen Familien die Steuerlast senken. Aber anstatt zu sagen: "Nein, tut er nicht", hätte McCain auch sagen können: "Seht euch an, wie sich seine Veränderungen auf den Grenzsteuersatz auswirken, sowohl am unteren Ende der Einkommensskala (wo die Leistungen reduziert werden) als auch am oberen Ende." Anstatt zu sagen: "Er will eure Steuern erhöhen", hätte er sagen können: "Seine Ausgabenpläne werden ihn zwingen, eure Steuern zu erhöhen."

Es ist überraschend, wie viel Boden McCain beim Thema Steuern preisgegeben hat. Angesichts der Kosten, die für die Rettung der Finanzbranche anfallen, mag die gesamte Debatte ohnehin müßig erscheinen. Aber letztlich bleibt die Tatsache, dass er Familien mit mittlerem Einkommen - und nicht nur den Reichen - größere Steuersenkungen bietet als Obama. Aber offenbar wissen die das gar nicht.

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Haftstrafen im Giftmüllskandal in der Elfenbeinküste

ABIDJAN: Wegen des tödlichen Giftmüllskandals in der Elfenbeinküste vor zwei Jahren sind zwei einheimische Verantwortliche zu 20 und fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden. Sieben Angeklagte wurden freigesprochen. Ein von einem internationalen Konzern gechartertes Schiff hatte im August 2006 mehr als 500 Tonnen Giftmüll in die Millionenstadt Abidjan gebracht. Infolge der Umweltvergiftung starben 17 Menschen, mehr als 100.000 mussten ärztlich behandelt werden. Im Februar 2007 zeigte sich der Konzern bereit, 152 Millionen Euro für eine Entschädigung der Opfer zu zahlen.

Roma verlassen Italien zu Tausenden

Harte Massnahmen zeigen Wirkung - Seitdem die italienische Regierung illegale Einwanderung und Kriminalität verstärkt bekämpft, haben 12'000 Roma Italien verlassen. Sie ziehen nach Spanien, Frankreich und in die Schweiz.

Dies berichtete der italienische Innenminister Roberto Maroni gemäss Medienangaben. Der Minister lässt zurzeit eine umstrittene Zählung der in Behelfssiedlungen lebenden Roma durchführen. Demnach leben 12'346 Roma in 167 Behelfssiedlungen, darunter 5436 Minderjährige. 124 Siedungen seien illegal, sagte Maroni.

Der Rest der Siedlungen sei zwar autorisiert, sie würden jedoch nicht den hygienischen Standards entsprechen. Der Minister versicherte, dass die Roma, die Recht auf Aufenthalt in Italien haben, in Siedlungen mit angemessenen Standards wohnen werden. Diese sollen in Übereinstimmung mit den Lokalbehörden errichtet werden. Die illegalen Siedlungen sollen hingegen geräumt werden.

Teil der Massnahme gegen Straßenkriminalität

«Wir wollen für die Roma Siedlungen errichten, die in ganz Europa zum Musterbeispiel werden sollen», sagte der Minister. Er wies erneut den Vorwurf zurück, dass die in den vergangenen Monaten durchgeführte Zählung der Roma eine Initiative mit rassistischem
Hintergrund sei. Die Zählung, die in Europa Proteste ausgelöst hatte, sei nicht auf ethnischer Basis erfolgt.

Mit der Zählung will die Mitte-Rechts-Regierung unter Silvio Berlusconi illegal Eingewanderte aufspüren und abschieben und das Leben der legal in den Behelfsunterkünften lebenden Bewohner verbessern. Die Massnahme sei Teil der Bemühungen der Regierung, die Strassenkriminalität zu bekämpfen, wie es hiess.

"Massenerniedrigung", "Zwangs-Strip" Peepshow am Flughafen

Eine Welle der Empörung richtet sich gegen die Nacktscanner-Pläne der EU-Kommission. Die Bundespolizei will die Geräte bis Jahresende testen.

Der EU-Kommission schlägt wegen Plänen zum Einsatz von "Nacktscannern" an Flughäfen eine Welle der Empörung in Deutschland entgegen. SPD, FDP, Grüne und Linke im Bundestag warnten am Donnerstag vor einer grundgesetzwidrigen Verletzung des Intimsphäre. Die Bundespolizei wird voraussichtlich Ende des Jahres im Labor erste Tests der strittigen Durchleuchtungsmethode vornehmen. Vorerst werde das Gerät an keinem Flughafen zum Einsatz kommen, sagte ein Sprecher der Bundespolizei. Das Europaparlament verlangte von der EU-Kommission drei Monate Bedenkzeit und eine weitere Prüfung der Auswirkungen.

Pläne unter der Gürtellinie

Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, findet das Vorhaben der Kommission "in jeder Beziehung fragwürdig und unverhältnismäßig". "Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir dem zustimmen können", sagte Wiefelspütz dem Internetportal Handelsblatt.com. "Die Intimsphäre eines Menschen muss geschützt bleiben." Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) müsse Position beziehen: "Wir wollen wissen, was das Ganze soll."

Der Innenexperte der FDP-Fraktion Max Stadler sagte: "Was zu weit geht, geht zu weit." Die Methode überschreite alle Schamgrenzen und dürfe in Deutschland nicht eingeführt werden. Der Grünen-Experte Wolfgang Wieland erklärte: "Dieser elektronische Zwangs-Strip für alle Fluggäste verletzt den Bereich der Intimsphäre nicht nur, er hebt ihn auf." Plastiksprengstoff sei bislang auch ohne "Massenerniedrigung der Passagiere" entdeckt worden. Für Ulla Jelpke von der Linksfraktion gehen die Pläne unter die Gürtellinie: "Ein Flughafen ist kein FKK-Strand, und Flugpassagiere sind keine Akteure einer Peepshow."

Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV) versicherte, die Intimsphäre der Reisenden werde gewahrt bleiben. Der Kontrolleur am Bildschirm werde die zu überprüfende Person nicht direkt sehen können. "Damit wird ausgeschlossen, dass das Bild der Person direkt zugeordnet werden kann", erklärte Hauptgeschäftsführer Ralph Beisel.

Europaparlament fordert Bedenkzeit

Laut Bundespolizei sollen in Deutschland zunächst im Labor Gesundheits- und Sicherheitsaspekte sowie mit Hilfe externer Experten rechtliche Fragen geklärt werden. "Erst wenn klar ist, ob dieser Scanner unseren Anforderungen entspricht, wird über einen Praxistest entschieden", sagte Sprecher Jörg Kunzendorf in Potsdam.

Das Europaparlament in Straßburg forderte die EU-Kommission in einer Entschließung auf, in drei Monaten die möglichen Auswirkungen auf Persönlichkeitsrechte und Gesundheit zu prüfen. Das Parlament ist grundsätzlich nicht gegen die Nacktscanner: Ein Antrag der Liberalen zum Verzicht auf das Projekt fand keine Mehrheit. Besorgt sind die Abgeordneten in erster Linie darüber, dass die Kommission das Vorhaben "durch die Hintertür" ohne Diskussion einführen könnte. Dieses "äußerst heikle Thema" betreffe die Grundrechte der Bürger und erfordere deshalb eine "umfassende und offene Diskussion mit Fluggästen auf EU- und einzelstaatlicher Ebene", hieß es.

Ganzkörper-Scanner, die Passagiere bis auf die Haut durchleuchten, werden bereits auf Flughäfen in Amsterdam, Zürich und London getestet. Auch in den USA sind sie im Einsatz, um beispielsweise Keramikmesser oder Plastiksprengstoff zu finden.

Bei der neuen Technik entsteht mit Hilfe elektromagnetischer Strahlen ein dreidimensionales Bild, auf dem der Fluggast ohne Kleidung erscheint. Alle am Körper befestigten Gegenstände werden sichtbar, auch versteckte Waffen. Zu sehen sind zum Beispiel aber auch Prothesen.