Donnerstag, 30. August 2007

Sex-Vorwurf setzt Republikaner unter Druck

Schon wieder hat es einen republikanischen Moralapostel erwischt. US-Senator Larry Craig ließ sich beim Annäherungsversuch an einen Undercover-Cop erwischen - auf einem Flughafenklo. Erst gestand Craig, dann widerrief er. Seine Karriere ist wohl am Ende, die Partei hat ein Problem.

New York - Larry Craig gibt sich gerne als Verfechter klassisch-konservativer Werte. Der Republikaner, der den Wildwest-Staat Idaho im US-Senat vertritt, kämpft für freien Waffenbesitz und schwört seinen Wählern, "die traditionellen Werte der amerikanischen Familie zu verteidigen". Dazu engagiert sich Craig - verheiratet, drei Adoptivkinder - auch aktiv gegen die Schwulenehe. Denn die Ehe, so findet er, dürfe nichts anderes sein als "die Gemeinschaft eines Mannes und einer Frau".

Das alles muss man wissen, um die jüngste, wohl bizarrste Episode in der Laufbahn von Senator Craig, 62, einzuordnen - eine Episode, die ihn nun die Karriere kosten dürfte. Seinen Ruf hat er schon verloren und seinen Nebenjob als Top-Wahlkampfhelfer für den Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney auch. Gestern leiteten seine Parteifreunde auch noch Ethikermittlungen ein - ein bewährter Akt der politisch-moralischen Quarantäne.

Es wird ihnen wenig helfen. Wieder einmal platzt den republikanischen Moralaposteln ein Sexskandal in den Wahlkampf - und wieder einmal ist einer der ihren als Heuchler enttarnt.

Die leidige Affäre begann auf dem Minneapolis-St. Paul International Airport, am 11. Juni um zwölf Uhr mittags. "High noon" also, zumindest für Dave Karsnia, einen Sergeanten der Flughafenpolizei. Der hatte an jenem Tag eine Terminal-Toilette im Fadenkreuz, die ein Treffpunkt für schwulen Sex sein sollte. "Klappensex" nennen Schwule das.

Der Sergeant hockte sich in Zivil auf eines der Klos - "das dritte von der Hinterwand", vermerkte er später penibel in seinem Bericht - und harrte gleichgeschlechtlicher Anmache. Ob eine US-Flughafenpolizei, an vorderster Front des Heimatschutzes, nichts Besseres zu tun hat, als dergestalt Homosexuellen aufzulauern - das ist eine ganz andere Frage.

Schon bald biss jemand an. Ein "älterer, weißer Mann", schrieb Karsnia auf, habe ihn lange "durch den Spalt zwischen der Toilettentür und deren Rahmen" gemustert. Dann sei der Herr - der den Ablauf der Ereignisse später in einem Geständnis bestätigte - ins Nebenklo gegangen und habe mit den Fingern und dem Fuß unter der Trennwand hindurch "den Wunsch nach sexuellem Verhalten kommuniziert". Unter anderem soll er zweimal mit dem Fuß gegen die Wand getippt haben, was als Zeichen für den Wunsch nach Geschlechtsverkehr gelte.

Die missglückte Annäherung endete damit, dass Karsnia den älteren Herrn festnahm. Und dieser entpuppte sich als Senator Larry Craig.

Craig versuchte sich dem Bericht zufolge erst noch mit seiner Visitenkarte herauszureden: "Was hältst du davon?" Doch Karsnia zeigte Craig an: "Verletzung der Privatsphäre" nebst "Ruhestörung", dem hiesigen Euphemismus für öffentlichen Sex. Die Airport Police machte ein Fahndungsfoto. Darauf trägt Craig einen Anzug, eine blauweiße Seidenkrawatte und am Revers ein kleines patriotisches Sternenbanner.

An der Festnahme Craigs - der im Kongress als Mitglied des Barbershop-Quartetts "Singing Senators" bekannt war - besteht kein Zweifel: Anzeige und Foto schwirren längst durchs Internet. Zwei Monate später kam es zum Gerichtstermin - und dort bekannte sich Craig besagter "Ruhestörung" schuldig. Craig unterschrieb das Geständnis, zahlte 575 Dollar Strafgebühr und zog seines Weges.

Damit wäre die Sache erledigt gewesen. Wenn sie nicht jemand der Kongresszeitung "Roll Call" zugespielt hätte, die sie am Montag publik machte. Es dauerte einen Tag, bis die Medien, die noch im Rücktritt von Justizminister Alberto Gonzales schwelgten, begriffen. Seither ist es hier der Skandal des Tages: Schwulenfeindlicher Senator auf der Schwulenklappe!

Doch jetzt wird es erst wirklich bizarr. Denn gestern trat Craig in Boise, der Hauptstadt Idahos, vor die Presse - und widerrief sein eigenes Geständnis. Die stumme, hinter einer enormen schwarzen Sonnenbrille versteckte Gattin Suzanne zur Seite, verlas er eine Erklärung. "Ich habe am Flughafen Minneapolis nichts falsch gemacht", beharrte er. Nichts - bis auf eines: "Ich bereue meinen Entschluss, mich schuldig bekannt zu haben."

Sergeant Karsnias detaillierter dreiseitiger Bericht, Aktenzeichen- Nr. 027-2500 - alles erfunden? "Damit das klar ist: Ich bin nicht schwul", fuhr Craig laut bebend fort. "Ich bin nie schwul gewesen." Es klang wie: Ich habe keinen Aussatz. Und dann: "Ich liebe meine Frau, meine Familie. Ich liebe es, diesem großartigen Staat zu dienen."

Wieso aber hat er sich dann des Toilettenflirts schuldig bekannt, schriftlich, unter Anleitung eines Richters, der ihm seine Rechte klar gemacht hatte? "Ich habe überreagiert", sagte Craig. Am Ende gab er der Lokalzeitung "Idaho Statesman" die Schuld, denn die betreibe seit Monaten eine "Hexenjagd" auf ihn. Der Stress deswegen habe ihn zum Geständnis getrieben.

Denn der Homo-Vorwurf ist nichts Neues für den Senator, und der des anonymen Sex auch nicht. Beides verfolgt ihn seit den achtziger Jahren, als er im US-Repräsentantenhaus saß.

Der "Idaho Statesman" hatte sich dann in diesem Frühjahr noch einmal ans mutmaßliche Doppellleben Craigs gemacht, mit einer investigativen Serie. Darin behauptete unter anderem ein 40-jähriger Mann "mit engen Beziehungen zu den Republikanern", er habe in der Union Station, dem Hauptbahnhof Washingtons, Oralverkehr mit Craig gehabt.

Anonymer Sex in öffentlichen Toiletten: Dazu greifen nach Angaben des schwulen Autors Michelangelo Signorile in der Regel Männer, die ihre Homosexualität verbergen, sich ihrer schämen und eine heterosexuelle Fassade leben. "Wer offen zu seinem Schwulsein steht", sagt er, "braucht das nicht heimlich zu tun."

Wen stört's, fragt sich der Europäer. Dazu muss man wissen, dass die US-Konservativen - und oft auch die Betroffenen - Homosexualität bis heute als biblische Todsünde verdammen. Die Heuchelei dahinter aber scheint selten jemanden zu stören: Schwul sein, aber schwulenfeindlich tun, weil's politisch opportun ist.

Zum Beispiel der letzte prominente Fall: Ted Haggard. Der TV-Prediger - ein Lieblingspastor der Republikaner, der Gays verteufelte - gestand im November 2006, mehrfach Sex mit einem Callboy gehabt und die Partydroge Crystal Meth genommen zu haben. Er wurde von seiner Kirche verstoßen, unterzog sich einer Verhaltenstherapie und ließ hernach mitteilen, er sei jetzt "komplett heterosexuell".

Oder der Abgeordnete Mark Foley. Foley, der sich für schärfere Gesetze gegen Pornografie und Kinderschänder stark gemacht hatte, ließ sich im Oktober 2006 beim Internet-Sex mit minderjährigen Kongressboten erwischen. Er gab dem Alkohol die Schuld - und einem Priester, der ihn dereinst missbraucht habe.

Der republikanische Landesabgeordnete Bob Allen aus Florida - verheiratet, eine Tochter - bot einem schwarzen Undercover-Cop im Juli in einer Parktoilette 20 Dollar für Sex. Als er in den Streifenwagen gepackt wurde, fragte er Presseberichten zufolge, ob es helfe, dass er Abgeordneter sei. Die Antwort: "Nein."

Republikaner haben kein Monopol auf Scheinheiligkeit.

Der demokratische Gouverneur von New Jersey, Jim McGreevey, gab sein Amt (und seine zweite Ehe) 2004 auf, nachdem sein schwuler Ex-Lover an die Presse gegangen war - ein Israeli, der gleichzeitig als McGreeveys Heimatschutzberater fungierte. Immerhin outete sich McGreevey: "Ich bin ein schwuler Amerikaner", deklamierte er, die Noch-Gattin daneben. Und dann veröffentlichte er seine Memoiren, betitelt "Confessions".


Der groteske Auftritt Craigs - der Bill Clinton während des Lewinsky-Skandals als "garstigen, bösen, ungezogenen Jungen" bezeichnet hatte - machte die Sache dagegen gestern nur schlimmer. "Kaum zu glauben", seufzte der Ex-Staatsanwalt Jeffrey Toobin auf CNN. Zu einem ähnlichen Fazit kamen offenbar viele Republikaner, die das "bizarre Spektakel" ("New York Times") am Fernsehen verfolgten. So konnte sich Mitt Romney nicht schnell genug von seinem bisherigen Wahlkampfchef für Idaho distanzieren: "Sehr enttäuschend."

Mit einem zumindest hat Craig Recht. "Ich bin mir sicher", sagte er gestern, bevor er floh, ohne die Fragen der Reporter zu beantworten, "dass diese Sache noch nicht vorbei ist."

Mittwoch, 29. August 2007

Parlament im Tiefschlaf

Peter Ehrlich

Der Bundestag ist nicht mehr die Bühne für wichtige Debatten - Schuld daran hat er selbst. Dabei gibt es viele Wege, dies zu ändern - hier drei Vorschläge.

Die politische Sommerpause ist beendet, die Parteien sind wieder da, die Regierung auch. Aber wo ist die wichtigste demokratische Institution des Landes, der Deutsche Bundestag? Erst kommende Woche treffen sich die Fraktionen zu Klausursitzungen, erst in der Woche danach beginnt mit der Haushaltswoche die Sitzungsarbeit. Der Bundestag trägt damit selbst dazu bei, dass das Parlament und damit das Kernstück der Demokratie in den Augen der Bürger an Bedeutung verliert. Gerade in den Zeiten einer Großen Koalition, in der die Mehrheit der Regierung auch dann nicht gefährdet ist, wenn es Dutzende "Abweichler" gibt, sollte das Parlament seine Rolle kritisch hinterfragen und seine Arbeitsweise überdenken.

Hier geht es nicht um eine platte Kritik daran, dass die Sommerpause des Bundestags zwei Monate dauert oder der Sozialausschuss um die halbe Welt reist. Viele Abgeordnete bleiben im Sommer als Politiker sichtbar, das Parlament als Institution ist es nicht.

Als Institution aufgefallen ist der Bundestag in den vergangenen Wochen nur einmal - als bekannt wurde, dass Bundestagspräsident Norbert Lammert die Berliner Staatsanwaltschaft ermächtigt hat, wegen Geheimnisverrats im BND-Untersuchungsausschuss zu ermitteln. Die einzigen Betroffenen der Aktion, die von vornherein zur Erfolglosigkeit verdammt war, waren Journalisten. Lammert beteuert zwar, er habe keine andere Wahl gehabt. Der Einstellung der Ermittlungen durch die erste der beteiligten Staatsanwaltschaften hat er jedoch sofort zugestimmt. Es bleibt ein fader Beigeschmack: Geheimnisverrat in den eigenen Reihen kann der Bundestag nicht aufklären, also bleibt ein wenig Druck auf die Presse, wenn diese das tut, was ihre Aufgabe ist: über das Handeln der Regierung kritisch zu berichten.

Wenig Wille zur Kontrolle

Das Problem für den Bundestag ist, dass bei Diskussionen wie der um Geheimnisverrat der Sinn von Untersuchungsausschüssen in den Hintergrund gerät. Sie sollen Missstände aufdecken und auf diese Weise die Regierung kontrollieren. Im Zusammenhang mit der staatsanwaltschaftlichen Ermittlung gab es jedoch Äußerungen, etwa des BND-Ausschussvorsitzenden Siegfried Kauder, die den Willen zur Kontrolle der Regierung vermissen lassen. Und es gab die Drohung von Kanzleramtschef Thomas de Maizière, das Kanzleramt werde bei weiteren Veröffentlichungen geheime Akten nicht mehr weiterleiten. Die Ausschussmitglieder müssten diese stattdessen in der Geheimschutzstelle des Kanzleramts einsehen.

Ein selbstbewusstes Parlament lässt sich nicht drohen, auch nicht von der Regierung. Der US-Kongress würde einen Minister nach einer solchen Äußerung so lange immer wieder vorladen, bis er es sich anders überlegt. Es ist katastrophal, dass man die Abgeordneten anscheinend daran erinnern muss, dass sich das Parlament eine Regierung hält - und nicht umgekehrt. Das Parlament kann auch dafür sorgen, dass nicht jede Regierungsakte mit einem "Geheim"-Stempel versehen wird, wo dies für die Sicherheit der Republik nicht nötig ist.

Das Selbstverständnis des Bundestags ist die eine Seite, seine Arbeitsweise die zweite. Zu Recht wird beklagt, dass politische Debatten zuerst in Talkshows und dann im Parlament geführt werden. Warum versucht der Bundestag dann nicht, diese wieder zurückzuholen?

Nur sehr selten, wie etwa bei der Aussprache über die Patientenverfügung, wird offen und jenseits der Parteilinien diskutiert. Dann zeigt sich, wie spannend Bundestagssitzungen sein können. Oft aber sind die Diskussionen ritualisiert, selbst die kleinen Spitzen der Koalitionspartner gegeneinander dringen kaum an eine breite Öffentlichkeit. Die Presse, das sei zugegeben, ist daran nicht unschuldig. Vor 20 Jahren bekamen auch Oppositionspolitiker noch drei zusammenhänge Sätze in der "Tagesschau", heute kann schon die Kanzlerin darüber froh sein. Auf die Pressetribüne des Bundestags verirren sich Jahr für Jahr weniger Kollegen. Wenn ein Minister um 23 Uhr im Bundestag seinen Rücktritt verkünden würde, würde das möglicherweise erst am nächsten Tag bemerkt.

Hündin zu Tode gequält

CLAUDIA MEYER
Der Fall weckt Erinnerungen an den Pferderipper, der vor Jahren bundesweit für Schlagzeilen sorgte: Entsprechend gedrückt ist die Stimmung im Tierheim Zollstock. Mitarbeiter und Hundeausführer haben Tränen in den Augen.

Die Nachricht von dem Drama, das hier in der Nacht zum Mittwoch ein trauriges Ende fand, hat sich wie ein Lauffeuer in der Belegschaft und bei den ehrenamtlichen Helfern herumgesprochen. Eine schätzungsweise fünf bis sieben Jahre alte Golden-Retriever-Hündin ist am Dienstag ins Tierheim gebracht worden. Tags zuvor war sie von Polizeibeamten am Fühlinger See gefunden worden und in eine Kölner Tierklinik gebracht worden. Dort wurde die Hündin notdürftig versorgt und dann in das Südstadt-Tierheim geschickt.

Das Tier wies allerschwerste Verletzungen im Anal- und Vaginal-Bereich auf - verursacht durch einen stumpfen Gegenstand, etwa einem Stock. Obwohl der ehemalige Leiter des Zollstocker Tierasyls, Ralf Unna, die Hündin noch operierte, konnte er ihr nicht mehr helfen. In der Nacht verendete das geschundene Tier an einem septischen Schock.

„So etwas habe ich in meinen mehr als 30 Berufsjahren noch nicht gesehen“, sagt Cornelia Busse, tierärztliche Leiterin in Zollstock, und zeigt den Kadaver, den sie in einem leeren Zwinger abgelegt und mit einer Plastikplane bedeckt hat. Neben den schweren Verletzungen im Genitalbereich ist der Bauch stark geschwollen - die Folgen heftiger Tritte, ist sich die Tierärztin sicher.

Weil die Hündin weder einen Chip unter der Haut trug noch tätowiert war, ist ihre Herkunft völlig ungewiss. Cornelia Busse vermutet, dass es wohl kaum ihre Besitzer waren, die sie so fürchterlich misshandelt haben. „Die Hündin war ausgesprochen freundlich zu uns, obwohl sie so starke Schmerzen hatte. Deshalb ist es gut vorstellbar, dass sie vielleicht von dem Täter entführt worden ist und sogar freudig mitgegangen ist.

Dienstag, 28. August 2007

Prügel in Mügeln nicht organisiert

In der westsächsischen Stadt hetzten keine organisierten Rechtsextremisten Inder in eine Pizzeria. Gleichwohl sehen die Ermittler ein fremdenfeindliches Motiv. Die Polizei interessiert sich auch für die Inder.

Nach der Hetzjagd auf acht Inder im sächsischen Mügeln haben Ermittler und Polizei 82 Zeugen vernommen. Wie der designierte Landespolizeipräsidenten Bernd Merbitz sagte, waren bis Dienstag sieben Beschuldigte ermittelt.

Es stehe fest, dass die Tat von keiner rechtsextremistischen Gruppierung begangen wurde, hieß es. Gleichwohl liege wegen «Ausländer raus»- und «Deutschland den Deutschen»-Rufen eine fremdenfeindliche Straftat vor, sagte Merbitz. Nach wie vor werde in alle Richtungen ermittelt.

Dabei würden auch Vorwürfe geprüft, wonach die Inder selbst die Auseinandersetzungen während des Stadtfestes begonnen hätten. Merbitz bestätigte, dass die Polizei eines der Opfer auf Grund eines Sitzungshaftbefehls suchte. Er sei nicht zu einem Prozess erschienen. Der Sitzungshaftbefehl sei aber wieder aufgehoben, sagte Merbitz.

Kein rechtsextremistischer Hintergrund

Vor zehn Tagen hatten in Mügeln rund 50 Jugendliche und Heranwachsende acht Inder während eines Stadtfestes angegriffen und verletzt. Die Betroffenen flüchteten in Todesangst vor der Menge in eine nahe gelegene Pizzeria. Auch im rheinland-pfälzischen Guntersblum bei Mainz wurden Ausländer von einer Gruppe von Deutschen überfallen und verletzt.

Die Tageszeitung «Die Welt» berichtete unter Berufung auf die Staatsanwaltschaft, es gebe keinen rechtsextremistischen Hintergrund der Tat in Guntersblum. Zwar könnten die drei Tatverdächtigen nach dem äußeren Erscheinungsbild zur Skinheadszene gehören. Den bisherigen Erkenntnissen zufolge habe man aber keinen NPD-Hintergrund feststellen können, zitierte das Blatt einen leitenden Oberstaatsanwalt aus Mainz. Die Ermittlungen dauern in beiden Fällen an.

Rechtes U-Boot in Thüringens Linke

Der 21-jährige Schatzmeister eines NPD-nahen Vereins begleitete einen Landtagsabgeordneten eine Woche lang im Rahmen eines Projekts. Ob er gezielt spitzelte, ist unklar.

In Thüringen hat sich ein NPD-Sympathisant bei der Landtagsfraktion der Linken und den Jungsozialisten eingeschlichen. Der 21-Jährige habe den Abgeordneten Frank Kuschel im Rahmen eines Programms eine Woche lang begleitet, bestätigte die Fraktion am Dienstag in Erfurt einen Bericht des MDR. Zugleich war er Gastmitglied bei der SPD und bei mehreren Treffen der sozialdemokratischen Nachwuchsorganisation dabei. Sowohl die SPD- Mitgliedschaft als auch der Vertrag mit der Linksfraktion wurden aufgelöst.

Nach Informationen des MDR ist der 21-Jährige Schatzmeister eines NPD-nahen Vereins in Erfurt sowie Gründer eines Sportvereins, in dem Mitglieder der rechten Szene trainierten. Bei dem Mentoren-Programm der Linksfraktion hätte er Kuschel vier Wochen lang begleiten dürfen. In der ersten Woche sei er nicht besonders aufgefallen, hieß es dort.

Deutscher in Wien unter Kannibalismus-Verdacht festgenommen

Ein 19-jähriger Deutscher soll in Wien seinen 50-jährigen Mitbewohner getötet und eventuell teilweise gegessen haben. Die entstellte und «ausgeweidete» Leiche des Opfers sei am Dienstagmorgen von einer Putzfrau in einer Obdachlosenwohnung entdeckt worden, teilte ein Sprecher der Wiener Polizei mit.

Wien / Köln - Die Polizei nahm den 19-Jährigen in der Wohnung im 15. Wiener Bezirk fest. Dabei habe dieser Blutspuren am Mund gehabt, teilte der Polizeisprecher weiter mit.
Der Tatverdächtige gab an, dass seine Familie aus Köln stamme. Er selbst ist in Österreich geboren, hat aber die deutsche Staatsbürgerschaft. Nach ersten Ermittlungen hat er seinem Mitbewohner mit einer Hantel den Schädel eingeschlagen, danach soll er ihm mit einem Kampfmesser den Körper aufgeschlitzt haben. Ein Teil der Eingeweide des Opfers hat sich den Angaben zufolge auf einem Tisch in einem Nebenraum befunden.
In seiner Vernehmung verweigerte der 19-Jährige am Dienstag weitgehend die Aussage. Die Spurensuche am Tatort dauerte den Tag über an.

Randale mit Nachspiel

Nach den Ausschreitungen am Wochenende in Bützow (Kreis Güstrow) wird parallel zu den Ermittlungen zu Tätern und Hergang nun auch der Polizeieinsatz genauer überprüft. Das Schweriner Innenministerium forderte bei der zuständigen Polizeidirektion Rostock einen Bericht an, der die Zeit zwischen der Alarmierung und dem Eingreifen der Beamten erhellen soll.

Bützow - Nach den Ausschreitungen am Wochenende in Bützow (Kreis Güstrow) wird parallel zu den Ermittlungen zu Tätern und Hergang nun auch der Polizeieinsatz genauer überprüft. Das Schweriner Innenministerium forderte bei der zuständigen Polizeidirektion Rostock einen Bericht an, der die Zeit zwischen der Alarmierung unddem Eingreifen der Beamten erhellen soll. Laut Augenzeugenberichten hatte die Polizei aus Angst um die eigene Sicherheit zu spät und zu verhalten auf die Randale reagiert. Die Landtagsfraktionen von SPD und FDP reagierten am Montag mit heftiger Kritik auf den Polizeieinsatz.
Nach dem Stadtfest in Bützow hatten am frühen Samstagmorgen rund 40 Personen Verkaufsstände umgeworfen, Marktschirme angezündet und waren in das bereits geschlossene Imbiss-Geschäft eines Pakistani eingebrochen. Berichten zufolge soll es eineinhalb Stunden gedauert haben, bis die Polizei eingriff. Ermittelt wird nach den Ausschreitungen wegen Landfriedensbruchs, Brandstiftung und Einbruchsdiebstahls. Nach Angaben von Innenstaatssekretär Thomas Lenz soll auch ein fremdenfeindlicher Hintergrund als mögliche Ursache überprüft werden. Hinweise auf rechtsextreme Motive der Randalierer sind laut Polizei bislang nicht erkennbar.
Der von Lenz geforderte Bericht zum Ablauf der Geschehnisse soll bis Ende der Woche vorliegen. Er erwarte einen schonungslosen Bericht über die Vorfälle, sagte Lenz. Erst danach sei eine seriöse Bewertung der Vorkommnisse möglich. Der Staatssekretär betonte zugleich, dass nach derzeitigem Erkenntnisstand die Vorfälle in Bützow nicht mit denen im sächsischen Mügeln zu vergleichen seien. Lenz kündigte an, dass sich das Ministerium offensiv mit der Kritik an der Polizei auseinandersetzen und gegebenenfalls bestehende Defizite abbauen werde.
Der sicherheitspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Norbert Nieszery, kritisierte das Verhalten der Polizei, die sich weder präventiv noch im unmittelbaren Einsatz als handlungsfähig erwiesen habe. Das Gefahrenpotenzial hätte erkannt werden müssen.
Der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Gino Leonhard, stellte die Besetzung der Polizeiwache während eines Volksfestes mit lediglich zwei Polizisten in Frage. Wer Randalierern so viel Spielraum lasse, dürfe sich über Gewaltexzesse nicht wundern.
CDU-Fraktionschef Armin Jäger plädierte für ein hartes und beschleunigtes Verfahren gegen überführte Gewalttäter. Die flächendeckende Präsenz der Polizei müsse wieder erhöht werden.
Zur genauen Schadenssumme der Randale konnte die Polizei bislang keine Angaben machen. Es würden weiterhin Zeugen befragt, sagte eine Sprecherin. Bislang seien die Personalien von 15 Personen aufgenommen worden, die möglicherweise zum Täterkreis gehören.
Innenministerium und die Polizei in Bützow riefen die Bevölkerung um Mithilfe bei der Aufklärung auf. Weitere Zeugen der Vorfälle sollten sich bei der Polizei melden.

Neonazi-Videos

Zentralrat der Juden prüft rechtliche Schritte gegen das US-Videoportal

Alfred Krüger

Neonazis verbreiten über das US-Portal YouTube Propagandavideos, die in Deutschland indiziert sind. Der Zentralrat der Juden prüft Strafanzeige gegen Betreiberfirma Google. Deutsche Politiker wollen YouTube "in letzter Konsequenz" gar sperren lassen.

"Begreift endlich, dass euch keiner braucht, keiner bestellt hat und auch keiner will. Ihr seid nicht der Widerstand, für den Ihr euch haltet, ihr seid lächerlich!" Dieser wütende Aufschrei findet sich bei YouTube - eingestellt als Kommentar eines empörten Nutzers, der sich über ein rechtsradikales Video der Ost-Berliner Neonazi-Band "Landser" beschwert.

472 Suchergebnisse liefert das vom Suchmaschinenunternehmen Google betriebene Videoportal YouTube allein zum Suchbegriff "Landser". Die meisten Videos wurden von YouTube-Nutzern eingestellt, die sich schon mit ihrem Pseudonym eindeutig zur rechtsradikalen Szene bekennen.

Rechtsradikale Propaganda

Einer von ihnen nennt sich "88whiteboy14". Die Zahl 8 steht für "H", den achten Buchstaben im Alphabet, "88" somit für "HH" als Abkürzung für "Heil Hitler". Hinter der Zahl 14 verstecken sich die vierzehn englischen Worte "We must secure the existence of our people and a future for white children" ("Wir müssen die Existenz unseres Volkes und eine Zukunft für weiße Kinder sichern") - ein Slogan, der von US-amerikanischen Rassisten verwendet wird.

"88whiteboy14" outet sich auf seiner persönlichen YouTube-Seite als rechtsradikaler Skinhead aus Kanada. Die Videos, die von ihm hochgeladen wurden, sind zwischen sechs Monaten und vier Wochen alt und wurden jeweils bis zu 31.000 Mal aufgerufen. Auch sonst findet sich bei YouTube rechtsextremistisches Videomaterial in Massen: Originale Hitler-Reden, rassistische Propagandavideos, antisemitische Hass-Filme und immer wieder Lieder aus der rechtsradikalen Szene. Zu finden ist hier auch der Kinotrailer zum antisemitischen Nazi-Hetzfilm "Der ewige Jude".

Damit nicht genug. Auch aktuelle NPD-Propaganda aus Deutschland wird über YouTube verbreitet. Der Suchbegriff "Mügeln" etwa führt unter anderem zu einem "Nachrichten"-Video der "Volksfront Medien", hinter denen sich der hessische NPD-Landesvorsitzende Marcel Wöll verbirgt, und rechtfertigt den ausländerfeindlichen Übergriff in der sächsischen Kleinstadt. 41 weitere Videos derselben Machart sind über YouTube zu beziehen - ebenso übrigens wie über die "offizielle" Webseite der NPD-Propagandanachrichten, die in Deutschland gehostet wird.

Keine Reaktion auf Abmahnungen

Nicht alle YouTube-Nutzer lassen sich das braune Videomaterial wortlos gefallen. In den Kommentaren, die unter den Videos zu finden sind, wird heftig gestritten. Und immer wieder wird hier die Frage gestellt, warum die Betreiber des weltweit erfolgreichsten Videoportals solche Videos überhaupt zulassen, zumal sich unter dem rechtsradikalen Material auch eine Vielzahl von Propagandavideos und -liedern befindet, die in Deutschland auf dem Index stehen.

Wer ein von Nutzern eingestelltes Video für "anstößig" hält, kann den Videoportalbetreibern dies mitteilen. Offenbar scheint diese Funktion nicht besonders wirkungsvoll zu arbeiten. Videos, die auf diesem Wege gemeldet wurden, bleiben weiterhin abrufbar. Selbst auf offizielle Abmahnungen reagieren die Portalbetreiber offenbar nicht. So hat das deutsche "Jugendschutz.net", die zentrale Stelle für die Einhaltung des Jugendschutzes im Internet, in den vergangenen Monaten mehr als einhundert in Deutschland indizierte Hass-Videos bei den YouTube-Betreibern erfolglos abgemahnt. YouTube zeigte nach Angaben von Jugendschutz.net bisher keinerlei Reaktion.

Die YouTube-Betreiberfirma mache sich der Beihilfe zur Volksverhetzung schuldig, erklärte Salomon Korn, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, gegenüber dem ARD-Fernsehmagazin "Report Mainz". Korn kündigte an, wegen einer Reihe rassistischer und kriegsverherrlichender Videos Strafanzeige gegen die Betreiber der Plattform zu stellen. "Ich erwarte, dass die Staatsanwaltschaft, dass die Behörden, dass auch die Bundesregierung gegebenenfalls dagegen eintritt und dagegen vorgeht", erklärte Korn.

"In letzter Konsequenz" abschalten?

Staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen die Betreiber der Videoplattform fordert auch Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Neonazi-Filmen dürfe im Internet kein Forum geboten werden, erklärte der SPD-Innenexperte. "Das muss gestoppt werden. Es ist skandalös, dass so etwas in Deutschland möglich ist."

CDU-Medienpolitiker Günter Krings erwägt "in letzter Konsequenz" gar eine Sperrung der gesamten YouTube-Plattform für Deutschland. Ein solches Videoportal sei kein rechtsfreier Raum, erklärte Krings gegenüber der "Frankfurter Rundschau". Ihre Betreiber seien gehalten, das deutsche Strafrecht einzuhalten. "Wenn sie das nicht tun, müssen wir dafür sorgen, dass sie abgeschaltet werden", sagte Krings.

YouTube-Betreiberfirma Google hat sich mittlerweile zu den Vorwürfen aus Deutschland geäußert. "Jede Minute werden bei uns rund sechs Stunden Video-Material hochgeladen", erklärte Google-Sprecher Kay Oberbeck gegenüber der "Frankfurter Rundschau". "Wir haben Beschäftigte rund um die Welt, die nichts anderes tun, als Videos zu kontrollieren, die uns Nutzer als anstößig gemeldet haben." Daneben sei zu berücksichtigen, dass YouTube ein US-amerikanisches Unternehmen sei und "wir die unterschiedlichen Gesetze bei der Bewertung von Inhalten beachten", führte Oberbeck aus. Was in Deutschland verboten sei und auf dem Index stehe, muss deshalb in den USA noch lange nicht illegal sein.

Google zeigt sich kooperativ

Man arbeite aber bereitwillig mit den deutschen Ermittlungsbehörden zusammen, wenn es um illegale Inhalte gehe, sagte Oberbeck. Die Daten von deutschen Nutzern, die Nazi-Propaganda via YouTube verbreiten, würden auf Anfrage an die zuständigen Stellen weitergegeben. "Wenn wir darum gebeten werden, helfen wir selbstverständlich weiter", so Oberbeck. An eine Sperrung bestimmter Suchbegriffe, die eindeutig auf rechtsradikale Inhalte verweisen, denken die YouTube-Betreiber derzeit aber offenbar nicht.

Der Vorwurf, YouTube würde als Abspielplattform für rechtsradikale Videos missbraucht, wird nicht zum ersten Mal erhoben. Bereits Ende September letzten Jahres wurden dezidierte Pläne der NPD für eine wöchentliche Nachrichtensendung laut, die über die US-Videoplattform verbreitet werden sollte. Damals haben die YouTube-Betreiber recht zügig reagiert. Nachdem die Pläne der NPD bekannt geworden und auf den massenhaften Protest vorwiegend deutscher YouTube-Nutzer gestoßen waren, entfernten die Betreiber die bereits eingestellten NPD-Videos von ihrem Portal.

Studiengebühren: Ehrung statt Bewährung

Studiengebühren

HU Marburg kritisiert Freiheitsstrafen gegen B3A Blockierer.

MARBURG. Empört hat sich der HU-Ortsverband Marburg über das Urteil des Amtsgerichts Marburg gegen drei Studierende geäußert. Die mittelhessische Regionalgliederung der Humanistischen Union (HU) hält die von Amtsrichter Jürgen-Peter Taszis verhängten Freiheitsstrafen gegen die ehemalige Marburger AstA-Vorsitzende Lena Behrendes sowie die Studenten Max Fuhrmann und Philipp Ramezani für eine politisch motivierte Abstrafung berechtigter Proteste gegen die verfassungswidrige Einführung von Studiengebühren in Hessen.

Nach einem elfstündigen Verhandlungs-Marathon hatte Taszis am Montag (27. August) die frühere Vorsitzende des Allgemeinen Studierenden-Ausschusses (AstA) zu vier, Fuhrmann zu fünf und Ramezani sogar zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Damit war er weit über die Forderung des Staatsanwalts Dr. Kurt Sippel nach einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen hinausgegangen.

Die Humanistische Union teilt die Auffassung der Anwälte der Verurteilten, die in der von Taszis bestraften Blockade der Marburger Stadtautobahn B3A am 11. Mai 2006 keine strafbare Handlung sehen konnten. Vielmehr hat es sich dabei auch nach Überzeugung des HU-Ortsverbands Marburg um eine gerechtfertigte Ausübung des grundgesetzlich garantierten Demonstrationsrechts gehandelt.

Aus der Demonstration auf der Kraftfahrstraße B3A nun nicht nur eine strafbare Nötigung gemäß Paragraph 240 des Strafgesetzbuchs (StGB), sondern sogar noch eine Freiheitsberaubung zu konstruieren, hält der Marburger HU-Ortsvorsitzende Franz-Josef Hanke für "abenteuerlich". Die Äußerung des Richters, das Demonstrationsrecht ende vor der Autobahn, ist nach seiner Ansicht durch nichts zu begründen. Vielmehr handelt es sich beim Demonstrationsrecht nach allgemeiner Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts um ein hochrangiges demokratisches Recht, das alle Behörden nach Kräften schützen und bei dessen Ausübung sie die Bürger tatkräftig unterstützen müssen.

Als "Gipfel der Unverfrorenheit" bezeichnete Hanke eine Äußerung des Richters, wonach im Publikum auch "einige einfacher gestrickte Geister" säßen: "Diese Publikumsbeschimpfung belegt, dass Taszis seiner Aufgabe als unvoreingenommener Richter offenbar nicht gewachsen ist."

Statt einer Bestrafung sollte man nach Hankes Ansicht das selbstlose und mutige Eintreten der früheren Marburger AstA-Vorsitzenden Lena Behrendes für soziale Gerechtigkeit, für freie Bildung und für die Hessische Verfassung mit dem Ehrenbrief des Landes Hessen würdigen. Schließlich verbietet Artikel 59 der hessischen Landesverfassung eine Erhebung von Studiengebühren ausdrücklich und unmißverständlich.

Dragan Pavlovic

Die Frage der Ehre

Der sogenannte Ehrenmord-Prozess um den Tod der Deutsch-Türkin Hatun Sürücü wird neu aufgerollt. Das entschied der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in Leipzig

Einer der 2006 freigesrochenen Brüder Hatun Sürücüs:
Alpaslan Sürücü.

Der Fall hatte vor zweieinhalb Jahren für allgemeines Entsetzen gesorgt. Der Mord an Hatun Sürücü löste in der Öffentlichkeit, den Medien und der Politik eine wochenlange Debatte über die Integration türkischer Einwanderer und die Notwendigkeit einer Reform des deutschen Rechtssystem, das, so der Eindruck vieler, bisher ungewollt muslimische Männer schützt, wenn diese ihre Familien mit einer altertümlichen Vorstellung von Ehre in Schach zu halten versuchen. Zwangsheirat gilt in Deutschland beispielsweise nur als Vergehen, das mit einer Geldstrafe geahndet werden kann.
Was war geschehen? In der Nacht des 7. Februar 2005 wurde die 23jährige Sürücü an einer Bushaltestelle in Berlin-Tempelhof ermordet. Die Ermittler sprachen von einer "Art Hinrichtung", mehrere Schüsse hatten die junge Türkin in den Kopf und in den Oberkörper getroffen und sie so schwer verletzt, dass sie noch am Tatort starb.
Schnell konzentrierte sich die Fahndung auf die Familie der Toten, die einen ihrer Brüder zuvor angezeigt hatte, weil dieser sie bedrohte. Drei ihrer Brüder wurden verhaftet, nur einer von ihnen, der jüngste, wurde verurteilt und sitzt nun eine neunjährige Jugendhaftstrafe ab. Die beiden mitangeklagten älteren Brüder wurden aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Nun wird der Prozess, zwei Jahre nach der Tat, neu aufgerollt. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in Leipzig hob die Freisprüche für die beiden älteren Brüder Hatun Sürücüs auf und wies den Fall zur Neuverhandlung an das Berliner Landgericht zurück.
Der Bundesgerichtshof folgte damit dem Revisionsantrag der Bundesanwaltschaft. Der zuständige Bundesanwalt Hartmut Schneider kritisierte bereits während der Revisionsverhandlung die lückenhafte Beweiswürdigung des Berliner Landgerichts, das den Fall damals behandelt hatte. Viele wichtige Fragen seien seiner Ansicht nach vor dem Urteilsspruch im April 2006 nicht gestellt worden.

Nach Ansicht des Gerichts musste Hatun Sürücü sterben, weil sie die Ehre ihrer Familie verletzt hatte. Sie war ausgeschert und so für die Familie ein vermeintliches "Riesenproblem" geworden. Wie tief dieses Ehrgefühl in einigen Familien wurzelt und wie viel Verständnis für die so genannten Ehrenmorde aufgebracht wird, zeigen die Reaktionen von Sürücüs Mitschülern an der Thomas-Murus-Hauptschule in Neukölln. Eine wie Hatun sei eine Schlampe, haben sie damals gesagt. Wenn sie wie eine Deutsche lebe, dann verdiene sie den Tod. Hatun Sürücüs Geschichte ist keineswegs ein Einzefall in Deutschland, meist dringen sie aber nicht an die Öffentlichkeit. Frauen werden erwürgt, erstochen oder ertänkt, weil sie durch ihren Freiheitsdrang die Familienehre "beschmutzt" haben.
Mit 15 wurde Hatun Sürücü von ihren Eltern in der Türkei mit einem Cousin verheiratet. Sie trennte sich jedoch von ihrem Mann und kehrte schwanger zurück nach Berlin. Als sie 17 war wurde ihr Sohn Can, der seit dem Tod seiner Mutter bei einer Pflegefamilie lebt, geboren. Sürücü legte das Kopftuch ab, versuchte ihren eigenen Weg zu gehen. Der Kontakt mit der Familie brach ab, sie hatte einige Liebesgeschichten, auch mit deutschen Männern. In einem Mutter-Kind-Heim machte die junge Türkin ihren Hauptschulabschluss nach, absolvierte danach eine Ausbildung als Elektrotechnikerin. Sie kam zu recht, suchte aber dennoch immer wieder den Kontakt zu ihrer Familie, nach Aussagen ihrer damaligen Betreuerin soll sie jedoch vor ihrem zwei Jahre älteren Bruder Mütlü besondere Angst gehabt haben.

Der Haftrichter hatte dem 25jährigen im Verlauf des Prozesses 2005 vorgeworfen, die Waffe besorgt zu haben. Sein ein Jahr jüngerer Bruder Alpaslan soll seine Schwester aus dem Haus gelockt haben - und der jüngste, der damals 18jährige Ayhan, hat, wie er später gestand, geschossen. Die Anklagebehörde stützt sich auf Aussagen eines Mädchens, das mit dem verurteilten jüngsten Bruder befreundet war. Die Schülerin war vor dem Berliner Landgericht unter besonderen Schutzmaßnahmen als Kronzeugin der Anklage aufgetreten. Doch ihre Aussagen genügten den Berliner Strafrichtern nicht für einen Schuldspruch. Es gab Zweifel an der Glaubwürdigkeit. Der Vorsitzende Richter Michael Degreif sprach seinerzeit von "Brücken, die so wacklig waren, dass sie nicht zu einer Verurteilung führen können." Andere Zeugen oder DNA-Spuren gab es nicht, die Mordwaffe ist verschwunden.
Die Bewertung der Kronzeugin wird deshalb in der Revisionsverhandlung erneut eine zentrale Rolle spielen. Bundesanwalt Hartmut Schneider will die Richter davon überzeugen, dass ihre Berliner Kollegen bei der Beweiswürdigung Fehler gemacht haben. Sein Ziel ist es, dass die Freisprüche aufgehoben werden.
Ob die beiden im ersten Prozess freigesprochenen Brüder allerdings zu einer Neuverhandlung kommen werden, ist ungewiss Beide sollen sich nach Presseberichten seit Monaten in der Türkei aufhalten, wo ihr zurückgekehrter Vater vor einiger Zeit an einer Krebserkrankung gestorben sei. Die deutsche Justiz müsste möglicherweise die Auslieferung beantragen. Das könnte im Fall des ältesten Bruders, dem heute 28jährigen Mütlü erfolgreich sein, falls er seine deutsche Staatsbürgerschaft behält. Doch der jüngere Alpaslan hat keinen deutschen Pass. Nach Angaben seines Strafverteidigers verwehrten ihm die Behörden erst im Frühjahr auf dem Berliner Flughafen Tegel die Rückkehr nach Deutschland mit der Begründung seine Aufenthaltserlaubnis sei nach mehr als sechs Monaten Abwesenheit erloschen.

Montag, 27. August 2007

Rom: Asyl für abgelehnte iranische Lesbe

Rom - Ein Sprecher der italienischen Regierung hat angekündigt, eine Lesbe aus dem Iran im Land aufzunehmen, die aus England abgeschoben werden soll. Pegah Emambakhsh ist derzeit in britischer Abschiebehaft und sollte am Dienstag in den Iran geflogen werden.

Die italienische Gleichstellungsministerin Barbara Pollastrini (Linksdemokraten) setzte sich Medienberichten zufolge aber für die Iranerin ein. Sie habe dabei die Unterstützung von Ministerpräsident Romano Prodi erhalten.

Ein britisches Gericht hatte den Asylantrag Emambakhshs trotz Protesten abgelehnt. Menschenrechtsorganisationen erklärten, der 40-Jährigen drohten im Iran Folter und Tod, da sie sich öffentlich zu ihrer Homosexualität steht.


New York: Protest gegen Hasssänger

New York - Ein Auftritt der Reggae-Sänger Buju Banton und Bounty Killer in New York hat zu Protesten von Homo-Gruppen geführt. Mehrere Dutzend Aktivisten demonstrierten vor dem Reggae-Carifest, das am Samstag auf Randall’s Island über die Bühne ging. Die Radiostation "Power 105" hatte sich zuvor von einer Beschwerde der Homo-Gruppe Gay & Lesbian Alliance Against Defamation (GLAAD) beeindruckt gezeigt und seinen Sponsorenvertrag mit dem Konzertveranstalter kurzfristig gekündigt.

Buju Banton und Bounty Killer haben in ihren Liedern wiederholt zur Ermordung von Schwulen und Lesben aufgerufen. So fordert Banton in "Boom Bye Bye", Schwule durch Kopfschuss, Säure- oder Brandanschläge zu töten.

Die Veranstalter argumentierten, dass sich alle Künstler vertraglich dazu bereit erklärt hätten, auf dem Konzert nicht Minderheiten wie Schwule und Lesben zu verunglimpfen. "Reggae-Carifest versucht, kulturelle Grenzen zu überwinden und den riesigen Reichtum der Reggae-Musik und –Kultur aufzuzeigen", erklärte D'Niscio Brooks vom Organisationsteam.

Evangelikaler warnt vor Nazi-Schwulen

Ein christlicher Aktivist in Großbritannien hat gesagt, dass Schwule in der Regel Weiße seien und empfänglich für neonazistische Strömungen. Stephen Green, Chef der Gruppe "Christian Voice", hatte bereits im vergangenen Jahr für Aufregung gesorgt, als er von der Polizei im walisischen Cardiff verhaftet wurde, weil er während des CSDs homophobe Flugblätter verteilt hatte. Ein Gericht hat im Nachhinein die Aktion wegen des Rechts auf freie Meinungsäußerung gestattet.

"NSDAP in Schwulenbar gegründet"

Green erklärte nun in einer Pressemitteilung: "Im Regelfall sind Schwule keine Asiaten oder Schwarze sondern überwiegend weiß. Daher sind sie faszinierend aus dem Blickpunkt der Nationalen Front". Er spielte damit auf eine rechtsextreme Partei in Großbritannien an. "Vielleicht ist der Geist der Homosexualität immer noch untrennbar verbunden mit dem Nationalsozialismus. Immerhin begann die NSDAP ihr obszönes Leben in einer Münchener Schwulenbar."

Beihilfe zum Mord: Berlin liefert Menschen nach Teheran aus

Ein Berliner Gericht hat die Abschiebung der 31jährigen lesbischen Iranerin Jasmin K. beschlossen, obwohl diese von einem iranischen Gericht in Abwesenheit wegen Homosexualität zum Tode verurteilt worden war, was ihre Anwältin dem Gericht beweisen konnte...

Im Iran erwartet sie nun die Steinigung, so die 31jährige gegenüber dem Online-Magazin queer.de. Das Gericht berief sich in seiner Entscheidung absurderweise auf ein Gespräch, das Mitarbeiter des deutschen Außenministeriums im Iran mit der Mutter von Jasmin K. geführt hätten. In diesem Gespräch habe die verzweifelte und verängstigte Mutter abgestritten, dass ihre Tochter lesbisch sei. Auf Grund dieser "Beweisführung" soll nun die Asylbewerberin - trotz des Todesurteils - abgeschoben werden.

Auf queer.de wird inzwischen gemeldet, dass sich der Menschenrechtsbeauftragte der Bundestagsfraktion der Grünen, MdB Volker Beck für das Leben der Frau einsetzen will: "In Schreiben an den Regierenden Bürgermeister, an den Innensenator Körting und die Landeshärtefallkommission habe ich mich für eine Aufenthaltserlaubnis für die Iranerin eingesetzt. Wenigstens eine Duldung müsste sie erhalten", so Volker Beck, den besonders die Begründung der Abschiebung entsetzte: "Diesem iranischen Flüchtling wurde der Flüchtlingsstatus von der Verwaltungsgerichtsbarkeit aufgrund einer Aussage ihrer Mutter im Iran gegenüber Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes, dass sie nicht homosexuell sei, der Verfolgtenstatus verweigert. Diese Beweisfindung ist für mich haarsträubend. Wer wird im Iran schon die Homosexualität einer Person bestätigen, wenn dies einem Todesurteil gleichkommt?".

Beck wies zudem auf die aktuelle Hinrichtungswelle im Iran hin. Auch vor diesem Hintergrund sei eine Ausweisung unmenschlich.

Gegenüber haGalil liegt bisher noch keine Stellungnahme des Innensenators bzw. des Regierenden Bürgermeisters vor. Unsere Frage war, wie es denn grundsätzlich möglich sei, dass man mit dem Gedanken spiele Menschen in ein Land auszuliefern, dessen Regierungschef immer wieder die Ausrottung der israelischen Bevölkerung ankündigt. Dies auch vor dem Hintergrunds der immer wieder betonten besonderen Verbundenheit Deutschlands mit Israel. Immerhin bedeute es doch, dass man einem Staat, den man als Auslieferungsziel anerkenne, ein Mindestmaß an zivilisatorischem Standard attestiert. Dies könne im Fall des Iran aber längstens nicht mehr der Fall sein. Auch vor dem Hintergrund zahlreicher Prozesse und Hinrichtungen, die noch nicht einmal den Regeln der Scharia genügen würden. Der Iran ist damit eindeutig ein gesetzloses Terrain mit einer menschenverachtenden Führung und einer rechtlosen Bevölkerung.


Samstag, 25. August 2007

Bushido verteidigt sich

Der umstrittene Sänger Bushido hat seinen morgigen Auftritt beim Anti-Gewalt-Konzert vor dem Brandenburger Tor verteidigt. "Wenn Politiker ihrem Volk einreden wollen, dass ich die Quelle allen Übels bin, nur damit sie besser schlafen können, bitte schön", sagte der 28-Jährige in einem vom eigenen Plattenlabel veröffentlichten Interview. "Ich bin eben in den Köpfen mancher Menschen dieser böse Rapper, der die Gedanken unserer Kinder verseucht".

In einem 2003 veröffentlichten Lied erklärt Bushido unter anderem: "Berlin wird wieder hart, denn wir verkloppen jede Schwuchtel" ("Berlin"). Die Textzeile "Ihr Tunten werdet vergast" wurde 2005 auf öffentlichen Druck hin von seinem damaligen Label "Universal" nicht veröffentlicht.

Politiker von CDU, FDP und Grünen fordern Ausladung Bushidos

Auch Politiker sprechen sich gegen einen Auftritt des Sängers aus. Bereits vor Wochen kritisierte Thomas Birk, schwulen- und lesbenpolitischer Sprecher der Berliner Grünen: "Selbst wenn sich Bushido gegen Gewalt an Schulen ausspricht, verbreitet er in seinen Texten doch die Botschaft, spätestens nach Schulschluss ist der Ring frei fürs ‚Schwulenklatschen’." Auch CDU-Generalsekretär Frank Henkel zeigt sich entsetzt: "Rüpel-Rapper wie Bushido taugen nicht als Vorbild. Ich fordere Auftrittsverbot für ihn beim Anti-Gewalt-Konzert!". Dem stimmt Björn Jotzo von der FDP zu: "Wer sich verhält wie Bushido, hat auf einem Event gegen Gewalt nichts zu suchen!".

Anzeige gegen Bushido

Derweil berichtet der "Tagesspiegel", dass gegen Bushido eine Anzeige wegen Körperverletzung vorliegt. Christian Hintze, ein 26-jähriger Fotograf aus Berlin, erklärte, der Sänger habe ihn Mitte der Woche vor einem Berliner Club angegriffen.

Freitag, 24. August 2007

Hitler-Pizza schmeckt Neuseeländern nicht

Er aß Pizza und grüßte sich selbst – zu Werbezwecken: Selbst in Neuseeland kann man mit Adolf Hitler Aufmerksamkeit erregen.

Eine Pizzawerbung mit dem Bild Adolf Hitlers ist in Neuseeland auf Protest gestoßen. Auf den großen Wandplakaten war der Diktator mit einem Stück Pizza in der Hand beim Hitlergruß zu sehen. In einem Wortspiel mit dem Namen der Pizzakette – Hell («Hölle») - stand darunter: «Man kann Leute davon überzeugen, dass der Himmel die Hölle ist.»
Die Pizzakette zog die Plakate nach Beschwerden zurück, berichtete die die Zeitung «The Press» am Freitag. «Wir dachten, wir schaffen es, dass die Leute Hitler mit einer Pizza witzig finden», sagte Werber Kirk MacGibbon der Zeitung. Mit zahmer Werbung errege man eben keine Aufmerksamkeit.

Im vergangenen Jahr hatte die Kette einen Proteststurm ausgelöst, weil sie bei einer Werbekampagne für ihre «Lust»-Pizza Kondome in Briefkästen verteilt hatte.

In der indischen Stadt Bombay hatte im vergangenen Jahr ein nach Hitler benanntes Restaurant seinen Namen ändern müssen. Die Besitzer beugten sich damals dem massiven Protest der jüdischen Gemeinde.

Gay-Parade in Moskau: Veranstalter legen Berufung gegen Verbot ein

Das Gericht des Moskauer Bezirks Taganski hat dem Verbot der Gay-Parade am 27. Mai in Moskau stattgegeben.

Das sagte Nikolai Alexejew, Veranstalter des Schwulen-Marsches, RIA Novosti.

„Wir werden dagegen (den Gerichtsbeschluss) beim Moskauer Stadtgericht Berufung einlegen“, so Alexejew.

Im Frühjahr wollten Vertreter der sexuellen Minderheiten am 27. Mai in Moskau eine Gay-Parade durchführen. Doch die hauptstädtischen Behörden lehnten das mit der Begründung ab, dass die Parade die Rechte und Interessen der anderen Bürger verletzen würde.

Daraufhin schlugen die Veranstalter vor, die Mahnwache vor der Moskauer Stadtverwaltung und am Puschkin-Platz zu veranstalten, doch die Behörden gaben wiederholt kein grünes Licht.

Alexejew betonte, dass die Klage der Veranstalter bezüglich dieses Verbots im Gericht des Moskauer Bezirks Twerskoj noch nicht geprüft worden sei.

„Die Moskauer Behörden verbieten Schwulen jede Form der Meinungsäußerung“, sagte er.

Donnerstag, 23. August 2007

"Lokalpatriotische Blindheit"

Desinteresse, Verharmlosung, lokalpatriotische Blindheit: Ex-Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye übt im SPIEGEL-ONLINE-Interview scharfe Kritik an ostdeutschen Politikern im Umgang mit dem Rechtsextremismus. Er plädiert für einen Demokratiegipfel, um Vorfälle wie in Mügeln zu verhindern.

SPIEGEL ONLINE: Herr Heye, unter der Führung des Familienministeriums wurden im Rahmen des Projekts "Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie" für das Jahr 2007 19 Millionen Euro für Projekte gegen Rechts bewilligt. Reicht das aus?

Heye: Es wäre hoffnungslos, wenn der Bund alleine die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus in Deutschland stemmen sollte. 19 Millionen sind zu wenig zur Finanzierung der notwendigen Projekte - zumal die vom Bund unterstützten Initiativen 50 Prozent ihres Etat-Geldes selbst aufbringen müssen. Wie die das in den neuen Ländern schaffen sollen, ist mir ein Rätsel. Wir brauchen die Länder und Kommunen dazu.

SPIEGEL ONLINE: Offenbar hat der Landkreis Torgau-Oschatz, zu dem Mügeln gehört, trotz eines Antrags an das Familienministerium keine Gelder bewilligt bekommen.

Heye: Die Begründung dafür kenne ich nicht. Aber: Unabhängig von einer Bewilligung haben wir das Problem, dass viele Kommunen in Ostdeutschland kein Interesse daran haben, sich ernsthaft mit dem Problem des Rechtsradikalismus auseinanderzusetzen - entweder aus lokalpatriotischer Blindheit, weil sie befürchten, dass auf diese Weise mögliche Investoren abgeschreckt werden, oder weil sie das Problem nicht sehen sollen. Dazu kommt eine absolut defensive Haltung der neuen Länder.

SPIEGEL ONLINE: Ist es nicht richtig, dass Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt vor vorschnellen Urteilen im Fall Mügeln warnt?

Heye: Nein. Das ist eine Verharmlosung, denn Milbradt setzt mit seinen Äußerungen voraus, dass die in Mügeln skandierten Parolen wie "Ausländer raus!" bloß Alltagssprache sind. Ich halte das aber nicht für Alltagssprache, sondern für eine tief sitzende fremdenfeindliche Grundhaltung, die in den neuen Ländern entstanden ist, ohne dass es dort Ausländer oder Fremde gibt. Im Landkreis von Mügeln sind ein Prozent der Bevölkerung aus dem Ausland - man muss Ausländer regelrecht suchen. Milbradts Kommentar ist eher die übliche Bagatellisierung. Jede dieser vagen und diffusen Aussagen stärkt den Rechtsradikalismus, unabhängig davon, ob er organisiert ist oder nicht.

SPIEGEL ONLINE: Seit Jahren fließen Millionen in Initiativen gegen Rechts - geändert hat sich offenbar nicht viel.

Heye: Es geht in erster Linie darum, dass die Folgenlosigkeit von Vorfällen wie jetzt in Mügeln überwunden wird; diese aufbrausende Empörung in der Öffentlichkeit, die am nächsten Tag wieder vorbei ist. Dieses Muster lässt sich nur durch eine Art Demokratiegipfel in Berlin überwinden, an dem Kommunen, Länder, Bund, Wissenschaft, Sportvereine und andere lokale Gruppen teilnehmen, damit auch Druck auf die Bundesländer ausgeübt wird. Die Länder müssen endlich ernsthaft über die Frage nachdenken, wieso unser Schulsystem jedes Jahr zwischen 60.000 und 80.000 Jugendliche ohne Abschluss entlässt. Man darf sich nicht wundern, dass sich hier ein Rekrutierungsfeld öffnet, das auch von Rechtsradikalen genutzt wird.

SPIEGEL ONLINE: In Mügeln haben Autonome gegen Rassismus demonstriert. ehen Sie es als Problem, dass der Kampf gegen Rechts meistens nur von sehr linken Jugendorganisationen geführt wird?

Heye: Ich wäre dankbar, wenn ich in den neuen Ländern noch auf ein paar linke Jugendorganisationen stoßen würde - das ist aber fast nicht der Fall. In Ostdeutschland gibt es eine ganze Reihe von tollen Initiativen, aber linke Jugendorganisationen, die in den neuen Ländern die Speerspitze im Kampf gegen den Rechtsextremismus bilden könnten, kommen fast nicht vor.

SPIEGEL ONLINE: Hat sich nach Ihrer Warnung vor No-Go-Areas im Osten Deutschlands im letzten Jahr irgendetwas getan?

Heye: Die Frage muss anders herum gestellt werden: Was wäre in Deutschland - vor allem im Osten, wo sich eine besonders gewalttätige Form des Rechtsextremismus entwickelt hat, wenn es die Initiativen gegen rechte Gewalt nicht gäbe? Es ist schwierig, die Arbeit der Projekte zu messen. Was wir brauchen, ist eine entschiedenere Haltung der Landesregierungen in den ostdeutschen Ländern. Die Politiker müssen auch auf die Polizei einwirken und eine Haltung entwickeln, die klar macht, dass Rassismus in Deutschland keine Chance hat.

Das Interview führte Anna Reimann
  • ZUR PERSON

  • Uwe- Karsten Heye, 66, war von 1998 bis 2002 Gerhard Schröders Regierungssprecher. Er gründete im Jahr 2000 mit Paul Spiegel und Michel Friedman den Verein "Aktion weltoffenes Deutschland", der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland bekämpft und dessen Vorsitzender er heute ist. Im Mai 2006, kurz vor der WM, warnte er ausländische Besucher davor, bestimmte Regionen in Ostdeutschland zu besuchen. Dort seien Leib und Leben in Gefahr. Viele empörten sich danach - Heye erhielt aber auch viel Unterstützung für seine offenen Worte. Heye ist Chefredakteur der SPD-Zeitung "Vorwärts".

Rechtsradikale überfallen Jugendclub

Das Jerichower Land in Sachsen-Anhalt gilt als einer der Brennpunkte rechtsradikaler Gewalt. Jetzt haben Anhänger der Szene einen linken Jugendclub in Güsen überfallen. Drei Jugendliche wurden verletzt.

Stendal - Die Polizei ermittelt nach dem Angriff auf einen Jugendclub in Güsen im Jerichower Land nordöstlich von Magdeburg wegen gefährlicher Körperverletzung mit politisch motiviertem Hintergrund. Mutmaßliche Rechtsextreme waren gestern Abend zu dem Club gefahren und hatten dort drei 19 und 20 Jahre alte Jugendliche verletzt, teilte die Polizei heute mit. Die Opfer erlitten Blutergüsse und Schürfwunden.

Da die Besucher des Jugendclubs der linken Szene angehörten, gehen die Ermittler von einer politisch motivierten Tat aus. Drei Tatverdächtige wurden festgenommen, später aber wieder auf freien Fuß gesetzt. Einer von ihnen trug den Angaben zufolge ein T-Shirt mit der Aufschrift "Ruhm und Ehre der Wehrmacht".

Polizei zeigt NPD-Chef Voigt wegen Volksverhetzung an

Die Polizei in Jena hat NPD-Bundeschef Voigt nach einem Aufmarsch der rechtsextremen Partei wegen Volksverhetzung angezeigt. Voigt hatte in einer Rede erklärt, er wolle Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß für den Friedensnobelpreis vorschlagen.

Jena - Nach dem Aufmarsch der NPD in Jena muss sich deren Bundeschef Udo Voigt wegen Volksverhetzung verantworten. Gegen ihn sei nach Auswertung des Videomaterials von der Kundgebung Anzeige erstattet worden, teilte die Polizei heute mit. In seiner Rede habe er erklärt, er wolle den NS-Kriegsverbrecher Rudolf Heß für den Friedensnobelpreis vorzuschlagen. Die Polizei sieht darin einen Verstoß gegen Paragraf 130 des Strafgesetzbuches. Für solche Verstöße drohen bis zu drei Jahre Haft oder eine Geldstrafe, hieß es.

Bei dem Aufmarsch hatten die Rechtsextremen eine Gedenkminute für den Hitler-Stellvertreter Heß abgehalten. Dies soll nach Angaben des Verwaltungsgerichts Gera Folgen für künftige Kundgebungen haben. Die NPD plant für den 8. September in Jena ein "Fest der Völker". Rund 1000 Menschen hatten am vergangenen Samstag in Jena gegen den NPD- Aufzug demonstriert, an dem sich laut Polizei etwa 380 Rechtsextreme beteiligten. Die Stadt hatte versucht, den Aufmarsch zu verbieten. Das Verbot war jedoch vom Verwaltungsgericht Gera gekippt worden.

Auch eine Rede des Fraktionschefs der NPS im Schweriner Landtag sorgt für Empörung. Udo Pastörs war nach Angaben des SPD-Landtagsabgeordneten Mathias Brodkorb am vergangenen Samstag auf einer NPD-Kundgebung zum Heß-Todestag im bayerischen Gräfenberg als Redner aufgetreten. Bei der Veranstaltung habe Pastörs Parteigegner verunglimpft und von einem "göttlichen Auftrag" der NPD gesprochen. In einer vom Norddeutschen Rundfunk gestern verbreiteten Tonaufzeichnung rief Pastörs: "Uns gehört die Zukunft, her mit der Macht!"

Seit einem früheren Auftritt in Brandenburg prüft die Staatsanwaltschaft in Potsdam, ob gegen Pastörs ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird.

"Die Polizei hat uns behandelt wie Hunde"

Donnerstag ist Markttag in Mügeln. Diesmal fehlen die indischen Textilhändler, die am Wochenende auf dem Stadtfest durch die Gemeinde gehetzt und verprügelt wurden. Stattdessen beklagen sie sich auf einer Pressekonferenz über mangelnde Hilfe der Polizei - die weist die Vorwürfe vehement zurück.

Döbeln/Mügeln - Es ist die persönlichste Frage an diesem Tag im Café "Courage" in Döbeln. Werden sie hier bleiben? Kulvir Singh reibt sich das linke Auge, es ist immer noch blutunterlaufen. Zuvor hat er immer wieder eine Hand hinter sein verletztes linkes Ohr gehalten, um besser zu verstehen. Aber diese Frage hat Singh sofort verstanden.

"Ich weiß es nicht", sagt der Inder. Ein Journalist hakt nach: Er könne sich das also vorstellen? Ja, sagt Singh. Er sieht traurig dabei aus.

In der Kreisstadt Döbeln, rund 15 Kilometer von Mügeln entfernt, schildert der Texttilhändler Singh noch einmal die Ereignisse des Wochenendes. Eingeladen haben zwei sächsische Organisationen für Opferberatung und Schutz vor rechtsextremistischer Gewalt - der Verein "Amal - Hilfe für Betroffene rechter Gewalt" und die "RAA" (Regionale Arbeitsstellen für Ausländerfragen).

Kulvir Singh und sieben weitere Inder waren in der Nacht zum Sonntag bei einem Stadtfest in eine Schlägerei verwickelt und durch die Stadt gejagt worden. Die acht Männer flüchteten schließlich in das Imbiss-Restaurant eines Bekannten, rund 70 Polizisten verteidigten sie dort vor dem aufgebrachten Mob.

Am schwersten wurde Gurminder Singh verletzt. Sein Gesicht ist immer noch zugeschwollen von den brutalen Tritten und Schlägen dieser Nacht. Er sagt kein Wort, steht nur da, hinter Kulvir Singh und den anderen auf dem Podium. Sein zerschundenes Gesicht spricht für sich.

"Ich habe heute Nacht zum ersten Mal seitdem wieder in meinem Bett in Döbeln geschlafen", sagt Kulvir Singh. Trotz der Angst. "Ich bin dreimal aufgestanden, um zu sehen, ob alles in Ordnung ist."

Die indischen Händler haben an diesem Donnerstag darauf verzichtet, wie sonst ihre Stände auf dem Markt von Mügeln aufzubauen. "Ich bedauere das sehr, ich hätte ihnen gerne auch nochmals persönlich mein Mitgefühl ausgedrückt", wird Bürgermeister Gotthard Deuse (FDP) dazu von Nachrichtenagenturen zitiert. Immerhin, auch der Mügelner Stadtrat hat inzwischen seinen Abscheu gegen die Gewaltorgie zum Ausdruck gebracht. Und: der Bürgermeister stellt der Polizei einen Raum als sogenannten Zeugenanlaufpunkt zur Verfügung.

Vorwürfe gegen Mügeln und seine Bewohner sind von den Betroffenen ohnehin kaum zu hören. "Das ist doch meine Heimat", sagt Kulvir Singh. Seit fünf Monaten wohnt er in Mügeln, aber schon lange kommt Singh regelmäßig auf den Markt. 17 Jahre lebt er in Deutschland. "Man kennt uns doch in Mügeln", sagt sein Verwandter Kuldip Singh.

Klar sei, dass am Wochenende von ihnen keine Aggression ausgegangen sei, betont Kulvir Singh. Ob aber die Auseinandersetzung einen rechtsradikalen Hintergrund hatte, ob die Hetzjagd von auswärtigen Neonazis angeführt wurde oder ob die Gewalt mitten aus der Ortsbevölkerung kam - dazu äußert er sich nicht. "Weil ich es nicht weiß", sagt der Textilhändler.

Stattdessen macht er der Polizei Vorwürfe. "Die haben uns in der Nacht acht Stunden sitzen lassen wie arme Hunde", sagt er. "Niemand hat uns gefragt, ob wir Schmerzen haben oder ob jemand von uns ins Krankenhaus möchte." Erst als zwei Dolmetscher im Polizeirevier von Oschatz eintrafen, hätten die Beamten reagiert.

Die Polizei weist dies gegenüber SPIEGEL ONLINE zurück. "Das ist nicht wahr", sagt Ilka Peter, Sprecherin der Polizeidirektion Westsachsen. Erstens habe man die Inder in deren Interesse mit aufs Revier genommen, "weil wir sonst nicht für ihre Sicherheit garantieren konnten, die sind jedenfalls freiwillig mitgekommen". Und der Vorwurf, man habe ihnen Wasser und ärztliche Behandlung vorenthalten? "Die haben ja nichts gesagt." Außerdem, meint die Polizeisprecherin, sei ein Arzt im Revier gewesen. Und Klagen über die Räumlichkeiten könne sie erst recht nicht verstehen. "Da ist frisch renoviert", sagt Peter.

"Die übertreiben gerne", heißt es aus der Staatskanzlei

Für die Opferschützer von "Amal" und "RAA" ist die Sache grundsätzlich klar: Polizei und Staat verhielten sich wie immer - sie beschwichtigten. "Hätte es an diesem Abend nicht die Inder getroffen, wären andere fällig gewesen, vielleicht jemand mit bunten Haaren", sagt Ingo Stange von "Amal". Auch wenn Döbeln bisher nicht auffällig gewesen wäre, "man kann hier schon von No-Go-Areas sprechen". 139 rechtsextremistische Übergriffe habe es alleine im ersten Halbjahr 2007 in Sachsen gegeben. "Und die Dunkelziffer ist noch viel größer", sagt Juliane Wetendorf von "RAA". Nicht nur Ausländer, auch Homosexuelle, Behinderte oder Obdachlose - niemand sei hier sicher.

Natürlich sieht das die Landesregierung Dresden etwas anders. "Die übertreiben gerne", heißt es in der Staatskanzlei. Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) will im Herbst immerhin eine Konferenz zum Thema Rechtsextremismus organisieren. Auch die Bundesregierung kündigte Programme und eine bessere Vernetzung bestehender Aktivitäten gegen Rechtsextremismus an. Neue Forderungen nach einem NPD-Verbot gibt es ebenfalls. Doch diese politischen Reaktionen klingen angesichts dessen, was im Café "Courage" zu erleben ist, hilflos. Man dürfe nicht drumherum reden: "Es gibt hier unterschwelligen Rechtsextremismus in der Bevölkerung", sagt "Amal"-Mann Stange. Dazu komme, dass die wirklichen Neonazis inzwischen extrem gut vernetzt seien.

Mehrfach muss Kulvir Singh das Podium im Café "Courage" verlassen, wegen seiner Schmerzen könne er nicht lange ohne Pause sitzen, erklärt der Inder. Der Händler ist noch lange krank geschrieben, auch die meisten seiner sieben Freunde und Verwandten.

Die Pressekonferenz ist schon vorüber, da erzählt Kuldip Singh von einer neunten Person, einem Pakistani. "Das ist ein Freund von uns, der wollte eigentlich auch mit auf das Fest in Mügeln kommen", sagt Singh. Aber der Freund sei ziemlich krank, deshalb blieb er in der Pizzeria. Was Kuldip Singh damit sagen will, formuliert er ein paar Sätze später so: "Der ist so schwach, wenn der mitgekommen wäre, der hätte das nicht überlebt."

Uganda: Religiöse Anti-Homo-Demo

Kampala - Über 1.000 Menschen sind dem Demonstrationsaufruf einer christlich-muslimischen Gruppe gefolgt und protestierten gestern in Ugandas Hauptstadt Kampala gegen Homo-Rechte. Das war eine Reaktion auf die erste Pressekonferenz einer nationalen Homogruppe, die letzte Woche abgehalten worden war. Uganda bestraft derzeit Homo-Sex mit lebenslanger Haft; außerdem droht ugandischen Staatsbürgern die Verhaftung, wenn sie im Ausland eine Homo-Ehe schließen.

Die Demonstration wurde organisiert von der "Regenbogenkoalition gegen Homosexualität", zu der sich muslimische und christliche Gruppen zusammengeschlossen haben. "Wir fordern die Regierung auf, trotz Drucks von außen stark zu bleiben und die Gesetze anzuwenden, die das widerwärtige Verhalten verbieten", sagte Pfarrer Martin Ssempa, der Sprecher der Koalition.

Demonstranten fordern Auweisung von US-Journalistin

Konkret forderten die Demonstranten die Ausweisung der 22-jährigen US-Journalistin Katherine Roubos, die als Praktikantin beim "Daily Monitor" arbeitet. Sie hatte zuvor den Auftrag erhalten, über die Homo-Bewegung im Land zu schreiben. "Ich stelle nur Fakten dar", sagte sie im AP-Interview. Den Demonstranten war das offenbar zu viel: "Wir Leute aus Uganda haben Werte. Wenn diese Dame das nicht akzeptieren kann, sollte sie deportiert werden", erklärte Eddie Semakula, einer der Organisatorinnen.

Dienstag, 21. August 2007

Experten belasten Russland im Raketenstreit

Haben russische Flugzeuge in Georgien eine Rakete abgeworfen? Moskau dementiert. Doch internationale Experten stützen die Version der Regierung in Tiflis.

Im Raketenstreit zwischen Moskau und Tiflis hat eine zweite internationale Expertengruppen die georgische Version des Vorfalls grundsätzlich bestätigt. Der georgische Luftraum sei am Tag des Raketeneinschlags Anfang August dreimal von Russland aus verletzt worden, hieß es in dem am Dienstag in Tiflis veröffentlichten Bericht der Spezialisten aus Großbritannien, Polen und Estland. Zwei der Flüge hätten Ziel auf den Einschlagort der aus russischer Produktion stammenden Rakete genommen.

Der russische UN-Botschafter Witali Tschurkin erhob derweil in New York schwere Vorwürfe gegen die Regierung in Tiflis. Die Georgier hätten wichtige Beweismittel vernichtet und selbst verschiedene Raketenteile an der angeblichen Einschlagstelle deponiert, um einen russischen Übergriff vorzutäuschen, sagte Tschurkin am Dienstag unter Berufung auf Erkenntnisse hochrangiger russischer Experten.

Georgiens Außenminister Gela Beschuaschwili forderte eine «gründliche Diskussion» der Ergebnisse durch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Beschuaschwili sagte, der Bericht bestätige die Resultate einer ersten Expertenkommission aus der Vorwoche.

Anfang August hatte in der Nähe der abtrünnigen Region Südossetien ein Flugzeug eine Rakete vom Typ A-11 Kilter (Nato-Codierung) abgefeuert. Seitdem streiten Russland und Georgien über die Herkunft von Flugzeug und Rakete.

Homo-Orden für Reggae-Sänger Gentleman

Endlich mal ein Reggae-Musiker, der die Homophobie seiner Kollegen nicht mitmacht und sie offen kritisiert.

Von Carsten Weidemann

Der Reggae-Sänger Gentleman sieht sich als Kämpfer gegen die deutschen Porno-Rapper. "Ich spüre eine Verantwortung. Gerade weil in meinem Publikum viele junge Leute sind, sollen meine Texte ein Gegensatz zu dem sein, was im deutschen Hiphop sonst gerade abgeht", sagte Gentleman im Interview mit dem "Kölner Stadt-Anzeiger".

Den Medien wirft der Sänger "Doppelmoral" im Umgang mit Pornorappern vor: "Wenn es nur noch um Provokation geht, wenn Frauen in Songtexten vergewaltigt werden und die Leute, die das geschrieben haben, von den Medien auch noch gehyped werden. Dann frag ich mich, was ist das für eine Doppelmoral?" Gleichzeitig würden Künstler aus Jamaika von Festivals ausgeladen, die vor Jahren vereinzelt schwulenfeindliche Texte gesungen hätten.

Homophobie sei in der jamaikanischen Gesellschaft tief verankert. "Diese Schwulenfeindlichkeit stört mich extrem", sagt Gentleman. "In meinen Texten werden keine Minderheiten gedisst, sondern unterstützt."

Gentleman, 32, gilt als einer der erfolgreichsten Reggaemusiker der Welt. Für sein Album "Journey to Jah" erhielt er 2003 den Musikpreis Echo, den er 2005 als "Bester nationaler Künstler" erhielt für seine Alben. Sein Album "Confidence" stieg 2004 in Deutschland auf Anhieb auf 1 und verkaufte sich weltweit. Auch in Jamaika, im Mutterland des Reggae, ist Gentleman anerkannt. Sein neues Album "Another Intensity" kommt am 24. August auf den Markt.

Da Gentleman der erste Reggae-Sänger ist, der sich so deutlich von Sexismus und Homophobie distanziert hat, erhält er von uns den Homo-Orden.

Homos in Uganda organisieren sich

Kampala - Zum ersten Mal hat eine Homo-Gruppe in Uganda eine Pressekonferenz abgehalten. 30 Mitglieder der Sexual Minorities Uganda (SMUG) kritisierten in Kampala staatlich verordnete Homophobie. Auf Homosexualität steht in dem 28 Millionen Einwohner zählenden ostafrikanischen Land lebenslange Haft. Einige der Aktivisten trugen Masken, um nicht identifiziert werden zu können. "Unsere Forderung ist klar und einfach: Lasst uns in Frieden leben", erklärte SMUG-Chef Victor Juliet Mukasa. Danach berichtete er von Misshandlungen und Vergewaltigungen.

Regierung: Homosexualität ist abstoßend

Polizei und Regierung wiesen die Anschuldigungen zurück. "Wir müssen das Gesetz durchsetzen und dürfen nicht entscheiden, ob es richtig oder falsch ist", sagte Polizeisprecher Asan Kasingye der Nachrichtenagentur AP. Regierungssprecher Kirunda Kivejinja verteidigte die Gesetzgebung, die noch aus der Kolonialzeit stammt: "Es kann keine gleiche Behandlung von diesen komischen Typen geben", erklärte er. "Das Volk von Uganda findet Homosexualität abstoßend."

Im vergangenen Jahr hat Amnesty International Menschenrechtsverletzungen an Schwulen und Lesben in Uganda scharf kritisiert.

Brasilien: Gay-Skandal im Profifußball

Ein brasilianischer Fußballspieler hat den Chef eines gegnerischen Fußballteams wegen Verleumdung verklagt, weil dieser den Sportler als "schwul" bezeichnete. Der verantwortliche Richter hat daraufhin für Aufsehen gesorgt, weil er sagte,

Schwule könnten in der Profiliga nicht mitspielen, sondern müssten ihre eigene Liga gründen.

Die Einzelheiten: José Cyrillo Júnior, der Chef des FC Palmeiras, hatte bereits in einem Fernsehinterview im Juni angedeutet, dass São Paulos Mittelfeldspieler Richarlyson "in einem anderen Team" spiele. Daraufhin verklagte der 26-jährige Fußballer den Konkurrenten und sagte, er würde es offen zugeben, wenn er schwul sei. Er sei aber heterosexuell.

"Fußball ist ein männlicher Sport, kein homosexueller"

Beim Prozess hat ein Richter nun Ende letzter Woche für den Mittelfeldspieler entschieden – und mit seiner Urteilsbegründung Homo-Gruppen erzürnt. Richter Manoel Maximiano Junqueira deutete nämlich an, dass Richarlyson mit dem Profifußball aufhören müsste, wäre er homosexuell: "Nicht, dass ein schwuler Spieler nicht Fußball spielen kann", erklärte er. "Das kann er, aber er muss sein eigenes Team gründen und gegen die Mannschaften spielen, die gegen ihn spielen wollen." Ein Schwuler würde die Einheit eines Profi-Teams beschädigen, weil Fußball ein "männlicher Sport ist, kein homosexueller."

Nach heftigen Protesten erklärte der Richter das Urteil kurz nach der Verkündung für ungültig. Grund: Angeblich sei ein anderes Gericht zuständig.

Homo-Gruppen verurteilten den Richter scharf: "Das war ein faschistischer Kommentar, und der Richter muss dafür bezahlen", erklärte Marcelo Cerqueira von der Grupo Gay da Bahia. "Dieser Fall zeigt, wie wichtig es ist, über Schwule im Fußball zu sprechen".

Derzeit spielt kein offen Schwuler in der brasilianischen Profiliga.

Montag, 20. August 2007

"Da haben Glatzen gewartet"

Wie wurde aus einer Rempelei eine Hetzjagd?
Kaum vorstellbar, dass das ohne Ausländerfeindlichkeit möglich gewesen wäre.

Eine Spurensuche in Mügeln VON MICHAEL BARTSCH

"Plötzlich war mal was los": Polizisten in der Innenstadt von Mügeln Foto: dpa

"Suchet der Stadt Bestes!" steht über dem im Jahr 1882 im norddeutschen Hansestil erbauten Rathaus von Mügeln. Das würde Bürgermeister Gotthard Deuse für die sächsischen Kleinstadt auch gern. Um so trauriger stimmt ihn, was in der Nacht zum Sonntag beim Altstadtfest auf dem nahe gelegenen Marktplatz geschah. Wenn ein deutscher Mob acht Inder jagt und schließlich zwei Schwerverletzte und ein Dutzend Leichtverletzte zu beklagen sind, muss das seine Stadt in Verruf bringen. "Mügeln hat dieses Negativ-Image nicht verdient. Wir feiern gern - mit allen", sagt der Bürgermeister.

Zum Beispiel mit den indischen ambulanten Händlern, die seit Jahren jeden Dienstag und Donnerstag auf dem Markt ihre Textilienstände aufbauen. Man kennt sie in Mügeln, ebenso wie man den Inder Singh kennt, der im Ort eine Pizzeria betreibt.

Doch gegen Mitternacht kommt es im Festzelt zu einer Rempelei. Anfangs ist es nicht mehr, als bei solchen Volksfesten üblich ist. Auf der Tanzfläche ist es eng. Aber bei der Gruppe, die durch ihre Bewegungen auf der Tanzfläche das Missfallen einiger deutscher Besucher erregt, handelt es sich um Ausländer. Frauen belästigen sie nicht, allenfalls himmeln sie die Sängerin der Band an. So weit stimmen alle Berichte überein.

Wie aber eine Rempelei zu einer Messerstecherei und zu einer Hetzjagd eskalierte, an der sich 50 Menschen beteiligten, lässt sich nicht so einfach rekonstruieren. Hier driften Berichte der Beteiligten auseinander.

Susann Meyer, eine deutsche Angestellte in der Pizzeria Singh und unmittelbare Tatzeugin, macht auswärtige Rechtsextreme dafür verantwortlich. "Da haben Glatzen draußen vor dem Zelt gewartet, als ob das geplant gewesen wäre." Sie hätten sich aber mit Mügelner Gästen vermischt. "Wenn ihr nicht gleich abhaut, ist hier was los", sei gedroht worden. Die Inder seien schnell in eine bedrohliche Situation geraten und geflohen. Zunächst in eine Seitenstraße, dann in einen Hof, schließlich in die Pizzerias ihres Landsmanns Singh, einem schüchtern und sehr friedlich wirkenden Mann. Unbestritten ist wiederum, dass auch die Pizzeria den Angegriffenen keinen Schutz bot und dass bereits eine Scheibe eingetreten und ein Auto demoliert worden war, bevor die Polizei etwa eine halbe Stunde nachdem sie von den Indern gerufen worden war mit etwa 70 Beamten anrückte. Da hatten einige Angreifer bereits Pfeffergas eingesetzt und einen weiteren deutschen Angestellten der Pizzeria mit Tritten schon misshandelt. Verbürgt sind auch Rufe wie "Ausländer raus!" Die Polizei verhinderte durch ihr entschlossen Auftreten Schlimmeres, wie auch einige Bewohnern anerkennen.

Eine andere Geschichte erzählen einiger Mügelner, die sich am Tage danach gleichfalls am Markt einfinden und das Geschehen diskutieren. Danach hätten sich die Inder schnell zusammengefunden und mit Messern und abgeschlagenen Flaschen bewaffnet. Eskaliert sei das Geschehen, weil zuerst zwei Deutsche an Hals und Oberschenkel durch Stiche verletzt wurden. "Da haben sich eben einige Deutsche in landsmannschaftlicher Verbundenheit zusammengetan", lässt sich ein Mügelner mittleren Alters vernehmen und fügt hinzu: "Sie wollen doch nur schreiben, dass in Mügeln alle rechtsradikal sind!"

Daneben steht ein etwa 25-jähriger junger Mann mit Bärtchen und kleinem Bauch, der dazu eifrig nickt - aber nur, um sich gleich darauf ausdrücklich als Rechtsradikaler zu bekennen. Ja, er sei dabei gewesen und habe vor der Pizzeria auch ausländerfeindliche Parolen gerufen, nachdem "zwei von uns" schwer verletzt worden waren. "Die sollen ihr Leben leben, die Kanaken, und uns in Ruhe lassen."

Andere Einwohner kommentieren das Geschehen teilnahmslos. Aber an eine organisierte Tat glauben sie nicht. Wenn es gezielt gegen Ausländer gegangen wäre, hätten die zahlreichen von "Fidschis" betriebenen Lebensmittelläden und Imbisse in der Nähe des Markts ebenfalls "dran glauben müssen", meinen sie.

Mit den Indern habe es bislang keine Probleme gegeben, sagen die 16-jährige Monique und die 17-jährige Mandy. Von einer organisierten Neonazi-Szene haben sie nie etwas bemerkt, ebenso wenig wie der Bürgermeister. Eine rechtsextreme Szene gibt es aber im wenige Kilometer entfernten Leisnig, wo auch die Polizei an diesem Wochenende in Bereitschaft war. Bürgermeister Deuse hatte nach Ankündigungen im Internet die Polizei auf mögliche geplante Aktionen auch bei seinem Stadtfest hingewiesen.

Jetzt bekundet er für die Opfer "sehr großes Mitgefühl". Der am schwersten verletzte Inder kommt soeben aus dem Krankenhaus, hat ein von mehreren Nähten und blauen Flecken entstelltes Gesicht. Pizzabäcker Singh, der sich bislang so sicher fühlte, hat Angst davor, dass sich ein solcher Übergriff wiederholen könnte. Bürgermeister Deuse wiegelt ab: "Es kann auf jedem Volksfest mal so etwas geben, und Mügeln hat es eben mal getroffen." "Der Alkohol hat um diese Zeit eine Rolle gespielt - und außerdem war plötzlich mal was los", sagt auch Polizeisprecher Reinhard Böttcher.

Doch ist kaum vorstellbar, dass eine Rempelei zu einer Hetzjagd eskaliert, an der sich 50 Leute beteiligen, wenn nicht ausländerfeindliche Ressentiments existieren.