Von Marc Pitzke, New York
US-Präsident Bush ist fast schon aus dem Amt geschieden - und doch mächtig aktiv. Mit Dutzenden Last-Minute-Erlassen verankert er seine konservative Politik. Viele Vorschriften schaden der Umwelt und sind kaum rückgängig zu machen.
New York - Das Weiße Haus ist verwaist. George und Laura Bush verbringen ihr letztes Wochenende als Präsident und First Lady auf Camp David. Die meisten Mitarbeiter haben ihre Dienstausweise, Blackberrys und Handys am Freitagabend abgegeben und ihre Büros im West Wing geräumt. Nur Stabschef Josh Bolton, Chefjurist Ed Gillespie und Bushs Sprecherin Dana Perino halten die Stellung.
US-Präsident Bush: Ein letztes Wochenende in Camp David
US-Präsident Bush ist fast schon aus dem Amt geschieden - und doch mächtig aktiv. Mit Dutzenden Last-Minute-Erlassen verankert er seine konservative Politik. Viele Vorschriften schaden der Umwelt und sind kaum rückgängig zu machen.
New York - Das Weiße Haus ist verwaist. George und Laura Bush verbringen ihr letztes Wochenende als Präsident und First Lady auf Camp David. Die meisten Mitarbeiter haben ihre Dienstausweise, Blackberrys und Handys am Freitagabend abgegeben und ihre Büros im West Wing geräumt. Nur Stabschef Josh Bolton, Chefjurist Ed Gillespie und Bushs Sprecherin Dana Perino halten die Stellung.
US-Präsident Bush: Ein letztes Wochenende in Camp David
Hinter den Kulissen aber rumort die Bush-Maschine weiter. Bushs Ministerien haben in den letzten Tagen und Wochen schnell noch Dutzende Vorschriften, Bestimmungen und Regulierungen erlassen, die alle noch bis zum Moment der Amtseinführung Barack Obamas am Dienstagmittag in Kraft treten können.
Diese "midnight regulations", wie sie wegen ihrer klandestinen Hintertürchen-Art genannt werden, verstecken sich in Abertausenden Aktenseiten im Federal Register, dem zentralen Dokumentenarchiv der US-Regierung. Die meisten der Vorschriften, von denen die Amerikaner wenig mitbekommen, verankern Bushs erzkonservative Politik auf lange Sicht - per regulatorischem Rechtsruck, der den Umwelt- und Verbraucherschutz schwächt, die Industrie beglückt und in Gesetzesform nie und nimmer durch den Kongress gekommen wäre.
Gut, Bush ist nicht der Erste. Auch viele seiner Vorgänger haben dieses Schlupfloch kurz vor Toresschluss genutzt, um sich doch noch hintenrum zu verewigen, mal dezent, mal weniger dezent. "In Bushs Fall", klagt die "New York Times" aber, "ist das eine Abrissbirne." Zumal diese Spätzügler-Bestimmungen nur schwer wieder rückgängig zu machen sind - das dürfte Monate, wenn nicht Jahre dauern.
Von Hochseefischerei bis Abtreibung - mehr als hundert Vorschriften
Zum Beispiel die Vorschrift RIN 1004–AD90, erlassen durch das Bureau of Land Management, einer Behörde des US-Innenministeriums, die das öffentliche Land verwaltet. Darin wird die Exploration und Förderung von Ölschiefer im amerikanischen Westen erleichtert, etwa entlang des Green Rivers mit seinen spektakulären Canyons in Colorado, Utah und Wyoming, unter denen das weltgrößte Reservoir für Fossilbrennstoffe schlummert.
Das 75-seitige Regelwerk erlaubt es erstmals, staatliches Land "zur Förderung von Ölschiefer und Teersand" an Energiekonzerne zu verpachten. Nicht nur Umweltgruppen haben dagegen heftig protestiert. Sondern auch Colorados demokratischer Gouverneur Bill Ritter und die Kongressdelegation des Staates.
Die Vorschrift - die das Innenministerium zwei Wochen nach Obamas Wahl formulierte - sei "unverantwortlich", kritisierte Ritter. "Zu viele Fragen nach den Folgen für Umwelt, Wirtschaft und unsere Kommunen bleiben darin unbeantwortet." Nichtsdestotrotz traten die Bestimmungen am Samstag offiziell in Kraft.
Insgesamt hat Bush seinem Nachfolger mehr als hundert solcher Vorschriften untergejubelt, verstreut auf 16 Ministerien und Ämter. Sie decken ein breites Spektrum ab (Umwelt, Industrie, Terrorschutz, Bürgerrechte, Soziales) und regulieren Fragen, die sich tief durchs Alltagsleben der Amerikaner ziehen: Schadstoffe, Trinkwasser, Hochseefischerei, Bodenschatzabbau, Krankenversicherung, Immobilienhandel, Abtreibung, Kfz-Sicherheit.
Im Zweifel pro Industrie
Die vom Weißen Haus abgesegneten Bestimmungen haben die gleiche Kraft wie Gesetze, ohne aber von der Legislative abgesegnet zu sein. Manche interpretieren bestehende Gesetze um. Andere schaffen völlig neue Gegebenheiten, da der in den vergangenen Monaten durch die Wahlen und die massiven Finanzpakete abgelenkte Kongress der Exekutive dazu eher freie Hand gelassen hat.
Gemeinsamer Nenner aller Vorschriften: Sie deregulieren die Industrie - oft zu Lasten der Bürger. "Sie wollen, dass diese Regeln noch wirksam sind, lange nachdem sie aus dem Amt geschieden sind", kritisierte die Watchdog-Gruppe OMB Watch die heimliche Eile der Bush-Regierung. "Es ist falsch, es ist antidemokratisch", schimpft der Bush-kritische Aktivist und Dokumentarfilmer Robert Greenwald. "Doch traurigerweise ist es legal."
Fast Track für Todeskandidaten
Das Weiße Haus ficht die Kritik nicht an. "Ja, wir ziehen es vor, dass unsere Regulierungen lange Zeit Bestand haben", sagt Sprecher Tony Fratto. "Sie sind gut durchdacht und im besten Interesse der Nation erwogen."
Darüber kann man streiten - insbesondere bei den Beschlüssen zu Umweltfragen, die die alte, harte Bush-Linie zementieren. Zum Beispiel eine Vorschrift der Umweltbehörde EPA, die den Clean Air Act abschwächt, das Gesetz zur Luftreinhaltung. Darin werden fortan einige Betriebe von der Verpflichtung freigestellt, "flüchtige Emissionen" (Schadstoffe, die nicht über reguläre Wege wie Schornsteine in die Luft geraten, sondern durch Lecks) zu messen und notfalls teure Schutzvorrichtungen zu installieren. Die Vorschrift tritt am Dienstag in Kraft, dem letzten Amtsmorgen Bushs.
"So wenig Zeit, so viel Schaden"
Eine weitere EPA-Regelung erweitert die Liste der Giftmüllstoffe, die in Brennstoff umgewandelt werden dürfen. Bisher sind das rund 13.000 Tonnen pro Jahr, nach der neuen Vorschrift dürfen es fast zehnmal so viel sein.
Außerdem schränkte die scheidende Regierung eben schnell noch die Definition "befahrbarer Binnengewässer" ein, in die kein Öl geleitet werden darf, gab grünes Licht für neuen Uranabbau am Grand Canyon und verdoppelte die Waldfläche im Staate Oregon, die abgeholzt werden darf.
Doch nicht nur die Umwelt leidet. Vorschrift RIN 2126-AB14 des US-Verkehrsministeriums erneuert eine umstrittene Regelung, wonach Lkw-Fahrer elf Stunden am Stück und maximal 14 Stunden am Tag hinter dem Steuer sitzen dürfen. Verbrauchergruppen und Gerichte haben diese Vorschrift kritisiert, weil sie es den Speditionskonzernen erlaube, Trucker trotz Übermüdung auf die Straße zu zwingen.
Andere Vorschriften heben das Waffenverbot in einigen Nationalparks auf, erschweren den Schutz von Fabrikarbeitern vor Chemikalien und Giften, erhöhen den gefährlichen Gasdruck in Pipelines. "So wenig Zeit, so viel Schaden", kommentierte die "New York Times" resigniert.
"Wir haben die Nase voll"
Das Justizministerium gab sich selbst, gegen den Protest von Bürgerrechtlern, größeren Spielraum bei der Überwachung von E-Mails, Internet-Aktivitäten und Mobiltelefonen. Auch verkürzte es die Berufungsfristen für Kapitalverbrechen - eine Maßnahme, die vor allem Todeskandidaten betrifft: Die sollen nun per "Fast-Track-Verfahren" ("Independent") ihrer Hinrichtung zugeführt werden können.
Das Gesundheitsministerium sorgte derweil dafür, dass staatliche Einrichtungen und Ärzte Abtreibungen aus "moralischen Einwänden" ablehnen können. Mit einer weiteren Vorschrift kürzte es die Beträge zur Krankenversorgung. "Die Aufhebung dieser Regelung sollte einer der ersten Tagesordnungspunkte für die Obama-Regierung sein", sagte der demokratische Abgeordnete Henry Waxman.
Doch so einfach ist das nicht. Es ist schwierig und extrem langwierig, "midnight regulations" wieder rückgängig zu machen. Dazu muss die neue Regierung zunächst pro forma öffentliche Bürgerkommentare einholen - allein das dauert meist Monate - und eine "begründete Analyse" erstellen. Eine andere Option wäre, dass der Kongress eingreift, per Gesetzeszusätzen oder explizit missbilligenden Resolutionen.
Obama hat im Weißen Haus eine eigene Abteilung damit betraut, alle Bush-Vorschriften zu prüfen. Auch Nancy Pelosi, Sprecherin des Repräsentantenhauses, will mit "allen uns verfügbaren Kontrollmitteln" verhindern, dass "die abtretende Regierung dem Gesetz in letzter Minute schweren Schaden zufügt". Senatorin Barbara Boxer schwor: "Wir werden tun, was nötig ist. Wir haben die Nase voll."
Doch das haben auch frühere Regierungen schon gelobigt - und dann wenig erreicht. Bill Clinton schaffte es 2001 zum Beispiel, seinem Nachfolger Bush mehr als 26.000 Seiten an "midnight regulations" zu hinterlassen. Der Großteil davon hat bis heute Bestand.
Diese "midnight regulations", wie sie wegen ihrer klandestinen Hintertürchen-Art genannt werden, verstecken sich in Abertausenden Aktenseiten im Federal Register, dem zentralen Dokumentenarchiv der US-Regierung. Die meisten der Vorschriften, von denen die Amerikaner wenig mitbekommen, verankern Bushs erzkonservative Politik auf lange Sicht - per regulatorischem Rechtsruck, der den Umwelt- und Verbraucherschutz schwächt, die Industrie beglückt und in Gesetzesform nie und nimmer durch den Kongress gekommen wäre.
Gut, Bush ist nicht der Erste. Auch viele seiner Vorgänger haben dieses Schlupfloch kurz vor Toresschluss genutzt, um sich doch noch hintenrum zu verewigen, mal dezent, mal weniger dezent. "In Bushs Fall", klagt die "New York Times" aber, "ist das eine Abrissbirne." Zumal diese Spätzügler-Bestimmungen nur schwer wieder rückgängig zu machen sind - das dürfte Monate, wenn nicht Jahre dauern.
Von Hochseefischerei bis Abtreibung - mehr als hundert Vorschriften
Zum Beispiel die Vorschrift RIN 1004–AD90, erlassen durch das Bureau of Land Management, einer Behörde des US-Innenministeriums, die das öffentliche Land verwaltet. Darin wird die Exploration und Förderung von Ölschiefer im amerikanischen Westen erleichtert, etwa entlang des Green Rivers mit seinen spektakulären Canyons in Colorado, Utah und Wyoming, unter denen das weltgrößte Reservoir für Fossilbrennstoffe schlummert.
Das 75-seitige Regelwerk erlaubt es erstmals, staatliches Land "zur Förderung von Ölschiefer und Teersand" an Energiekonzerne zu verpachten. Nicht nur Umweltgruppen haben dagegen heftig protestiert. Sondern auch Colorados demokratischer Gouverneur Bill Ritter und die Kongressdelegation des Staates.
Die Vorschrift - die das Innenministerium zwei Wochen nach Obamas Wahl formulierte - sei "unverantwortlich", kritisierte Ritter. "Zu viele Fragen nach den Folgen für Umwelt, Wirtschaft und unsere Kommunen bleiben darin unbeantwortet." Nichtsdestotrotz traten die Bestimmungen am Samstag offiziell in Kraft.
Insgesamt hat Bush seinem Nachfolger mehr als hundert solcher Vorschriften untergejubelt, verstreut auf 16 Ministerien und Ämter. Sie decken ein breites Spektrum ab (Umwelt, Industrie, Terrorschutz, Bürgerrechte, Soziales) und regulieren Fragen, die sich tief durchs Alltagsleben der Amerikaner ziehen: Schadstoffe, Trinkwasser, Hochseefischerei, Bodenschatzabbau, Krankenversicherung, Immobilienhandel, Abtreibung, Kfz-Sicherheit.
Im Zweifel pro Industrie
Die vom Weißen Haus abgesegneten Bestimmungen haben die gleiche Kraft wie Gesetze, ohne aber von der Legislative abgesegnet zu sein. Manche interpretieren bestehende Gesetze um. Andere schaffen völlig neue Gegebenheiten, da der in den vergangenen Monaten durch die Wahlen und die massiven Finanzpakete abgelenkte Kongress der Exekutive dazu eher freie Hand gelassen hat.
Gemeinsamer Nenner aller Vorschriften: Sie deregulieren die Industrie - oft zu Lasten der Bürger. "Sie wollen, dass diese Regeln noch wirksam sind, lange nachdem sie aus dem Amt geschieden sind", kritisierte die Watchdog-Gruppe OMB Watch die heimliche Eile der Bush-Regierung. "Es ist falsch, es ist antidemokratisch", schimpft der Bush-kritische Aktivist und Dokumentarfilmer Robert Greenwald. "Doch traurigerweise ist es legal."
Fast Track für Todeskandidaten
Das Weiße Haus ficht die Kritik nicht an. "Ja, wir ziehen es vor, dass unsere Regulierungen lange Zeit Bestand haben", sagt Sprecher Tony Fratto. "Sie sind gut durchdacht und im besten Interesse der Nation erwogen."
Darüber kann man streiten - insbesondere bei den Beschlüssen zu Umweltfragen, die die alte, harte Bush-Linie zementieren. Zum Beispiel eine Vorschrift der Umweltbehörde EPA, die den Clean Air Act abschwächt, das Gesetz zur Luftreinhaltung. Darin werden fortan einige Betriebe von der Verpflichtung freigestellt, "flüchtige Emissionen" (Schadstoffe, die nicht über reguläre Wege wie Schornsteine in die Luft geraten, sondern durch Lecks) zu messen und notfalls teure Schutzvorrichtungen zu installieren. Die Vorschrift tritt am Dienstag in Kraft, dem letzten Amtsmorgen Bushs.
"So wenig Zeit, so viel Schaden"
Eine weitere EPA-Regelung erweitert die Liste der Giftmüllstoffe, die in Brennstoff umgewandelt werden dürfen. Bisher sind das rund 13.000 Tonnen pro Jahr, nach der neuen Vorschrift dürfen es fast zehnmal so viel sein.
Außerdem schränkte die scheidende Regierung eben schnell noch die Definition "befahrbarer Binnengewässer" ein, in die kein Öl geleitet werden darf, gab grünes Licht für neuen Uranabbau am Grand Canyon und verdoppelte die Waldfläche im Staate Oregon, die abgeholzt werden darf.
Doch nicht nur die Umwelt leidet. Vorschrift RIN 2126-AB14 des US-Verkehrsministeriums erneuert eine umstrittene Regelung, wonach Lkw-Fahrer elf Stunden am Stück und maximal 14 Stunden am Tag hinter dem Steuer sitzen dürfen. Verbrauchergruppen und Gerichte haben diese Vorschrift kritisiert, weil sie es den Speditionskonzernen erlaube, Trucker trotz Übermüdung auf die Straße zu zwingen.
Andere Vorschriften heben das Waffenverbot in einigen Nationalparks auf, erschweren den Schutz von Fabrikarbeitern vor Chemikalien und Giften, erhöhen den gefährlichen Gasdruck in Pipelines. "So wenig Zeit, so viel Schaden", kommentierte die "New York Times" resigniert.
"Wir haben die Nase voll"
Das Justizministerium gab sich selbst, gegen den Protest von Bürgerrechtlern, größeren Spielraum bei der Überwachung von E-Mails, Internet-Aktivitäten und Mobiltelefonen. Auch verkürzte es die Berufungsfristen für Kapitalverbrechen - eine Maßnahme, die vor allem Todeskandidaten betrifft: Die sollen nun per "Fast-Track-Verfahren" ("Independent") ihrer Hinrichtung zugeführt werden können.
Das Gesundheitsministerium sorgte derweil dafür, dass staatliche Einrichtungen und Ärzte Abtreibungen aus "moralischen Einwänden" ablehnen können. Mit einer weiteren Vorschrift kürzte es die Beträge zur Krankenversorgung. "Die Aufhebung dieser Regelung sollte einer der ersten Tagesordnungspunkte für die Obama-Regierung sein", sagte der demokratische Abgeordnete Henry Waxman.
Doch so einfach ist das nicht. Es ist schwierig und extrem langwierig, "midnight regulations" wieder rückgängig zu machen. Dazu muss die neue Regierung zunächst pro forma öffentliche Bürgerkommentare einholen - allein das dauert meist Monate - und eine "begründete Analyse" erstellen. Eine andere Option wäre, dass der Kongress eingreift, per Gesetzeszusätzen oder explizit missbilligenden Resolutionen.
Obama hat im Weißen Haus eine eigene Abteilung damit betraut, alle Bush-Vorschriften zu prüfen. Auch Nancy Pelosi, Sprecherin des Repräsentantenhauses, will mit "allen uns verfügbaren Kontrollmitteln" verhindern, dass "die abtretende Regierung dem Gesetz in letzter Minute schweren Schaden zufügt". Senatorin Barbara Boxer schwor: "Wir werden tun, was nötig ist. Wir haben die Nase voll."
Doch das haben auch frühere Regierungen schon gelobigt - und dann wenig erreicht. Bill Clinton schaffte es 2001 zum Beispiel, seinem Nachfolger Bush mehr als 26.000 Seiten an "midnight regulations" zu hinterlassen. Der Großteil davon hat bis heute Bestand.
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