Freitag, 16. Januar 2009

DER KRIEG GEGEN DIE JUDEN

Robert Kurz

Warum sich die globale Öffentlichkeit in der ökonomischen Krise gegen Israel wendet

Die politischen Reaktionen auf den Krieg in Gaza zeigen, dass Israel umso weniger Freunde hat, je bedrohlicher seine militärische Lage wird. Im Verhältnis der Kräfte findet eine tektonische Verschiebung statt. Schon immer ging es im Nahen Osten nicht um einen begrenzten Streit von regionalen Interessen, sondern um einen exemplarischen und ideologisch aufgeladenen Stellvertreter-Konflikt. In der Epoche des Kalten Krieges galt die Auseinandersetzung zwischen Israel und Palästina als Paradigma für den Gegensatz von westlichem Imperialismus unter Führung der USA und einem „antiimperialistischen“ Lager, um dessen Führung die Sowjetunion und China konkurrierten. Die Propaganda beider Seiten ignorierte dabei den Doppelcharakter des Staates Israel, der einerseits ein gewöhnlicher moderner Staat im Rahmen des Weltmarkts ist, andererseits aber eine Antwort der Juden auf die eliminatorische Ausgrenzungsideologie des europäischen und insbesondere des deutschen Antisemitismus. Israel wurde subsumiert unter eine weltpolitische Konstellation, in der es nie aufging.

Nach dem Zusammenbruch des Staatssozialismus und der „nationalen Befreiungsbewegungen“, die ein Programm „nachholender Entwicklung“ auf Basis des Weltmarkts formuliert hatten, veränderte sich der Charakter des Stellvertreter-Konflikts grundsätzlich. An die Stelle der säkularen Entwicklungsregimes trat im Nahen Osten und darüber hinaus der sogenannte Islamismus, der nur scheinbar als traditionelle religiöse Bewegung firmiert. Tatsächlich handelt es sich um eine postmoderne kulturalistische Krisenideologie eines Teils der längst verwestlichten Eliten in den islamischen Ländern, die das autoritäre Potential der Postmoderne repräsentieren und den gänzlich unislamischen europäischen Antisemitismus aufgesogen haben. Die am Weltmarkt gescheiterten Segmente des Kapitals in dieser Region erklärten den Krieg gegen die Juden zum exemplarischen Kampf gegen die westliche Vorherrschaft. Umgekehrt machte der westliche Krisenimperialismus mit den USA an der Spitze den Islamismus zum neuen Hauptfeind, nachdem er ihn zuvor im Kalten Krieg gepäppelt und mit Waffen versorgt hatte.

Diese neue Konstellation führte zu ideologischen Verwerfungen ungeahnten Ausmaßes. Der Neoliberalismus schien sich mit dem kapitalistischen Weltordnungskrieg gegen die „zerfallenden Staaten“ in den Krisenregionen und im Nahen Osten mit Israel zu identifizieren. Neofaschistische Strömungen in aller Welt gehen seither mit dem antisemitischen islamistischen „Widerstandskampf“ konform, obwohl sie gleichzeitig rassistische Stimmungen gegen Migranten aus den islamischen Ländern schüren. Auch große Teile der globalen Linken begannen umstandslos die Glorifizierung des alten „Antiimperialismus“ auf die islamistischen Bewegungen und Regimes zu übertragen. Das kann nur als ideologische Verwahrlosung gekennzeichnet werden, denn der Islamismus steht gegen alles, wofür die Linke jemals eingetreten ist; er verfolgt jedes marxistische Denken mit gnadenloser Unterdrückung und Folter, er stellt Homosexualität unter Todesstrafe und behandelt die Frauen als Menschen zweiter Klasse. Auch dafür ist keine traditionelle Religion verantwortlich, sondern eine kulturalistisch eingefärbte Militanz des kapitalistischen Patriarchats in der Krise, die sich auf andere Weise auch im Westen bemerkbar macht. Die unheilige Allianz des „sozialistischen“ Caudillismus eines Chavez mit dem Islamismus stellt nur die weltpolitische Ratifizierung dieses ideologischen Verfalls dar, die keine emanzipatorische Perspektive hat.

Seit dem historisch beispiellosen Finanzkrach im Herbst 2008 dreht sich die globale Konstellation abermals. Jetzt wird deutlich, dass der Zusammenbruch des Staatssozialismus und der nationalen Entwicklungsregimes nur der Vorschein einer großen Krise des Weltmarkts war. Der Neoliberalismus hat abgewirtschaftet und der kapitalistische Weltordnungskrieg wird unfinanzierbar. In dieser Situation zeigt sich, dass Israel immer nur ein Bauer auf dem Schachbrett des globalen Krisenimperialismus war. Schon die Bush-Administration hatte zuletzt das iranische Atomwaffenprogramm verharmlost. Die Interessen der USA und Israels treten auseinander; Obama hat keinen politisch-militärischen Spielraum mehr. Der islamistische Krieg gegen die Juden wird in Kauf genommen. Deshalb erscheinen die Raketenangriffe der Hamas auf die israelische Zivilbevölkerung als unwesentlich; die globale Öffentlichkeit bezeichnet den Gegenangriff überwiegend als „unverhältnismäßig“. Die Palästinenser in Gaza werden als Opfer mit der Hamas identifiziert, als hätte sich dieses Regime nicht in einem blutigen Bürgerkrieg gegen die säkulare Fatah durchgesetzt.

So fällt die islamistische Propaganda vom Massaker an der Zivilbevölkerung auf fruchtbaren Boden. Tatsächlich nimmt die Hamas genau wie die libanesische Hisbollah 2006 die Bevölkerung als Geisel, indem sie Moscheen in Waffenlager verwandelt und ihre bewaffneten Kader aus Schulen oder Kliniken heraus feuern lässt. Die Weltmeinung übergeht das, weil sie die Hamas bereits als „Ordnungsmacht“ in der sozialen Krise anerkannt hat. Deshalb wendet sich der kapitalistische Pragmatismus bis in die liberale bürgerliche Presse hinein zunehmend gegen die israelische Selbstverteidigung. Das ist überhaupt das Geheimnis der neo-etatistischen Wende im Absturz der globalen Ökonomie: Die verelendeten Massen sollen autoritär befriedet werden; und dafür ist jetzt sogar der Islamismus recht, zumal wenn er sich formal demokratisch legitimieren kann. Auch eine Linke, die kein sozialistisches Ziel mehr hat und sich des postmodernen „Verlusts aller Gewissheiten“ brüstet, droht in der autoritären Krisenverwaltung aufzugehen und als ideologische Flankierung den islamistischen Krieg gegen die Juden hinzunehmen. Der Stellvertreter-Konflikt hat eine soziale Dimension auf globaler Ebene erreicht. Gegen den ideologischen Mainstream muss festgestellt werden, dass die Vernichtung von Hamas und Hisbollah eine elementare Bedingung nicht nur für einen prekären kapitalistischen Frieden in Palästina ist, sondern auch für eine Verbesserung der sozialen Verhältnisse. Wenn die Chancen dafür schlecht stehen, stehen sie gut für den Zerfall der Weltgesellschaft in die Barbarisierung.

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