Donnerstag, 30. Juli 2009

Müllmann nahm Kinderbett mit: Kündigung unwirksam

Die fristlose Entlassung eines Müllmanns, der vom Sperrmüll ein Kinderbett mitgenommen hatte, ist unwirksam. Das entschied das Arbeitsgericht Mannheim.

Die fristlose Entlassung war Arbeitsgericht unverhältnismäßig.

Im Streit um ein mitgenommenes Kinderbett hat ein Gericht die Kündigung eines Müllmanns für unwirksam erklärt. Das Verhalten des Mitarbeiters einer Entsorgungsfirma sei zwar nicht korrekt gewesen, betonte das Arbeitsgericht Mannheim am Donnerstag. Die fristlose Kündigung sei aber unverhältnismäßig.

Nach dem Urteil muss der 29-Jährige weiter bei der Entsorgungsfirma beschäftigt werden. Ihm war im Dezember 2008 fristlos gekündigt worden, weil er vor den Augen seiner Kollegen ein Kinderreisebett aus dem Müll mit nach Hause genommen hatte. Nach Ansicht seines Arbeitgebers war dies ein Diebstahl, der eine Kündigung nach sich ziehen muss.

Zuvor hatte die Vorsitzende Richterin Sima Maali-Faggin versucht, das Entsorgungsunternehmen und Mehmet G. zu einem Vergleich zu bewegen. Ihr Vorschlag: Die fristlose Kündigung solle in eine ordentliche umgewandelt werden und der Mann eine Abfindung in Höhe von zwei Monatsgehältern erhalten. Mehmet G. hatte neun Jahre lang für die Mannheimer Firma gearbeitet und verdiente rund 2650 Euro brutto. Einen solchen Vergleich lehnte das Entsorgungsunternehmen jedoch ab.

Montag, 27. Juli 2009

Ein paar merkwürdige Details

Gesundheitsministerin in Erklärungsnot

Ein paar merkwürdige Details

Im Spanien wurde der Dienstwagen von Gesundheitsministerin Ulla S. (SPD) geklaut. Sie versucht nun nachzuweisen, dass ihre Reise auch dienstliche Anlässe hatte.

VON R. BOLLMANN, H. GERSMANN, F. LEE

Muss sich neuen Dienstwagen suchen: Ulla S.

Die Rechtslage ist eindeutig. "Mitgliedern der Bundesregierung werden Dienstkraftfahrzeuge zur alleinigen und uneingeschränkten Nutzung zugeteilt", heißt es in den "Richtlinien für die Nutzung von Dienstkraftfahrzeugen in der Bundesverwaltung", die das Kabinett von CDU/CSU und FDP am 9. Juni 1993 beschloss - und weiter: "Mitglieder der Bundesregierung haben für Privatfahrten in personengebundenen Dienstkraftfahrzeugen kein Entgelt zu entrichten."

Seit der Dienstwagen von Bundesgesundheitsministerin Ulla S. (SPD) in deren Spanienurlaub durch Diebstahl abhanden kam, gibt es auf der Agenda des politischen Berlin offenbar kein wichtigeres Thema mehr. Dass die Kassenärzte, die monatelang publikumswirksam über Honorarschwund klagten, in Wahrheit ein Plus von etwa 8 Prozent kassierten - das interessierte im Vergleich weit weniger. Kein Wunder, dass Ärztevertreter die Autodebatte mit scharfen Statements befeuerten. Dabei ließe sich umgekehrt auch über die Rolle der Ministerin bei dem üppigen Wahlgeschenk für die undankbaren Mediziner diskutieren.

Nun also der Dienstwagen, bei dem es in der Tat ein paar Merkwürdigkeiten gibt. Dazu zählt zunächst die Beflissenheit, mit der die Ministerin den dienstlichen Anlass der Autobenutzung zu belegen sucht. Ein Empfang bei der Bürgermeisterin von Denia, eine Diskussion mit deutschen Residenten über ihre Rechte im spanischen Gesundheitswesen am Montag im Kulturhaus des Ortes Els Poblets - das klingt eher nach einem Vorwand wie etwa bei jenen Journalisten, die einen kleinen Beitrag für den Reiseteil ihrer Zeitung schreiben, damit sie den gesamten Sommerurlaub als Dienstreise von der Steuer absetzen können.

Dabei sind die Kriterien für die Wirtschaftlichkeit des Dienstwageneinsatzes bei beruflichen Anlässen sogar strikter als bei privaten. Durch die Benutzung des Gefährts muss Zeit gewonnen oder Geld gespart werden. Die Mehrkosten müssen "in einem vertretbaren Verhältnis zur Dringlichkeit des Dienstgeschäfts" stehen. Für Privatfahrten gilt das nicht.

Der entscheidende Unterschied liegt in der Besteuerung. Beordert die Ministerin den Wagen aus dienstlichen Gründen nach Spanien, interessiert sich das Finanzamt dafür nicht. Fährt sie mit dem Auto hingegen privat, ist die kostenfreie Nutzung des Gefährts ein geldwerter Vorteil. Die Steuerbeamten sehen darin ein Zusatzeinkommen, das ihr der Arbeitgeber gewährt und den sie versteuern muss wie jeder andere Beschäftigte auch, der privat einen Dienstwagen benutzt.

Dafür gibt es zwei Möglichkeiten, zwischen denen die Ministerin frei wählen kann. Entweder führt sie ein Fahrtenbuch und versteuert für jeden privat veranlassten Kilometer einen Betrag von 30 Cent, oder sie veranschlagt pauschal zwölf Prozent des Kaufpreises pro Jahr. Letzteres lohnt sich bei den sehr teuren Ministeriumskarossen kaum. Die gepanzerten Karossen, mit denen einige von Schmidts Kollegen unterwegs sind, kosten rund 300.000 Euro. Zu versteuern wären dann 36.000 Euro im Jahr. Diese Summe kommt zum Ministergehalt noch hinzu, so dass in der Regel der Spitzensteuersatz fällig wäre - astronomische 16.000 Euro sind dann theoretisch zu entrichten.

Mit der Kilometerpauschale fahren die Minister deutlich günstiger. Nach Ministeriumsangaben hat Ulla S. im vorigen Jahr 6.111 Kilometer an privater Nutzung abgerechnet. Sie musste also 1.833 Euro versteuern - und zahlt demnach rund 800 Euro an das Finanzamt. Ob die Ministerin, die ihren Urlaub regelmäßig in Spanien verbringt, auch in früheren Jahren ihren Dienstwagen mitbrachte und wie sie diese Fahrten abgerechnet hat, war am Montag nicht mehr zu klären.

Eine Umfrage unter den Bundesministerien ergab, dass in der Regel nur PolitikerInnen der höchsten Sicherheitsstufe den Dienstwagen im Urlaub nutzen - weil es für sie schlichtweg keine Alternative zur gepanzerten Limousine gibt. Zu dieser Gruppe zählen Kanzlerin Angela M. (CDU), ihr Stellvertreter Frank-Walter S. (SPD), Innenminister Wolfgang S. (CDU) und Verteidigungsminister Franz-Josef J. (CDU). Versteuern müssen sie diese Fahrten trotzdem - auch wenn sie sich den Hochsicherheitstransport, der wegen ihres Berufs nötig ist, privat gar nicht wünschen.

Die übrigen Kabinettsmitglieder lassen den Dienstwagen während des Urlaubs in Berlin - in der Regel schon deshalb, weil ein Urlaub im Beisein von Fahrern und Sicherheitsbeamten nicht die reinste Entspannung ist. Einzig die Sprecherin von Entwicklungshilfeministerin Heidemarie WZ. gab am Montag an, ihre Chefin lasse sich per Dienstwagen in den innerdeutschen Urlaub fahren und auch wieder abholen. Zwischendurch nutze sie das Fahrzeug in den Ferien aber nicht.

Welche Gefährdungsstufe für die Gesundheitsministerin gilt, wollte am Montag niemand sagen. "Der wirksamste Personenschutz ist der, über den man nicht spricht", sagte ein Sprecher des Innenministeriums nur. SPD-Generalsekretär Hubertus H. gab hingegen nach einer Telefonkonferenz des Parteipräsidiums an, bei der Entscheidung für den Wagen hätten "Sicherheitsaspekte" eine Rolle spielt.

Auch wenn die Gesundheitsministerin nicht als hoch gefährdet gilt wie etwa die Bundeskanzlerin, der Verteidigungs-, der Außen- und der Innenminister, ist ein gewisses Risiko für ihre Person nicht völlig auszuschließen. Nachdem die Bild-Zeitung Anfang 2004 nach Inkrafttreten der Gesundheitsreform getitelt hatte: "Frau Ministerin, Sie machen uns krank", hagelte es Schmäh- und Drohbriefe. Das Bundeskriminalamt hatte damals prüfen müssen, ob für die Ministerin eine konkrete Gefahr besteht, nachdem ihr geschrieben wurde, dass sie "in die Gaskammer" gehöre.

Verbal unter Beschuss steht sie auch jetzt immer wieder, wie ihre Sprecherin mitteilte. Zwar fühle sie sich nicht grundsätzlich ständig bedroht. Doch sei auch klar, dass der Job als Gesundheitsministerin mit viel mehr Emotionen verbunden sei als andere Ministerposten.

Siedlerrekord stürzt Netanjahu in Erklärungsnöte

Ulrike Putz, Beirut

Eine Meldung, die Israel ungelegen kommt: Die Zahl jüdischer Siedler auf palästinensischem Gebiet hat einen neuen Rekordwert erreicht. Dabei haben die hochkarätigen Gäste, die gerade aus den USA anreisen, genau diese Siedlungen als größtes Hindernis im Friedensprozess ausgemacht.

Es war nur eine kleine, alltägliche Meldung, eine, die es gewöhnlich nie in internationale Medien schaffen würde: Die Organisation "Gläubige des Landes Israel" kündigte am Samstag an, in der folgenden Nacht elf neue Außenposten von Siedlungen im besetzten Westjordanland bauen zu wollen. Nur durch die Besiedlung des palästinensischen Gebiets durch Juden könne der Staat Israel auf den "Pfad der Unabhängigkeit, des Wachstums und des Aufbaus" zurückgeführt werden, so die Organisation.

US-Präsident Obama mit Israels Regierungschef Netanjahu: Möglichst große Gegenleistung herauszuhandeln
Die Aktion passt ins Programm der "Gläubigen": Deren zentrales Ziel ist es, den Tempelberg in Jerusalem von "arabischer, islamischer Besatzung" zu befreien, um dort anschließend den zerstörten biblischen Tempel wiederzuerrichten.

Ein paar Radikale, die im Schutz der Dunkelheit ein, zwei Wohncontainer auf den Hügelkuppen eines für sie heiligen Landes aufstellen: Das Problem der israelischen Siedlungspolitik reduziert sich oft auf sehr banale Ereignisse. Sie wären kaum der Rede wert, addierten sie sich nicht: Nach neueste Zahlen der Zivilverwaltung der israelischen Armee ist die Zahl der Siedler außerhalb israelischen Kerngebiets erneut gewachsen - auf die Rekordzahl von 304 569.

Bis Ende Juni sei die Zahl der Siedler in diesem Jahr damit erneut um 2,3 Prozent gestiegen, zitiert die israelische Tageszeitung "Haaretz" heute aus dem Report. Auffällig sei, dass die kleinen, isolierten Siedlungen doppelt so stark angewachsen sind wie die nahe dem israelischen Kernland gelegenen Schlafstädte für Pendler, die in Jerusalem oder Tel Aviv arbeiten. Das Fazit: Wer heute ins Westjordanland zieht, ist zumeist ideologisch-religiös motiviert, so muss man den Report interpretieren.

Nahost-Frieden ist Top-Priorität von Barack Obama

Die Zahlen des Reports sind zu einem für Israel ungünstigen Zeitpunkt an die Öffentlichkeit gelangt: In dieser Woche geben sich gleich vier hochrangige US-Politiker in Jerusalem die Klinke in die Hand. Im Mittelpunkt aller Gespräche zwischen den Amerikanern und ihren israelischen Gastgebern stehen dabei zwei Themen: das iranische Atom-Programm und eben jene Siedlungen, von denen nun bekannt wurde, dass sie entgegen dem ausdrücklichen Wunsch der USA weiter wachsen.

Am Montag traf US-Verteidigungsminister Robert Gates in Israel ein. Bei seinem eintägigen Besuch sollte er unter anderem seinen israelischen Kollegen Ehud Barak und Regierungschef Benjamin Netanjahu treffen. Am Sonntag hatte sich bereits der US-Sondergesandte für den Nahen Osten, George Mitchell, mit Barak getroffen. Zuvor hatte er in Damaskus mit dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad konferiert, von Tel Aviv aus flog er weiter nach Kairo, wollte dann wieder retour nach Tel Aviv: Klassische Pendeldiplomatie, die unterstreichen soll, wie ernst es den USA mit den Friedensprozess im Nahen Osten ist. Eine Friedenslösung zähle zu den "Top-Prioritäten" von US-Präsident Barack Obama, sagte Mitchell nach einem Treffen mit dem ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak vor Journalisten.

In den kommenden Tagen werden auch US-Sicherheitsberater James Jones und der Sondergesandte für den Iran, Dennis Ross, in Jerusalem erwartet.

"Ernste Krise" zwischen Jerusalem und Washington

Washington hat in den vergangenen Wochen keinen Zweifel daran gelassen, dass es in der israelischen Siedlungspolitik das erste, vielleicht gar das größte Hindernis im Friedensprozess sieht. Dass Jerusalem trotzdem bislang wenig ernsthafte Anstalten gemacht hat, in Sachen Siedlungen einzulenken, hat die Beziehungen der Verbündeten schwer belastet. Israelische Medien - so die Zeitung "Maariv" in ihrer Sonntagsausgabe - sprechen inzwischen offen von einer durch die Siedlungsfrage ausgelöste "ernsten Krise" im Verhältnis Jerusalem-Washington.

Da half es auch nicht, dass Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu den Zwist mit den USA über die Siedlungspolitik herunterspielte. Es sei ganz natürlich, dass man nicht immer in allen Punkten übereinstimme, sagte Netanjahu am Sonntag. Er hoffe, in Gesprächen mit den US-Politikern eine Reihe grundlegender Streitpunkte aus dem Weg zu räumen.

Der Streit zwischen Washington und Jerusalem um den Siedlungsbau in den Palästinensergebieten war jüngst neu entbrannt, als israelische Pläne für die Erweiterung einer jüdischen Siedlung im Osten Jerusalems bekannt wurden. Die Bautätigkeit im Osten der Stadt läuft den Bestrebungen zuwider, das Gebiet in einem künftigen Palästinenserstaat zu dessen Hauptstadt zu machen. Die Europäische Union, Frankreich und Russland und die USA forderten von Israel deshalb einen sofortigen Stopp des Bauprojekts.

Israel will möglichst große Gegenleistung heraushandeln

Angesichts des US-amerikanischen Besucherstroms, der sich diese Woche durch israelische Amtszimmer schiebt, scheint Jerusalem nun seine Taktik ändern zu wollen. Zugeständnisse in Sachen Siedlungsstopp scheinen unvermeidlich, will Israel es sich nicht mit den USA verderben.

Nachdem sich diese Erkenntnis durchgesetzt zu haben scheint, geht es nun darum, eine möglichst große Gegenleistung für ein mögliches israelisches Entgegenkommen herauszuhandeln: Es ist kein Zufall, dass auf der Tagesordnung der amerikanischen Nahost-Reisenden diese Woche jeweils Siedlungenund Iran stehen: Mehrfach haben israelische Medien in der Vergangenheit berichtet, dass Jerusalem mit Washington ins Geschäft kommen möchte. Danach sollen sich die USA dazu verpflichten, Israel in seinem Vorgehen gegen das iranische Atomprogramm zu unterstützen. Im Gegenzug werde Jerusalem eine Kehrwende in seiner Siedlungspolitik hinlegen.

Jerusalem verlangt zudem, dass die arabischen Länder einen Siedlungs-Stopp mit der Normalisierung ihrer jeweiligen Beziehung zu Israel belohnen. Die arabischen Länder haben wiederholt Zustimmung zu diesem - von der arabischen Liga schon 2002 in Beirut vorgeschlagenen - Modell signalisiert, wollen aber erst den Abzug aller Siedler sehen, bevor sie in Verhandlungen über den Normalisierungsprozess einsteigen.

Israel will indes, dass sich die arabischen Staaten auf das Wie und Wann einer gänzlichen Normalisierung festlegen, bevor Jerusalem mit der Räumung der Siedlungen beginnt. Zudem hält Israel bislang an der Fertigstellung bereits begonnener Bauvorhaben im Westjordanland fest. Nach israelischen Plänen sollen große Siedlungen auch nach einem Friedensschluss in jüdischer Hand bleiben und weiter natürlich wachsen dürfen.

Die USA lehnen dies ab und unterstützen stattdessen die "Arabische Friedens-Initiative" von 2002, wie der US-Gesandte Mitchell jetzt erneut betonte.

Am Montag sagte Mitchell in Kairo, zwar wolle er seine arabischen Gesprächspartner dazu ermutigen, ihr Verhältnis zu Israel zu normalisieren, erwarte sich aber keine sofortige "komplette Normalisierung". Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen sei das wünschenswerte "Ergebnis eines Prozesses".

Bisher unterhalten in der Region lediglich Ägypten und Jordanien diplomatische Beziehungen zu Israel.

Sonntag, 26. Juli 2009

Flüchtlinge stürmen Lastwagen

TRAUMZIEL EUROPA

SPIEGEL-TV-Reporter Peter Hell berichtet aus Izmir, Patras und von Samos

Junge Männer springen auf fahrende Lastwagen, verstecken sich im Radkasten oder auf den Achsen - weil sie vom Leben in Deutschland träumen. Über Griechenland und die Türkei drängen Zehntausende in die EU. Die Behörden sind machtlos, die Flüchtlinge zu allem bereit.

Rennen, schnell rennen. In diesem kurzen, entscheidenden Moment der Schnellste sein. Nur darauf kommt es an. Abdullah kann rennen. Er rannte schon vor den Taliban um sein Leben. Dann jagten ihn afghanische Polizisten durch Kabul. Schließlich hetzten ihn Soldaten durch die Wälder südlich von Kusadasi an der türkischen Ägäis-Küste. Allen ist Abdullah davongelaufen.

Jetzt steht er mit seinen Freunden an einer Einfallstraße, die in die westgriechische Hafenstadt Patras führt. Gleich wird er wieder rennen.

Es sind etwa 30 junge Männer - Flüchtlinge. Paschtunen, Tadschiken, Usbeken. Alle kommen aus Afghanistan. Der Jüngste ist 15 Jahre alt. Sie alle wollen nach Italien, nach Deutschland oder England. Irgendwohin, wo man sie aufnimmt. Nur nicht Griechenland. Hier liegt die Anerkennungsquote für Asylsuchende unter einem Prozent. Für die meisten ist Patras lediglich eine Zwischenstation auf ihrer monatelangen Flucht.

"Es geht los", flüstert Abdullah. "Der Laster da vorn, der fährt in den Hafen." Die Männer, die bislang regungslos im Schatten unter einer Palme hockten, springen auf. Ein Lkw mit holländischem Kennzeichen nähert sich der Gruppe. Der Fahrer muss an dieser Stelle etwas langsamer fahren, da die Straße wegen einer Baustelle schmaler ist.

Als der Transporter die Männer passiert, beginnt die Jagd. Die Afghanen sprinten los, rennen, so schnell sie können. Abdullah hat ein Stemmeisen in der Hand, hält es wie einen Staffelstab. Dann erreicht die Gruppe die Ladetür. Der Lastwagen ist langsamer geworden. In Sekundenschnelle setzt Abdullah das Metall an die Verschlussvorrichtung. Ein kurzer Ruck, und die Tür springt auf. Die Männer hangeln sich in den Laderaum. Vier schaffen es, Abdullah ist nicht dabei. "Die Tür", schreit einer, "macht sie zu!" Abdullah hängt sich an die Heckklappe, verschließt sie - und springt bei Tempo 30 ab.

"Manche sitzen im Radkasten, einige liegen auf der Achse"

"Wir haben keine andere Möglichkeit", erzählt Abdullah. "Unsere Situation wird immer schlimmer. Bei uns herrscht Krieg. Die Taliban bringen uns um. Wir sind über Iran geflohen. Jeden Tag versuchen wir, uns in einem Laster zu verstecken, um auf die Fähren nach Italien zu kommen."

Seit drei Monaten ist Abdullah auf der Flucht. Er ist gerade 20 Jahre alt geworden und er hatte wie viele seiner Altersgenossen aus Afghanistan nur die Wahl: Kämpfen - oder Verschwinden. "Entweder du schließt dich den Taliban an, gehst zur Armee oder wirst Polizist. Es gibt keine andere Möglichkeit", sagt er.

Das Hafengelände von Patras ist bewacht wie ein Hochsicherheitstrakt. Messerscharfer Stacheldraht ist auf dem drei Meter hohen Stahlzaun verlegt worden. Hafenpolizei und Militär patrouillieren im Minutentakt. "Ich will dafür sorgen, dass es kein Flüchtling mehr in den Hafen schafft. Das ist mein Job", sagt Athanassios Athanassopoulos, seit November 2008 Kommandant der Hafenpolizei von Patras.

Chaotische Szenen wie im vergangenen Jahr soll es nicht mehr geben. Damals versuchten zeitweise Hunderte Flüchtlinge gleichzeitig, das Hafengelände zu stürmen, um auf eine der Fähren zu gelangen. "Wir kontrollieren jeden Lastwagen vor der Einschiffung", versichert der Kommandant. "Und wir erwischen immer Flüchtlinge, die sich versteckt haben. Manche sitzen im Radkasten, einige liegen auf der Achse, andere verstecken sich unter den Wassermelonen."

Athanassopoulos' Job ist eine Sisyphos-Aufgabe: In der Hochsaison legen täglich bis zu zwölf Fähren nach Italien ab, mehr als 1200 Laster müssen kontrolliert werden. Allein in Patras, so vermuten die Behörden, hielten sich zeitweise mehr als 4000 Flüchtlinge auf: Iraker, Afghanen, Somalis oder Palästinenser. Einige von ihnen hausten in einem provisorischen Lager an der Stadtgrenze von Patras, in Unterkünften aus Plastikplanen, Pappe, Holzplatten. Vor wenigen Wochen machten Bulldozer das Camp, das ausschließlich von Afghanen bewohnt wurde, dem Erdboden gleich. Die Polizei nahm 44 Minderjährige fest, der Großteil der 800 Bewohner konnte sich vor der Räumungsaktion absetzen.

Im Zentrum internationaler Menschenschmuggler

Egal ob Afghanen, Somalier oder Iraker - fast alle landen auf ihrer Flucht irgendwann im türkischen Izmir. Die Hafenstadt an der östlichen Mittelmeerküste gilt seit langem als das operative Zentrum internationaler Menschenschmuggler. Die erste Anlaufadresse der Flüchtlinge liegt im Stadtteil Basmane. Das Viertel ist alt und heruntergekommen. Fliegende Händler preisen brüllend ihre Ware an. Auf kleinen Plastikstühlen spielen alte Männer Dame. Es ist heiß und laut, und die jungen Männer, die in kleinen Grüppchen an Häuserwänden lehnen, fallen nicht auf. Sie warten auf ihre Schlepper, die sie nach Griechenland bringen sollen. Sie warten tagelang, manchmal Wochen. Ein Telefonanruf, ein geheimer Treffpunkt, dann geht es auf ein Boot.

Ahmed wartet seit drei Monaten.

Ahmed sagt, er sei Palästinenser. Die meisten Flüchtlinge aus Nordafrika behaupten das. "Die Marokkaner oder Algerier denken, sie haben so bessere Chancen auf Asyl", sagt Ahmed, der wie seine Kameraden keinen Pass mehr besitzt. Ahmed sagt, er sei aus dem Gaza-Streifen über Ägypten nach Izmir geflohen. "7000 Dollar habe ich bezahlt. Wir wurden auf ein Fischerboot gebracht, das uns nach Griechenland bringen sollte. Stattdessen haben sie uns an der türkischen Küste ausgesetzt. Dann hat uns die Polizei geschnappt." Die Festgenommenen mussten ihre Personalien angeben - und wurden wieder freigelassen: ausgestattet mit einer zweimonatigen Duldung und der Auflage, die Türkei zu verlassen.

Manche der Flüchtlinge haben 5000 Dollar bezahlt, manche 10.000. Woher sie das Geld haben, verraten sie nicht. Nur noch eines will Ahmed über die Schlepper sagen: "Sie verdienen Millionen. Wenn es sein muss, bringen sie auch Menschen um. Die sind gefährlich. Bei der Flucht geht es um Leben oder Tod!"

Ahmed schläft in einer Absteige direkt am Marktplatz von Basmane. Zusammen mit 19 Landsleuten teilt er sich ein 30 Quadratmeter großes Zimmer. Für 2,50 Euro pro Person und Nacht. Die Männer hocken auf ihren Betten. Sie besitzen nur das, was sie am Körper tragen. 1500 Dollar kostet die Flucht auf eine der nahegelegenen griechischen Inseln. Doch Geld hat in diesem Raum kaum noch einer. Sie reden leise, sprechen über ihre Flucht, über Möglichkeiten, nach Europa zu kommen. Dabei fallen immer wieder zwei Wörter: "The Point" - "der Punkt" - liegt in einem Naturschutzgebiet, südlich von Kusadasi. Das Gelände ist gebirgig, dichte Wälder ziehen sich bis an die Küste. Diese Region ist von Sicherheitskräften kaum zu kontrollieren. "Wenn man es bis dorthin geschafft hat, dann sind es nur noch ein paar hundert Meter bis nach Griechenland", erzählt Ismael. "Ich war einmal dort. Dann hat uns das Militär erwischt."

Die Behörden schätzen, dass zurzeit mehr als hunderttausend illegale Einwanderer an der türkischen Küste auf eine Überfahrt nach Europa warten. Ziel der meisten: die griechische Insel Samos, die in Sichtweite der Türkei liegt und an der schmalsten Stelle gerade einmal 1200 Meter entfernt ist. Manche Flüchtlinge versuchen, die Meerenge zu durchschwimmen. Andere werden von Schleppern im Schutze der Nacht in kleine Schlauchboote gesetzt und ihrem Schicksal überlassen. Viele überleben das nicht. 2008 wurden vor der türkischen Küste mehr als 200 Ertrunkene geborgen.

"Wenn die Flüchtlinge uns sehen, schlagen sie Löcher in ihre Boote"

Mehr als zehntausend Somalis, Afghanen, Iraker und Palästinenser haben es im vergangenen Jahr nach Samos geschafft - und damit in die EU. Doch auf der kleinen Insel, gerade mal halb so groß wie Rügen, ist man auf den Ansturm nicht eingestellt. Tag und Nacht patrouillieren Boote der Küstenwache, versuchen, die Außengrenze der EU zu sichern. So weit es geht. "Wir schaffen es kaum noch", sagt ein Polizist, der anonym bleiben möchte. "Wenn die Flüchtlinge uns sehen, schlagen sie Löcher in ihre Boote. Wir müssen sie dann retten und an Bord nehmen. Das ist unser Problem. Es ist dann eine Rettungsaktion und wir können sie nicht in die Türkei zurückschicken."

Die Regierung hat Ende 2007 oberhalb von Samos-Stadt ein primitives Lager errichtet, in Baracken leben mehr als 300 Menschen, vor allem Afrikaner und Araber. Vier Meter hohe Stacheldrahtzäune sollen verhindern, dass die Flüchtlinge ausbrechen. Als das Team von SPIEGEL TV eintrifft, drängen die Menschen an den Gitterzaun. Einige halten ihre Kinder in die Höhe, rufen "Guantanamo" und "Holt uns hier raus!"

Abgeschoben werden können sie nicht - wohin auch. Die Türkei nimmt sie nicht wieder auf und die wenigsten besitzen gültige Papiere. "Wir wollen nach Deutschland", ruft einer. "Ihr habt Menschenrechte und wir wollen dort in Frieden leben." Ein Aufseher drängt die Gefangenen zurück in die Lagermitte. Bilder wie diese sind nicht erwünscht.

Im Hafen von Samos, kurz vor Auslaufen der Fähre nach Piräus, halten zwei Busse. An Bord: 50 Flüchtlinge, die meisten aus Somalia. Zwei Zivilpolizisten befehligen die Menschen in eine Reihe. Dann geht alles sehr schnell. Jeder erhält ein 60-Euro-Ticket für die Schiffspassage Richtung griechisches Festland, dazu eine einmonatige Duldung. Nach zehn Minuten sind alle an Bord.

Auf diese Weise gelangten in den vergangenen Jahren mehr als hunderttausend Menschen nach Athen und Patras. Von dort zieht die Menschenkarawane weiter Richtung Italien, England oder Deutschland. Mit dem Lastwagen, per Boot, zu Fuß.

Nur in die Heimat will keiner zurück.

Sendetermin: Sonntag, 22.10-22.55 Uhr, RTL

Freitag, 24. Juli 2009

Haftbefehl gegen Mörder von Ägypterin wurde erweitert

Rund drei Wochen nach der tödlichen Messerattacke auf eine Ägypterin im Dresdner Landgericht ist der Haftbefehl gegen den Tatverdächtigen erweitert worden. Wie Staatsanwalt Christian Avenarius am Freitag sagte, wird dem 28-Jährigen neben dem Mord an der 31-jährigen Frau nun auch versuchter Mord an deren Ehemann vorgeworfen. Dies habe das Amtsgericht Dresden am Donnerstag auf Antrag der Staatsanwaltschaft entschieden.
Vor dem Dresdner Rathaus klebt ein Foto der erstochenen Ägypterin Marwa El Sherbiny.; Rechte: dpa
Der Mord an Marwa S. hatte international für Aufsehen gesorgt, der Prozess gegen den Täter soll im Herbst beginnen.

Der 32-jährige Ägypter war bei der Gerichtsverhandlung am 1. Juli durch mehrere Messerstiche lebensgefährlich verletzt worden. Er hatte seiner Ehefrau helfen wollen, die mit mindestens 18 Messerstichen getötet wurde. Der Witwer erholt sich nach Informationen der "Dresdner Neuesten Nachrichten" in einer Rehabilitationsklinik von den Folgen des Angriffs. Im Krankenhaus hatten ihn auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, und Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (beide CDU) besucht.

Staatsanwaltschaft: Täter ist "fanatischer Ausländerfeind"

Die Staatsanwaltschaft ist der Ansicht, dass der Täter in beiden Fällen aus niederen Beweggründen gehandelt hat, im Fall der Frau zudem mit Heimtücke. Die für einen Mord typischen Merkmale seien damit gegeben. Die Ägypterin hatte den Mordverdächtigen vor einem Jahr wegen Beleidigung angezeigt, woraufhin dieser vom Amtsgericht verurteilt worden war. Auch in der Berufungsverhandlung vor dem Landgericht hatte die Frau gegen ihn ausgesagt, unmittelbar bevor sie getötet wurde. Der Mann hatte die 31 Jahre alte Mutter bei einem Streit auf einem Dresdner Spielplatz als "Islamistin" und "Terroristin" beschimpft. Laut Staatsanwaltschaft handelt es sich bei dem Messerstecher um einen "fanatischen Ausländerfeind". Nach einem Bericht der "Sächsischen Zeitung" hat sich der Russlanddeutsche bislang nicht zu den Motiven der Tat geäußert, auch bei der Vorführung vor der Haftrichterin am Donnerstagnachmittag habe er geschwiegen. Der Prozess gegen ihn soll frühestens im Herbst beginnen.

Polizeiaktion gegen schwarzen Promi-Prof erregt Amerika

Von Gregor Peter Schmitz, Washington

Der weltbekannte Harvard-Professor Henry Louis Gates Jr. kann seine Haustür nicht öffnen, nimmt stattdessen den Hintereingang - und wird verhaftet, weil eine Nachbarin schwarze Einbrecher fürchtet. Nun tobt in den USA eine Rassismusdebatte, in die sich auch Barack Obama einmischt.

Die Dozenten am W.E.B. Du Bois Institute for African and African American Research in Harvard sind stolze Gestalten. Allen voran Henry Louis Gates Jr., stets bestens gekleideter Doyen des Instituts, er sammelt kostbare Kunst und Ehrendoktorwürden. 50 hat er davon erhalten, auf der ganzen Welt.

Gates ist distinguiert, er ist erfolgreich, er lebt in einem schönen Haus ein paar Minuten vom Harvard-Campus mitten in Cambridge - einer amerikanischen Wohlfühlwelt, wo Anwohner mit Weltverbesserungsneigungen am Wochenende zum multikulturellen Grillfest mit Speisen aller Länder laden. Rund um die Grills drängen sich Gäste aller Hautfarben.

In dieser Umgebung kam es mir als weißem Studenten immer etwas unwirklich vor, wenn an Gates' Institut über die weiter bestehende unterschwellige Angst vor dem schwarzen Mann und den "New Racism" doziert wurde. Die Forscher warnten, offener Rassismus sei in den USA zwar mittlerweile tabu, verdeckter bleibe die Regel.

Rassismusdebatte holt Obama ein

Sicher, jeder in den Kursen kannte die Statistiken: Dass schwarze Männer weit häufiger im Gefängnis landen als weiße, selbst für kleine Vergehen. Dass viele Soziologen "racial profiling", willkürliche Polizeikontrollen von Schwarzen und anderen Minderheiten, für eine gängige Praxis halten.

Doch in Cambridge, so weit weg von den Brennpunkten, so nah am offensichtlichen Erfolg schwarzer Akademiker, wirkten die Diskussionen eher abstrakt. Manchmal gar etwas eitel, als instrumentalisierten die Harvard-Forscher die Vergangenheit, um ihre Bedeutung in der Gegenwart zu erhöhen. So wie wohl Cornel West, populärer schwarzer Philosophie-Professor, der empört nach Princeton abwanderte, weil Ex-Uni-Präsident Larry Summers ihn angesichts vieler Nebentätigkeiten wie der Aufnahme von Hip-Hop-CDs an seinen Lehrauftrag erinnerte. West warf Summers Rassismus vor, natürlich.

Diese Opferdebatten passten nicht recht in Obamas Amerika, dieser "post racial"-Ära.

Bis die Wirklichkeit diese Woche nach Cambridge zurückkehrte. Genau genommen bis in Gates' Haus. Nach einer China-Recherche-Reise kam er nach Hause, er konnte die Vordertür seines Hauses nicht öffnen, er rüttelte daran mit seinem Fahrer, ebenfalls ein Afro-Amerikaner. Vergeblich. Schließlich gelangte Gates durch die Hintertür ins Haus. Er telefonierte mit der Hausverwaltung wegen der bockigen Vordertür, doch da stand schon die Polizei. Eine aufmerksame Nachbarin habe sie gerufen, zwei schwarze Männer versuchten einzubrechen. Gates entgegnete, dies sei sein Haus, er lebe hier, er sei ein Harvard-Professor.

Das Foto der Festnahme ging um die Welt

Der Polizist wollte Dokumente, Gates suchte sie, wohl nach etwas Protest, zeigte sie. Der Beamte stellte mehr Fragen, drängend, Gates verlangte nun seinerseits nach Namen und Dienstnummer, der Offizier antwortete nicht, Gates fragte: "Antworten Sie mir nicht, weil Sie ein weißer Polizist sind und ich ein schwarzer Mann?" Es ging dann hin und her, es wurde lauter, ein Wort gab das nächste, die Berichte darüber gehen auseinander. Fest steht nur: Der Polizist nahm Gates vor seinem eigenen Haus fest, wegen "disorderly conduct", sozusagen Widerstand gegen die Staatsgewalt.

Gates ist knapp 1,70 Meter groß, 58 Jahre alt, er muss sich auf einen Stock stützen. Die Polizeifotos des kleinen Mannes nach der Festnahme gingen um die Welt.

Wäre die Geschichte nicht wahr, man müsste sie erfinden, so ironisch ist sie. Gates ist der vielleicht bekannteste afro-amerikanische Wissenschaftler, ein Empfänger des "Genius Award", "Time" nannte ihn einen der 25 einflussreichsten Amerikaner, er hat sein Leben lang über Hautfarbe und Diskriminierung geforscht.

Und jetzt widerfährt ihm scheinbar genau das, was so viele schwarze Amerikaner beklagen. Polizeiwillkür wegen der Hautfarbe. Denn ein schwarzer Mann gilt der Polizei als verdächtig, wenn er in einem schönen Haus ist. So empfindet Gates es zumindest, und viele Anhänger auch.

Das stürzt Amerika in seine erste echte Rassismusdebatte der Obama-Ära. Der Präsident hat Rassenfragen lange vermieden, er will Schwarze nicht als Opfer zeichnen. Er spricht lieber von der Verantwortung der afro-amerikanischen Gemeinschaft. Sie solle sich besser um ihre Familien kümmern, Bildung ernster nehmen.

Deutliche Worte von Präsidenten Obama

Doch bei einer Pressekonferenz am Mittwoch schien er davon genug zu haben. Er erinnerte daran, wie ihm selbst Ähnliches wie Gates widerfahren könne in seinem Haus in Chicago. Gates' Verhaftung sei "dumm" gewesen, sagte Obama. "Die Amerikaner haben einen seltenen Einblick erhalten, was es heißt, einen schwarzen Präsidenten zu haben", kommentierte die "New York Times".

"Dumm". Ein starkes Wort für einen Präsidenten. Doch viele Schwarze wollten genau das von ihrem Präsidenten hören. Lawrence Bobo, afro-amerikanischer Kollege von Gates in Harvard, schrieb in der "Washington Post": "Ich scherzte mit meiner Frau immer, wir sollten die Grundstückspapiere am Eingang aufbewahren, für alle Fälle. Das tue ich jetzt. Und es ist nicht länger ein Scherz."

Kritiker halten Gates vor, er habe sich aufgespielt: Sie wissen nicht, mit wem sie es zu tun haben, habe er dem Polizisten arrogant entgegengeschleudert.

Dessen Verteidiger feuern zurück: Vielleicht sei Gates laut geworden, doch wer könne ihm das verdenken, wenn er für das Betreten seines eigenen Hauses belangt werde? Wäre das einem weißen Harvard-Professor widerfahren? "Ich habe begriffen, wie verwundbar schwarze Männer sind", sagt Gates. Er will nun einen Dokumentarfilm über die Opfer von Polizeiwillkür drehen.

Polizist will sich nicht entschuldigen

So dreht sich die Debatte im Kreis: Der Polizist will sich partout nicht entschuldigen. Er habe genau nach Vorschrift gehandelt. Er hat jahrelang Toleranzkurse für Kollegen unterrichtet. Sein Polizeichef will eine Entschuldigung vom Präsidenten für seine Bemerkung über die "dumme Polizei". Dessen Sprecher, Robert Gibbs, betonte später, dass der Präsident ja nicht den Polizisten als "dumm" bezeichnet habe. Auch Gates beharrt auf einer Entschuldigung.

Das bringt Erinnerungen zurück, die man im Obama-Zeitalter leicht verdrängt: An schwarze Harvard-Kommilitonen, die erzählten, dass sie Sicherheitskräften auf dem Uni-Gelände oft ihren Studentenausweis zeigen mussten. An die Freundin an der Harvard Law School, die aus einer einfachen schwarzen Familie in Philadelphia kam und sich in den Klassen der Edelschule kaum zu melden wagte. Daran, dass selbst in der U Street in Washington die Schlangen vor den Clubs oft nach Hautfarbe getrennt sind - obwohl praktisch jeder in dem Viertel für Obama gestimmt hat.

Die ganze Geschichte ist einfach aus dem Ruder gelaufen, darin seien sich alle Parteien einig. Und so ist wohl die Lehre dieser seltsamen Verhaftungsepisode: Die Vergangenheit vergeht nicht so schnell, auch in Barack Obamas Amerika.

Unionspolitiker gegen homosexuelle Adoptiveltern

Reaktionen auf Zypries-Vorschlag zu Adoptionsrecht

Schwule und Lesben kämpfen weiterhin für ihre rechtliche Gleichstellung.

Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) und Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) haben die Forderung von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD), Homosexuellen mehr Adoptionsrechte einzuräumen, scharf kritisiert. "Wir sind nach wie vor der festen Überzeugung, dass Kinder am besten in einer Beziehung von Mann und Frau aufwachsen", sagte Bosbach den "Ruhr Nachrichten".

Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer widersprach der Forderung von Zypries in der "Passauer Neuen Presse": Ziel von Adoptionen sei es, für Kinder eine optimale Familie zu finden und nicht umgekehrt. "Die Einschätzung des Gesetzgebers, wonach Ehepaarfamilien am besten solche optimalen Bedingungen gewährleisten können, halte ich nach wie vor im Sinne des Kindeswohls für angemessen und richtig."

Mindestens 6600 Kinder in "Regenbogenfamilien"

Nach einer Studie der Universität Bamberg gibt es bundesweit inzwischen mindestens 6600 Kinder, die in "Regenbogenfamilien" groß werden - also von zwei lesbischen Müttern oder zwei schwulen Vätern erzogen werden. 2200 von ihnen leben in sogenannten eingetragenen Lebenspartnerschaften. Die meisten Kinder stammen aus früheren heterosexuellen Beziehungen. Allerdings wächst der Anteil von Kindern aus künstlicher Befruchtung. Dabei verlassen sich viele lesbische Paare auf die Hilfe schwuler Freunde.

Als Konsequenz aus der Studie hatte Zypries das volle Adoptionsrecht für Paare gleichen Geschlechts gefordert. "Homosexuelle Paare sind keine schlechteren Eltern", sagte sie. "Kinder entwickeln sich bei zwei Müttern oder zwei Vätern genauso gut wie in anderen Familienformen." Unterstützung bekam Zypries von FDP und Grünen.

Mittwoch, 22. Juli 2009

Homophobie führt zu mehr HIV-Infektionen

Die Ächtung von Schwulen durch die kulturellen, religiöse und politische Elite führt zu einem Ansteigen der HIV-Neuinfektionen.

Für die hohe Zahl der HIV-Neuinfektionen ist zum Teil die Homophobie in afrikanischen Ländern verantwortlich, so das Ergebnis einer Studie der Universität Oxford.

Die Verbreitung von HIV unter Schwulen in Schwarzafrika ist den Wissenschaftlern zufolge zehn Mal höher als in der männlichen Durchschnittsbevölkerung, erklärte Studienleiter Adrian Smith. Seine im Fachmagazin "The Lancet" veröffentlichte Studie kommt nach einer Untersuchung von wissenschaftlichen Arbeiten über HIV aus den Jahren 2003 bis 2009 zu dem Ergebnis, dass die Stigmatisierung von Homosexuellen sowie schlechter Zugang zu HIV-Tests und Ärzten verantwortlich für diesen Unterschied ist.

Allerdings seien Studien über den Zusammenhang von Homosexualität und HIV in Afrika schwierig. "Wir wissen überraschend wenig", so Smith. "Wir können nur sagen, dass Männer, die Sex mit Männern haben, eine sehr gefährdete Gruppe ist, die in allen Teilen Schwarzafrikas vorkommt." Wegen der allgemeinen Diskriminierung sei diese Gruppe aber praktisch unsichtbar. Die Risiken würden dabei nicht allein die Männer tragen, da viele der gleichgeschlechtlich aktiven Männer auch sexuelle Beziehungen mit Frauen hätten.

"Anfang der 1980er Jahre haben sich Schwule in den Vereinigten Staaten nach dem Start der Aids-Krise engagiert und sind auf die Straße gegangen", heißt es in dem Bericht. "Aber fast drei Jahrzehnte später hält das Schweigen in Schwarzafrika an. Gestärkt wird das Schweigen durch die kulturelle, religiöse und politische Elite, die Männer, die Sex mit Männern haben, nicht als gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft ansieht." Weil Schwule gesellschaftlich geächtet seien, würden sie auch eher gefährlichen Handlungsweisen an den Tag legen, wie zum Beispiel intravenöse Drogenkonsum oder ungeschützter Sex mit vielen Partnern. Bestes Mittel im Kampf gegen HIV und Aids sei daher die gesellschaftliche Akzeptanz der schwulen und bisexuellen Minderheit.

Bereits in der Vergangenheit sind Studien zu dem Ergebnis gekommen, dass Diskriminierung von Schwulen die HIV-Infektionszahlen in die Höhe schießen lässt. So haben amerikanische Wirtschaftswissenschaftler im Juni herausgefunden, dass die Ansteckungsgefahr in Gebieten höher ist, in denen die Ehe für Schwule und Lesben untersagt ist.

Dienstag, 21. Juli 2009

Ehrung für Israel-Kritikerin stürzt Köhler in Erklärungsnot

Von Veit Medick

Umstrittene Entscheidung im Schloss Bellevue: Bundespräsident Köhler hat einer Tübinger Anwältin das Bundesverdienstkreuz verliehen, die seit Jahren gegen Israel wettert. Der Zentralrat der Juden ist entsetzt - und erste Träger des Kreuzes drohen bereits mit Rückgabe ihrer eigenen Auszeichnung.

Berlin - Der Staatssekretär war voll des Lobes: "Das humanitäre Lebenswerk von Felicia-Amalia Langer ist beeindruckend", schwärmte Hubert Wicker bei der Festveranstaltung im Stuttgarter Staatsministerium am Donnerstag vergangener Woche. Als Versöhnerin zwischen Israelis und Palästinensern habe sie sich "in herausragender Weise für Frieden und Gerechtigkeit sowie für die Wahrung der Menschenrechte eingesetzt".

Bundespräsident Köhler: "Herr des Verfahrens ist Stuttgarter Staatsministerium"
Dann überreichte Wicker Frau Langer eine der höchsten Auszeichnungen, die der deutsche Staat vergeben kann: das Bundesverdienstkreuz. "Im Namen von Ministerpräsident Günther H. Oettinger und der gesamten Landesregierung, aber auch ganz persönlich danke ich Felicia-Amalia Langer für ihr herausragendes Engagement und für ihr gesamtes humanitäres Lebenswerk."

Eine Entscheidung, die die Landesregierung in Baden-Württemberg, letztlich auch die deutsche Politik insgesamt noch einige Erklärungen kosten dürfte. Denn für ihre Unterstützer und die Lobredner mag die in Tübingen lebende 79-Jährige eine verdiente Menschenrechtsaktivistin sein. Eine, die als Anwältin seit jeher für die Rechte von Palästinensern streitet. Eine, die etliche Bücher zum Nahost-Konflikt verfasste, mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet wurde und Ehrenbürgerin der Stadt Nazaret ist. "Ich glaube, dass ich etwas Wichtiges für die Menschlichkeit mache", meint Langer.

Für ihre Kritiker ist Frau Langer jedoch eine Israel-Feindin - auch wenn Felicia Langer selbst Jüdin ist. Eine Frau, die Israel schon mal zum "Apartheidstaat" erklärt, über die "jüdisch-zionistische Lobby" philosophiert, sich im Antisemitismus-Streit um den inzwischen verstorbenen FDP-Politiker Jürgen Möllemann auf dessen Seite schlug und noch im April dieses Jahres in einem Interview zum Boykott israelischer Produkte aus den Siedlungen aufrief. "Das alles mag wehtun, aber jemand muss es sagen", sagt Langer SPIEGEL ONLINE.

Giordano und Lustiger drohen Köhler mit Kreuz-Rückgabe

Inzwischen werden Oettinger, der formal für die Verleihung verantwortliche Bundespräsident Horst Köhler, aber auch Tübingens grüner Oberbürgermeister Boris Palmer, der die Auszeichnung nachdrücklich unterstützte, von jüdischen Organisationen und Intellektuellen heftig angegriffen. "Das ist ein Schock", kritisiert der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann. "Deutschland hat damit jemanden ausgezeichnet, der professionell, chronisch und obsessiv die Dämonisierung Israels betreibt", sagt Graumann SPIEGEL ONLINE. "Sie trägt ihr Jüdischsein als Fahne vor sich her - doch ihre jahrelange Israel-Hetze macht das nicht besser."

Auch das American Jewish Committee in New York teilte Köhler am Montag schriftlich seine Bestürzung mit und forderte den Bundespräsidenten auf, die Entscheidung noch einmal zu überdenken.

Ebenfalls entsetzt sind die beiden jüdischen Publizisten Ralph Giordano und Arno Lustiger. Beide haben am Dienstag Köhler schriftlich gedroht, ihre eigenen Bundesverdienstkreuze zurückzugeben - wenn das Staatsoberhaupt Frau Langer den Orden nicht wieder entzieht. "In einer Ordensreihe mit Felicia Langer - das geht nicht", heißt es in dem SPIEGEL ONLINE vorliegenden Brief Giordanos an Köhler. "Warum? Weil niemand in den letzten 25 Jahren mit einer bis an Blindheit grenzenden Einseitigkeit Israel mehr geschmäht hat als sie", schreibt Giordano, der schon Anfang der neunziger Jahre in einem Aufsatz über Langers "Nahost-Pathologie" herzog. So schwer es ihm auch falle: Er plane, seine Auszeichnungen, das Große Verdienstkreuz und das Bundesverdienstkreuz "für den Fall zurückzugeben, dass Felicia Langer das Bundesverdienstkreuz nicht aberkannt wird". Von Lustiger hat Köhler am Dienstag ein ähnliches Schreiben bekommen.

Es gibt freilich auch andere Stimmen. Die von Palmer etwa, dem grünen Bürgermeister von Tübingen. Er kennt Langer, die von der in der Szene ebenso umstrittenen Publizistin Evelyn Hecht-Galinski vorgeschlagen wurde, gut und hat an der Auszeichnung nach wie vor nichts auszusetzen. "Das war richtig", sagt Palmer SPIEGEL ONLINE. Er schätze Langers jahrelanges Engagement. "Ich habe zwar Verständnis für die Verletzung der Menschen, die Frau Langer jetzt attackieren. Aber man darf Kritik an Israel nicht mit der Absicht verwechseln, Israel zu vernichten." Unangenehm ist ihm die Sache dennoch - erkennbar ist das allein schon daran, wie vehement er darauf hinweist, dass er selbst Langer ja nicht vorgeschlagen habe.

Überhaupt gewinnt man den Eindruck, als wolle mit dem Fall Langer niemand so richtig etwas zu tun haben. Im Bundespräsidialamt verweist man reichlich hilflos darauf, dass "Herr des Verfahrens" das baden-württembergische Staatsministerium sei. Was allerdings auch nur die halbe Wahrheit ist, wenn man bedenkt, dass das Kreuz vom zuständigen Staatsministerium lediglich überreicht wird - offiziell verliehen wird es vom Bundespräsidenten.

Oettinger droht neuer Streit mit Zentralrat

Entsprechend verdutzt reibt man sich in Stuttgart über die Sichtweise aus Berlin die Augen. Wegducken wollen sich die Beamten von Ministerpräsident Oettinger allerdings nicht. "Die Auszeichnung von Felicia Langer würdigt ihre humanitären Verdienste unabhängig von politischer, weltanschaulicher oder religiöser Motivation", erklärte ein Sprecher SPIEGEL ONLINE. "Im Zentrum steht dabei ihr Einsatz für hilfsbedürftige Personen ohne Ansehen von Nationalität oder Religion vor dem Hintergrund ihrer eigenen Vergangenheit als massiv vom Holocaust Betroffene."

Gerade für Oettinger ist die Sache ungemütlich. Denn schon wieder einen Streit mit dem Zentralrat kann sich der Regierungschef nicht leisten. Die Wunden seiner Rede am Sarg des umstrittenen Politikers Hans Filbinger sind noch nicht vollends verheilt. Im April 2007 hatte Oettinger den CDU-Politiker indirekt zum Widerstandskämpfer erklärt, obwohl bekannt war, dass Filbinger Ende des Zweiten Weltkriegs als Marinerichter an Todesurteilen gegen deutsche Soldaten beteiligt gewesen war.

Letztlich wird aber wohl auch die Bundesregierung ein paar Scherben beiseite kehren müssen. In der israelischen Presse ist der Streit längst angekommen, ein Israeli hat bereits angekündigt, aus Protest sein Bundesverdienstkreuz zurückzugeben. Sollten auch Giordano und Lustiger die Ehrung zurückgeben, dürfte das in Israel einige Aufmerksamkeit hervorrufen.

Dabei gehört es zu den Säulen der Politik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier SPD), für möglichst gute Beziehungen zum jüdischen Staat zu sorgen. Es war vor allem ein Auftritt Merkels, der diese Leitlinie erkennen ließ. Im März 2008 sprach sie vor den Abgeordneten der Knesset, des israelischen Parlaments - das hatte vor ihr noch kein deutscher Regierungschef getan. "Ich bin zutiefst überzeugt: Nur wenn Deutschland sich zu seiner immerwährenden Verantwortung für die moralische Katastrophe in der deutschen Geschichte bekennt, können wir die Zukunft menschlich gestalten", erklärte die Kanzlerin damals. Dann versprach sie, Deutschland werde Israel "nie alleine lassen".

Kinderporno-Anklage gegen Politiker Tauss

Empörung über "soziale Exekution"

Die Staatsanwaltschaft hat angekündigt, den Piratenpartei-Abgeordneten Tauss wegen Kinderpornografie-Besitzes anklagen zu wollen. Dessen Verteidiger erhebt neue Vorwürfe gegen den Oberstaatsanwalt.

Muss sich auf eine Anklage vorbereiten: Jörg Tauss

Nach Abschluss der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen hat der Anwalt des unter Kinderporno-Verdacht stehenden Politikers Jörg Tauss schwere Vorwürfe gegen die Anklagebehörde erhoben. Die Karlsruher Staatsanwaltschaft habe seinem Mandanten zum Abschluss der polizeilichen Ermittlungen nicht die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben, außerdem habe er als Verteidiger keine entlastenden Beweisanträge stellen können, sagte Rechtsanwalt Jan Mönikes am Dienstag.

Über den zuständigen Oberstaatsanwalt Rüdiger Rehring sagte der Jurist: "Jörg Tauss war in Rehrings Augen offensichtlich schon von der ersten Stunde der Ermittlungen an schuldig." Er warf ihm "soziale Exekution" vor.

Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe hatte in der Bild-Zeitung angekündigt, Anklage gegen Tauss zu erheben. Dabei geht es um den illegalen Besitz von Kinderpornografie. Zuvor werde der Immunitätsausschuss des Bundestages Einsicht in die Akten bekommen, da der Bundestag für eine Anklage die Immunität des früheren SPD-Abgeordneten aufheben müsse.

Der Abschlussbericht der Ermittlungen liege nun beim Anwalt von Tauss zur Stellungnahme, schreibt die Zeitung. Demnach lasse die Staatsanwaltschaft Tauss' Begründung, er habe als zuständiger Abgeordneter in der Kinderpornoszene recherchiert, nicht gelten. In dem Bericht heiße es, Tauss habe "keinen dienstlichen Auftrag" gehabt und könne sich deshalb nicht darauf berufen.

Tauss hatte als Begründung für den Besitz von kinderpornografischem Material unter anderem angeführt, er habe einen Kinderporno-Ring sprengen wollen. Er sei davon ausgegangen, dass er als Bundestagsabgeordneter unter die gesetzliche Ausnahmeregelung falle, wonach Recherchen zu dienstlichen Zwecken nicht strafbar seien.

Tauss war Ende Juni aus der SPD ausgetreten und zur Piratenpartei gewechselt. Wegen der Kinderporno-Ermittlungen war er zuvor von seinen Ämtern als medienpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und Generalsekretär der baden-württembergischen SPD zurückgetreten. Auch auf eine erneute Kandidatur für den Bundestag hatte er verzichtet.

Ermittler fanden Handybilder und drei DVD

Insgesamt habe die Staatsanwaltschaft bei dem früheren SPD-Abgeordneten Handybilder und drei DVD mit kinderpornografischen Inhalten gefunden, schreibt die Zeitung. Für die Durchsuchung von Wohn- und Büroräumen hatte der Bundestag Anfang März schon einmal die Immunität von Tauss aufgehoben.

Die Immunität schützt die Mitglieder des Parlaments normalerweise vor Strafverfolgung; Ermittlungen oder Verhaftungen sind nur möglich, wenn das Plenum des Parlaments zustimmt. Eine Ausnahme gibt es nur, wenn ein Abgeordneter auf frischer Tat ertappt oder am Tag nach der Tat festgenommen wird.

Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen Besitzes, Erwerbs und Verbreitung von Kinderpornografie gegen Tauss. Die Hinweise auf den Politiker sollen aus Bremerhaven gekommen sein, wo gegen einen Verdächtigen wegen Kinderpornografie ermittelt wird, der Tauss' Telefonverbindungsdaten und SMS gehabt haben soll.

Tonbänder und Bußgang

Sie möge "in Putins großem Bett" auf ihn warten: Diesen Hinweis Berlusconis an eine Hure kann man nun im Internet anhören. Offenbar Grund genug für Berlusconi, einen Bußgang zu erwägen.

Nach Monaten endloser Skandalgeschichten über junge Call-Girls im Bett und Show-Girls in der Politik will Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi sein Leben ändern. Aber seine Sünden wird der Regierungschef mit der Schwäche für das weibliche Geschlecht wohl nicht so schnell loswerden: So veröffentlichte das italienische Espresso-Magazin am Montag in seiner Online-Ausgabe Tonbandaufnahmen von den Treffen eines Callgirls mit Berlusconi.

Auf www.espresso.repubblica.it kann sich nun jeder selbst überzeugen: Die Aufnahmen, die die Hure Patrizia D'Addario von ihren Liebes-Treffen mit dem Ministerpräsidenten machte, sind ab sofort abruf- und abhörbar – samt Berlusconis Aufforderung, das Mädchen möge "in Putins großem Bett" auf ihn warten.

D'Addario steht mit zwei Freundinnen seit Mitte Juni im Mittelpunkt einer Ermittlung der Staatsanwaltschaft von Bari gegen einen apulischen Unternehmer wegen Anstiftung zur Prostitution. Sie hatte von Anfang an behauptet, alles mit Tonbändern beweisen zu können.

Die linksliberale römische Tageszeitung La Repubblica hatte am Montag berichtet, der Multi-Milliardär und Regierungschef Berlusconi spiele mit dem Gedanken, sein im Nordosten von Sardinien gelegenes Luxusanwesen "Villa Certosa" zu verkaufen und eine Bußwallfahrt zu unternehmen. Er habe seinen "Intimfreunden" gegenüber offenbart, "sein Leben verändern zu wollen", so das Blatt.

"Ich fühle mich in Villa Certosa einfach nicht mehr zu Hause nach allem, was passiert ist", zitierte das Blatt den Medienmogul. Der Regierungschef bezieht sich dabei wohl vor allem auf die 5000 Schnappschüsse des sardischen Paparazzo Antonello Zappadu von Festen und Gelagen in der Villa, deren Veröffentlichung Berlusconi nur zum Teil verhindern konnte. Der 72-jährige "Bel-Ami" soll auf dem Anwesen, das auch über einen künstlichen Vulkan verfügt, unter anderem in Begleitung der damals noch minderjährigen, neapolitanischen Schülerin Noemi Letizia abgelichtet worden sein.

Nach dem Sommerurlaub, den er in der mittelitalienischen Erdbebenregion Abruzzen verbringen will, plane Berlusconi im September schließlich eine Bußwallfahrt nach San Giovanni Rotondo in Apulien. Dort liegt die Wirkungsstätte des Padre Pio, eines der beliebtesten Heiligen Italiens.

Erst kürzlich hatte Italiens Altpräsident Francesco Cossiga (80) Berlusconi in einem offenen Brief an die Mailänder Tageszeitung Corriere della Sera den Rat gegeben, er möge doch seine sardische Villa dem Staat oder der Region Sardinien schenken und auch aus seiner römischen Villa Grazioli ausziehen.

Beide hätten als Schauplatz ausgelassener Feste mit jungen Damen "einen anrüchigen Ruf". Mindestens 17 junge Mädchen sollen Berlusconi für Sex gegen Geld zur Verfügung gestanden haben – sowohl in seinem römischen Palazzo Grazioli als auch in "Villa Certosa".

Sonntag, 19. Juli 2009

Clans in Deutschland: "Verpisst euch von hier"

Von Sebastian Beck

Sie verachten alles, was nicht zu ihrem Kulturkreis gehört: In Berlin, Bremen und Essen beherrschen kurdisch-libanesische Großfamilien ganze Straßenzüge - und bedrohen sogar Polizisten.

Es war ein Mord mit Ansage, als Hussein E. am 30. Januar 2009 erschossen wurde.

Nur wenige Wochen vor seinem Tod hatte sich der Libanese noch hilfesuchend an die Bremer Redaktion der taz gewandt: Er fühle sich massiv bedroht und befürchte, Opfer eines Racheakts zu werden.

Und tatsächlich lauerten ihm bald darauf im Bremer Vorort Schwanewede seine Mörder auf. Der 43-jährige Hussein E. starb noch am Tatort an den Schussverletzungen, seine Lebensgefährtin überlebte schwer verletzt. Der Mord auf offener Straße war der vorläufige Schlusspunkt einer ebenso typischen wie blutigen Auseinandersetzung zwischen kurdisch-libanesischen Großfamilien in Bremen.

Begonnen hatte die Fehde am Karfreitag 2006, als Hussein E. zusammen mit sechs anderen Männern eine Eckkneipe stürmte, um mit Angehörigen eines verfeindeten Clans abzurechnen. Bei dem Angriff kam ein 18-Jähriger ums Leben, drei weitere Menschen wurden schwer verletzt.

Wahrscheinlich ging es um gestohlenes Rauschgift; die genauen Hintergründe der Tat konnte das Bremer Landgericht auch nach 35 Verhandlungstagen nicht aufklären. Die vier Haupttäter setzten sich in den Libanon ab, wo sie gegen Kaution freigelassen wurden. Drei weitere Angreifer erhielten Ende 2007 Freiheitsstrafen - darunter Hussein E., der wusste, dass er nach seiner Freilassung das Ziel der Blutrache sein würde.

Die Clans sprechen ihr eigenes Recht

"Brennpunkt der Kriminalität"

Für Dieter Kopetzki sind solche Verbrechen nichts Ungewöhnliches. Kopetzki leitet die Dienststelle für organisierte Kriminalität bei der Bremer Polizei. Schon seit Jahren sind er und seine Kollegen vom Landeskriminalamt mit einer ganz speziellen Klientel beschäftigt: Mitglieder kurdisch-libanesischer Großfamilien beherrschen den Kokainmarkt und das Rotlichtmilieu. Sie stellen einen "Brennpunkt der Kriminalität" dar, wie Kopetzki es ausdrückt - nicht nur in Bremen, sondern auch in Essen, aber vor allem in Berlin. Diese drei Städte sind die deutschen Hauptsitze der Clans.

» Mit polizeilichen Mitteln ist das Problem nicht zu lösen. «

Dieter Kopetzki von der Bremer Polizei:
Die chronisch unterbesetzte Polizei steht ihnen oft machtlos gegenüber. In das hermetisch abgeschottete Milieu aus verwandtschaftlichen Beziehungen können keine V-Leute eingeschleust werden. Es ist bereits schwierig, die wahre Identität von Verdächtigen zu klären, weil viele Libanon-Flüchtlinge bei der Einreise nach Deutschland ihre Pässe vernichtet haben. "Mit polizeilichen Mitteln ist das Problem nicht zu lösen", sagt Kopetzki über Bremen. "Die Strukturen sind hier schon zu verfestigt."

Seine Kollegen in Essen und Berlin können ähnliche Geschichten über Clans erzählen. Es sind Geschichten der Gewalt, aber vor allem der gescheiterten Integration in die deutsche Gesellschaft.

Allein in Berlin leben nach Angaben der Polizei zwölf kurdisch-libanesische Großfamilien mit jeweils mehreren hundert Mitgliedern und Ablegern in ganz Europa und dem Nahen Osten. Die meisten von ihnen flohen in den 80er Jahren vor dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat, andere nutzten das Durcheinander nach dem Mauerfall, um 1990 über die Grenze zu gelangen. Insgesamt wanderten nach Schätzungen weit mehr als 200.000 Menschen über den Libanon in die Bundesrepublik ein.

Eine Generation von Beinahe-Analphabeten

Die Asylgesetze begünstigten die fast völlige Abschottung der Menschen: Eltern durften jahrelang nicht arbeiten, Kinder waren von der Schulpflicht befreit.

Damit habe man eine Generation von Beinahe-Analphabeten erzeugt, schreibt der Berliner Sozialwissenschaftler Ralph Ghadban, der selbst aus dem Libanon stammt. Diese Versäumnisse rächen sich jetzt.

Zwar verfügt mittlerweile die Hälfte der Flüchtlinge über einen deutschen Pass, doch in ihrer neuen Heimat sind viele von ihnen nie wirklich angekommen. Im Gegenteil, sie schotten sich immer mehr ab. Nach Ansicht von Ghadban stellt gerade die zweite Generation der Libanon-Einwanderer inzwischen eine Gefahr für den sozialen Frieden dar. Denn aus ihren Reihen stammen viele der sogenannten Intensivtäter, junge Männer, die schon im Grundschulalter eine kriminelle Laufbahn eingeschlagen haben.

Welche verheerenden Folgen diese Entwicklung für die städtische Gesellschaft hat, lässt sich in Berlin beobachten: Im Jahr 2008 registrierte die Polizei dort 1200 solcher Intensivtäter, wovon 71 Prozent einen Migrationshintergrund aufwiesen und wiederum die Libanesen überproportional stark vertreten waren.

In den Bezirken Neukölln und Wedding haben sich regelrechte Ghettos herausgebildet. Hier herrschen die Großfamilien, staatliche Vorschriften und Gesetze gelten wenig. Streitigkeiten werden von privaten Friedensrichtern geregelt - oder wie in Bremen mit Waffen ausgetragen.

Keiner erstattet Anzeige

"Im Clan erstattet keiner Anzeige gegen den anderen", sagt ein Mitarbeiter des Bezirksamts Neukölln. "Was zwischen denen läuft, das kriegen wir doch überhaupt nicht mit." Er will anonym bleiben, genauso wie der Rechtsanwalt, der seit Jahren Clan-Mitglieder in ganz Deutschland verteidigt, aber dennoch immer wieder entsetzt ist über deren patriarchalische Strukturen und ihre Gewalttätigkeit. Aber zumindest das Anwaltshonorar, sagt er, sei noch immer anstandslos bezahlt worden. Wo doch ein Großteil der Mandanten von Hartz IV lebt. Jedenfalls offiziell.

"Wir sind ja eh ganz unten"

Ähnlich wie dem Anwalt geht es dem gebürtigen Libanesen, der sich seit Jahren um die Verständigung zwischen den Kulturen bemüht. Auch er möchte auf keinen Fall seinen Namen genannt haben: Er überlegt gerade, ob er nicht selbst aus Neukölln wegzieht, wie vor ihm die deutsche und türkische Mittelschicht. Wer es im Leben zu etwas bringen will, der geht fort. Seinen Kindern, sagt der Mann, wolle er keine Schulklassen ohne Deutsche zumuten.

Zurück im Kiez bleiben Hartz-IV-Empfänger, arabische Familien, die oft mit acht oder auch zehn Kindern in engen Wohnungen hausen. Die Liste der Integrationsprojekte ist alleine in Neukölln mittlerweile dick wie ein Buch, doch die Tendenz zur Verelendung konnten auch Mütterkurse und Jugendclubs nicht stoppen. Wenn die Entwicklung so weitergehe, warnte vergangenes Jahr der Berliner Soziologe Hartmut Häußermann, dann würden in einem Jahrzehnt drei Viertel der Neuköllner in "prekären Verhältnissen" leben.

Was das bedeutet, kennt Kirsten Heisig aus eigener Anschauung. Als Jugendrichterin am Amtsgericht Tiergarten ist sie auch für Neukölln zuständig. "In einigen Straßenzügen des Bezirks sind die Zustände unterirdisch", sagt sie. "Es wird dort immer ghettoartiger."

» Die Autorität des Staates ist hier oft vollständig verlorengegangen. «

Eberhard Schönberg, Landeschef Berlin der Polizeigewerkschaft GdP:
Für solche Sätze hat sich Heisig Ärger eingehandelt, seit sie sich vor drei Jahren in einem Interview erstmals öffentlich äußerte. Ihre Gegner in der Berliner Justiz werfen ihr Profilierungssucht vor, doch Heisig will sich nicht den Mund verbieten lassen. Denn als Jugendrichterin hat sie beinahe täglich mit Kindern aus arabischen Familien zu tun. Vor allem die Jungen werden sich selbst überlassen, sie schwänzen die Schule, begehen Raubüberfälle auf Spielhallen, Drogerien und Sexshops.

Sie verachten alles, was nicht zu ihrem Kulturkreis gehört - allen voran Deutsche, aber auch Türken: "Die Eltern lehnen die Rechtsordnung ab, und das überträgt sich auf die Kinder", sagt Heisig. Hilfe ist unerwünscht. Sozialarbeiter berichten vor Gericht davon, dass sie bei Besuchen in Familien bedroht und bespuckt würden.

Selbst für die Polizei ist die Arbeit riskant geworden. Beamte sehen sich immer wieder wütenden Menschenmengen gegenüber, wenn sie auch nur einen einzigen Strafzettel für falsches Parken ausstellen wollen.

6. Mai 2009 in Neukölln: Tumulte und Angriffe auf Polizei

Jüngstes Beispiel: Als ein Sondereinsatzkommando am 6. Mai in Neukölln zwei Trickdiebe festnahm, kam es auf der Straße zu einem Tumult: Etwa 50 Personen mit Migrationshintergrund hätten die Beamten bedrängt, heißt es im Polizeibericht. Erst als Verstärkung angefordert worden sei, habe sich die Lage beruhigt.

"In Berlin reißt das keinen mehr vom Hocker", sagt Eberhard Schönberg, "das ist doch fast Alltag hier". Der Landesvorsitzende der Polizeigewerkschaft GdP kennt Fälle, in denen sich Kollegen in Geschäften verbarrikadieren mussten. "Die Autorität des Staates ist hier oft vollständig verlorengegangen."

In Berliner Polizeiberichten wird auch bei typischen Milieu-Delikten nur selten die Herkunft der Täter erwähnt - aus Angst, dies könne rassistischen Ressentiments Vorschub leisten. Als im April vier Männer einen brutalen Überfall auf einen Supermarkt verübten, stand deshalb nur im internen Protokoll, dass die Täter aus dem Libanon stammen und allesamt einschlägig vorbestraft sind.

"Müssen freiheitliche Ordnung durchsetzen"

Nach Ansicht von Nader Khalil bewirkt eine Tabuisierung der Herkunft jedoch genau das Gegenteil: "Das muss mit aller Deutlichkeit diskutiert werden", sagt er. "Wir dürfen dem rechten politischen Rand nicht die Gelegenheit geben, das auszunutzen." Khalil ist selbst vor 29 Jahren aus dem Libanon nach Deutschland eingewandert. Als Muslim sitzt er für die CDU im Neuköllner Stadtrat. Er sagt, dass neben der Sozialarbeit auch spürbare Strafen notwendig seien: "Wir müssen die freiheitliche Ordnung durchsetzen."

Berlin-Neukölln - ein sozialer Brennpunkt in Deutschland

Unterstützung erhält er dabei auch von der deutsch-türkischen Journalistin und Autorin Güner Balci. Die organisierte Kriminalität der kurdisch-libanesischen Großfamilien funktioniere zum Teil auf der Basis archaischer Stammesstrukturen, sagt sie. Bei einer ehrlichen Analyse der Ursachen müsse dies berücksichtigt werden.

Güner Balci weiß, wovon sie spricht: Sie ist in Neukölln aufgewachsen und war dort Sozialarbeiterin. Doch ihrer Erfahrung nach sehen sich viele Sozialarbeiter als Gegner der Polizei und befördern auf diese Weise sogar noch kriminelle Karrieren statt sie zu verhindern. Dabei sei doch eine der wichtigsten Aufgaben der Jugendarbeit, Kindern neben Angeboten für eine attraktive Freizeitgestaltung auch Grenzen aufzuzeigen.

Nur mit Zwang

Davon aber ist man in Berlin weit entfernt: Nach Angaben der Jugendrichterin Heisig erscheinen 20 Prozent der Hauptschüler nicht zum Unterricht. Andere kommen Wochen zu spät von Verwandtenbesuchen im Libanon zurück. Konsequenzen hat dies selten - obwohl das Schulamt Bußgeld gegen die Eltern verhängen könnte. "Dieses Verhalten schreit nach Grenzsetzung", sagt Heisig. "Deeskalation wird als Zurückweichen interpretiert."

Staatliche Normen lassen sich in der Welt der Clans offenbar nur noch mit Zwang durchsetzen. Die Berliner Behörden, so heißt es, scheuten jedoch die Konfrontation, gerade dann, wenn es um Kinder aus arabischen Familie gehe und deshalb mit Widerstand gerechnet werden müsse.

» Deeskalation wird als Zurückweichen interpretiert. «

Jugendrichterin Kirsten Heisig:
In Essen, der dritten Metropole der Clans, versucht die Polizei ganz bewusst Präsenz zu zeigen, seit Beamten vor einigen Jahren bei einer Autokontrolle entgegen geschleudert wurde: "Verpisst euch hier, das ist unsere Straße." Doch das, glaubt der Bremer Ermittler Kopetzki, werde nur wenig bewirken: Wichtiger seien Gerichtsurteile, die den Ausländerbehörden die Abschiebung der Täter ermöglichten.

Denn unterm Strich scheinen deutsche Sozialarbeiter, aber auch Polizei und Justiz wenig Eindruck auf die Clans zu machen: Am 25. Januar 2009 wurde aus dem Berliner Kaufhaus KaDeWe Schmuck im Wert von mehreren Millionen Euro gestohlen.

Zu den Tatverdächtigen zählen zwei Libanesen aus Rotenburg in Niedersachsen, auch sie Mitglieder einer berüchtigten Großfamilie, die für zahlreiche Straftaten verantwortlich ist. Die beiden 27 Jahre alten Brüder Hassan und Abbas O. kamen bald nach ihrer Verhaftung wieder frei. Weil sie eineiige Zwillinge sind, konnten ihnen die DNS-Spuren am Tatort nicht eindeutig zugeordnet werden.

Nach ihrer Entlassung im März ließen die beiden ihren Bruder in Neukölln ausrichten, sie seien stolz auf den deutschen Rechtsstaat und dankten ihm.