Montag, 23. Februar 2009

Uno warnt vor humanitärer Katastrophe

Weil gleich in mehreren Teilen ihrer Heimat gekämpft wird, flüchten derzeit Zehntausende Menschen aus dem Kongo. In den Nachbarstaaten des Landes droht durch die Flüchtlingswelle weitere Gefahr. Die Uno warnt vor einer dramatischen Lage.

Nairobi - Auf dem Tisch vor Hassan Yusuf liegen nur grobe Schätzungen, doch die Zahlen sind in jedem Fall beängstigend: Die anhaltenden Konflikte in Ost- und Zentralafrika hätten allein seit Oktober 350.000 Menschen zu Flüchtlingen gemacht, sagt der Sprecher des Uno-Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Kenia. Die Situation in dem Gebiet, das bereits jetzt die größte Zahl von Flüchtlingen auf dem gesamten afrikanischen Kontinent verkraften müsse, drohe sich weiter zu verschlimmern.

Die vergangenen Monate waren katastrophal. Die Zahl der sogenannten Binnenflüchtlinge, also Menschen, die innerhalb ihres Heimatlandes vertrieben werden, hat sich dramatisch erhöht. Gleiches gilt auch für die internationalen Flüchtlinge in den Krisengebieten. Massive Probleme gibt es nach Angaben des UNHCR in Somalia, das seit 1991 von Krieg und Willkür heimgesucht wird. Von hier aus würden Flüchtlinge unter anderem nach Kenia und Äthiopien drängen. Doch noch schlimmer sei die Lage im Kongo, wo eine humanitäre Katastrophe drohe.

Dort hatte es im Dezember eine gemeinsame Offensive von ugandischen, sudanesischen und kongolesischen Truppen gegen die ugandischen Rebellen der Lord’s Resistance Army (LRA) und kongolesische Tutsi-Rebellen gegeben. Durch diese Kämpfe und durch Vergeltungsaktionen der LRA-Rebellen an der Zivilbevölkerung seien 150.000 Menschen zur Flucht gezwungen worden. Sie hätten zum Teil in Uganda Schutz gesucht, zum Teil auch im Südsudan. Rund 1000 Menschen starben nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch durch Racheaktionen der Rebellen.

Der Osten der Demokratischen Republik Kongo, an der Grenze zu Ruanda und Uganda, ist reich an Rohstoffen. Seit Mitte der Neunziger erlebt die Region eine Folge von schweren bewaffneten Konflikten. Die Ausplünderung der Bodenschätze durch die Konfliktparteien ist immer wieder von Menschenrechtlern und den Vereinten Nationen angeprangert worden.

Zuletzt hatte die Menschenrechtsorganisation Global Witness zum Auftakt der weltgrößten Mobilfunkmesse in Barcelona gefordert, Handy-Hersteller dürften keine Materialien mehr aus den umkämpften Gebieten der Demokratischen Republik Kongo verwenden. Die Konzerne müssten ihre Lieferkette überprüfen, um auszuschließen, dass mit ihrem Geld bewaffnete Konflikte in dem afrikanischen Land finanziert würden. Untersuchungen der Organisation zusammen mit Uno-Experten hätten ergeben, dass sich die wichtigsten bewaffneten Gruppen im Osten des afrikanischen Landes direkt aus dem Verkauf etwa von Zinn oder Tantal finanzierten.

Im Kongo gibt es indes noch einen weiteren Konfliktschauplatz: Es geht um die Angriffe ruandischer Truppen auf Rebellen der Democratic Forces for the Liberation of Rwanda (FDLR) im Kongo. Zur FDLR gehören auch Hutu-Milizen, die am Völkermord in Ruanda Mitte der neunziger Jahre beteiligt waren. In einer aufsehenerregenden Wendung hatte der kongolesische Präsident Joseph Kabila im vergangenen Jahr mit seinen früheren Feinden in Ruanda und Kongo eine Allianz gebildet. Das Ziel: Die Jagd auf Rebellen im krisengeschüttelten Osten Kongos. Unter starkem innenpolitischen Druck hat er mittlerweile versprochen, die ruandischen Truppen würden sein Land bis Ende Februar wieder verlassen. Vor dem Abzug, so kündigten die Ruander an, solle es in der kommenden Woche noch eine große Parade in Goma geben.

Die aktuelle Flüchtlingswelle nach Uganda sei nachhaltiger als in früheren Fällen, erklärte Kristen Knutson von der Uno-Abteilung für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA). Allein in den vergangenen Monaten seien 47.000 aus dem Kongo Vertriebene nach Uganda gekommen.

Kampf gegen sexuelle Belästigung in Ägypten gewinnt an Fahrt

Sagasig/Ägypten (AP) Gekleidet in Karate-Uniformen und Trainingsanzüge üben die jungen Ägypterinnen paarweise den Nahkampf: Eine greift mit Tritten und Boxhieben an, während ihre Partnerin versucht, die Attacke abzuwehren. Die fast zwei Dutzend Frauen und Mädchen in der kleinen Turnhalle in der Millionenstadt Sagasig nördlich von Kairo lernen, sich gegen Angreifer zur Wehr zu setzen. Solche Selbstverteidigungskurse für Frauen sind in der arabischen Welt bislang äußerst selten.

In Ägypten werden zunehmend mehr davon angeboten. Denn seit dem vergangenen Jahr ist sexuelle Belästigung erstmals öffentlich zu einem großen Thema geworden. Frauen und sogar einige Männer haben in Kairo Aufklärungskampagnen gestartet und nutzen dabei auch das Internet, Facebook etwa. Schon vor zwei Jahren tauchte das Thema erstmals auf, als in Blogs Amateurvideos zu sehen waren, die zeigten, wie Männer an einem hohen muslimischen Feiertag in der Kairoer Innenstadt Frauen belästigten.

So richtig wurde das Problem aber publik, als eine Frauenorganisation eine Umfrage veröffentlichte, wonach sexuelle Belästigung in Kairo und Umgebung weit verbreitet sind. Sogar die Regierung, die davon lange nichts wissen wollte, scheint nun bereit, aktiv zu werden. Ein Gesetz, das derartige Übergriffe unter Strafe stellt, liegt dem Parlament vor, und die Polizei hat in den vergangenen Monaten Dutzende mutmaßliche Täter festgenommen.

Im Oktober wurde ein Lastwagenfahrer zu drei Jahren Haft verurteilt, weil er einer 27-jährigen Passantin an die Brust gefasst hatte. «Das war ein Wendepunkt», sagt Nehad Abu Komsan, Leiterin der Organisation, die die Umfrage durchführte. «Der Richter hat die ernste Botschaft ausgesandt, dass Belästigung ein schwerwiegendes Verbrechen ist.»

Tieferliegende Probleme der Gesellschaft

Die Studie des Ägyptischen Zentrums für Frauenrechte ergab, dass 83 Prozent der befragten Ägypterinnen und 98 Prozent der Ausländerinnen angaben, dass sie sexuell belästigt würden. Und, noch beunruhigender: 62,4 Prozent der befragten Männer räumten ein, dass sie Frauen belästigten. Aus der Studie ging auch hervor, dass es egal war, wie die Frauen gekleidet waren. Von denen, die nach eigenen Angaben belästigt wurden, trug etwa ein Drittel ein Kopftuch und konservative Kleidung. Knapp 20 Prozent trugen sogar einen Schleier und hatten ihren Körper komplett verhüllt. Persönlich befragt wurden in Kairo und Umgebung 2.020 Ägypter, zu gleichen Teilen Männer und Frauen. Außerdem wurden 109 Ausländerinnen befragt, die in Ägypten leben.

Die hohe Quote verweist auf fundamentale Probleme in der muslimischen Gesellschaft des Landes. Ägypterinnen klagen bislang selten darüber, belästigt worden zu sein, um öffentliches Aufsehen zu vermeiden und weil es das Ehrgefühl der Familie verletzen könnte.

Auch die Sicherheitskräfte haben wenig Interesse daran gezeigt, an der Situation etwas zu ändern. Ganz im Gegenteil: Zuweilen sind sie es selbst, die Frauen belästigen. Dazu kommt, dass 20 Prozent der Bevölkerung von weniger als 1,60 Euro am Tag leben, junge Leute also lange warten müssen, bis sie es sich leisten können, zu heiraten und einen eigenen Hausstand zu gründen. Sex vor der Ehe ist indes im Islam verboten, so dass es im Land viele sexuell frustrierte, häufig arbeitslose junge Männer gibt.

«Botschaft an alle Frauen in Ägypten»

Oft geschieht die Belästigung nur verbal, indem Frauen anzügliche Bemerkungen nachgerufen werden. Doch es kommt auch zu körperlichen Übergriffen: Männer, die Frauen auf dem Heimweg folgen, die Frauen an Po oder Brust fassen oder die im Bus ihre Schenkel berühren. «Mir passiert so etwas auf der Straße drei bis vier Mal pro Woche», sagt die 21-jährige Studentin Asmaa Mohammed, die an einem der Selbstverteidigungskurse in Sagasig teilnimmt.

Nach der Veröffentlichung der Umfrage schrieben einige Frauen in Zeitungen Berichte über das, was sie selbst an sexueller Belästigung erlebt hatten. Junge Leute setzten Kampagnen in Gang, um das Unrechtsbewusstsein unter Gleichaltrigen an den Universitäten und anderswo in Kairo zu wecken. Eine Kampagne im Mittelschicht-Viertel Mohandisin unter dem Motto «Achte dich selbst» richtet sich vor allem an Taxifahrer und Essensverkäufer. An sie wird appelliert, die alte Tradition der Gastlichkeit hochzuhalten.

Einige konservative Hardliner geben die Schuld noch immer den Frauen, denn schließlich provozierten sie mit eng anliegender Kleidung oder Make-up. Andere einflussreiche Persönlichkeiten, darunter First Lady Suzanne Mubarak, meinen, dass nur ein paar «faule Äpfel» Schuld hätten. Doch gegen solche Ansichten regt sich inzwischen Widerstand. «Wir wollen eine Botschaft an alle Frauen in Ägypten aussenden, dass sie nicht alleine sind», sagt Abul Komsan von der Frauenorganisation.

Damit das nicht mehr vorkommt, wovon die 16-jährige Hadir Amr Ibrahim berichtet: «Ich stand in einer vollen U-Bahn, und er griff mir an den Po. Ich drehte mich um, und er lächelte. Ich schob ihn weg und fing an zu weinen. Niemand tat etwas. Ich fühlte mich alleine, und ich hatte Angst.» Die Studentin Mohammed will alle ihre Freundinnen davon überzeugen, dass es wichtig sei, zu lernen zurückzuschlagen. «Eine Ägypterin sollte lernen sich selbst zu verteidigen, weil junge Männer in unserer Gesellschaft uns eine Menge schlechter Dinge antun.»

Freitag, 20. Februar 2009

Die heiße Show der Daten-Piraten

Die heiße Show der Daten-Piraten

Von Ralf Sander

Während es im Stockholmer Gerichtssaal beim Raubkopierer-Prozess gegen die Betreiber der Website The Pirate Bay paragrafentrocken zugeht, tobt draußen ein schrilles Medienspektakel. Die Angeklagten verstehen es seit Jahren, sich als moderne Robin Hoods zu inszenieren. Ihre schärfste Waffe ist das Internet.

Knapp 50 Euro sind kein Schnäppchen für eine Eintrittskarte. Schon gar nicht für einen Prozess, für den im Normalfall Tickets überhaupt nicht verkauft werden. Doch in diesem Verfahren gegen die Verantwortlichen des Internetportals The Pirate Bay am Gericht in Stockholm ist nichts normal. Und wo die Nachfrage größer ist als das Angebot, blüht der Schwarzmarkt. Der Journalist Oscar Swartz ist für das US-Magazin "wired.com" vor Ort und berichtet, wie er am ersten Verhandlungstag in einer Ecke der Eingangshalle des Gerichts konspirativ einen Platz im voll besetzten Verhandlungssaal gekauft hat. "Der Pirate-Bay-Prozess ist die heißeste Show in Stockholm", sagt Swartz. Und damit genau das, was die Angeklagten wollen.

Vor Gericht stehen Fredrik Neij, Gottfrid Svartholm Warg und Peter Sunde. Sie betreiben das Internetangebot The Pirate Bay (TPB), ein Verzeichnis für Musik, Filme, Bücher, Software, Videospiele und fast alles andere, das sich digitalisieren lässt. Es gibt viele Websites dieser Art, doch mit rund 1,6 Millionen eingetragenen Dateien gilt TPB als die größte.

Viele, sehr viele der aufgelisteten Werke werden ohne Zustimmung der jeweiligen Rechteinhaber zum Download angeboten. The Pirate Bay macht zwischen legal und illegal erstellten Dateien keinen Unterschied und führt alles gleichberechtigt in seinem Verzeichnis. Deshalb liegen Neij, Warg und Sunde seit Eröffnung der Piratenbucht im Jahr 2003 im Clinch mit Anwälten der Musik-,. Film-, Buch- und Softwarebranche. Die Anklage, die zum Prozess führte, lautet dann auch "Beihilfe zur Urheberrechtsverletzung". (Ausführlichere Informationen zu den juristischen und technischen Hintergründen finden Sie in dem Artikel "Darum geht es im Pirate-Bay-Prozess"). Es gibt außerdem einen vierten Angeklagten, Carl Lundström. Der Geschäftsmann soll The Pirate Bay finanziell unterstützt haben, er ist aber eher eine Randfigur.

Spott und Hähme

Kurz nach dem Start des Angebots vor mehr als fünf Jahren trafen die ersten Schreiben von Juristen ein: Musikverlage forderten die Löschung der Links zu illegal vervielfältigter Musik. Filmstudios drohten mit Schadenersatzklagen wegen Raubkopien von Blockbustern, die über The Pirate Bay zu finden waren. Immer wiesen die Schweden alle Vorwürfe von sich, löschten keinen einzigen Eintrag in ihrer Suchmaschine. Ihre Argumentation war jedes Mal die Gleiche wie auch zurzeit vor Gericht: The Pirate Bay beherberge keine einzige Raubkopie, sondern zeige lediglich den Weg, wo etwas zu finden sei - ob legalen oder illegalen Ursprungs. Das sei nach schwedischem Gesetz rechtmäßig.

Doch bei dieser rationalen Argumentation beließen es die "Piraten" nicht: In ihren Antwortschreiben verspotteten sie die Gegenseite, stellten die Anwälte als Idioten dar und benutzten auch mal "Fuck yourself" als Grußformel. Zudem veröffentlichten sie die Korrespondenz für jeden sichtbar auf ihrer Website. (Beispiele finden Sie in der Bilderstrecke "Dreiste Zitate der Pirate-Bay-Macher".)

Ihre Unverfrorenheit und ihr provokantes Vorgehen haben Anakata, Tiamo und Brokep - so lauten die Pseudonyme von Warg, Neij und Sunde - im Netz zu Kultfiguren gemacht. Viele sahen in ihnen eine Art Asterix und Obelix, die in ihrem gallischn Dorf umzingelt sind und dennoch nicht aufgeben. In diesem Fall ist der Feind aber nicht das römische Heer, sondern die Unterhaltungsindustrie, die einen Kampf um die Wahrung ihrer Urheberrechte in Zeiten des Internet führt.

Server werden beschlagnahmt

Daran änderte auch eine Polizeiaktion am 31. Mai 2006 nichts, in deren Verlauf TPB-Server beschlagnahmt wurden. Die Website verschwand aus dem Netz, war jedoch bereits am 2. Juni wieder erreichbar - dank neuer Server außerhalb Schwedens. Gewürzt war die neue Seite mit einer neuen Provokation: Das Piratenschiff im TPB-Logo schoß mit Kanonenkugeln auf den berühmten Hollywood-Schriftzug.

Die Schweden feierten sich als Sieger und nutzten die neu gewonnene Aufmerksamkeit, um eine politische Diskussion loszutreten. Durch die Beschlagnahme der Server war nicht nur The Pirate Bay vom Netz verschwunden, sondern weitere, völlig unbeteiligte Webangebote, darunter auch ein oppositioneller Nachrichtendienst aus Rußland. The Pirate Bay und andere Organisationen warfen außerdem dem US-amerikanischen Filmverband MPAA vor, politischen Druck ausgeübt zu haben und so indirekt verantwortlich für die Polizeiaktion zu sein. In Schweden begann eine gesellschaftliche Diskussion über politische Einflußnahme, aber auch über das Urheberrecht. Aus dem Pirate-Bay-Team trat Peter Sunde als Pressesprecher verstärkt in die Öffentlichkeit. Die Nutzerzahlen des Angebots verdoppelten sich.

Dass sich das Verfahren nun zu einem Medienspektakel entwickelt, ist vor allem das Werk der drei jungen Schweden. Sie haben von Anfang an verstanden, sich als Widerstandskämpfer gegen eine als gierig empfundene Unterhaltungsindustrie zu inszenieren - als Robin Hoods 2.0, mit Homepage und Community statt Pfeil und Bogen.

Auf den Straßen und im Netz

Um das Gerichtsgebäude herrschte am ersten Verhandlungstag fast Volksfeststimmung: Unterstützer der Angeklagten zeigten ihre Solidarität. Mitglieder des "Piratenbüros" und der "Piratenpartei" - Organisationen, die beide auf politischer Ebene für eine Neuordnung des Urheberrechts kämpfen - waren vor Ort. Die großen schwedischen Tageszeitungen sind mit Bloggern vertreten. Ein alter Bus dient als Pressezentrum für Bürgerjournalisten. Die Gänge des Gerichts sind verstopft mit Fotografen. Und der öffentlich-rechtliche Sender SVT2 überträgt den Ton aus dem Gerichtssaal komplett ins Internet - ein Novum in der schwedischen Gerichtsgeschichte. Bilder aus der Verhandlung sind nicht erlaubt.

The Pirate Bay wollte den Audiostream der Verhandlung ursprünglich selbst übertragen. Der Antrag wurde vom Gericht aber abgelehnt. Der Informationsstrom über den Prozeß ist im Web trotzdem gewaltig. Im Mikroblogging-Dienst Twitter werden Kurznachrichten zum Thema im Sekundentakt in verschiedenen Sprachen veröffentlicht. Jede noch so kleine Entwicklung wird in Echtzeit verbreitet (zum Beispiel zu finden unter dem Twitter-Suchbegriff #spectrial). Wo die Sympathien vieler Twitternder liegen, ist eindeutig: Als beispielsweise Staatsanwalt Hakan Roswall im Saal Probleme hat, seinen Rechner zu bedienen, ergießen sich sofort Ströme von Spott und Häme ins Netz.

Inzwischen kursiert sogar ein Lied zum Prozess: Star wider Willen ist Staatsanwalt Roswall. Seine ins Netz übertragenen Argumente haben findige Musiktüftler namens OBD zusammengeschnitten und mit Elektrobeat unterlegt. Die TPB-Show geht weiter.

Montag, 16. Februar 2009

Flüchtlinge ertrinken vor Lanzarote

Sie hatten das Ziel fast erreicht: Wenige Meter vor der Küste der Kanareninsel Lanzarote ist ein Flüchtlingsboot gekentert. Surfer konnten sechs Menschen retten - doch 21 ertranken, das jüngste Opfer war ein achtjähriges Mädchen.

Las Palmas - "Als wir dort ankamen sahen wir die Überlebenden, die anderen Bootsinsassen trieben im Wasser", berichtete einer der Helfer, Anibal Betancort, dem Radiosender SER. "Von der Küste aus warfen wir ihnen Leinen und Rettungswesten zu. Die Überlebenden hielten sich am sinkenden Boot fest und schrien."

Beim Kentern des Bootes wurden mehrere Flüchtlinge so unglücklich unter dem Schiffsrumpf eingeklemmt, dass sie sich nicht befreien konnten und ertranken. "Man kann nichts machen, wenn die See so rau ist. Man fühlt sich total nutzlos, wenn man Menschen so sieht", sagte Augenzeuge Betancor.

Schwimmer und Surfer versuchten, die Flüchtlinge zu erreichen, berichtete ein Sprecher des Rettungsdienstes. Sechs Menschen konnten Helfer und Küstenwache schließlich retten.

Das Unglück ereignete sich am Sonntagabend am Cocoteros-Strand in der Nähe des Ortes Teguise etwa 20 Meter vor der Küste.

Die Rettungsdienste bargen zunächst 21 Leichen. Zunächst war von 22 Toten berichtet worden. Unter den Opfern waren mehrere Kinder.

Die Nordafrikaner waren nach Angaben des spanischen Rundfunks von der marokkanischen Hafenstadt Tanger aus gestartet in der Hoffnung, auf spanisches Gebiet zu gelangen. Auf der Nachbarinsel Teneriffa landeten am Wochenende unversehrt zwei Boote mit 145 Menschen an Bord, etwa 20 von ihnen waren Kinder.

Flüchtlinge aus Nordafrika nutzen meist die Route entlang der östlichen Kanareninseln oder die Meerenge von Gibraltar, um mit kaum seetauglichen Booten nach Spanien zu gelangen. Nach Angaben der spanischen Behörden konnte die Zahl der Flüchtlingsboote, die Land erreichen, durch verstärkte Überwachung drastisch reduziert worden. Im vergangenen Jahr kamen nach Zahlen des Uno-Flüchtlingshilfswerks UNHCR 13.500 Migranten über das Meer. Das waren etwa 25 Prozent weniger als 2007.

Etwa 9000 Flüchtlinge kamen allein auf den Kanarischen Inseln an. Nach offiziellen Angaben starben im vergangenen Jahr 120 Menschen bei der Flucht aus Afrika nach Spanien. Es wird aber vermutet, dass die Zahl der Todesopfer viel höher liegt.

Tiefrote Aussichten bei Premiere

Für die Anleger des Bezahlsenders geht die Leidensphase in eine neue Runde. 2008 rutschte das Unternehmen noch tiefer in die Miesen als erwartet, und auch in diesem Jahr ist keine Besserung in Sicht.

Für 2009 rechnet Premiere mit einem erheblichen Verlust beim Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda). Zudem wird ein negativer Cash-Flow zwischen 250 und 275 Millionen Euro erwartet. Die Abonnentenzahlen dürften im ersten Halbjahr stagnieren und erst danach auf Grund einer neuen Marketing-Kampagne zunehmen, prognostizierte Premiere.

Im vergangenen Jahr kam es zu massiven Verschlüsselungsproblemen, die den Sender viele Kunden kosteten. So ging die Zahl der Abonnenten bis Ende Dezember von 2,534 Millionen im Vorjahr auf 2,399 Millionen zurück.

Lange Durststrecke in Sicht
Neues Wachstum soll dann wieder nach dem Start der neuen Bundesligasaison im Herbst kommen. Die Bundesligarechte hatte sich Premiere Ende November gesichert. Um wieder in die schwarzen Zahlen zu kommen, braucht Premiere nach früheren Angaben allerdings 3,0 bis 3,4 Millionen Kunden.

Der von Großaktionär Rupert Murdoch im vergangenen Jahr bestellte Vorstandschef Mark Williams stellt sich daher noch auf eine längere Durststrecke ein. Weder in diesem noch im nächsten Jahr sei mit einem Gewinn zu rechnen, hieß es in der Mitteilung. Erst 2011 soll Premiere unterm Strich wieder schwarze Zahlen schreiben.

Ab der kommenden Saison will der Bezahlfernsehsender die Spiele der Fußball-Bundesliga im Internet zeigen. Die Live-Übertragungen stünden auch Nicht-Abonnenten offen, die dann pro Match eine bestimmte Summe zahlen, sagte Premiere-Chef Mark Williams am Montag. Premiere-Kunden sollten eine Rabatt bekommen. Wie hoch die Preise ausfallen werden und ob alle Begegnungen der im August beginnenden Saison 2009/10 gezeigt werden, sei noch nicht klar. Derzeit verlangt Premiere für die Internet-Übertragungen von Champions-League-Spielen fünf bis zehn Euro.

Verluste höher als erwartet
Im vergangenen Jahr ist der Bezahlfernsehsender tiefer in die roten Zahlen gerutscht als erwartet. Der Nettoverlust weitete sich aus auf 269,4 Millionen Euro nach einem Minus von 51,6 Millionen 2007. Analysten hatten im Schnitt lediglich mit einem Minus von 239 Millionen Euro gerechnet. Der Umsatz stieg im vergangenen Jahr leicht auf 941 von 937 Millionen Euro. Auch im vierten Quartal war der Fehlbetrag mit 114,3 (Vorjahresquartal: minus 23,5) Millionen Euro höher als von den Branchenexperten vorausgesagt. Deren Erwartung belief sich auf einen Verlust von 82 Millionen Euro.

Die Aktien von Premiere sind wie erwartet unter Druck gekommen. "Die Zahlen sind durch die Bank weg schlechter als erwartet", sagte der Börsianer. Weil auch der Ausblick für dieses Jahr schwach ist, erwartet er Abschläge bei den Titeln. Die nächste technische Unterstützung liege bei 1,55 Euro. Am Vormittag verliert die Premiere-Aktie knapp 12 Prozent. Dabei hat der MDax-Titel seit Jahresbeginn bereits mehr als 25 Prozent an Wert verloren.

Premiere könnte bald mehrheitlich zu Rupert Murdochs Medienkonzern News Corp gehören. Der hält bereits mehr als ein Viertel der Anteile und hat zugesichert, die Aktien aus einer geplanten Kapitalerhöhung zu kaufen, womit sein Anteil auf über 50 Prozent steigen könnte.

Samstag, 14. Februar 2009

Somalias Präsident sucht Ausgleich mit USA

Die USA haben dem neuen islamistischen Übergangspräsidenten Somalias, Scharif Scheich Ahmad, nach dessen Worten Hilfe beim Wiederaufbau des zerrütteten Landes angeboten.

“Die US-Regierung hat uns ihre Unterstützung zugesichert”, sagte Scharif Scheich Ahmad in einem seiner ersten Interviews nach der Wahl durch das Parlament in Baidoa. Ahmad deutete zudem an, dass er ausländische Militärhilfe annehmen würde, solange sie nicht zu weiteren Konflikten führt.

Der gemäßigte Islamistenführer spielte auf den Einmarsch äthiopischer Truppen vor zwei Jahren an. Hinter der Invasion zur Entmachtung der Religiösen in Mogadischu stand Washington. Scharif Scheich Ahmad führt die vertriebene Union Islamischer Gerichte an, der von der alten US-Regierung Verbindungen mit al-Kaida nachgesagt wurden.

Laut dem neuen Präsidenten gibt es keine Verbindungen zwischen somalischen Islamisten und al-Kaida: “Ich kenne keine.” Den radikaleren Islamisten in der neu gegründeten Islamischen Partei, die ihn bekämpfen wollen, bot Scharif Scheich Ahmad Gespräche an. “Wir sind der ewigen Kriege müde”, sagte er. “Wir werden alles tun, um mit unseren Gegnern zu verhandeln, sie einzubeziehen.” Welche Art der Scharia in Somalia künftig gelten soll, ließ er offen. Exzessen wie der Steinigung angeblicher Ehebrecherinnen erteilte er eine Absage.

Für die internationale Marinepräsenz zur Bekämpfung der Piraterie am Horn von Afrika zeigt der frühere Lehrer Verständnis. “Die Lage ist ziemlich dramatisch”, räumte er ein. “Am besten sei die Piraterie aber mit einem starken Staat zu bekämpfen, zu Lande wie auf dem Meer. “Sobald wir einen gut funktionierenden Staat haben, ist die Piraterie auch in Somalia Geschichte.”

Freitag, 13. Februar 2009

China überschwemmt Afrika

Die Handelsbeziehungen zwischen China und dem afrikanischen Kontinent werden immer enger. Die Exporte der Volksrepublik nach Afrika hatten 2008 ein Volumen rund 51 Milliarden Dollar (rund 40 Milliarden Euro), das waren rund 36 Prozent mehr als im Vorjahr, wie die nationale Statistikbehörde in Peking mitteilte. China liefert vor allem Autos, Motorräder, Maschinen, Stahl, Textilien und Schuhe auf den Kontinent.

Zugleich importierte die Volksrepublik im vergangenen Jahr Waren im Wert von 56 Milliarden Dollar aus Afrika, ein wertmäßiges Plus von 54 Prozent. Damit verzeichnete China im vergangenen Jahr ein deutliches Defizit im Handel mit Afrika, nach einem leichten Plus im Jahr zuvor. Das große wertmäßige Plus resultiert vor allem aus der Explosion der Rohstoffpreise vergangenen Jahr. China importiert aus Afrika vor allem Öl und andere Rohstoffe.

Handel seit 2000 verzehnfacht

Der wichtigste Handelspartner der Volksrepublik in Afrika war im vergangenen Jahr Angola, der größte chinesische Öllieferant auf dem Kontinent. Dahinter rangiert Südafrika. China hat seinen Handel mit Afrika seit der Jahrtausendwende verzehnfacht, vor allem um der boomenden Wirtschaft in der Volksrepublik ausreichend Rohstoffe wie Öl, Mineralien und Holz zu sichern.

Das chinesische Engagement in Afrika wird von Menschenrechtlern kritisch gesehen, weil Peking auch enge Wirtschaftskontakte zu umstrittenen Regierungen wie in Simbabwe und Sudan hält. Allerdings konstatierte die Weltbank, dass Chinas Öffnung nach Afrika dem Kontinent zu einem enormen Schub in der Infrastruktur verholfen habe, was wichtig für die Bekämpfung der Armut sei.

Donnerstag, 12. Februar 2009

Israel wählt den Krieg

Gut drei Wochen nach dem Ende des Gaza-Krieges haben die Israelis mit überwältigender Mehrheit rechts gewählt. Unklar war am Mittwoch noch, wer die künftige Regierung in Tel Aviv anführen wird: Die Likud-Partei von Oppositionsführer Benjamin Netanjahu konnte ihre Mandate von zwölf auf 27 mehr als verdoppeln. Außenministerin Zipi Livni hat mit ihrer Likud-Abspaltung Kadima einen Sitz verloren, stellt aber mit 28 von 120 Sitzen die größte Fraktion in der Knesset. Die rechtsextreme Partei Jisrael Beiteinu (Unser Haus Israel) von Avigdor Lieberman legte vier Mandate zu und stellt mit 15 Abgeordneten künftig die drittstärkste Kraft im israelischen Parlament. Den vorläufigen Ergebnissen der Wahlkommission zufolge erhalten alle rechte Parteien zusammen mehr als 90 Sitze. Hierbei ist die Arbeitspartei von Ehud Barak noch gar nicht mitgerechnet. Obgleich der Verteidigungsminister den Krieg gegen die Palästinenser aus israelischer Perspektive erfolgreich geführt hat, stürzte seine ehemals sozialdemokratische Partei von 19 auf 13 Sitze ab und erreichte damit das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte. Das endgültige Ergebnis soll am heutigen Donnerstag vorliegen, wenn auch rund 175000 Stimmen von israelischen Soldaten ausgezählt sind.

»Wer auch immer demnächst Israel regiert – der Friedensprozeß mit den Palästinensern wird dabei auf der Strecke bleiben«, kommentierte AP. »Die Mehrheitsverhältnisse in der künftigen Knesset sprechen nicht für territoriale Zugeständnisse oder zumindest einen Stopp der jüdischen Siedlungen im Westjordanland.« Der frühere Nahost­unterhändler der USA, Aaron David Miller, erklärte in der Washington Post zum Wahlausgang: »Das ist, als ob man ein Schild an die Friedensgespräche hängt mit den Worten: ›Vorübergehend geschlossen‹. Möglicherweise werden wir eine Regierung in Israel bekommen, die besser Krieg führen als Frieden aushandeln kann.«

Ähnlich äußerte sich die von Israel, den USA und der EU unterstützte palästinensische Fatah. »Es ist offensichtlich, daß die Israelis für eine Lähmung des Friedensprozesses gestimmt haben«, zitierte AFP Nahost-Unterhändler Sajeb Erakat. Der amtierende palästinensische Präsident Mahmud Abbas ließ verlauten, er werde nicht mit einem israelischen Ministerpräsidenten verhandeln, der den Friedensprozeß ablehne. Undiplomatischer äußerte sich die Hamas. Die Israelis hätten »für die kriegslüsternsten Kandidaten« mit den extremistischsten Parolen gestimmt, erklärte Hamas-Sprecher Fausi Barhum in Gaza. Der Wahlausgang offenbare eine »terroristische Kultur« in Israel.

In Syrien kommentierte die regierungsnahe Zeitung Al Thaura: »Die Israelis haben Krieg und Extremismus gewählt.« Irans Außenamtssprecher Hassan Kaschkawi nannte es bedauerlich, daß alle politischen Kräfte Israels versucht hätten, sich im Wahlkampf rechts zu überholen. »Jede Partei hat sich als noch brutaler und aggressiver gegeben und die Besatzung palästinensischen Gebiets noch stärker verteidigt.«

Der israelische Historiker Tom Segev sprach gegenüber Spiegel online von einem »neuen Zeitalter«. Fremdenfeindlichkeit und Rassismus seien heute tief in der israelischen Gesellschaft verankert. »Schon in den vergangenen Jahren ist Israel nach rechts gerückt. Doch jetzt haben wir es mit der extremen Rechten zu tun. Das ist etwas ganz Neues und sehr alarmierend. Als in Österreich mit Jörg Haider ein ähnlich rechter Politiker wie Lieberman an die Macht kam, berief Israel seinen Botschafter ab. Jetzt wird ein Mann vom Schlage Haiders Königsmacher in der israelischen Knesset sein.« Die Bundesregierung ließ gestern verlauten, sie wolle mit der künftigen israelischen Regierung ihre »sehr gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit fortsetzen«.

Zionismus in der Sackgasse

Nach den Wahlen wird in Jerusalem ein breiter rechter Block ins Parlament einziehen. Israels Linke hat diesen Rechtsruck nicht nur mitvollzogen, sondern mit verschuldet.

Will man optimistisch sein, kann man behaupten, dass sich Israel in eine Sackgasse gewählt hat. Die Wahlergebnisse bezeugen, dass ein massiver, sich von Benjamin Netanjahus rechtskonservativer Likud-Partei bis zu den rechtsextremen Ultras der israelischen Parteienlandschaft erstreckender Block zustande gekommen ist, der jegliche Koalitionskonstellation, die sich linksliberal zu gerieren anmaßte (von genuiner linker Gesinnung rede man erst gar nicht), zu verhindern vermöchte.

Moshe Zuckermann, 59, ist Soziologe und leitete von 2000 bis 2005 das Institut für Deutsche Geschichte in Tel Aviv. Zuletzt erschien von ihm: "Israel - Deutschland - Israel. Reflexionen eines Heimatlosen" (Passagen Verlag).

Zugleich errang aber Zipi Livnis Kadima die größte Wählerzahl als Einzelpartei, womit sie beim israelischen Staatspräsidenten den zumindest formalen Anspruch erheben darf, mit der Regierungsbildung beauftragt zu werden. Aus dieser Pattsituation dürfte in den kommenden Tagen und Wochen jenes unsägliche Koalitionsbildungsgerangel erwachsen, welches nach jeder Parlamentswahl in den letzten zehn Jahren die Defizite des israelischen Wahlsystems, mithin die zutiefst unstabile Regierbarkeit Israels immer wieder plastisch vor Augen führt.

Optimistisch mag dies jene stimmen, die sich aus der Ohnmacht der Sackgasse den Kompromiss der Parteien, also die strukturelle "Ausgewogenheit" von links und rechts erhoffen. Besieht man sich aber das Wahlergebnis genau, sollte klar werden, dass die Sackgasse zwar in der Tat eine ist, aber unweigerlich unter dem Primat der israelischen Rechten ihr erbärmliches Dasein fristen wird, wenn Netanjahu, der aller Voraussicht nach mit der Regierungsbildung beauftragt werden wird, sich nicht entscheiden sollte, besagten rechten Block gleich als seine Koalition zu offerieren.

Dass ihm daran nicht gelegen sein kann, hat weniger mit seiner Gesinnung zu tun. Denn nicht nur ist Netanjahus politische Ausrichtung von Haus aus rechts, mit den martialischen Slogans dieser Richtung hat er auch seinen Wahlkampf geführt: keine Verhandlungen über die Golanhöhen und über Jerusalem, kein Rückzug aus dem Westjordanland (den Palästinensern will er lediglich die Unzulänglichkeit eines "ökonomischen Friedens" anbieten), dafür aber die ewig taugliche "Bekämpfung des Terrors" und die stets abrufbereite "iranische Gefahr".

Netanjahu kann sich dennoch keine aus Bausteinen des israelischen Rechtsextremismus gebildete Regierungskoalition leisten. Nicht nur, weil sie ihn zur außenpolitischen Bewegungslosigkeit verurteilen würde (womit er selbst freilich recht gut leben könnte). Sondern weil sie ihn auf Konfrontationskurs mit dem neuen US-Präsidenten und - in seinen Augen wohl weniger bedeutend - mit der EU bringen könnte. Auch Netanjahu wird wissen, dass die fröhlichen Tage der Bush-Ära, in denen sich Israel nahezu alles an Politischem und Militärischem in der Region herausnehmen konnte, ohne dafür von der Politelite der USA diplomatisch zur Rechenschaft gezogen zu werden, vorbei sind. Wie er diesem Dilemma zu entgehen gedenkt, um die fällige Quadratur des Kreises zu bewerkstelligen, steht vorerst in den Sternen geschrieben.

Was indes über dieses Ungemach der israelischen Politik hinausgeht und die gravierende Erosion, die sich in diesen Wahlen vollzogen hat, indiziert, sind zwei andere Erscheinungen. Zum einen ist mit dem Fiasko der Arbeitspartei - ein Wahlergebnis, das die pessimistischsten Prognosen unterboten hat - ihr politisches Schicksal und mit ihm das der gesamten zionistischen Linken auf lange Jahre hinaus besiegelt worden. Amos Oz jüngst proklamierte Feststellung, die Arbeitspartei habe ihre historische Rolle ausgespielt, mag mit diesem Wahlergebnis in der Tat eine symbolische Bestätigung erfahren haben. Aber man vergesse nicht das noch wesentlich desaströsere Wahlergebnis der linkszionistischen Meretz-Partei, der sich Oz im Wahlkampf großtönend angeschlossen hatte. Es verweist darauf, dass sein Diktum nicht nur für die Arbeitspartei, sondern vermutlich für die gesamte zionistische Linke gilt.

Das ist freilich nicht ganz neu. Schon vor Jahren hat sich die Arbeitspartei ihres historischen Auftrags beraubt, als sie die sozialen Belange der gebeutelten israelischen Gesellschaft immer mehr aus den Augen verlor. Innen- wie außenpolitisch begann sie sich so sehr an die Likud-Partei anzugleichen, dass man von ihr in manchen israelischen Kreisen schließlich nur noch als "Likud B" sprach. Und als Jitzhak Rabin in einem schicksalsträchtigen historischen Moment sein Bestreben, den Gegenentwurf zur Likud-Ideologie zu verwirklichen, mit dem Leben bezahlte, erwies sich seine Partei als unfähig, den politischen Mord in einen Gesinnungsauftrag umzusetzen. Sie begab sich in einen Winterschlaf, der seit damals andauert und aus dem sie wohl kaum noch erwachen wird.

Den drastischen Rechtsruck, den die israelische Gesellschaft nach dem Zusammenbruch des Osloprozesses und dem Ausbruch der zweiten Intifada erfuhr, hat die Arbeitspartei nicht nur mitvollzogen, sondern in erheblichem Maß auch mitverschuldet. Die nunmehr manifest gewordene Erbärmlichkeit der Meretz-Partei ist, so besehen, nur ein Epiphänomen von Abläufen, auf die diese Protagonistin des linken Zionismus kaum noch Einfluss nehmen konnte.

Zum anderen ist mit dem rasanten Aufstieg Avigdor Liebermans im gerade abgelaufenen Wahlkampf etwas angezeigt, das als symptomatisch für eine über Lieberman und seine Partei hinausgehende Gesamtentwicklung angesehen werden muss. Denn nicht darum, dass er zum allseits hofierten Königsmacher und Zünglein an der Waage der parlamentarischen Regierungsbildung avancieren konnte, geht es; auch nicht allein um die faschistische Rhetorik, die er während seiner Wahlkampagne so perfide und grobianisch wirksam gegen Israels arabische Bürger einzusetzen wusste. Was mit Schrecken erfüllt, ist der für selbstverständlich erachtete Umstand, dass der Vertreter einer Gesinnung, die vor zwanzig Jahren mit Meir Kahanes Kach-Bewegung, der er eine Zeit lang angehörte, für illegal erklärt wurde, nunmehr den Konsens so vieler in Israels politischem Diskurs genießt. Nicht Lieberman ist das Problem, sondern der gewaltige Zuspruch, den er inzwischen erhält.

Man hat seinen großen Erfolg mit der "prekären Sicherheitslage", mit grassierender "Angst" und der Sehnsucht nach einem "starken Mann" zu erklären versucht. Das mag seinen realen Wahrheitskern haben und ist doch zu eng gegriffen. Denn Lieberman tritt nicht als jemand auf, der reale Lösungen für die anstehenden Probleme und Auswege aus dem Wust innerisraelischer Widersprüche und Konflikte zu bieten hätte. Vielmehr erscheint er als jemand, der dabei ist, den gordischen Knoten akuter israelischer Aporien durchhauen zu wollen.

Der in diesem Zusammenhang von ihm artikulierte Rassismus ist nur Symptom; der in der israelischen Gesellschaft real vorwaltende das eigentliche Problem - das Problem der Gesellschaft selbst, nicht minder aber auch das eines seit langem in die Krise geratenen Zionismus.

MOSHE ZUCKERMANN

Dienstag, 10. Februar 2009

Rücktritt nach Blutbad auf Madagaskar

Antananarivo. Nach der blutigen Eskalation des Machtkampfes auf der Tropeninsel Madagaskar haben die Konfliktparteien eine UN- Vermittlung weitgehend akzeptiert. Präsident Marc Ravalomanana billigte die Rolle des UN-Sondergesandten Haile Menkerios als Verhandlungsführer.

Ravalomananas Gegenspieler, der selbst ernannte Präsident Andry Rajoelina, zeigte nach einer Unterredung mit Menkerios ebenfalls Bereitschaft zum Einlenken. Voraussetzungen seien jedoch die Einsetzung einer Interims-Regierung bis zu Neuwahlen sowie eine Bestrafung der Verantwortlichen für das Blutbad vom Samstag, sagte er am Abend in einem Interview des Fernsehsenders TVplus.

Bei der Protestkundgebung hatten Soldaten am Wochenende ohne Vorwarnung in die Menge gefeuert. Vor dem Hintergrund dieses Blutbads mit mehreren Dutzend Toten war die Verteidigungsministerin am Morgen zurückgetreten. «Nach allem was vorgefallen ist habe ich beschlossen, ab sofort nicht mehr Teil dieser Regierung zu sein», sagte Cecile Manorohanta im Rundfunk. In der Hauptstadt Antananarivo nahmen 15 000 Menschen Abschied von den jüngsten Opfern des Konflikts. Sie zogen bei einer Trauerfeier an den aufgereihten Särgen vorbei. Rajoelina kündigte eine Fortsetzung eines zweiwöchigen Generalstreiks an.

Regierung und Opposition liefern sich seit zwei Wochen einen erbitterten Machtkampf in dem vor Afrikas Ostküste gelegenen Inselstaat im Indischen Ozean. Bei der Kundgebung am Samstag hatte Rajoelina eine Gegenregierung zum Kabinett von Präsident Marc Ravalomanana präsentiert, dem er Machtmissbrauch vorwirft. Wenig später hatten die Soldaten das Feuer eröffnet. Dutzende Menschen wurden getötet. Insgesamt kamen bereits mehr als 100 Menschen ums Leben.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon bot seine Hilfe für eine friedliche Lösung des Konflikts an. Er sei bereit, jede notwendige Unterstützung zu leisten, ließ Ban am Sonntag in New York erklären. Zugleich appellierte er an alle Beteiligten, ihre Differenzen friedlich und mit demokratischen Mitteln auszutragen und Führungsverantwortung zu zeigen. Sein Sondergesandter Menkerios war am Samstag in Madagaskar eingetroffen, um Wege aus der Krise zu suchen.

Montag, 2. Februar 2009

"Israel macht aus Gaza ein Gefängnis, um dafür zu sorgen, dass die Palästinenser flüchten"

Interview von Michelangelo Cocco übersetzt und eingeleitet von * Rosso:

Zum Gaza-Feldzug der Großen Koalition in Tel Aviv und den weiteren Perspektiven brachte die linke, italienische Tageszeitung "il manifesto" am 27.1.2009 ein interessantes Interview mit dem international bekannten und renommierten israelischen Historiker Ilan Pappé.

Ilan Pappé wurde 1954 in Haifa geboren, wohin seine aus Deutschland stammenden Eltern in den 30er Jahren vor dem Naziterror geflohen waren. Pappé arbeitete von 1984 bis 2007 als Professor für politische Wissenschaften an der Universität Haifa. Nachdem die Einschüchterungsmaßnahmen gegen ihn immer weiter zunahmen, entschloss er sich "vorübergehend ins Exil zu gehen" und lehrt nun an der Universität Exeter in England. Politisch ist er seit langem Mitglied der Kommunistischen Partei Israels (Maki).

Ilan Pappé - Es spricht der Vertreter der "Neuen Historiker"

"Israel macht aus Gaza ein Gefängnis, um dafür zu sorgen, dass die Palästinenser flüchten"

Michelangelo Cocco

"Zum Wohle Italiens, Europas und des Mittleren Ostens brauchen wir eine ganz andere europäische Position als die gegenwärtige." So Ilan Pappé als Redner am vergangenen Samstag auf dem überfüllten Seminar "Der westlich-israelische Krieg gegen Gaza", das in Rom von der italienischen Sektion des International Solidarity Movement (ISM) und dem Forum Palestina organisiert wurde. Dem israelischen Wissenschaftler - einem Vertreter der "Neuen Historiker" - und Autor des Buches "Die ethnische Säuberung Palästinas" (erschienen bei Fazi) zufolge "spielt" unser Land "eine bedeutende Rolle bei der Formulierung der Position des Alten Kontinents. Und wenn es mit der aktuellen Position weitermacht, werden sich die kommenden Generationen an die gegenwärtigen Eliten als diejenigen erinnern, die eine sehr negative Rolle gespielt und zur Zerstörung des palästinensischen Volkes sowie zur Destabilisierung der internationalen Sicherheit beigetragen haben."

Die israelische Exekutive behauptet, sie habe den Großteil der Ziele der Operation "Gegossenes Blei" erreicht, aber die Hamas-Regierung kontrolliert Gaza weiterhin und die Palästinenser sind dabei die Tunnel, die Rafah mit Ägypten verbinden, wieder instand zu setzen. Was waren also die Ziele der militärischen Offensive?

"Sich von der Niederlage zu erholen, die man vor zwei Jahren im Libanon erlitten hat und die Abschreckungsmacht der Armee wieder herzustellen. Und die Hamas militärisch zu besiegen, weil sie zusammen mit der Hisbollah die einzige Kraft darstellt, die wirklich gegen Israel opponiert. Außerdem gibt es keine wirkliche Politik gegenüber dem Gaza-Streifen. Die Israelis wollen ihn indirekt kontrollieren, wissen aber nicht wie sie sich zu seinen Bewohnern verhalten sollen. Und wenn die Palästinenser Widerstand leisten, greifen sie zu immer extremeren Kollektivbestrafungen. Die Massaker der letzten drei Wochen haben auch dieses letztere Element zu Tage gefördert."

Welchen Unterschied gibt es zwischen "Gegossenes Blei" und den vorherigen Militärfeldzügen Israels gegen die Palästinenser?

"Die Strategie ist dieselbe, aber dieses Mal gab es eine Eskalation, was die angewandte Gewalt anbelangt, das heißt bei der Lizenz zu töten, die den Truppen ausgestellt wurde. Die nächste Operation könnte noch gravierender sein."

96% der jüdischen Bürger Israels haben diese Militäroperation unterstützt. Wie erklären Sie eine solche Einstellung?

"Wir sprechen von derselben Gesellschaft, die 1948 und 1967 die Palästinenser von ihrem Land vertrieben hat. Nach 60 Jahren der Indoktrination, der Entmenschlichung der Palästinenser und der Dämonisierung der Palästinenser stellte die Tötung von rund tausend von ihnen in drei Wochen kein großes Problem dar. Die Medien und die politische Kultur haben die Gesellschaft darauf vorbereitet, diese Massaker als ‚einen Akt der Selbstverteidigung' zu akzeptieren. Solange die Gesellschaft nicht beginnt, sich von der zionistischen Ideologie zu befreien, wird es keine ernsthafte Opposition gegen Operationen wie ‚Gegossenes Blei' geben können."

Dennoch hagelt es Anklagen wegen "Kriegsverbrechen", während sogar Gruppen israelischer Juden dazu auffordern, den Staat Israel wegen der Art, wie er die Palästinenser behandelt, zu boykottieren. Glauben Sie nicht, dass einer der Effekt der Gemetzel die Isolation des jüdischen Staates sein wird?

"Ich wünsche mir das, aber ich glaube nicht, dass Israel durch derartige Initiativen gestoppt wird. Der Internationale Gerichtshof hat den Apartheidwall verurteilt. An der israelischen Politik hat das allerdings keinen Deut geändert. Vielleicht kommt aber ein Prozess in Gang. Ich will es hoffen."

Sie sind für den Boykott, auch für den kulturellen und akademischen. In welcher Weise kann das, Ihrer Meinung nach, den Friedenprozess fördern?

"Wenn der Boykott Erfolg haben sollte, würde die kulturelle und intellektuelle Elite Israels spüren, dass sie, aufgrund ihrer Komplizenschaft oder ihrer Gleichgültigkeit gegenüber der Regierungspolitik nicht akzeptiert wird. Sie wäre gezwungen zu handeln, weil sie nicht leben kann, ohne Bestandteil der westlichen Welt zu sein. Eine derartige Maßnahme allein würde nicht genügen. Für eine wirkliche Veränderung bräuchte es eine generelle Politik, die auf ihre Umsetzung drängt. Aber es wäre ein guter Anfang, weil diese Intellektuellen in Israel beim Erzeugen des Bildes eines jüdischen Staates, der in seinem Kampf gegen die Palästinenser vom gesamten Westen unterstützt wird, eine zentrale Rolle spielen."

Von der "Nakba" 1948 / 49 bis zur Operation "Gegossenes Blei" 60 Jahre später scheint die palästinensische Nationalbewegung tot zu sein.

"Sie ist nicht tot, aber sie steckt in einer tiefen Krise, was die Einheit, die Ziele und die Strategie anbelangt. Die palästinensische Befreiungsbewegung hat sich nie in einer guten Verfassung befunden. Dennoch glaube ich, dass sie das Potential besitzt, um zu einer besseren Führung und einer besseren Strategie zu gelangen. Viel von der Verantwortung für den Zustand, in dem sie sich befindet, ist allerdings der westlichen Welt geschuldet. Dieses Problem ist nicht von den Palästinensern, sondern von Europa geschaffen worden. Die Tatsache, dass die Palästinenser eine bessere Führung verdient hätten, entbindet uns hier in Europa nicht davon, unser Bestes zu tun, um sie zu unterstützen."

In Ihrem letzten Buch behaupten Sie, dass die zionistische Bewegung seit den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts an einem Plan gearbeitet hat, um die ethnische Säuberung von den Palästinensern zu verwirklichen. Heute sind solche Operationen jedoch unvorstellbar. Die beiden Völker sind dazu verurteilt, zusammenzuleben. Aber in welcher Form?

"Vor einigen Jahren schien es unmöglich, dass Israel innerhalb weniger Tage 400 palästinensische Kinder tötet. Aber genau das hat es getan, ohne dass die Welt einen Finger gekrümmt hätte. Das bedeutet, dass es zum Beispiel Tausende Menschen vertreiben könnte und in Italien oder in Großbritannien würden die Regierungen nicht dagegen opponieren. Ich glaube jedoch, dass die Israelis keine ethnische Säuberung wie die von 1948 brauchen. Die Strategie ist eine andere: Gaza und die Hälfte des Westjordanlandes ‚im Gefängnis' zu halten, sodass Viele das Land verlassen. Wenn nötig werden sie eine neue ethnische Säuberung starten oder einen Genozid oder wieder zur Besatzung zurückkehren. Das sind die Instrumente. Was zählt ist, dass sich die Strategie nicht geändert hat und dass Israel, wenn es sich die internationalen Reaktionen anschaut, das Gefühl hat, bezüglich dessen, was es tun kann (ethnische Säuberung inklusive) mit wirklich wenigen Einschränkungen konfrontiert zu sein."

Sie meinen also, dass die Strategie die der ethnischen Säuberung ist und nicht die Schaffung eines Apartheidregimes?

"Es handelt sich da um zwei Elemente, die - genau wie im Fall des Rassentrennungsregimes in Südafrika - nicht von einander zu trennen sind. Apartheid bedeutet Schaffung von Gebieten, die nur einem Volk vorbehalten sind. Das kannst Du durch Trennung oder durch Vertreibung eines der Völker erreichen oder durch Mord. Das sind nur Mittel, die Bestandteil derselben Ideologie sind."

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügung in eckigen Klammern: * Rosso

Der Name * Rosso steht für ein Mitglied des Gewerkschaftsforums Hannover und der ehemaligen Antifa-AG der Uni Hannover, die sich nach mehr als 17jähriger Arbeit Ende Oktober 2006 aufgelöst hat.

Theologe: Papst hat «wohlüberdachte Strategie»

Sind die umstrittenen Entscheidungen des Papstes plausibler als gedacht? Ein österreichischer Kirchenhistoriker hat seine eigene Theorie zur Rehabilitierung der Piusbrüder und die Ernennung eines Erkonservativen zu Weihbischof.

Der Mann hat einen Plan, und so könnte er aussehen: Die umstrittene Rehabilitierung von vier Bischöfen der traditionalistischen Priesterbruderschaft St. Pius X. und die Ernennung des erzkonservativen österreichischen Priesters Gerhard Maria Wagner zum Weihbischof von Linz sind nach Meinung des Grazer Kirchenhistorikers Maximilian Liebmann Teil einer «wohlüberdachten Strategie» des Papstes. Im Falle Wagners wolle Benedikt XVI. offenbar «die etwa 30 Prozent konservative Katholiken» in Österreich zufriedenzustellen, die sich in den vergangenen Jahren ins Abseits gedrängt fühlten. «Der Vatikan will diese Gruppen nicht alleinlassen und abdriften lassen».

Innerhalb der österreichischen Kirche sei das konservative Denken noch «stark vertreten». Liebmann bezweifelte Äußerungen aus dem Vatikan, wonach die Rehabilitation des britischen Holocaust-Leugners Richard Williamson ein «Versehen» und das Ergebnis mangelnder Information aufseiten Benedikts gewesen sei. «Dieser Mann ist einer der intelligentesten Päpste der vergangenen Jahrhunderte, und er war 20 Jahre selbst Kurienkardinal. Der kennt sich ganz genau aus. Ein Unfall aufgrund mangelnder Information war das nicht», sagte der Wissenschaftler der Nachrichtenagentur dpa am Montag.

Sturz der Hamas könnte «hohen Preis» fordern

Während Israels Armee immer noch dabei ist die Hamas zu bekämpfen, debattiert die Politik über den Umgang mit den palästinensischen Islamisten. Oppositionsführer Benjamin Netanjahu will ihren Sturz - und erntet Widerspruch.

Bei neuen gewaltsamen Zwischenfällen im Gazastreifen und im Westjordanland sind am Montag zwei Palästinenser getötet und mehrere verletzt worden. Eine Woche vor den Parlamentswahlen appellierte unterdessen der israelische Staatspräsident Schimon Peres an die künftige Regierung, den Friedensprozess mit den Palästinensern fortzusetzen.

«Ganz gleich wie die nächsten Wahl ausgeht, der Friedensprozess kann nicht für vier Jahre aufgeschoben werden», sagte Peres am Montag zum Auftakt einer sicherheitspolitischen Tagung in Herzlija nördlich von Tel Aviv.

Ein Palästinenser wurde getötet und ein weiterer lebensgefährlich verletzt, als eine von der israelischen Luftwaffe abgefeuerte Rakete ihr Fahrzeug im südlichen Gazastreifen traf. Nach Angaben von Sanitätern war das Auto östlich der Grenzstadt Rafah unterwegs. Ein israelischer Armeesprecher bestätigte den Luftangriff und sagte, es handele sich um militante Palästinenser, die kurz zuvor zwei Mörsergranaten auf Israel abgefeuert hätten.

Bei einem weiteren Zwischenfall im Westjordanland wurden am Montag nach palästinensischen Angaben ein Palästinenser getötet und vier weitere verletzt. Ein israelischer Militärsprecher teilte mit, ein bewaffneter Palästinenser habe bei Hebron aus einem Auto das Feuer auf eine Armeepatrouille eröffnet. Die Soldaten hätten zurückgeschossen. Aus palästinensischen Sicherheitskreisen hieß es hingegen, es habe sich vermutlich um palästinensische Arbeiter gehandelt, die in Israel eine Anstellung suchten.

Deutsches Expertenteam aus Ägypten zurück
In der Nacht hatte die israelische Armee als Reaktion auf palästinensische Raketenattacken eine unbesetzte Polizeistation im Gazastreifen und Tunnelanlagen an der Grenze zu Ägypten angegriffen. Die von der radikal-islamischen Hamas geleitete Polizeistation im Gazastreifen stand Medienberichten zufolge zum Zeitpunkt des Angriffs leer, es wurde niemand verletzt. Die Polizeistation wurde komplett zerstört. Weitere Luftangriffe galten nach Militärangaben sechs Schmugglertunneln an der ägyptischen Grenze im Süden.

Der scheidende israelische Ministerpräsident Ehud Olmert hatte am Sonntag eine harte Reaktion auf den erneuten Beschuss Südisraels mit palästinensischen Raketen angekündigt. Eine Wiederaufnahme der Offensive im Gazastreifen sei jedoch unwahrscheinlich, hieß es aus Verteidigungskreisen. Stattdessen erwäge Israel Luftangriffe auf führende Mitglieder der Hamas.

Deutsche Experten haben derweil sechs Tage lang die Sicherung der Grenze Ägyptens zum Gazastreifen geprüft. Die gewonnen Erkenntnisse würden derzeit ausgewertet, hieß es am Montag aus dem Bundesinnenministerium in Berlin. «Mögliche Empfehlungen werden sowohl organisatorische, wie auch taktisch- strategische und schwerpunktmäßig technische Aspekte berücksichtigen.» Durch Tunnel im Grenzgebiet werden Waffen in den Gazastreifen geschmuggelt. Diese Waffenlieferungen zu unterbinden, war eines der Ziele der israelischen Offensive in Gaza.

Debatte zum Umgang mit der Hamas
Staatspräsident Peres warnte unterdessen am Montag vor einem Sturz des Hamas-Regimes im Gazastreifen. «Wenn wir Hamas stürzen, werden wir verantwortlich sein für Gaza, für den Wiederaufbau, die Entwicklung und das Wohlergehen», sagte Peres. Sollte Israel den Friedensprozess nach der Wahl in einer Woche nicht fortsetzen, müsse man längerfristig einen höheren Preis zahlen, warnte der Friedensnobelpreisträger.

Als Favorit bei der Parlamentswahl am 10. Februar gilt Oppositionsführer Benjamin Netanjahu. Der Vorsitzende des rechtsgerichteten Likud lehnt eine Fortsetzung des Friedensprozesses mit den Palästinensern in seiner derzeitigen Form ab. Netanjahu will nur einen «wirtschaftlichen Frieden» schließen. Für ihn steht die Gründung eines unabhängigen Palästinenserstaates derzeit nicht zur Debatte. Er will zudem die Hamas stürzen.

Reaktionen der Hamas
Die Hamas übernahm keine Verantwortung für die neuen Angriffe, zu denen sich meist kleinere Gruppen bekannten. Auch der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak räumte am Montag ein, dass die radikalislamische Bewegung wohl keine der Raketen abgefeuert habe.

Der im Exil lebende Hamas-Führer Maschaal wurde in Teheran vom iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad empfangen. Das iranische Fernsehen berichtete, Maschaal habe die politische und geistliche Unterstützung aus Teheran hervorgehoben und der iranischen Führung gedankt. Ihre Hilfe sei wichtig «für den Sieg der Menschen im Gazastreifen» gewesen. Der Iran sei Partner des Sieges, erklärte er mit Bezug auf die jüngste israelische Militäroffensive im Gazastreifen.

Sie endete am 18. Januar mit einer informellen Waffenruhe. Danach zogen sich die israelischen Truppen zurück und die Hamas sprach von einem Sieg. Fast 1300 Palästinenser wurden während der dreiwöchigen Militäroffensive getötet.

Teuer angeklickt: Abo-Abzocken 2009

Rechnungen, Mahnungen, Drohungen - und kein Ende

von Michael Scheuch

Seit einigen Jahren sind Abofallen im Internet eine der beliebtesten Maschen von dubiosen Geschäftemachern. Trotz intensiver Berichterstattung der Medien und breiter Öffentlichkeitsarbeit der Verbraucherzentralen geraten immer noch Menschen in die Abofallen. Und: Die Themenbereiche der teuren Dienstleistungen verändern sich stetig. Aktuell sind es kostenpflichtige Downloadseiten, mit denen gerne geködert wird.

Harald H. ist auf der Suche nach einer Textverarbeitung für sein neues Netbook: Er kennt die kostenlose Open-Source-Software Open Office und hat diese in der Vergangenheit bereits erfolgreich installiert. Im Dezember 2008 sucht er per Suchmaschine nach einer Download-Möglichkeit für das Programm, einer der ersten Treffer führt in aber nicht auf die Webseite von Open-Office sondern zu "opendownload.de" - das klingt so ähnlich, und das ist sicher kein Zufall! Wie er das von Programmen, auch kostenlosen, so gewohnt ist, registriert er sich für den Download.

Die Internetseite leitet ihn dann weiter, er lädt die Software auf seinen Rechner und alles scheint gut zu gehen. Doch die Falle hat zugeschlagen: Am nächsten Tag erhält er von einer Firma namens Content Services Ltd. eine Rechnung über 96 Euro für das erste Jahr eines Zwei-Jahres-Abos der Internetseite. Harald H. ist ein erfahrener Computernutzer. Dennoch ist ihm die Preisangabe auf der Webseite durchgerutscht. Er war sich nämlich sicher, ein kostenloses Programm herunterzuladen. Das ist es auch, nur die Geschäftemacher von Content Services wollen selbst an dieser kostenlosen Software verdienen.

Altbekannt und erfolgreich

Das Phänomen ist seit Jahren bekannt. Trotzdem hat das Thema nichts von seiner Brisanz verloren: Das Unwesen mit scheinbar kostenlosen Internetangeboten, bei denen die Nutzer meist unbewusst einen teuren mehrjährigen Vertrag abgeschlossen haben sollen. Zumindest behaupten das die Betreiber in der dicken Rechnung, die kurz darauf ins E-Mail-Postfach oder per Post kommt.

Nach wie vor suchen Tausende Internet-Nutzer jeden Monat bei den Beratungsstellen der Verbraucherzentralen Rat, wie mit diesen Forderungen umzugehen sei.

Die Masche in Kurzform

Egal, um welches Angebot es geht, die Methode ist immer dieselbe: Auf der Suche nach Downloads oder Dienstleistungen stößt der Nutzer in den Trefferlisten der Suchmaschinen auf einschlägige Webseiten. Dort muss er sich registrieren, eine Preisangabe findet sich höchstens in den (langen) AGB, dazu meist am unteren Bildschirmrand. Häufig sind die Seitendimensionen so angelegt, dass bei einer normalen Monitorauflösung (1024*768 Punkte) beide Positionen außerhalb des sichtbaren Bereichs liegen.

Auch wenn ein Preis angegeben ist: Häufig wird nur der Monatspreis für ein "Abonnement" genannt, ab und zu der Jahrespreis. Doch da angeblich ein Vertrag über 24 Monate zu Stande kommt, ist der eigentliche Endpreis doppelt so hoch. Diese Angabe fehlt fast immer. Es folgen Rechnungen des Anbieters, dann Mahnungen, dann häufig Anwaltsschreiben, Drohungen mit gerichtlichen Verfahren, Klagen, Schufa-Einträgen und Strafanzeigen. Der aufgebaute Psycho-Druck soll über kurz oder lang den Nutzer zur Zahlung drängen.

Aktuelle Angebote

Die Klassiker bei den Aboabzocken sind kostenlose SMS, Webseiten zu Lebenserwartung und Ahnenforschung, Online-Routenplaner, Webseiten mit Rezepten oder Gedichten. Häufig sind die entsprechenden Webseiten mit Gewinnspielen gekoppelt, die die Aufmerksamkeit von den Preisangaben ablenken und "erklären", warum Name und Adresse angegeben werden sollen.

Die Betreiber sind häufig britische Limiteds'. Auch wenn diese über eine deutsche Postadresse verfügen, sitzt die Abzockfirma gerne in Großbritannien, auf den Virgin Islands, aber auch in der Schweiz, den Vereinigten Arabischen Emiraten oder zuletzt auf Zypern oder Malta. Klarer Fall, dass gegen diese Anbieter kaum vorgegangen werden kann.

Infobox

Aktivitäten in Internet-Foren

In vielen Internet-Foren tauschen sich Betroffene aus. In letzter Zeit gibt es dort auch Postings zu lesen, die von erfolgten "Hausdurchsuchungen" und gerichtlichen Niederlagen sprechen. Offensichtlich infiltrieren die Abzock-Firmen inzwischen diese Foren oder fälschen gar angebliche Verbraucherportale um Hilfesuchende zu verunsichern.

Die Rechtslage

Im Internet besteht ein grundsätzliches Problem des Nachweises, dass ein gültiger Vertrag zwischen Anbieter und Nutzer geschlossen wurde. Bei Warenlieferungen wird spätestens im Moment der Zustellung klar, dass ein Kaufvertrag von beiden Seiten gewollt ist. Bei den Aboseiten, die eine Lieferung von elektronischen Gütern, also etwa Texten, Bildern oder Downloads vorsehen, ist der Fall weniger klar.

Verbraucherzentralen halten die angeblichen Verträge aus mehreren Gründen für ungültig beziehungsweise gar nicht erst zu Stande gekommen:

  • Wenn über die Tatsache, dass es sich ein kostenpflichtiges Angebot handelt, getäuscht wird.
  • Wenn die Kostenhinweise ungenügend, nicht in unmittelbarer Umgebung des "Bestätigen" Buttons befindlich oder unvollständig sind.
  • Wenn die AGB den Verbraucher unzulässig benachteiligen, etwa weil Kündigungsfristen sittenwidrig lang sind.
  • Wenn Unklarheit über die zu erbringende Gegenleistung des Vertragspartners besteht.

Sollten Minderjährige im Haushalt den Vertrag abgeschlossen haben, so kann sich der Betroffene auch darauf berufen, dass sie als gesetzlicher Vertreter dem potenziellen Vertragsabschluss nicht zugestimmt haben.

Wie reagieren?

Aller Erfahrung nach reagieren die Anbieter auf die Musterbriefe der Verbraucherschützer inhaltlich überhaupt nicht. Die verweisen in ihren Schreiben auf Rechtstatbestände, die nicht auf den Fall zutreffen, oder hantieren wahllos mit juristischen Fachbegriffen. Von diesen muss sich kein Verbraucher abschrecken lassen. So wird etwa damit gedroht, Strafanzeige zu erstatten, wenn sich ein Minderjähriger unter Angabe eines falschen Geburtsdatums angemeldet hat. Eine Drohung, die substanzlos ist.

Aufgrund der Fruchtlosigkeit der Erwiderungsschreiben rät Markus Saller von der Verbraucherzentrale Bayern inzwischen nicht mehr dazu, Widerspruchsschreiben an die angegeben Adressen zu richten. Ist man sich sicher, dass der Anbieter nach oben genannter Masche vorgeht, sollte man alle Schreiben ignorieren. Eine kurze Internetrecherche wird meist belegen, dass man nicht alleine ist. Das Inkasso betreiben seit Jahren auch einschlägig bekannte Anwälte, gerne aus Osnabrück oder München. Auch diese drohen damit, dass Sie "ihrem Mandanten empfehlen werden, juristische Schritte einzuleiten." Auf solche juristischen Schritte wartet Markus Saller.

Wichtig ist nur, bei einem gerichtlichen Mahnbescheid, fristgemäß Widerspruch einzulegen - ansonsten wird die Forderung anerkannt. Ein Mahnbescheid ergeht vom Gericht aus ohne Prüfung, ob die Forderung zu Recht besteht, ist also kein Beweis, dass die Abo-Fallen legal sind. Wer allerdings den Widerspruch versäumt, der riskiert, dass die Forderung gerichtlich eingetrieben werden kann.

Aktuelle Warnungen

Die Verbraucherzentrale Sachsen-Anhalt warnt aktuell (Stand: 28.1.2009) vor Rechnungen des Downloadportals "happy-load.com". Diese erreichen anscheinend wahllos E-Mail-Adressen und enthalten nicht einmal Namen und Adressen des angeblich Zahlungspflichtigen. Die Verbraucherschützer raten von einer Kommunikation mit der Firma im Emirat Dubai ab, um nicht weitere persönliche Daten in die Hände der Firma zu geben.

Vorsicht auch bei Angeboten, die statt mit Abofallen ihre Rezepte oder Gedichte mit dem Download von Software verknüpfen. Geworben mit "Virenfrei. Kein Dialer. Kein Abo". Dafür handelt es sich um Ad-Ware, als einem Programm, das die Startseite des Benutzten Browsers verändert und Werbung einblendet - eventuell so häufig, dass ein technisch einwandfreier Internetzugang nicht mehr hergestellt werden kann. Die Software kann von einem Laien nicht ohne weiteres wieder entfernt werden und könnte weitere Schadfunktionen enthalten.