Mittwoch, 25. März 2009

Der Nackte in der Galerie ist der Mann aus der Regierung

Aktporträts in Dubliner Museen eingeschleust

Er ist eher beleibt als beliebt, das muss man leider so sagen. Vor allem, seit Irland als erstes europäisches Land in die Rezession abrutschte, finden seine Bewohner ihren Premier Brian Cowen nicht mehr so richtig sexy. Und dann noch neulich dieser Fauxpas bei Obama: Hält der Mann von der grünen Insel doch tatsächlich nicht seine eigene Rede, sondern die seines Gastgebers. Falscher Text auf dem Teleprompter. Und erst nach mehreren Absätzen hat's der Cowen gemerkt. "Das ist Ihre Rede!" sagte er noch mit großen Augen - doch da eilte ihm der US-Präsident auch schon heiter und leichten Fußes zur Seite und half, die richtige Ansprache auf dem Bildschirm zu finden.

Obama und Cowen (Foto: AP)

Da hat er noch was an:
Irlands Regierungschef Cowen und sein leichtfüßiger Kollege aus den USA (links).


Blanker Hohn im Museum

Als hätte es der Mann nicht schwer genug in diesen Zeiten, nun auch noch dieser Satire-Angriff: Quasi über Nacht und absolut unangefordert sind in zwei Dubliner Museen Porträts des Premiers aufgetaucht, und zwar: Aktporträts. Der Premier ohne was an. Einem nackten Mann kann man ja bekanntlich nicht in die Tasche greifen.

Weil das nicht nur keiner sehen will, sondern auch keiner sehen soll, hat die Frühschicht sowohl in der Royal Hibernian Academy als auch in der National Gallery ganz fix reagiert und die jeweiligen Museumsleitungen eingeschaltet. Die haben die Ölgemälde dann unverzüglich entfernt - allerdings gab es für den öffentlichen Rundfunksender RTE noch eine kleine Bildbeschreibung. So soll auf einem der eingeschmuggelten Werke Cowen nackt mit einem blauen Slip in der Hand zu sehen sein. Immerhin war der Bildausschnitt freundlich gewählt: Der schwergewichtige Premier sei nur von der Taille aufwärts zu sehen. Das zweite Gemälde zeigte Cowen demnach auf der Toilette sitzend.

Das Gegenteil von Kunstraub?!

Nun werden Kunstwerke normalerweise entweder am Tage von Museen angekauft oder in der Nacht aus Museen entwendet. Dass Kunstwerke des nachts in Museen eingeschleust werden, kommt selten vor. Die Royal Hibernian Academy ließ dennoch durch eine Sprecherin vermelden, man werde die Zuwanderung von Exponaten auf diese Weise nicht dulden. Das Haus werde künftig genauer darauf achten, dass nichts mehr eingeschmuggelt wird.

Montag, 23. März 2009

Britischer Islamist will Schwule steinigen lassen

Anjem Choudary will mit der Scharia Schwule töten lassen.
Anjem Choudary will mit der Scharia Schwule töten lassen.

Der muslimische Extremist Anjem Choudary hat bei einer Pressekonferenz in London die Steinigung von Homosexuellen gefordert.

Der 41-jährige Choudary erklärte, sein Ziel sei die Einführung der Scharia in Großbritannien. Danach müssten Ehebrecher und Homosexuelle zu Tode gesteinigt werden, erklärte der Islamist nach Angaben der "Daily Mail". "Es kann passieren, dass ein Mann einen anderen Mann mag", so Choudary. "Aber wenn man seiner Lust nachgibt und das bewiesen ist, dann ist eine Strafe unerlässlich. Man steinigt aber nur, wenn es vier Augenzeugen sind." Auf weitere Nachfragen von Jouralisten erklärte Choudary weiter: "Es gibt Leute, die sich zu Eseln hingezogen fühlen, aber das heißt nicht, dass das richtig ist."
Aktivist auf einer von Choudary organisierten Demonstration: "Köpft diejenigen, die den Islam beleidigen".
Aktivist auf einer von Choudary organisierten Demonstration: "Köpft diejenigen, die den Islam beleidigen".
Politiker und Homo-Aktivisten forderten Scotland Yard sofort auf, gegen den Prediger zu ermitteln. Er ist bereits 2006 wegen Protesten gegen Mohammed-Karikaturen in dänischen Zeitungen verhaftet und zu einer Geldstrafe in Höhe von 500 Pfund verurteilt worden.

Der ehemalige Rechtsanwalt Choudary, der derzeit von Sozialhilfe lebt, gehört zu den notorischsten Hasspredigern Großbritanniens. Er inszenierte in der Vergangenheit medienwirksame Auftritte und Demonstrationen, bei denen er teilweise mehr als 100 Anhänger mobilisieren konnte.

Seine Rhetorik wird oft in der britischen Presse zitiert: So erklärte er nach den Bombenanschlägen 2005 in London, bei denen 56 Menschen getötet und über 700 verletzt wurden, dass Muslime im Königreich "unterdrückt" warden würden und daher ein Recht hätten, sich zu "verteidigen". Der Islam sei "keine Religion des Friedens", findet Choudary: "Er ist eine Religion der Unterwerfung. Man muss sich Allah unterwerfen." Er sprach sich in der BBC aber dagegen aus, "unschuldige Menschen" zu töten – "unschuldig" seien seiner Definition nach aber nur Muslime. (dk)

Sonntag, 22. März 2009

Karl-Ludwig Günsche, Kapstadt

Der Papst lehnt Kondome ab - für die Hilfsorganisationen in Kapstadts Elendsvierteln sind sie die beste Aids-Prävention. Die kostenlose Verteilung hat die Infektionsrate dramatisch gesenkt. Ein Lehrstück für die Kirche.

Es ist eine elende Bretterhütte am Rande von Khayelitsha, dem größten Township vor den Toren Kapstadts. Unter einer grauen Wolldecke kaum sichtbar liegt Mary auf einer ärmlichen Matratze. Ausgezehrt, kraftlos. Viel mehr als 30 oder 40 Kilogramm wiegt die junge Frau nicht mehr. Mary hat Aids im Endstadium. Sie ist 19 Jahre alt. Vor drei Jahren hat sie sich angesteckt, beim berühmten “ersten Mal”. Mary ist zu spät zum Arzt gegangen. Sie hatte Angst vor dem “Stigma”, dem Ausgestoßenwerden durch die Familie und die Freunde.

Also ging sie zu einem Sangoma, einen traditionellen Heiler, der sie mit Kräutern und Beschwörungen behandelte. Erst als sie immer kränker wurde, ging sie in eins der städtischen Gesundheitszentren in ihrem Township. Dort erfuhr sie die tödliche Wahrheit: HIV-positiv. Die Krankheit war nicht mehr zu stoppen.

Marys Stimme ist so leise, dass sie kaum zu hören ist: “Ich war jung und dumm. Ich wusste damals nicht, dass man sich mit Kondomen schützen kann. Aber solange ich noch kann, predige ich meinen Brüdern und Schwestern, dass sie Kondome benutzen sollen, wenn ihnen ihr Leben lieb ist.”

Eine alltägliche Geschichte aus einem Elendsviertel, in dem Armut und Aids Alltag sind. Doch Khayelitsha ist auch eine Erfolgsgeschichte im Kampf gegen Aids: Um die Jahreswende 2004/2005 startete die Stadtverwaltung Kapstadt gemeinsam mit privaten Hilfsorganisationen wie der “Treatment Action Group” eine gigantische Kondom-Aufklärungs- und Verteilungskampagne. Denn obwohl in Khayelitsha nur elf Prozent der Kapstädter Bevölkerung leben, waren dort 34 Prozent aller Fälle sexuell übertragener Krankheiten registriert - mit Aids an der Spitze.

Virginia de Azevedo, Leiterin des Projektes, sagt rückblickend: “Kaum einer hat mit einem Erfolg gerechnet. Afrikanische Männer würden die Gummidinger ablehnen. Die Kondome würden massenweise unbenutzt auf den Straßen rumliegen, warnten mich die Leute. Das Gegenteil trat ein: Die Nachfrage wuchs.” Beim Start verteilten Dr. de Azevedo und ihre Mitstreiter statistisch gesehen an jeden über 15-jährigen männlichen Bewohner von Khayelitsha pro Jahr 23 Kondome. Sie hatten sich das “unerreichbare” Ziel gesetzt, jährlich eine Million Kondome pro Monat kostenlos “an den Mann” zu bringen - in den öffentlichen Toiletten, in Kneipen, Taxis, Büchereien, an Tankstellen.

Die Infektionsrate sank um 50 Prozent

Das Millionen-Ziel ist inzwischen nicht nur erreicht, sondern übertroffen. Statistisch gesehen versorgt sich jeder männliche Township-Bewohner inzwischen mit 104 kostenlosen Kondomen im Jahr. Die Infektionsrate mit sexuell übertragenen Krankheiten sank in nur drei Jahren um dramatische 50 Prozent.

Ich kann jedem beweisen, dass der Kondomgebrauch die Verbreitung von HIV drastisch einschränken kann, auch dem Papst,” sagt Virginia de Azevedo kämpferisch. “Im Kampf gegen Aids spielen Kondome eine sehr, sehr große Rolle. Der Papst weiß offensichtlich nicht, wovon er spricht.” Benedikt XVI. hatte auf dem Weg zu einer Afrika-Reise geäußert, die Benutzung von Kondomen verschlimmere das Aids-Problem - und war dafür massiv kritisiert worden.

Nicht nur die tägliche Praxis in den Townships in Südafrika, auch wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass Kondome eine Schlüsselrolle bei der Eindämmung der Seuche spielen. Langzeitstudien der Universitäten Lausanne, Washington und Oxford ergaben, dass Kondome weder die Promiskuität noch die sexuelle Aktivität fördern, dafür aber die Ansteckungsrate mit sexuell übertragenen Krankheiten drastisch senken können.

John Santelli von der Columbia Universität New York fasst die Ergebnisse der Studien zusammen: “Keuschheit ist eine sehr gesunde Wahl für Teenager. Aber sexuelle Aufklärung junger Menschen bedeutet vor allem, dass man ihnen jede medizinisch korrekte Information gibt, die sie brauchen, um sich selbst zu schützen.” Dr. Mary Rotheram-Borus von der Universität von Kalifornien in Los Angeles sagt es noch klarer: “Programme zur Förderung des Kondomgebrauchs haben in den europäischen Ländern zu einer substanziellen Reduzierung von Teenager-Schwangerschaften und -Geburten sowie von sexuell übertragenen Krankheiten geführt.”

Nicht nur in Europa, auch in Afrika, wo die meisten HIV-positiven Menschen leben, kann der Großeinsatz von Kondomen die Ansteckungsraten dramatisch senken. Das Vorzeigeprojekt ist Uganda: Staatspräsident Yoweri Kaguta Museveni engagierte sich bereits 1986 persönlich sehr stark für ein Aids-Vorbeugungsprogramm. Die Seuche wütete damals vor allem in den ländlichen Gebieten des Landes. 1987 starteten Regierung und Hilfsorganisationen das “ABC-Programm” (abstain, be faithful, use condoms - sei keusch, sei treu, benutze Kondome). Der Erfolg war überwältigend: Von 18 Prozent (1992) sank die HIV-Infektionsrate auf 6,4 Prozent (2005).

“Enthaltsamkeit können sie denen doch nicht predigen”

Schwester Christine in der Ivan-Tom-Klinik in Mfuleni braucht weder wissenschaftliche Untersuchungen noch Statistiken. Sie erlebt tagtäglich, wie der Verzicht auf Schutzmaßnahmen Leben zerstören kann. “Sex ohne Kondom bedeutet bei denen, die HIV-positiv sind, dass sie jedes Mal ihrem Immunsystem einen neuen Todesstoß versetzen”, sagt die 53-jährige Krankenschwester. “Ich habe schon viele elend sterben sehn, die heute noch leben könnten, wenn sie Kondome benutzt hätten.”

Vor allem für Paare, bei denen ein Partner HIV-positiv, der andere aber negativ sei, sei der Kondomgebrauch Pflicht. “Enthaltsamkeit können sie denen doch nicht predigen. Wir sagen auch den Frauen: Wenn euer Partner euch nicht schützen will, müsst ihr eben Kondome für Frauen benutzen.” In der Ivan-Tom-Klinik sind an jeder Ecke Kondom-Spender aufgehängt. Die verstärkte Verteilung von Frauen-Kondomen ist das neue Ziel in Mfuleni und in Khayelitsha. Dort kann Dr. de Azevedo erste Erfolge vermelden: Von 2006 bis 2007 stieg die Zahl der in Khayelitsha kostenlos abgegebenen Kondome für Frauen von 23.000 auf 125.515

Auch für Babalwa Lumko, die seit vier Jahren für das von dem katholischen deutschen Pfarrer Stefan Hippler in Kapstadt gegründete Aids-Programm HOPE arbeitet, gibt es keinen Zweifel am Nutzen von Kondomen. “Natürlich ist Keuschheit der beste Schutz. Aber Vorbeugung ist besser als sterben. Kondome helfen nicht 100-prozentig, aber 99-prozentig”, sagt sie. “Vor allem hat die Propagierung von Kondomen bei uns im Township zu einem Bewusstseinswandel beigetragen. Für die meisten jungen Leute ist es ganz selbstverständlich, zum Gummi zu greifen.”

Die erfahrene Gesundheitsarbeiterin und überzeugte Methodistin kann über den Papst nur den Kopfschütteln: Sie ist täglich im Township unterwegs, spricht mit den Menschen, berät sie und klärt sie auf. Sie hat auch die Sterbenden gesehen, für die - wie für Mary in Khayelitsha - jede Hilfe zu spät kam. Erst vor kurzem musste sie wieder hilflos mit ansehen, wie eine junge Frau qualvoll gestorben ist.

Sie war erst 36 Jahre alt, eine einfache Frau. Sie wusste immerhin, dass ihr Partner HIV-positiv war. Aber als er ungeschützten Sex wollte, war für sie selbstverständlich: Ich muss tun, was der Mann will. “Als sie zu uns kam, war es zu spät. Sie hatte aus Angst vor dem ‘Stigma’ zu lange gezögert. Ein kleines Gummiding hätte ihr Leben retten können.”

Kwezi Rasmeni von der Hilfsorganisation "Treatment Action Campaign" führt im Township Khayelitsha bei Kapstadt vor, wie ein Kondom abgerollt wird

Samstag, 21. März 2009

AIG-Millionenboni höher als bisher bekannt

Neue Details zur Bonus-Affäre: Ermittlungen der Staatsanwälte haben ergeben, dass der US-Versicherungsriese AIG deutlich mehr Boni ausgeschüttet hat als bisher bekannt - die Differenz soll mehr als 50 Millionen Dollar betragen.

New Haven/USA - Die Affäre um die Bonuszahlungen an Manager des maroden US-Versicherungskonzerns AIG weitet sich aus. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft im Staat Connecticut sind an Führungskräfte von AIG Boni in Höhe von 218 Millionen Dollar geflossen. Das sind 53 Millionen Dollar mehr als bisher bekannt. Dies gehe aus Unterlagen hervor, die das Büro von Generalstaatsanwalt Richard Blumenthal unter Strafandrohung angefordert und am Freitagabend erhalten habe.

Bislang war von 165 Millionen die Rede gewesen. Bereits diese Summe hatte in der Öffentlichkeit helle Empörung hervorgerufen. AIG hat bislang mehr als 182,5 Milliarden Dollar an staatlicher Hilfe erhalten.

Bonuszahlungen seien wie Konfetti an Angestellte von AIG ausgeschüttet worden, sagte Blumenthal. Aus den Dokumenten gehe hervor, dass 73 Personen jeweils mindestens eine Million Dollar erhalten hätten. Fünf von ihnen hätten Boni von mehr als vier Millionen Dollar bekommen. Blumenthal erklärte, die neuen Zahlen würden "den gerechtfertigten Zorn und Abscheu, den die Menschen empfinden", weiter anheizen.

Er verlange Aufklärung von AIG, weshalb offenkundig deutlich mehr Boni gezahlt worden seien als bisher von dem Konzern angegeben, sagte Blumenthal. AIG-Sprecher Mark Herr wollte zu den Angaben am Samstag nicht Stellung nehmen.

Vor den AIG-Büros in Wilton war für Samstag eine Protestkundgebung gegen die Bonuszahlungen geplant. Nach Angaben der Organisatoren wollten Demonstranten mit Bussen auch an den Häusern einiger der AIG-Manager in Connecticut vorbeifahren.

Hohe Steuern auf Bonuszahlungen

Der US-Kongress will Bonuszahlungen für Manager maroder und vom Staat unterstützter Unternehmen einen Riegel vorschieben. Das Repräsentantenhaus stimmte am Donnerstag mit 328 zu 93 Stimmen für ein Gesetz, wonach 90 Prozent dieser Sonderzahlungen unter bestimmten Voraussetzungen als Steuer an den Staat fallen sollen. Die Regelung soll rückwirkend zum Jahresanfang gelten.

Im Senat, der zweiten Kammer des Parlaments, steht ein ähnlicher Gesetzentwurf wie im Repräsentantenhaus zur Abstimmung an.

Präsident Barack Obama hat angekündigt, die Initiative gegen die Bonuszahlungen im Grundsatz zu unterstützen. "Dies wird ein deutliches Signal für die Manager dieser Firmen sein, dass solche Zahlungen nicht geduldet werden", erklärte Obama. Das Gesetzesvorhaben spiegele die berechtigte Empörung über die verschwenderischen Boni wieder.

Strafverfolger sollen bei Internet-Telefonaten mithören

Verschlüsselte Telefonate über den Computer sollen künftig abgehört werden können und Strafverfolger dazu Spionage-Software einsetzen. Mit einem Gesetzentwurf will die Große Koalition die Telefonüberwachung an den "technischen Fortschritt anpassen".

Noch vor der Bundestagswahl soll der Einsatz von Spionage-Software auf Computern auch zur Strafverfolgung erlaubt werden. Dabei geht es vor allem um das Abhören verschlüsselter Telefonate, die via Internet geführt werden. "Es darf nicht sein, dass Tatverdächtige sich durch moderne Verschlüsselungstechnik der Strafverfolgung entziehen können", sagte der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach der "Neuen Osnabrücker Zeitung".

Lauschangriff: Zugriff noch vor der verschlüsselung
Der Vizevorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag rechnet damit, dass sich die "neuen Vorschriften in den nächsten Wochen abschließend beraten und beschließen" ließen. Ein Entwurf der Bundesjustizministerin zur Änderung der Strafprozessordnung liege bereits vor. Ein Sprecher von Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) sagte allerdings am Samstag, es handele sich lediglich um einen Diskussionsentwurf mit Überlegungen im Anfangsstadium.

Der Sprecher bestätigte, es gehe um die Frage, wie bestehende Mittel zur Telefonüberwachung an den technischen Fortschritt angepasst werden können: "Es soll eine Lücke geschlossen werden, die durch die wachsende Internet-Telefonie entstanden ist." Nicht geplant seien neue Maßnahmen und eine Erweiterung von Grundrechtseingriffen.

Bisher zur Gefahrenabwehr, nicht zur Strafverfolgung
Erlaubt werden soll den Strafverfolgern laut Bosbach die sogenannte "Quellen-Telekommunikationsüberwachung" (kurz Quellen-TKÜ) zur Aufklärung schwerer Verbrechen. Dabei greift Spionage-Software auf dem Computer des Überwachten auf Internet-Telefonate oder E-Mails zu, noch bevor diese verschlüsselt werden können.

Außerdem sollen Erkenntnisse aus Online-Razzien der Polizei künftig auch in Strafverfahren verwertet werden dürfen. Das hatte Generalbundesanwältin Monika Harms gefordert, Justizministerin Zypries aber kürzlich bereits zurückgewiesen. Zur derzeitigen Regelung zur Online-Durchsuchung liegt eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe. Die Entscheidung darüber will Zypries abwarten und zunächst auf neue Regelungen verzichten.

Online-Razzien wie auch die Quellen-TKÜ darf das Bundeskriminalamt bereits seit Januar einsetzen - allerdings zur Abwehr schwerster Gefahren, also im Vorfeld möglicher Straftaten, und noch nicht zur Strafverfolgung. Bei der Überwachung der Telekommunikation dürfen Ermittler nicht auf die gesamte Festplatte des Rechners zugreifen, sondern nur Sprach-, Video- und Textmeldungen erfassen und ausleiten.

Die FDP kritisierte die Lausch-Pläne. Eine Online-Durchsuchung zur Strafverfolgung bezeichnete die FDP-Innenpolitikerin Gisela Piltz als völlig indiskutabel. Es zeige sich "wieder einmal, dass diese Koalition nur dann groß ist, wenn es um Grundrechtseinschränkungen geht".

»Wir haben es vorhergesehen«

»Wir haben es vorhergesehen«

Vor allem junge Leute debattierten beim Attac-Kongreß über die Zukunft des Kapitalismus

Von Velten Schäfer
Im zwölften Jahr nach der Gründung von Attac haben sich die Warnungen des Netzwerks vor dem entfesselten Finanzkapitalismus bewahrheitet. Wie es jetzt weitergeht, berieten um die zweitausend Aktive und Sympathisanten am Wochenende in Berlin.

Ein Sinnbild für die Anpassungsfähigkeit des Kapitalismus hatte jemand an den Cola-Automaten gehängt. »Ausbeuter-Limo boykottieren!« stand dort. Gleich daneben klebte ein Werbeplakat: »Fritz-Cola – alternative Energie«.

Kann sich der Kapitalismus wieder einmal neu erfinden? In welche Richtung wird dies gehen? Ist der Neoliberalismus überhaupt Geschichte? Und was heißt das für die Linke? Solche Fragen waren es, die den »Kapitalismus-Kongress« in der Berliner TU umtrieben. Vor zwölf Jahren entstand das Netzwerk gegen die neoliberale Globalisierung; nun konnten sich die »Attacis« auf die Schulter klopfen. Lange haben sie vor dem (selbst-)zerstörerischen »Turbo-Kapitalismus« gewarnt – nun ist der Crash da. »Wir haben es vorhergesagt«, meinte etwa der Berliner Politikprofessor Alex Demirovic am Samstagabend.

Noch 1980, erklärte der Bremer Ökonom Jörg Huffschmidt, hielten sich das Welt-Sozialprodukt und das Finanzvermögen die Waage. 2006 hatte das Vermögen das Sozialprodukt mehr als dreifach überstiegen. Zuletzt diente das produzierende Gewerbe der Finanzwelt nur noch als Anlageoption. Ein explodierender Anlagedruck sorgte für immer höhere Risiken – und die »Globalisierung« der Finanzen für deren weltweite Verbreitung.

Darüber bestand Einigkeit auf dem Kongress. Unterschiedlich werden aber die Folgen gesehen, selbst innerhalb des Attac-Beirates. Während der Wiener Politologe Uli Brandt von einer »tiefen Legitimationskrise« des Neoliberalismus und dem Aufziehen eines »Post-Neoliberalismus« ausgeht, der neue politische Möglichkeiten eröffne, bleibt Demirovic skeptisch: »Der Finanzmarktkapitalismus bleibt. Er sucht nach immanenten Lösungen.« Auch Michael Brie von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, ebenfalls im Beirat des Netzwerks, warnte vor Euphorie.

Auch der Klassiker gelangte zur Aufführung: Revolution und Reform? Eine linksradikale Gruppe hatte sich an den Kongress angedockt und übte am Samstagabend Fundamentalkritik: »Die deutsche Linke will den Kapitalismus bloß reparieren«, hieß es dort.

Die 1500 Teilnehmer focht dies allerdings nur wenig an. »Wir haben das Gefühl, an so was wie einer historischen Wende teilzunehmen«, sagte etwa eine Studentin aus Münster – und traf damit die Stimmung zumindest der Umstehenden. Auch die Kaffeetassen mit Kongresslogo fanden reißenden Absatz, obwohl sie immerhin vier Euro kosteten. Kaum eine der 93 Veranstaltungen platze nicht aus allen Nähten.

Was aber tun? Auf Lenins Gretchenfrage gab es, je nach Lagebild, die unterschiedlichsten Antworten. Für Norbert Trenkle von der »Krisis«-Gruppe stößt der Kapitalismus jetzt an seine absolute Grenze. In Zukunft würden nur noch Inseln in der Gesellschaft der Verwertung unterworfen – »der Rest wird repressiv verwaltet«. Für die Linke heiße dies, sich gegen das »Krisenregime« zu stellen. Ähnlich sehen dies alternativwirtschaftliche Gruppen, die abseits des Marktes partizipatorische Versorgungs- und Solidarstrukturen aufbauen wollen.

Für andere, etwa Attac-Mitgründer Peter Wahl, ist die anstehende Formveränderung des Kapitalismus ergebnisoffen. Daher sei es möglich, ihm weit gehende, gar »wesentliche« Kompromisse abzuringen. Wieder andere, wie der ver.di-Ökonom und Linkspartei-Mann Michael Schlecht, sehen die Zeit einer keynesianischen Nachfragesteuerung zurückgekommen.

Analyse: brillant; Perspektiven: schwammig – das ewige Fazit linker Kongresskultur scheint auch diesmal zu passen. Dieser Gedanke schien auch den Teilnehmer einer Veranstaltung über Sein und Bewusstsein in der Krise des Neoliberalismus befallen zu haben, als er am Samstagnachmittag selbstironisch ausrief: »Ja sind wir denn ein Volksbildungsverein?« Ja, kann nur sagen, wer die Teilnehmer beobachtete, die selbst in nach Hunderten zählenden Veranstaltungen im Audimax so konzentriert mitschrieben, wie es in normalen Vorlesungen kaum üblich ist. Und das ist auch gut so.

Zumwinkels 20-Millionen-Pension verblüfft Rentenexperten

Die Karriere von Ex-Post-Chef Klaus Zumwinkel liegt seit dem Steuerskandal in Trümmern, jetzt rätseln Experten über die Höhe seiner Pension - mit gängigen Berechnungen lässt sich die 20-Milionen-Auszahlung kaum erklären. Profitiert möglicherweise auch seine Frau?

Hamburg - Selbst Rentenexperten ist die Pensionsregelung von Ex-Postchef Klaus Zumwinkel nach SPIEGEL-Informationen ein Rätsel: Mit der Abgeltung seiner jährlichen Altersbezüge in Höhe von 970.000 Euro lässt sich die Einmalzahlung von 20 Millionen Euro, die Zumwinkel bekam, jedenfalls nicht erklären - es sei denn, es gibt zusätzliche vertragliche Vereinbarungen, die öffentlich bislang nicht bekannt sind.

Der Barwert einer Pension hängt sowohl von der verwendeten Sterbetafel, aus der die Lebenserwartung berechnet wird, wie auch von dem Diskontsatz ab, der sich meist nach den durchschnittlichen Renditen einer Lebensversicherung richtet. Nimmt man den für Zumwinkel günstigsten branchenüblichen Diskontsatz von 2,25 Prozent an, ergibt sich nach der Sterbetafel des Statistischen Bundesamtes ein Barwert von rund 13 Millionen Euro. Legt man die für den Ex-Manager sehr viel günstigere Sterbetafel der Deutschen Actuar Vereinigung (DAV) zu Grunde, ergibt sich ein Barwert von etwa 14,5 Millionen Euro.

Um auf 20 Millionen Euro zu kommen, muss es Zusatzvereinbarungen geben. Insider berichten, dass nicht nur Zumwinkel Anspruch auf die betriebliche Altersversorgung der Post hat, sondern auch seine Ehefrau und möglicherweise sogar seine Kinder.

Auch der ehemalige Siemens-Personalchef Jürgen Radomski ließ sich im März 2008 Pensionsansprüche über eine Einmalzahlung von rund zehn Millionen Euro abgelten. Der Konzern kann die Rentenbezüge gegen ihn nun nicht mehr als Druckmittel für Schadensersatzforderungen im Rahmen der Korruptionsaffäre einsetzen.

Posse um Parteirebell Walter beunruhigt SPD

Ein Kompromiss mit der Hessen-SPD stand kurz bevor, dann ließ ihn der Ypsilanti-Rivale platzen: Jürgen Walter bleibt im Streit über sein angeblich parteischädigendes Verhalten hart. Lieber zieht er bis vors Verfassungsgericht - und nimmt in Kauf, den Bundestagswahlkampf zu beschädigen.
Nidda - Es geht um Stolz, um Macht und um den Platz in den Geschichtsbüchern. Dies muss vorausgeschickt werden, wenn es um die aktuelle Posse in der hessischen SPD geht.

Jürgen Walter vor Beginn des Parteiverfahrens in Nidda: "Das wäre ein Schuldeingeständnis"Im Mittelpunkt steht Jürgen Walter, Ex-Fraktionschef und Hassfigur eines Großteils der hessischen Sozialdemokraten. Gemeinsam mit drei weiteren Abgeordneten hatte er sich im November geweigert, Andrea Ypsilanti zur Ministerpräsidentin zu wählen. Es folgten Neuwahlen und eine historische Niederlage der SPD.

Die Frage ist jetzt, ob sich Walter parteischädigend verhalten hat. An diesem Freitag tagten im Bürgerhaus im mittelhessischen Nidda folgende Konfliktparteien: auf der einen Seite Walter und sein Anwalt, auf der anderen die Kläger - 19 Ortsvereine und der Bezirk Hessen-Süd. Am späten Nachmittag, kurz nach fünf, strömten die meist älteren Genossen aus dem Sitzungssaal. Enttäuschung stand ihnen ins Gesicht geschrieben, sie bestätigten, was schon Minuten vorher durchgesickert war: keine Einigung, die Angelegenheit ist vertagt.

Eine Entscheidung der Schiedskommission wird nun binnen zwei Wochen schriftlich mitgeteilt. Zu erwarten ist dann bei entsprechendem Ergebnis wiederum ein Einspruch von Walter - und der Wechsel auf die nächsthöhere Instanz: von der Unterbezirksebene vermutlich auf Bezirksebene und dann womöglich vor das Bundesschiedsgericht.

Die Hessen-SPD kommt also auch zwei Monate nach ihrem Wahldebakel gegen CDU-Ministerpräsident Roland Koch nicht zur Ruhe. Mehr noch: Der Streit droht sogar den Wahlkampf von Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier zu torpedieren. Denn je länger er sich hinzieht, umso mehr Negativschlagzeilen drohen der SPD, zumal auch Verfahren gegen die Co-Parteirebellen Carmen Everts und Silke Tesch angestrebt wurden.

Walter hat schon angekündigt, notfalls bis vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Ihm geht es um den korrekten Platz in der Parteigeschichte. In seiner Verteidigungsschrift heißt es, er und die drei Mitstreiter hätten sich "für ein öffentliches Bekenntnis" gegen Ypsilantis Linksregierungs-Pläne entschieden, statt ihr heimlich die Stimme zu verweigern. Das sei "ein bemerkenswertes Beispiel von Zivilcourage". Es habe den Bürgern "wieder etwas Vertrauen in die Politik zurückgegeben".
Kungelrunde im Gasthaus gescheitert

Die Partei hatten an diesem Freitag durchaus versucht, Walter einzufangen. Er, sein Anwalt und auch die Klägerseite zeigten sich optimistisch, man werde sich gütlich einigen. In einer Kungelrunde im angrenzenden rustikalen Gasthaus "Zur Gänsweid" diskutierten beide Seiten über ein Kompromissangebot der Partei. Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE umfasste es drei Punkte: Erstens sollte Walter sich zur innerparteilichen Solidarität bekennen, zweitens keine parteischädigenden Äußerungen mehr tätigen und drittens für ein Jahr keine Ämter und Funktionen in der SPD anstreben.

"Die erste und zweite Bedingung sind kein Problem, das ist völlig unproblematisch", sagte Walter nach SPIEGEL-ONLINE-Informationen dazu. Doch dem Funktionsverbot könne er nicht zustimmen: "Das wäre ein manifestiertes Schuldeingeständnis - das kann ich nicht machen."

Die Gegenseite um Margaretha Sudhof versuchte es noch einmal: Die Kläger seien ihm "sehr weit entgegen gekommen". Statt wie ursprünglich gefordert drei Jahre gehe es nur um ein Jahr Amtsverzicht. Walter müsse wissen: Wenn im September nicht Bundestagswahlen wären, "würde es dieses Angebot nicht geben". Ein klarer Beleg, dass sich die Parteiführung bis hinauf zur Bundesspitze der Brisanz der Angelegenheit bewusst ist und eine geräuschlose Lösung sucht.

Walters Anwalt Mathias Metzger reagierte kühl: "Ob ihr wirklich auf Schritte auf uns zugekommen seid, ist Ansichtssache." Der Ehemann von Walters Mitstreiterin Dagmar Metzger sagte später, "ein Funktionsverbot wäre eine zu umfangreiche Beschneidung des politischen Engagements" - ja, ein "Parteiausschluss auf Zeit".

Die ganze Angelegenheit ist auch für Thorsten Schäfer-Gümbel heikel. Der hessische SPD-Chef hat in den vergangenen Wochen erfahren müssen, wie schnell man vom gefeierten Blitzaufsteiger zum wenig beachteten Repräsentanten einer kriselnden Partei werden kann. Verzweifelt bemüht er sich um bundespolitische Beachtung.

Die winkt ihm nun allenfalls als Sündenbock einer ebenso furchtsam wie wütend nach Hessen blickenden Parteispitze.

Donnerstag, 19. März 2009

Amerika stellt AIG-Manager an den Pranger

"Alle Manager sollten hingerichtet werden": Eine Flut von Morddrohungen geht beim maroden US-Versicherer AIG wegen seiner Bonuszahlungen ein. Konzernchef Liddy wurde im Kongress stundenlang in die Mangel genommen. Dabei hatte Washington die Sonderzahlungen an die Mitarbeiter selbst abgesegnet.

New York - Irgendwann wird es Edward Liddy zu viel. "Ich will ihnen mal was zeigen", murmelt er an die Adresse der Abgeordneten, die wie auf einer Richterbank über ihm thronen. Er kramt einen Zettel aus seinen Akten. "Alle Manager und ihre Familien", liest er ruhig daraus vor, "sollten hingerichtet werden, mit Klaviersaitendraht um den Hals."

AIG-Edward Liddy beim Verlassen des Kongresses: Boni "geschmacklos"
Bei dem Zettel handelt es sich nach Liddys Worten um nur eine von zahllosen Morddrohungen, die er und seine Mitarbeiter in den vergangenen Tagen bekommen haben. Es folgt ein weiterer Drohbrief: "Ich werde die Namen aller Firmenchefs und ihrer Kinder herausfinden", heißt es darin.

Liddys Präsentation ist der dramatische Höhepunkt einer Sitzung im US-Repräsentantenhaus am Mittwoch, die eigentlich als Routinetermin angesetzt war, dann aber unerwartet an Brisanz gewann. Der Unterausschuss für Kapitalmärkte, sonst kaum ein schlagzeilenträchtiges Gremium, hatte bereits vor Wochen ein Thema auf die Tagesordnung gesetzt - das Schicksal des Versicherungskonzerns AIG. Hauptzeuge: Vorstandschef Edward Liddy.

Doch dann explodierte am Wochenende der Bonus-Skandal bei dem Versicherer - es wurde bekannt, dass der angeschlagene Konzern plant, trotz der staatlichen Milliardenhilfe Boni auszuzahlen. Liddy wird dadurch vom Zeugen zum Angeklagten, und im Sitzungssaal 2128 des Rayburn-Kongressflügels spielen sich Jagdszenen ab, beobachtet von Fotografenhorden und Zuschauermassen, wie sie dieser Ausschuss noch nie erlebt hat.

Fast sieben Stunden nehmen die Abgeordneten Liddy in die Mangel. Die geballte Wut der Volksvertreter wird durch die vorausgeschickten Höflichkeitsfloskeln kaum kaschiert. AIG, sagt der Demokrat Paul Hodes Liddy ins Gesicht, stehe für "Arroganz, Inkompetenz und Gier". Der Manager erträgt die Kritik mit stoischer Miene, bis er am Abend mit einem betont beiläufigen "Thank you, Mr. Libby" wieder freigelassen wird.

Bonus-Affäre erschüttert Amerika

Die Bonus-Affäre hat sich seit Samstag zum Reizthema Nummer eins in den Vereinigten Staaten hochgeschaukelt - und das, obwohl AIG die Leistungen bereits 2008 vertraglich verankert und verkündet hatte. Doch das Fälligkeitsdatum hatte ein miserables Timing: Mitten in der schlimmsten Krise bekamen jetzt 418 AIG-Manager insgesamt 165 Millionen Dollar ausgezahlt. Dabei hatte die US-Regierung den Konzern mit Milliardenzahlungen aus der Steuerkasse vor dem Zusammenbruch gerettet.

Mit den Boni sollte ursprünglich verhindert werden, dass Spitzenkräfte das wankende Unternehmen verlassen. Die meisten dieser "Talente" arbeiten allerdings bei der AIG- Finanztochter, die für die gigantischen Verluste direkt verantwortlich war und damit beinahe für den Kollaps des gesamten globalen Finanzsystems. 52 Mitarbeiter verließen AIG trotzdem - doch erst, nachdem sie insgesamt 33,6 Millionen Dollar "Treueprämie" unter sich aufgeteilt hatten.

Für Aufregung sorgt zudem die Enthüllung, dass AIG 94 Milliarden Dollar aus der US-Staatskasse direkt an seine Geschäftspartner weitergereicht hat, zum Beispiel an internationale Banken - darunter auch die Deutsche Bank, die Dresdner Bank, die DZ Bank und die Landesbank Baden-Württemberg.

Der Bonus-Deal war eingefädelt worden, bevor Liddy sein Amt im September antrat, freiwillig und unter Verzicht auf Gehalt. "Mr. Liddy ist in keiner Weise für diese Boni verantwortlich", sagt der Demokrat Barney Frank, Chef des Finanzausschusses - und traktiert ihn dann trotzdem ohne Erbarmen.

Liddy hat in der Tat die undankbarste Aufgabe: Er muss eine Entscheidung seiner Vorgänger verteidigen, die er "geschmacklos" findet und selbst "nie gebilligt hätte". Er habe die Manager mit Boni von mehr als 100.000 Dollar aufgefordert, mindestens die Hälfte des Geldes zurückzuzahlen, berichtet er. Einige hätten daraufhin sogar auf die gesamte Summe verzichtet.

AIG wird aufgelöst

Liddy kündigte im Kongress zudem an, dass der Konzern umbenannt und zerlegt werde: "Was wir vorhaben, ist die Auflösung von AIG". Insbesondere werde die Sparte für Finanzprodukte, die im Zentrum der Krise steht, innerhalb von vier Jahren von Grund auf saniert.

Doch die Prämien seien vertraglich wie gesetzlich unantastbar. Eine Annullierung könnte Klagen nach sich ziehen, die letzten Mitarbeiter vergraulen und AIG vollends in den Untergang treiben. Und dann drohe "ein Systemschock für die ganze Wirtschaft", eine Kernschmelze sondergleichen.

Doch die meisten Anwesenden im Kongress hören ihm da schon gar nicht mehr zu. Längst gilt AIG als Paradebeispiel für die nimmersatte Finanzer-Kaste, die selbst in der finstersten Krise noch abkassiert. "Nicht so schnell, ihr raffgierigen Schweinehunde", schreit die Schlagzeile der "New York Post" an den Kiosken, wo AIG in einem Art-déco-Wolkenkratzer unweit der Wall Street residiert - ein Wahrzeichen, das AIG jetzt notgedrungen auf den komatösen Immobilienmarkt wirft.

"Endlich", kommentiert das "Wall Street Journal" lakonisch, "haben die Steuerzahler eine Zielscheibe für ihre Wut über die Finanzkrise gefunden." An AIG entlädt sich der aufgestaute Finanzfrust einer ganzen Nation.

Obama nennt die Boni Symbol für eine Kultur der Gier

Blogs und Online-Foren quellen über vor zynischen Kommentaren, ebenso Social-Network-Sites wie Facebook und Twitter. Die Nachrichtensender strahlen Heimvideos von Zuschauern aus, die gegen AIG wüten. Die "New York Times" berichtet, sie habe selten so viele böse Zuschriften bekommen wie zu AIG.

Nach den Morddrohungen gegen Mitarbeiter hat AIG zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Bewaffnete Beamte patrouillieren vor der Finanzverwaltung in Connecticut. Einige Angestellte erschienen trotzdem aus Angst erst gar nicht zum Dienst.

Politiker schießen sich auf AIG ein

Die Kongressabgeordneten und Senatoren in Washington berichten ebenfalls über eine Flut wütender Anrufe, Briefe und E-Mails zu AIG. Entsprechend werden auch sie zu Kritikern - obwohl sie die Boni abgesegnet hatten, wissentlich oder nicht.

Ein Politiker nach dem anderen drängelt sich ins Licht der Kameras, um seinen Ärger los zu werden. Etwa der demokratische Abgeordnete Barney Frank: "Es ist Zeit, unsere Besitzrechte geltend zu machen", sagt er in Anspielung auf die 79,9-Prozent-Beteiligung des Staates an AIG. "Wir sollten sagen: Nein, ich zahle dir den Bonus nicht. Du hast nichts geleistet. Du hast diesen Vertrag nicht erfüllt."

Einige Politiker wollen die Prämien zurückfordern, notfalls mit einer Strafsteuer. Andere verlangen Haft für AIG-Manager, wieder andere einen öffentlichen Büßergang. Der republikanische Senator Charles Grassley versteigt sich zu der Bemerkung, die Verantwortlichen sollten "zurücktreten oder Selbstmord begehen".

Kongress hat Boni abgesegnet

Auch Präsident Barack Obama ergreift das Wort, zweimal und den zweiten Tag in Folge. Er nennt die AIG-Boni "ungeheuerlich", ein Symbol für eine Kultur von "Gier, Exzess-Kompensation, Exzess-Risiko", und kündigt an, "jeden nur möglichen Weg" zu verfolgen, sie wieder einzufordern. "Die Leute sind zu Recht empört." Und nicht nur sie: "Ich bin wütend."

Was die Verantwortlichen in Washington dabei hartnäckig verschweigen: Der Kongress hatte bereits vereinbarte Boni von Firmen, die Staatshilfe bekommen, erst im Februar ausdrücklich abgesegnet. Und zwar im Konjunkturpaket: Das untersagte den Unternehmen zwar künftige Prämien - jene aber, die vor dem 11. Februar zugesichert worden waren, wurden davon ausgenommen.

Diese winzige Klausel hatte, wie sich am Abend herausstellte, der demokratische Senator Christopher Dodd nachträglich noch einfügen lassen - auf Wunsch des Finanzministeriums. Dodd hat von AIG übrigens zuletzt 100.000 Dollar an Wahlkampfspenden bekommen.

Was wusste Finanzminister Geithner?

Dadurch könnte nun auch die Regierung die Wut der Steuerzahler treffen. Sowohl Notenbankchef Ben Bernanke als auch Finanzminister Timothy Geithner waren nach Angaben Liddys in den Bonus-Prozess bei AIG lange eingebunden. Deshalb wirkten die Unmutsbekundungen des Weißen Hauses unglaubwürdig. "Obama braucht sogar einen Teleprompter, um wütend zu werden", lästert die Kolumnistin Maureen Down von der "New York Times" über den vom Manuskript abgelesenen TV-Ärger des Präsidenten.

Geithner - der seit der verunglückten Präsentation des Wall-Street-Rettungspakets im Februar täglich mehr unter Druck gerät - hat eine Einladung des Kapitalmarkt-Ausschusses denn vorerst auch tunlichst abgelehnt. Er will lieber erst nächste Woche erscheinen, wenn sich das Feuer abgekühlt hat. Trotzdem ist er jetzt schon im Saal vertreten - auf den Plakaten von Protestlern in den Zuschauerbänken: "Feuert Geithner!"

Vergeblich versuchen die Abgeordneten, Liddy die Namen der verhassten Bonus-Begünstigten zu entlocken. "Nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit", weigert sich der. "Ich fürchte sehr um die Sicherheit meiner Leute." Barney Frank ist herzlich unbeeindruckt: "Dann werden wir sie per Gerichtsbefehl anfordern."

Blogger stirbt im Gefängnis

Die Gefängnisverwaltung spricht von Selbstmord: In einem iranischen Gefängnis ist ein junger Blogger gestorben. Der Mann saß ein, weil er angeblich Ajatollah Ali Chamenei beleidigt haben soll.

Teheran - Nach Angaben der Gefängnisverwaltung habe der Mann Selbstmord begangen, sagte sein Anwalt Mohammed Ali Dadchah am Donnerstag. Laut der Organisation "Committee to protect Bloggers" handelt es sich um Omid Reza Misajafi. Der etwa 25 Jahre alte Mann war im November zu 30 Monaten Haft verurteilt worden, weil er unter anderem den obersten geistlichen Führer des Irans, Ajatollah Ali Chamenei, beleidigt haben soll.

Im Gegensatz zu anderen in Iran inhaftierten Bloggern hatte sich Misajafi eigenen Angaben zufolge nicht in erster Linie mit politischen Themen beschäftigt. Die "Huffington Post" zitierte im Dezember 2008 aus einem Gespräch zwischen dem Blogger und "Reporter ohne Grenzen" mit den Worten: "Ich bin ein Kulturblogger, kein politischer. Von allen Einträgen, die ich online gestellt habe, waren nur zwei oder drei satirisch. Ich hatte nicht vor, jemanden zu beleidigen."

Sein Anwalt forderte nun genaue Ermittlungen zur Todesursache und eine Autopsie. Dadchah sagte, ein zusammen mit seinem Mandanten inhaftierter Arzt habe kürzlich gewarnt, der junge Blogger leide unter Herzrhythmusstörungen. Daraufhin sei der Mann auf die Krankenstation des Gefängnisses verlegt worden, wo ihn die Ärzte aber als Simulanten hingestellt hätten.

Misajafi war im Februar ins Gefängnis gekommen. Die iranischen Behörden gehen mit harschen Methoden gegen Blogger und andere Internet-Nutzer vor, deren Texte sie als zu kritisch empfinden.

Mittwoch, 18. März 2009

Papst in «totalem Autismus»

Papst Benedikt XVI. hat sich in Kamerun für den Schutz traditioneller Familienstrukturen ausgesprochen. Die Reaktionen auf seine umstrittenen Äusserungen zum Kondom-Gebrauch fallen unterdessen geharnischt aus.

Angesichts des Einflusses von Modernisierung und Säkularisierung müsse das Verständnis von der Ehe als unauflöslicher Gemeinschaft gefördert werden, sagte der Papst vor Bischöfen in Yaoundé. Ausserdem rief er die Geistlichen zum Einsatz für Arme und Benachteiligte auf.

«Wir brauchen Kondome»
Für anhaltende Diskussionen sorgte derweil Benedikts XVI. Aussage, die Verteilung von Kondomen sei nicht die richtige Lösung im Kampf gegen Aids. In Yaoundé, der ersten Station von Benedikts Afrikareise, wurde Kritik an seinen Äusserungen laut. «Wir brauchen Kondome, um uns gegen Aids und andere Krankheiten zu schützen», sagte ein Lehrer.

Stanley Obale Okpu vom Ministerium für Stadtentwicklung meinte: «Was der Papst sagt, ist ein Ideal für die katholische Kirche. Aber er muss auf die Realität an der Basis schauen.» Das Kinderhilfswerk Unicef reagierte ebenfalls mit Unverständnis.

«Autistischer Papst»
«Jetzt reicht es wirklich mit dem Papst», sagte der Europa-Abgeordnete der Grünen, Daniel Cohn-Bendit. Jeder wisse um die immense Aids-Problematik in Afrika. Wer Jugendlichen dort Enthaltsamkeit predige, überlasse sie sich selbst und der Krankheit. «Das grenzt an vorsätzliche Tötung.»

Nach Ansicht des konservativen Ex-Premierministers Alain Juppé «wird der Papst zu einem echten Problem». Benedikt XVI. lebe «in einer Situation des totalen Autismus».

Weihbischof widerspricht seinem Kirchenoberhaupt
Auch in der katholischen Kirche stösst der Papst mit seiner Haltung auf Widerspruch. «Wer Aids hat und sexuell aktiv ist, wer wechselnde Partnerschaften sucht, muss andere und sich selber schützen», forderte der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke in einem Beitrag für die Wochenzeitung «Die Zeit». Beim Thema Kondome dürfe es keine Tabus geben, aber auch keine Mythen und Verharmlosungen.

Dieser Virus weiß, wo Sie wohnen

GEO-MALWARE

Schon wieder ist ein Computer-Wurm im Umlauf, der seinen Empfänger lokalisieren kann. Experten befürchten darin einen Trend: Die Computerangriffe werden gezielter personalisiert - und am Ende klicken Nutzer häufiger auf bösartige Seiten.

Malware-Verursacher haben offenbar ortsbezogene Informationen für personalisierte Computerangriffe entdeckt. Wie verschiedene US-Medien berichten, ist zum wiederholten Mal ein Wurm im Umlauf, der mit Hilfe der IP-Adresse den Standort eines Computernutzers feststellt und ihm dann vermeintliche Sensationsmeldungen aus seiner Stadt schickt.

Bereits im Februar soll der unter dem Namen Waledac bekannte Computer-Wurm erstmals mit diesem Verfahren verbreitet worden sein. Seinerzeit kursierten E-Mails mit falschen Gutscheinen, aktuell sind es gefälschte Meldungen, in denen angeblich die Nachrichtenagentur Reuters über einen angeblichen Bombenanschlag berichtet.

Der Wurm nutzt dabei einen sogenannten Geo-IP-Dienst, um den ungefähren Aufenthaltsort eines Spam-Mail-Empfängers festzustellen, wenn der auf einen Link in der Mail klickt - und ihm dann eine Nachricht mit dem Namen seiner Stadt in der Browser-Titelleiste und im Text zu bieten. Dann ist der Nutzer nur noch einen Klick vom Waledac-Wurm entfernt. Im aktuellen Fall wird vermeintlich eine Version des Flash-Players angeboten, um ein Video zum Thema abspielen zu können. Hinter dem Download verbirgt sich dann der Wurm.

Ortsbezogene Information eröffnet eine neue Dimension für Malware-Produzenten, da Viren, Trojaner und Würmer auf diesem personalisierten Weg eine größere Chance haben, Computernutzer zu erreichen - zumal mit zunehmendem Bedürfnis der Menschen, auch unterwegs jederzeit online zu sein und sich mitzuteilen, der Kreis der potentiellen Opfer und auch die Relevanz ortsbezogener Information zunimmt.

"Irgendwann werden Kriminelle, die PC-Malware entwickeln, sich auf mobile Geräte konzentrieren. Die Frage ist nicht, ob sie es tun werden, sondern wann und wie", wird Patrik Runald, Chief Security Advisor bei der Internet-Sicherheitsfirma F-Secure, auf readwriteweb.com zitiert.

Montag, 16. März 2009

Doofe Jobs in New York: Winke, winke, dreh, dreh

Zugegeben - in Zeiten von rasant steigender Arbeitslosigkeit muss man froh sein, einen Job zu haben. Das ändert aber nichts daran, dass manche Tätigkeiten nicht nur öde, sondern auch unglaublich sinnlos sind.

Von Lena Bodewein, New York

Es gibt in der Stadt, in der die Träume so hoch fliegen wie die Wolkenkratzer in den Himmel ragen, auch richtig doofe Jobs. Kellnern, putzen, klar, das ist alles nicht schön, aber nicht doof. Doofe Jobs sind was anderes. Stumpf. Leer. So was wie Winker: Die Jungs stehen den ganzen Tag und den ganzen Abend bei Wind und Wetter vor einem Parkhaus und schwenken eine Fahne: Park' hier. Und nicht gegenüber.

Natürlich, wir stecken mitten in einer Rezession, Betrüger à la Bernie Madoff gibt es allerorten, dazu Börsenchrashs, Erspartes geht verloren, Stellen werden abgebaut - da nimmt man jeden Job. Einer dieser doofen Jobs ist besonders bezeichnend: Schlangesteher. Wenn’s um begehrte Broadway-Tickets geht oder um tolle Gimmicks wie Schnickschnack-Telefone, dann steht man hier gerne mal mehrere Stunden bis Tage an. Und weil nicht alle Zeit dazu haben, bezahlt man halt diejenigen, die darüber verfügen. So funktioniert diese Stadt: Die, die Geld haben, haben keine Zeit; die, die Zeit haben, haben kein Geld - also teilt man beides ein bisschen.

Zuvorkommender Dreh

Wer von den Reichen und Schönen kann schon die Sekunden erübrigen, einen Wasserhahn selbst aufzudrehen? Also gibt es in den Toiletten schicker Restaurants tatsächlich den doofen Job des Wasserhahnaufdrehers. Irgendwie ist es ja auch tröstlich – im Land der unbegrenzten Möglichkeiten kann man selbst mit Nicht-Jobs Geld verdienen.

Wer mitten in der Nacht noch Lust auf ein Betthupferl hat, also in diesem Falle wirklich eins aus Kohlehydraten, nicht aus Fleisch und Blut, der ruft den Mitternachtskeksdienst an. Kurz darauf steht um drei Uhr früh ein Mensch mit einem Chocolate Chip Cookie vor der Tür.

Nun kann man argumentieren: Keksdienst bringt doch Glückseligkeit in die Welt, ist doch sinnvoll. Na gut. Aber dieser Job hier ist echt doof: Türsteher. Kennt man –Typen wie Schränke. Sollen bloß keinen in den superhyperhippen In-Club reinlassen. Die stehen und gucken, und zwar furchteinflößend. Und man selbst legt eine Stimme auf, die wie Veilchen klingt, süß und betörend, damit man bloß nicht aufs Maul bekommt. Dieser Türsteher hier stand aber von innen vor der Tür. Dass sie einen nicht in den Club reinlassen – okay. Aber dass sie einen nicht mehr rauslassen? Dann müssen sie ja wirklich auf jeden Kunden angewiesen sein. Die Zeiten sind hart. Und die Jobs doof.

Antikörper-Schrotflinte hält Aids-Viren in Schach

Ist es ein neuer Ansatz gegen die Immunschwächekrankheit Aids?

Wissenschaftler haben herausgefunden, warum bei manchen HIV-Positiven die Krankheit nur sehr langsam voranschreitet: Die Patienten haben eine breite Palette von Antikörpern gegen das Virus im Blut.

Zehn bis zwanzig Prozent aller HIV-Infizierten können die Viren schlagfertig bekämpfen: In diesen Patienten entwickelt sich die Krankheit nur sehr langsam. Mit welchen Mitteln das Immunsystem dieser Menschen arbeitet, haben Forscher nun herausgefunden. Daraus könnte sich ein neuer Ansatz für die Entwicklung eines Impfstoffs gegen Aids entwickeln.

Geht es nach Johannes Scheid und Michel Nussenzweig von der Rockefeller University in New York, war die seit 25 Jahren andauernde Suche nach einer HIV-Impfung zu eindimensional. Bislang waren Forscher auf der Suche nach der magischen Kugel gegen das Virus, sprich: dem einen Super-Antikörper, der das Virus unschädlich macht.

Scheid und Nussenzweig haben die Antikörper von sechs HIV-positiven Patienten untersucht, die zu denjenigen Patienten gehören, bei denen die Krankheit nur sehr langsam voranschreitet. Die Forscher fanden heraus: Nicht mit einer einzigen magischen Kugel erledigt deren Immunsystem die Eindringlinge, sondern mit der Schrotflinte. Das Virus wird von einem bunten Mix Hunderter verschiedener Antikörper attackiert. Einzeln genommen richten sie wenig aus. Im Team aber sind sie äußerst wirksam.

Antikörper werden vom Immunsystem nach dem Kontakt mit einem Krankheitserreger gebildet. Es sind Proteine, die sich ganz spezifisch an große Moleküle auf der Oberfläche des Eindringlings anhaften. So machen sie machen ihn entweder direkt unschädlich oder markieren ihn für Fresszellen des Immunsystems.

Antikörper gegen HI-Viren zu bilden, ist sehr schwierig, da sich die Viren immer wieder verändern. Nur eine Stelle bleibt relativ stabil: das Hüllenprotein gp140. Ohne dieses Protein kann das HI-Virus nicht an die Immunzellen andocken und sich in ihnen vervielfältigen. In früheren Studien wurden künstlich vier extrem wirksame Antikörper hergestellt, die an gp140 ansetzen und die Viren zerstörten - jedoch scheiterten alle Versuche, den menschlichen Körper zur Produktion dieser Antikörper zu bringen.

Wie die Wissenschaftler im Fachmagazin "Nature" berichten, gingen sie einen anderen Weg. "Wir wollten etwas anderes versuchen", sagte Nussenzweig. "Wir versuchten, das zu reproduzieren, was im Körper des Patienten vor sich ging." Die Forscher untersuchten etwa 502 Antikörper aus dem Blut der sechs Patienten. Dabei fanden sie 433 Antikörper, die das gp140-Protein angriffen. Zwar waren die Antikörper einzeln genommen nur schwach wirksam und viel weniger wirksam als die vier künstlich hergestellten Antikörper gegen gp140. Im Verbund aber erwiesen sie sich als äußerst effektiv. Die natürlichen Antikörper erkannten zudem eine größere Bandbreite an HI-Virenstämmen. "Dies sollte zum Nachdenken anregen, wie eine effektive Impfung möglicherweise aussehen sollte", sagt Nussenzweig.

Eine breite Antikörper-Mischung könnte nach Meinung der Forscher daher der richtige Ansatz für künftige HIV-Impfungen sein. Sie wäre flexibler und würde bei Veränderungen der Virenstruktur nicht so schnell an Wirkung verlieren.

Schwulem Iraner droht Abschiebung

IRanian Queer Railroad gibt auch das Magazin "Neda" heraus
IRanian Queer Railroad gibt auch das Magazin "Neda" heraus
Der 29-Jährige Iraner Mehdi N. könnte von Deutschland aus in seine Heimat abgeschoben werden, nachdem ein Gericht seinen Asylantrag abgelehnt hat. Das berichtet die Organisation IRanian Queer Railroad (IRQR) mit Sitz im kanadischen Toronto.

Von Norbert Blech

Dem Bericht zufolge, der aus anderen Quellen bisher nicht verifiziert werden konnte, sei Mehdi N. 2007 die Flucht aus dem Iran in die Türkei gelungen. Da er aber nicht von der Möglichkeit gewusst hätte, unter Zuhilfenahme der Vereinten Nationen Asyl zu erhalten, sei er aus Angst vor Abschiebung mit Hilfe eines Bekannten nach Deutschland geflohen. Am Flughafen habe er den Kontakt zur Polizei gesucht, um Asylantrag zu stellen.

Doch der Antrag sei vor Gericht mehrfach abgelehnt worden, zuletzt, da der Richter in einer Entscheidung "nach Augenmaß" die Homosexualität Mehdis für vorgeschoben gehalten haben soll. Der Richter habe in der Verhandlung gesagt, dass vor ihm schon viele Schwule gesessen hätten, zitiert ihn Mehdi in einem Schreiben an IRQR: "Die sahen aus wie Schwule, aber dieses Gefühl habe ich nicht über Sie". Der junge Iraner hält das für zynisch: "Im Iran war ich ständig herausgefordert, meine sexuelle Orientierung zu verleugnen. Jetzt in Deutschland ist es meine schwerste Aufgabe, diese zu beweisen".

Das Gericht versandte ein Schreiben, wonach Mehdi N. nicht als Flüchtling anerkannt werde und das Land zu verlassen habe. Damit droht dem Iraner nun Abschiebung in ein Land, in dem Schwule verhaftet, gefoltert und auch zu Tode verurteilt werden. Besonders problematisch für den 29-Jährigen: seine Homosexualität ist dort inzwischen bekannt. Der Iraner berichtete gegenüber IRQR, dass er von einem Freund und dessen Freunden vergewaltigt wurde. Davon hätten die Täter auch Filmaufnahmen gemacht und diese der Familie und Kumpeln von Mehdi zugänglich gemacht.

Europäische Kommission sieht Mitgliedsstaaten in der Pflicht

2005 sorgte die Erhängung von zwei schwulen Jugendlichen im Iran für weltweiten Protest
2005 sorgte die Erhängung von zwei schwulen Jugendlichen im Iran für weltweiten Protest
Die Organisation, die sich durch die weltweite Unterstützung schwuler Iraner einen Namen gemacht hat, bietet auf ihrer Homepage vorgefertigte Protestschreiben an das deutsche Innen- und Justizministerium sowie an die Menschenrechtsbeauftragte des Europäischen Parlaments an (s. Link u.). Erst im Februar hatte die Europäische Kommission erklärt, dass Homosexuellen, die eine begründete Angst vor Verfolgung in ihrem Heimatland haben, in der EU Asyl gewährt werden muss (queer.de berichtete).

Die Staaten seien aufgrund von EU-Richtlinien aus den Jahren 2004 und 2005 in der "Pflicht", auch die noch nicht bindende EU-Grundrechtecharta sei so zu interpretieren. Das Europaparlement hatte sich zum Jahreswechsel auch in den Fall des 20-jährigen Iraners Mehdi Kazemi eingeschaltet, der aus den Niederlanden abgeschoben worden war und nach langem Hin und Her Asyl in Großbritannien erhielt (queer.de berichtete).

Links zum Thema:
Erklärung der Organisation IRanian Queer Railroad (engl.)



Forscher findet Hinweis auf Robin Hood

Robin Hood gilt als guter Räuber und Rächer der Armen. Ein britischer Historiker hat nun in einem Buch einen Hinweis auf den legendären Gesetzeslosen entdeckt. Dieser könnte belegen, dass Hood später lebte als bislang angenommen - wenn er denn je gelebt hat.

Sagenheld Robin Hood (mit Pfeil und Bogen): Gar nicht so beliebt?

Neue Details einer Legende: Kunsthistoriker Julian Luxford von der schottischen Universität St. Andrews glaubt, in einer lateinischen Randnotiz eines britischen Mönches aus dem Jahr 1460, einen Hinweis auf den legendären Robin Hood gefunden zu haben. Sie könnte belegen, dass Hood später lebte als bislang angenommen und möglicherweise gar nicht so populär war.

Auf die Randnotiz stieß der Forscher nach eigenen Angaben rein zufällig, als er in der Bibliothek der Eliteschule Eton in dem um 1340 verfassten Geschichtsbuch "Polychronicon" blätterte. "Sein Name sprang mir förmlich ins Auge", sagte Luxford. "Ich wusste, dass es zu wenige verlässliche Quellen aus dem Mittelalter zu ihm gibt. Daher war mir klar - dies war wichtig." Luxford übersetzt die 23 lateinischen Worte folgendermaßen:

"In dieser Zeit hat nach Meinung des Volkes ein gewisser Gesetzloser namens Robin Hood zusammen mit seinen Komplizen in Sherwood und anderen gesetzestreuen Gegenden Englands mit fortgesetzten Räubereien sein Unwesen getrieben."

Bei der Notiz handelt es sich laut Luxford um die einzige historische Aufzeichnung, die in England gefunden wurde. Demnach habe Robin Hood in der Zeit von König Edward I. (1239-1307) gelebt. Alle anderen Hinweise darauf, dass es Robin Hood tatsächlich gab, stammten aus Schottland.

Luxford, Spezialist für mittelalterliche Manuskripte, ist der Überzeugung, dass der Fund einmalig sei, weil er "eine negative Einschätzung des Gesetzlosen" beinhalte. Er sei ein sehr seltener Beleg für die kirchliche Sichtweise des gesetzlosen Robin Hood. Dass die Geistlichen der damaligen Zeit diesem Gesetzlosen nicht besonders zugetan waren, findet Luxford jedoch nicht sehr verwunderlich. Andere mittelalterliche Geschichten zeichneten laut Luxford Robin Hood als einen Verbündeten der guten Ritter, sprechen sich jedoch nicht so positiv aus über seine Beziehung zum Klerus.

Der Legende nach hat Robin Hood die Reichen bestohlen und die Beute unter den Armen verteilt. Ob Hood wirklich gelebt hat und eine reale Person war, ist nicht belegt. Hollywood hat die Geschichte mehrmals verfilmt, unter anderem mit Errol Flynn und Kevin Costner.

Luxfords Fund könnte Diskussionen auslösen, wann und wo der Rächer der Armen lebte - wenn er denn je gelebt hat. Bislang glaubten Wissenschaftler, dass Hood im zwölften Jahrhundert in der nordenglischen Grafschaft Yorkshire seine angeblichen Heldentaten beging. Die Randnotiz des Mönches würde den legendären Räuber allerdings ins 13. Jahrhundert und in die benachbarte Grafschaft Nottinghamshire verlegen. Laut Luxford würde dies die Legende bekräftigen, die Robin Hoods Versteck im Sherwood Forest verortet. Der Wald erstreckte sich zur damaligen Zeit in Nottinghamshire über eine Fläche von 40.000 Hektar, schrumpfte bis heute allerdings auf 180 Hektar.

Luxford will seine Ergebnisse bald im Fachmagazin "Journal of Medieval History" veröffentlichen.

Freitag, 13. März 2009

Spanien will mit Manipulation Basken regieren

Gewonnen haben die baskischen Wahlen klar die moderaten Nationalisten und in Galicien stürzten die Sozialisten (PSOE) erwartungsgemäß ab und die Postfaschisten haben die absolute Mehrheit zurückgewonnen. Nach dem Ausschluss der linken baskischen Unabhängigkeitsbewegung will die PSOE in einer spanisch-nationlistischen Front mit den Postfaschisten der Volkspartei (PP) regieren, obwohl sie weit entfernt von einer Stimmenmehrheit sind und die knappe Sitzmehrheit duch die Verbote nur herbeimanipuliert haben. Die baskische Linke hat sich nicht einschüchtern lassen, mehr als 100.000 Menschen haben die Verbotenen gewählt.
"Ich fühle mich dazu legitimiert, den Wandels anzuführen", sagte der Kandidat der spanischen Sozialisten (PSOE) am späten Sonntag. Auf den ersten Blick sieht es auch so aus, als hätte Patxi López mit 24 Sitzen und kapp 31 % der Stimmen ein gutes Wahlergebnis erzielt. Doch klar gewonnen hat die die Wahl erneut die Baskisch-Nationalistischen Partei (PNV). Der bisherige PNV-Regierungschef Juan José Ibarretxe hat fast 39 % und 30 Sitze im Regionalparlament in Gasteiz (Vitoria) erreicht. Die PNV hat zudem die beiden bevölkerungsreichsten Provinzen Biskaya und Gipuzkoa klar gewonnen. Die PSOE konnte nur knapp vor der PNV das dünn besiedelte Alava gewinnen.

Weil aber in jeder Provinz, unabhängig von der Bevölkerungszahl, 25 Parlamentarier gewählt werden, sieht López eine Chance, erstmals nach 30 Jahren die moderaten Nationalisten aus dem Regierungssitz "Ajuria Enea" zu verdrängen, damit wäre die Rechnung der PSOE aufgegangen, durch den Ausschluss der linken Unabhängigkeitsbewegung im Baskenland die Macht zu übernehmen. "Ich halte an meinem Wort und meiner Absicht Ziel fest, die nötige Unterstützung für ein Projekt des Wandels anzuführen". Damit zielt er auf die Unterstützung der ultrakonservativen spanischen Volkspartei (PP) und eine Rechtsabspaltung der Sozialisten. Die PP ist erwartungsgemäß auf 14 % geschrumpft und López kann nur eine Sitzmehrheit bekommen, wenn er auch den Sitz der Union, Volk und Demokratie (UPyD) hinter sich bringt, die erstmals mit gut 2 % ins Parlament einziehen. Er muss eine spanische Front in der "Autonomen Baskischen Gemeinschaft" (CAV) aus Parteien schmieden, die sich in Spanien scharf beharken.

Ibarretxe sieht sich über sein sehr gutes Ergebnis bestätigt, weiter die CAV zu regieren. Er will sofort Gespräche zur Regierungsbildung aufnehmen. "Es kommt uns zu, die Verhandlungen mit den übrigen Parteien zu beginnen", sagte er. Er will zunächst mit der PSOE sprechen, denn eine große Koalition kann nicht ausgeschlossen werden. Denn im Dezember hat die PNV der PSOE im spanischen Parlament schon eine knappe Mehrheit für den Haushalt beschafft.

Ibarretxes Problem ist, dass die bisherigen Koalitionspartner wegbrachen. Die Vereinte Linke (IU) hat ihren Absturz fortgesetzt und wird mit 3,5 % nur noch einen statt drei Sitze einnehmen. Die Baskische Solidaritätspartei (EA) erhielt knapp 4 %, das sind nur noch zwei statt sieben Sitze,deren Chef Unai Ziarreta hat erwartungsgemäß seinen Posten zur Verfügung gestellt. Er übernimmt die Verantwortung für das Debakel. Einen Teil der Stimmen der Sozialdemokraten gingen an die PNV und ein anderer Teil zu den Linksnationalisten von Aralar, die mit gut 6 % und vier Sitzen einen Erfolg erzielten. (Siehe auch info-baskenland.de)

Wichtig bei der Bewertung ist, dass alle Parteien der linken Unabhängigkeitsbewegung ausgeschlossen waren und sie erstmals seit dem Ende der Franco-Diktatur nicht im Regionalparlament vertreten ist. Gut 100.000 Menschen haben trotz schärfster Repression (siehe hier: info-baskenland.de) die verbotenen Parteien trotzdem gewählt. Das wären, wenn die Stimmen nicht ungültig gewertet würden, sieben Sitze. Deshalb kommt es zu diesem verzerrten Ergebnis. Viele ihrer Wähler blieben auch zu Hause, weshalb die Wahlbeteiligung 15 % niedriger lag als die 2005. Damals erreichten die nun ebenfalls verbotenen baskischen Kommunisten (EHAK) mit 12,5 % neun Sitze.

Der baskische IU-Chef hat die Konsequenzen noch nicht gezogen, da folgt er seinem spanischen Vorbild folgt, der lange die Verantwortung für den Absturzgemacht hatte. Er hat Recht, denn am Wählerverhalten hat sich nichts geändert. Die bisherige Regierungskoalition hat auch ohne die illegalisierten Stimmen deutlich mehr Stimmen erhalten, als der spanisch-nationalistische Block, mit dem López die Regierung bilden will.

Gegenüber den spanischen Parlamentswahlen im März 2008 hat die PSOE im Baskenland sogar mehr als 100.000 Stimmen verloren. Damit zeigt sich auch, dass es nicht gut steht. Sollten die Sozialsten die spanische Front aufbauen können, sitzt deren Regierung allerdings auf dem Schleudersitz, der jederzeit in Strassburg ausgelöst werden kann. Mit den Verboten hat Madrid Fakten zu schaffen versucht, bevor der Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg möglicherweise sogar das Batasuna-Verbot kippt, das ja als Begründug aller weiteren Verbote dient. Im Schnellverfahren war dafür extra von der PP mit Hilfe der Sozialisten ein neues Parteiengesetz durch alle Instanzen gepeitscht worden, um Batasuna 2003 verbieten zu können. Seither kann eine Partei schon verboten werden, weil sie Anschläge nicht so verurteilt, wie es die Regierung fordert. Eine Verbindung von Batasuna zur ETA wurde nie bewiesen, denn dann hätte man die Partei auch nach dem alten Gesetz verbieten können.

Dieses Gesetz wurde gerade vom UNO-Sonderbeauftragten für Menschenrechte scharf kritisiert. Martin Scheinin ist "beunruhigt darüber, welche Vielfalt an Bestimmungen“ des Parteigesetzes Verbote ermöglichen. "Schwammige" Formulierungen "können so interpretiert werden, dass sie auch auf jede politische Partei zutreffen, die mit friedlichen Mitteln ähnliche politische Ziele verfolgt, wie terroristische Gruppen.“ Er forderte, die "vagen Formulierungen des Gesetzes an die internationalen Kriterien in Bezug auf die Einschränkung der Meinungsfreiheit anzupassen". Auch, die Strafrechtsbestimmungen zu "Terrorismus seien zum Teil vage". Es käme zu einer "Ausweitung des Terrorismuskonzepts auf Handlungen", die nicht in Verbindung zu schweren Gewaltakten stünden.

Ganz abgesehen von den Entwicklungen im Baskenland hat sich in aller Deutlichkeit in Galicien gezeigt, dass auch die sozialistische Zentralregierung, wegen des Versagens in der heftigen Wirtschaftskrise, auf dem Schleudersitz sitzt. In dieser Autonomieregion hatte 2005 die Koalition aus PSOE und dem Nationalistischen Block Galiciens (BNG) erstmals seit dem Ende der Diktatur die Macht abgejagt. Doch sie erfüllte auch die schwachen Erwartungen nicht. Die Koalition wurde in Galicien abgestraft und hier hat die PP die absolute Mehrheit erwartungsgemäß zurück gewonnen. Das ist ein harter Schlag für sie sozialistische Zentralregierung, die für ihr Versagen in der Wirtschaftskrise nun in Galicien die Rote Karte erhalten hat. Die PSOE versagt in der Krise völlig, weshalb viele aus Mangel an linken Alternativen in Spanien sich wieder stärker der PP zuwenden. Nach den neuen Arbeitslosenzahlen sind nun schon offiziell 3,5 Millionen Menschen arbeitslos.
nicht übernehmen wollte. Javier Madrazo beklagt ein schweres "Demokratiedefizit". Er warf der PSOE "Schiebung" vor. "Das neue Parlament bildet nicht die baskische Gesellschaft ab, sondern ist durch die Illegalisierung einer politischen Kraft verzerrt, die das klare Ziel hatte, die sozialistische Partei zu begünstigen", wie er schon vor den Wahlen

© Ralf Streck den 03.03.2009

Zur Zeichnung - Die drei großen Verlierer der Wahlen:

BERLIN: Verwesende Leiche in Klinik-Toilette gefunden

Grausiger Fund in einer Besuchertoilette der Berliner Charité: Dort wurde die Leiche eines 29-jährigen Mannes entdeckt, der schon tagelang tot war. Er war letzte Woche Freitag kurz in der Notaufnahme behandelt worden.

Berlin - Der Mann wurde am Mittwoch in der Kabine einer Behindertentoilette auf der Station 45 für Nierenheilkunde gefunden, berichtet die "Berliner Morgenpost". Da war er schon mehrere Tage tot. Das Personal der Berliner Universitätsklinik habe wegen des strengen Geruchs die Polizei alarmiert. Der genaue Todeszeitpunkt des 29-Jährigen Dresdeners könne derzeit nicht genannt werden, heißt es bei der Polizei. Auch die Todesart sei unklar. Anhaltspunkte für ein Verbrechen sieht die Polizei jedoch nicht.

Nach Angaben von Charité-Sprecherin Kerstin Endele war der Mann zuletzt lebend am Abend des 6. März gesehen worden. Er war auf dem Klinik-Gelände gefunden und in die Notaufnahme gebracht worden. Vermutlich handelte es sich um einen Drogenabhängigen, da er ein Spritzbesteck bei sich hatte.

Der Mann sei vom Kreislauf stabil und ansprechbar gewesen. Das Spritzbesteck sei ihm abgenommen und entsorgt worden. Er habe sich gegen den Transport in die Notaufnahme gewehrt und eine weitere Behandlung dort abgelehnt. Nach etwa zehn Minuten habe er die Station auf eigenen Wunsch verlassen.

Warum der Leichnam so spät entdeckt worden sei, wisse sie nicht, so die Sprecherin.
Zu vermuten bleibt, dass die Toilettenreinung nicht täglich vorgenommen wird.

Dienstag, 10. März 2009

Geplante Visa-Warndatei vom Tisch

Neuer Streit in der Großen Koalition

Das Vorhaben einer Visa-Warndatei zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität ist vorerst geplatzt. Das Bundesjustizministerium habe den erzielten Konsens überraschend aufgekündigt, sagte der Sprecher von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU), Stefan Paris, der
Nachrichtenagentur AFP.

Ursprünglich sollte der Gesetzentwurf am Mittwoch im Kabinett beraten werden. Paris sagte, der Kompromiss sei "intensiv abgestimmt" gewesen. Nun betreibe das Justizministerium eine "Blockade ohne Argumente". Die Minister für Äußeres und Justiz, Frank-Walter Steinmeier und Brigitte Zypries (beide SPD), müssten die Angelegenheit nun klären.

In der Union wird nun erwartet, dass das Vorhaben vor der Bundestagswahl im September möglicherweise nicht mehr zustande kommt. "Ich befürchte, dass uns in dieser Legislaturperiode die Zeit davonläuft und dass die Ministerien für Justiz und wirtschaftliche Zusammenarbeit genau darauf spekulieren", sagte Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU).

Scharfe Kritik von den Grünen
Zuvor hatten die Grünen im Bundestag die Pläne der Bundesregierung scharf kritisiert. Der "Neuen Osnabrücker Zeitung" sagte Fraktionschefin Renate Künast, damit würden Bürger wie bei der Vorratsdatenspeicherung ein weiteres Mal unter Generalverdacht gestellt. Künast kritisierte insbesondere, dass sehr viele Gruppen von Personen auf die "Vieleinladerdatei" zugreifen dürften - neben Polizei und Staatsanwaltschaft etwa auch die Arbeitsagenturen und der Verfassungsschutz. Betroffen seien von der Regelung zum Beispiel Unternehmen oder Hochschulen mit internationalen Kontakten, die Tourismusbranche, Vereine und Sportclubs.
Visa-Warnsystem vorhanden

Künast verwies auf ein europäisches Visa-Warnsystem, das im Sommer 2008 beschlossen wurde. Auch dieses sehe zwar eine Vieleinladerdatei vor, auf die allerdings nur ein kleiner Kreis von Personen Zugriff habe, und in der nicht ohne Anlass recherchiert werden dürfe. Die Bundesregierung habe aber nicht den Aufbau dieser Datei abgewartet, sondern sei vorgeprescht und dabei "weit über das Ziel hinaus geschossen".

Die Einrichtung der Visa-Warndatei ist Folge des Visa-Missbrauchs vor allem in Osteuropa zu Zeiten der rot-grünen Koalition. Die neue Datei soll "aufenthaltsrechtliche Gesetzesverstöße" sowie Delikte wie Einschleusung, Schwarzarbeit, Bildung terroristischer Vereinigungen oder Formen des Menschenhandels umfassen.

Den Plänen zufolge wird darin derjenige registriert, der innerhalb von zwei Jahren fünf oder mehr Einladungen an visumpflichtige Ausländer ausgesprochen hat. Außerdem sollen in einer "Warndatei" aufenthaltsrechtliche Gesetzesverstöße sowie Delikte wie Einschleusung, Schwarzarbeit oder Menschenhandel erfasst werden. Das Gesetz soll morgen im Bundeskabinett beraten werden.

Arbeitsgericht hebt Kündigung auf

PROZESS UM BRÖTCHENBELAG

Probieren ist erlaubt: Der 26-jähriger Bäcker aus Westfalen, der bei der Arbeit unerlaubt einen Brötchenbelag zu sich genommen haben soll, muss weiterbeschäftigt werden. Das entschied das Arbeitsgericht Dortmund - allerdings aus formalen Gründen.

Dortmund - Es ist ein Urteil, dass dem gesunden Menschenverstand entspricht: Benjamin Lassak, ein junger Bäcker aus Westfalen, und sein Kollege müssen weiterbeschäftigt werden - obwohl sie sich bei der Arbeit unerlaubt einen Brötchenbelag zu sich genommen haben sollen. Das hat das Arbeitsgericht Dortmund am Dienstag aus formalen Gründen entschieden.

Bäcker Benjamin Lassak: Nicht mit positivem Urteil gerechnet
Bäcker Benjamin Lassak: Nicht mit positivem Urteil gerechnet
Lassak und ein Kollege, beide Angestellte einer Bäckerei-Kette in Bergkamen, hatten ihre Frühstücksbrötchen mit dem Belag bestrichen. Das Unternehmen hatte den beiden daraufhin im Spätsommer vergangenen Jahres fristlos gekündigt. Dagegen klagte der Bäcker, der auch Mitglied des Betriebsrats war.

Die zweite Kammer des Arbeitsgerichts Dortmund entschied im Fall des 26-Jährigen aus formalen Gründen. So habe bei einer Kündigung eines Betriebsratsmitglieds der Betriebsrat gehört werden und zustimmen müssen. Die Einladung zu dieser Anhörung sei formal nicht rechtens gewesen. Deshalb sei die Kündigung unwirksam.

Die Bäckerei, die auch einen Büfett-Service anbietet, hatte im Vorfeld eingeräumt, dass es sich bei der Kündigung um eine "unpopuläre Entscheidung" handele - die aber im Sinne einer "Gleichbehandlung aller Mitarbeiter" notwendig sei.

"Während der Produktion lediglich abgeschmeckt"

Der Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten in der Region Dortmund, Manfred Sträter, verteidigt die Bäcker: "Hier kann man überhaupt nicht von Diebstahl reden." Die Männer hätten den Brotbelag mit selbstgekauften Brötchen während der Produktion lediglich abgeschmeckt, als der Geschäftsleiter in der Backstube erschien.

Erst vor kurzem hatte ein angeblicher Minidiebstahl die deutsche Justiz beschäftigt. Vor zwei Wochen erklärte das Berliner Landesarbeitsgericht die fristlose Kündigung einer Frau für rechtens, die zwei Pfandbons im Gesamtwert von 1,30 Euro unterschlagen haben soll.

Im Fall des 44-jährigen Kollegen wollte das Dortmunder Gericht erst am Nachmittag seine Entscheidung verkünden. Beobachter erwarten jedoch, dass auch in seinem Fall das Gericht zu seinen Gunsten entscheiden wird. So äußerte das Gericht in der mündlichen Verhandlung unter anderem Zweifel daran, dass das Unternehmen bei der Kündigung die lange Betriebszugehörigkeit des Mannes von 24 Jahren ausreichend gewürdigt hat.

Lassak zeigte sich erfreut. Damit habe er nach dem Berliner Urteil nicht gerechnet, sagte er. Er wollte sich noch nicht dazu äußern, ob er nun tatsächlich bei der Bäckereikette weiterarbeiten werde.