Mittwoch, 21. Februar 2007

Europäische Union: Kein Verbot von Hakenkreuzen

Die Bundesregierung strebt im Rahmen ihrer EU-Präsidentschaft weiter ein einheitliches Vorgehen gegen den Rechtsextremismus an. Ein europaweites Verbot des Hakenkreuzes sei jedoch nicht geplant.

Berlin - Es sei bereits schwierig, eine Mehrheit dafür zu finden, dass die Leugnung von menschenverachtenden Gräueltaten wie dem Holocaust bestraft werde, sagte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD). Keine Mehrheit gebe es dafür, die Darstellung eines Hakenkreuzes zu verbieten. Der EU-Rahmenbeschluss zur Bekämpfung des Rechtsextremismus ziele darauf, eine Mindestharmonisierung der Vorschriften über die Strafbarkeit des Verbreitens von rassistischen und fremdenfeindlichen Äußerungen zu erreichen.

Dabei gehe es zum Beispiel um die öffentliche Aufstachelung zu Gewalt und Hass oder das Leugnen oder Verharmlosen von Völkermord aus rassistischen oder fremdenfeindlichen Motiven, sagte Zypries. Einzelne Staaten könnten darüber hinausgehende Regelungen beschließen. Hingegen soll auch das Zeigen anderer Symbole als des Hakenkreuzes nicht europaweit verboten werden. Der Rahmenbeschluss habe nicht zum Ziel, die Meinungsfreiheit der Bürger zu beschneiden. Vielmehr gehe es darum, das Andenken an die Opfer der Genozide zu ehren und alle Menschen vor Diffamierung zu bewahren.

EU-Justizkommissar Franco Frattini bekundete seine Unterstützung zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses. Äußerungen, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen verharmlosten, beleidigten nicht nur die Opfer und deren Nachkommen, sondern die gesamte demokratische Welt, erklärte er. Der Rahmenbeschluss sei dabei ein Schritt in die richtige Richtung. "Schließlich mussten wir in der Vergangenheit erleben, dass rassistischen Äußerungen häufig Taten folgen." Er verwies darauf, dass in einzelnen Mitgliedsländern der EU die Zahl der fremdenfeindlichen Taten dramatisch angestiegen sei.

Saudi-Arabien: Todesurteil für Hobby-Stuntman

Ein Gericht in Dschidda hat einen Marineoffizier zum Tod durch das Schwert verurteilt. Bei einem gefährlichen Manöver mit seinem Auto starben drei Jungen, die mit ihm im Wagen saßen.

Dschidda - Der Autofahrer hatte den Jungen versprochen, er werde ihnen den "Todes-Stunt" vorführen. Dann zog er bei Tempo 120 die Handbremse. Der Mann war nach Informationen der Zeitung "Arab News" bereits 66 Mal als Verkehrssünder aufgefallen und verwarnt worden.

Mehrere junge Männer, die selbst gerne auf der Straße Rennen fahren, zeigten sich erstaunt über die Entscheidung des Richters und sagten der Zeitung, das Urteil sei zu hart. In Saudi-Arabien wird die Todesstrafe nach islamischem Recht gegen Mörder, Vergewaltiger, Drogenschmuggler und nach bewaffneten Überfällen verhängt.

Bereits 15 Hinrichtungen in diesem Jahr

Am Montag waren in Riad vier Räuber aus Sri Lanka enthauptet worden, die bei ihren Überfällen nach Angaben des Gerichts mehrere Menschen verletzt, aber niemanden getötet hatten. Damit wurden in Saudi-Arabien seit Jahresbeginn bereits 15 Menschen hingerichtet. Im gesamten Vorjahr waren 38 Todesurteile vollstreckt worden.

Donnerstag, 8. Februar 2007

Basketballer John Amaechi bekennt sich

London - Erstmals hat sich ein ehemaliger Nationalspieler der amerikanischen Basketball-Liga öffentlich zu seiner Homosexualität bekannt. John Amaechi ist aus dem Schrank.

Sein Bekenntnis hängt mit einer bevorstehenden Veröffentlichung seines Buches zusammen. "The Man In The Middle" wird Mitte Februar erscheinen. Darin berichtet der ehemalige Profisportler, der 2003 seine Sportlerkarriere an den Nagel hing, wie es ist, seine sexuelle Orientierung wegen seines Berufes zu verbergen. Auch in einem Fernsehauftritt, der für nächste Woche angesetzt ist, wird er sein Coming-out nochmals wagen.

Über die sexuelle Orientierung des 36-Jährigen ist in der Vergangenheit schon häufiger in den Medien spekuliert worden. Unter anderem wurde auf seine für einen toughen Basketballspieler ungewöhnlichen Hobbys verwiesen. Amaechi hat eine Vorliebe für Gartenpflege, schreibt Gedichte und hörte vor seinen Spielen gerne Opern.

Mittwoch, 7. Februar 2007

Paar umarmt sich seit 5000 Jahren

Bei Ausgrabungen in Norditalien haben Archäologen ein eng umschlungenes Paar entdeckt. Die Bestattung liegt vermutlich 5000 bis 6000 Jahre zurück. Doppelbegräbnisse waren in der Jungsteinzeit nicht außergewöhnlich.

"Es ist ein außergewöhnlicher Fall", sagte Elena Menotti, die die Ausgrabungen nahe der norditalienischen Stadt Mantua leitet. Sie kenne keine Doppelgräber mit eng umschlungenen Personen aus der Jungsteinzeit. "Und diese umarmen sich wirklich."

Die Experten schätzen, dass das Paar vor 5000 bis 6000 Jahren bestattet wurde. Bei den beiden handle es sich wahrscheinlich um einen Mann und eine Frau, dies müsse jedoch noch wissenschaftlich bestätigt werden. Menotti geht davon aus, dass die beiden jung verstarben. Darauf deuteten das noch fast vollständige Gebiss und die geringe Abnutzung der Zähne hin.

Als sie das Grab entdeckten, seien die Archäologen vollkommen außer sich geraten, berichtete Menotti. "Ich mache diesen Job seit 25 Jahren. Ich habe Ausgrabungen in Pompeji und an allen wichtigen Stätten der Welt gemacht. Aber ich war niemals so bewegt, denn dieser Fund ist wirklich etwas besonderes." Untersuchungen sollen nun darüber Aufschluss geben, wie alt die beiden wurden und wann genau man sie bestattete.

Doppel- und Mehrfachgräber waren in der Jungsteinzeit keine Seltenheit. Auch bei früheren Funden waren die Bestatteten teils eng miteinander umschlungen. Zu den bekannteren Doppelgräbern zählt jenes, das 1914 in Oberkassel entdeckt wurde. Die Bestattung des Mannes und der Frau liegt bereits mehr als 10.000 Jahre zurück.

Etwa aus derselben Zeit wie der neue Fund in Norditalien stammt das Doppelgrab von Murr (Landkreis Freising). Es gehört zur Münchshöfener Kultur, die den Zeitraum von 4500 bis 3500 vor Christus umfasst. Zuletzt waren Archäologen im Januar in Sachsen-Anhalt bei Karsdorf (Burgenlandkreis) auf ein Doppelgrab gestoßen. Darin lagen eine Frau und ein Junge, nicht älter als zehn Jahre. "Die beiden Personen müssen gleichzeitig gestorben sein", sagte Hans Joachim Behnke vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie. Ob es Mutter und Sohn seien, könne nur eine DNA-Untersuchung zeigen. Derartige Gräber seien sehr selten, sagte Behnke.

"In der CDU brennt die Hütte"

Pressestimmen

Der symbolträchtige Abgang von Friedrich Merz hat die Kommentatoren deutscher Tageszeitungen aufhorchen lassen. Die Stimmung in der CDU ist schlechter als manche zugeben möchten, konstatieren sie. Die Kanzlerin ist gewarnt.

"Abendzeitung" (München):

"Merz und Bosbach sind alles andere als schmerbäuchige Hinterbänkler - sie gehören zur Zunft der Alpha-Politiker, die rar geworden ist in Berlin. Wenn sich ein mit allen Wassern gewaschener Parteisoldat wie Bosbach so weit aus dem Fenster lehnt, darf man sicher sein, dass er nicht nur für sich und Merz spricht, sondern dass der Frust in der Union groß ist. Es wird höchste Zeit, dass sich Angela Merkel, die soeben als Friedenspredigerin durch die arabische Welt jettete, um ihre Partei kümmert. Dort brennt die Hütte."

"Der Tagesspiegel" (Berlin):

"Merz ist ein Symptom. Denn vor der Wahl etwas ganz anderes zu predigen als nach der Wahl zu tun, bleibt erklärungsbedürftig und diskussionswürdig; also warum danach Machtwillen vor Prinzipientreue ging. Die Debatte darüber, die auch eine notwendige Selbstvergewisserung ist, darf bis heute nicht geführt werden. Höchstens Halbsätze weisen darauf hin, dass für die große CDU etwas gewaltig schiefgelaufen sein könnte, und wer sich hierfür in der Verantwortung fühlt. Jetzt aber steigt der Druck noch einmal, und es wird wohl so sein, dass Merz genau das beabsichtigt hat: mit seinem Tropfen das Wasser anschwellen zu lassen, auf dass es Dämme ein- und Merkel und all die anderen mitreißt, die aus der Union eine schlechtere SPD machen wollen."

Friedrich Merz hat der Politik den Rücken gekehrt
Friedrich Merz hat der Politik den Rücken gekehrt

"Stuttgarter Nachrichten":

"Lassen wir die Kirche im Dorf. Der Sauerländer war, man mag es bedauern, zuletzt in Fraktion und Partei ein Einzelgänger. Und er hat sich als Anwalt beruflich neu orientiert. Mag sich die FDP noch so sehr über die inhaltliche Erosion einer reformunfähigen CDU freuen: Noch ist Merzens enttäuscht-beleidigter Rückzug ein Einzelfall. Wenn auch gefährlich spektakulär."

"Badisches Tagblatt" (Baden-Baden):

"Spürbar ist die Unzufriedenheit an der Parteibasis über eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners mit dem Koalitionspartner SPD, der sich in der Öffentlichkeit auch noch entschlossener und harmonischer präsentiert als die Union. Aus dieser misslichen Lage kann sich die CDU aber nur selbst befreien und zwar durch härtere inhaltliche Auseinandersetzungen mit dem Koalitionspartner und einen Verzicht auf die Profilierung einiger Landesfürsten und anderer Spitzenpolitiker. Gelingt das nicht, wird die Christdemokraten das gleiche Schicksal ereilen wie einst die Sozialdemokraten, die durch langwierige Flügelkämpfe das Vertrauen der Wähler für lange Zeit verspielt hatten."

"Westdeutsche Allgemeine Zeitung":

"In der Person Merkels verdichtet sich alles, was Merz nicht sein will: der Opportunismus des Regierenden, wenn er es auch weiter bleiben will, der hemmungslose Kurswechsel, die Intrige. Merkel und Merz führen vor, was passiert, wenn Alpha-Tiere ohne Airbag aufeinanderprallen. Politik lebt von Typen. Merz Privatisierung entlässt den konservativen Unions-Flügel in die Heimatlosigkeit. Und sie macht Politik insgesamt ärmer. Es ist tragisch, weil es so kommen musste."

"Flensburger Tageblatt":

"Angela Merkel mag erleichtert sein, dass mit Friedrich Merz einer ihrer schärfsten Widersacher das Handtuch wirft. Doch sie sollte gewarnt sein: Die Kritiker ihres großkoalitionären Schmusekurses waren nie bekehrt, sondern nur zeitweilig verstummt. Das Gerangel um die Gesundheitsreform mit dem Ergebnis, das so gar nicht mit den Vorgaben des Leipziger CDU-Parteitags von 2003 zusammenpasst, hat die Gegner der Sozialdemokratisierung der Union neu sensibilisiert."

"Neue Osnabrücker Zeitung":

"Es gehört zu den schwersten Fehlern der Kanzlerin, dass sie Merz nach dem großen Streit von 2002 nicht ins gemeinsame Boot zurückholen konnte. Jetzt muss Angela Merkel ihn zwar nicht mehr fürchten, aber ein fachlicher Ersatz ist nirgendwo in Sicht. Das schwächt die Union gegenüber SPD und FDP. Hinzu kommt die mögliche Symbolkraft des Abgangs. Denn Merz war lange der Kopf des wirtschaftsliberalen und wertkonservativen Flügels. Eine rechte Volkspartei muss diese Klientel an sich binden. Ohne Merz dürfte das aber viel schwieriger werden, denn sein Name galt vielen als Gewähr gegen eine schleichende Sozialdemokratisierung der CDU im Bund und auch in NRW."

Verdächtige hatten Skizze des Tatorts bei sich

MASSAKER IN SITTENSEN

Zwei Verdächtige sitzen nach dem siebenfachen Mord in einem China-Restaurant im niedersächsischen Sittensen in U-Haft. Da es sich bei den beiden um Vietnamesen handelt, bekommt der mysteriöse Fall eine neue Wendung.

Rotenburg - Bereits am Montag fielen die beiden in Bremen wohnhaften Männer den Polizeibeamten einer Routinekontrolle in Wildeshausen im Kreis Oldenburg auf, weil sie sich nicht ausweisen konnten. Daraufhin durchsuchten die Polizisten ihren Leihwagen, einen blauen VW Polo mit Dürener Kennzeichen - und fanden eine geringe Menge weißer Substanz, vermutlich Kokain. Außerdem entdeckten die Beamten einen handgeschriebenen Zettel, der auf das Verbrechen in Sittensen hinweist.

SPIEGEL ONLINE erfuhr aus Polizeikreisen, dass es sich bei dem Zettel in dem Auto um eine Skizze des China-Restaurants handelt, in dem der Mord stattfand. Es sei "eine Art Lageplan", sagte ein Fahnder, der wegen der laufenden Ermittlungen nicht mit Namen zitiert werden wollte.

Zudem stellten die Fahnder bei den Männern mehrere Schmuckgegenstände sicher, die nach ersten Ermittlungen den Restaurant-Besitzern gehört haben könnten. Auch hätten verschiedene Zeugen den Mietwagen am Sonntag in der niedersächsischen Gemeinde beobachtet.

Dem Haftrichter reichten jedoch die starken Indizien, um sofort die Untersuchungshaft anzuordnen. Nach Polizeiangaben handelt es sich bei den beiden Tatverdächtigen um 29 und 31 Jahre alte Vietnamesen. Um mögliche Absprachen unter den beiden Tatverdächtigen zu verhindern, wurden sie in unterschiedliche Justizvollzugsanstalten verlegt. Bisher haben sie zu den Vorwürfen geschwiegen.

Insgesamt seien drei Wohnungen in Bremen und Ahlhorn durchsucht worden. Dort seien verschiedene Spuren gefunden worden, die jetzt ausgewertet würden, so Petra Guderian, Einsatzleiterin der 80 Mann starken Sonderkommission.

Von sieben Opfern sind erst vier identifiziert
In der Nacht auf Montag waren im China-Restaurant "Lin Yue" in Sittensen sechs Personen erschossen worden. Ein siebter Mann erlag in der Nacht zum Dienstag seinen Schussverletzungen.

Vier der sieben Opfer sind laut Polizei identifiziert. Unter ihnen sind ein 31-jähriger Thailänder aus Wolfenbüttel sowie eine 36 Jahre alte Kellnerin malaiischer Herkunft aus Soltau, deren 47-jähriger Ehemann die Toten entdeckt und die Polizei alarmiert hatte.

Zu den Opfern gehört auch das Betreiber-Ehepaar, ein 36-jähriger Hongkong-Chinese und seine 32 Jahre alte Frau gleicher Herkunft. Beide hatten einen britischen Pass. Ihre etwa zweijährige Tochter hat das Verbrechen überlebt und befindet sich nun an einem geheimen Ort. Sie sei bei stabiler, gesunder Verfassung, sagte Andreas Tschirner vom Landeskriminalamt Hannover. Bei den anderen drei Opfern konnte nach Angaben der Ermittler bisher weder Identität noch Nationalität geklärt werden.

Die neue Entwicklung wirft ein völlig neues Licht auf den Fall. Bisher gab es nur Spekulationen über die Hintergründe der Tat. Mehrere Medien spekulierten über die Beteiligung der chinesischen Triaden-Mafia - wohl vor allem, weil es sich beim Tatort um ein China-Restaurant handelte. Ebenso aber berichteten Bewohner von Sittensen, dass der Restaurant-Besitzer Spielschulden gehabt habe und deshalb von seinen Gläubiger unter Druck gesetzt worden sein könnte.

Nunmehr scheinen sich die Ermittler auf ein völlig neues Umfeld der Kriminalität, der ebenfalls mafiös strukturierten Organisationen unter Vietnamesen, zu konzentrieren. Diese Strukturen machten besonders in den 90er Jahren in der Hauptstadt Berlin mit brutalen Morden auf sich aufmerksam. Stadtweit verkauften Hunderte Kleinkriminelle billige Zigaretten aus Polen, den Erlös mussten sie an die Chefs von Banden abgeben. Diese bekriegten sich regelrecht um den lukrativen Markt mit den preiswerten Glimmstängeln.

Der Fall in Sittensen erinnert an unaufgeklärten Fall in Berlin
Kenner beim Landeskriminalamt Berlin (LKA) erinnern die Vorgänge in Sittensen nun deutlich an die Bluttaten, die in den 90er Jahren Berlin erschütterten. Im Jahr 1997 waren in einem 18stöckigen Wohnblock im Bezirk Marzahn sechs zuvor gefesselte Vietnamesen regelrecht hingerichtet worden. Auch wenn der Mord nie abschließend aufgeklärt wurde, gingen die Ermittler von Beginn an von einem mafiösen Hintergrund aus. Damals zog sich eine grausige Blutspur durch Berlin.

Immer wieder endeten die Bandenkriege unter Vietnamesen in Blutbädern, bei denen die Opfer meist zuerst gefesselt und dann mit Kopfschüssen getötet wurden. Besonders diese Parallele lässt einen ähnlichen Hintergrund bei der Tat in Sittensen vermuten. "Als ich das erste Mal von den Morden hörte, fühlte ich mich an die Vergangenheit erinnert", sagt ein leitender LKA-Ermittler. Bisher aber ist völlig unklar, aus welchem Motiv heraus die Morde in Sittensen stattfanden, so die ermittelnde Staatsanwaltschaft.

In der Hauptstadt ist die Szene der Vietnamesen-Mafia nach Meinung der Ermittler des LKA zumindest an der Oberfläche ruhiger geworden. Noch immer aber werden zwar jeden Tag Zigaretten von Vietnamesen verkauft, ebenso fliegen immer wieder vietnamesische Diebes-Banden auf, die gut organisiert sind. Zudem beobachten die Fahnder, dass vietnamesische Banden zunehmend versuchen, in die Wirtschaftskriminalität einzusteigen.

Morde allerdings gab es in den vergangenen Jahren in Berlin nicht mehr. "Tote machen Ärger, das wissen die Banden-Chefs mittlerweile", so der Ermittler, "deshalb werden die Rivalitäten mittlerweile anders gelöst". Die intensiven Recherchen der Polizei sind aus Sicht der Banden störend, so die Sicht des LKA. Dass immer noch Menschen durch die Banden getötet werden, will bei der Polizei niemand ausschließen, nur weil man keine Leichen mehr findet. Die, so ein Fahnder, lasse man mittlerweile vermutlich einfach verschwinden.

Jugendliche überfallen Schüler

Zwei Jugendliche haben in Bielefeld eine Schulklasse im Sportunterricht überfallen. Die Tatverdächtigen waren mit einer Schreckschusswaffe in eine Sporthalle eines Gymnasiums eingedrungen.

Bielefeld - Wie die Polizei mitteilte, hatten die 16 und 17 Jahre alten Verdächtigen rund 30 Schüler sowie eine Lehrerin bedroht.Die beiden mit Sturmhauben maskierten Jugendlichen zwangen die Anwesenden, sich auf den Boden zu legen. Anschließend sollten die Wertsachen in einem Rucksack eingesammelt werden.

Einem der Schüler gelang es jedoch, einen der Täter zu überwältigen. Auch sein Komplize konnte von anderen Schülern vorübergehend festgehalten werden, dann aber fliehen. Bei den weiteren Ermittlungen wurde auch er festgenommen. Die Tatwaffe wurde sichergestellt.

Bei dem Überfall wurde niemand verletzt. Notfallseelsorger boten den Schülern ihre Betreuung an. Den Angaben zufolge sind die beiden Jugendlichen polizeilich bislang nicht in Erscheinung getreten. Die beiden Tatverdächtigen sollten im Laufe des Tages dem Haftrichter vorgeführt werden.

Dienstag, 6. Februar 2007

Sextäter bleibt in psychiatrischer Klinik

JUSTIZ-WIRRUNGEN

Der Fall Uwe K. hat einen Streit zwischen Justizministerin Zypries und Brandenburgs Innenminister Schönbohm ausgelöst. Nach Auffassung von Zypries versäumten die Behörden rechtzeitig einen Antrag zu stellen. Heute legte ein Amtsgericht fest: K. bleibt vorerst in der Psychiatrie.

Berlin - Nach der vorübergehenden Freilassung eines 42-jährigen Sexualstraftäters in Brandenburg/Havel hat Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) Vorwürfe gegen die Potsdamer Landesregierung erhoben. Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) werfe dem Bundesgesetzgeber vor, er habe eine Regelungslücke nicht geschlossen. "Tatsache ist aber, dass die Brandenburger Behörden gar keinen Antrag bei Gericht auf nachträgliche Sicherungsverwahrung gestellt haben", sagte Zypries in einem Interview der "Bild"-Zeitung. Dagegen bekräftigte Brandenburgs Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg, dass eine nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht möglich gewesen wäre.

In einem Interview mit dem RBB-Programm radioeins verwies er erneut auf die Gesetzeslücke, wonach diese nicht bei Straftaten verhängt werden könne, die zwischen 1990 und 1995 auf dem Gebiet der neuen Bundesländer begangen wurden. Der 42-jährige Sexualverbrecher hatte zwischen 1992 und 1995 in Falkensee bei Berlin neun Mädchen gequält und vergewaltigt.

Uwe K. bleibt vorerst in der Psychiatrie

Der als gefährlich eingestufte Mann war nach elf Jahren Haft kurz vor dem ursprünglich geplanten Entlassungstermin am 25. Januar aus dem Gefängnis Brandenburg/Havel entlassen worden. Die Polizei nahm ihn einige Tage später in Gewahrsam.

Nun wird er vorerst in einer geschlossenen Psychiatrie untergebracht. Die Entscheidung stützt sich nach Angaben eines Gerichtssprechers auf das Brandenburgische Psychisch-Kranken-Gesetz. Das Amtsgericht Brandenburg sah nach einer Anhörung des 42-Jährigen heute Abend "dringende Gründe" für die Annahme, dass er infolge einer Krankheit "jederzeit erneut sexuell motivierte Straftaten begehen wird". Er stelle somit eine Gefahr für Leib und Leben anderer Personen dar.

Bei der Entscheidung stützten sich die Richter auf das Gutachten des Amtsarztes. Dieser hatte dem Mann gestern eine sogenannte dissoziale Persönlichkeitsstörung sowie eine psychosexuelle Fehlentwicklung attestiert. Ferner lag dem Gericht die Einschätzung eines Arztes der psychiatrischen Einrichtung vor, in die Uwe K. gestern auf Antrag der Stadt eingewiesen worden war.

Das Gericht hat die einstweilige Anordnung zum Verbleib in der geschlossenen Psychiatrie bis 20. März befristet. Während dieser Zeit soll der Mann beobachtet und ein psychiatrisches Sachverständigen-Gutachten erstellt werden. Dieses soll Grundlage für ein Hauptsacheverfahren werden, bei dem über einen längerfristigen Verbleib in einer geschlossenen Klinik entschieden wird. K. kann gegen die einstweilige Anordnung Rechtsmittel einlegen. Darüber müsste dann das Landgericht Potsdam entscheiden.

Generalstaatsanwalt Rautenberg bezeichnete die Einweisung als keine dauerhafte Lösung. Zypries bekräftigte, sie wolle dafür sorgen, dass eine Klarstellung der Rechtslage in "DDR-Altfällen" bis zur Sommerpause im Gesetzblatt steht.

Bosbach will kämpfen

Fraktions-Vize Wolfgang Bosbach gibt der Debatte eine Wendung in Richtung Koalitionsfrust.

Berlin / Düsseldorf / Köln - Politiker können ja so fies sein. Da wirft Friedrich Merz den letzten Brocken hin, der ihm noch geblieben ist, seine Kandidatur für den Bundestag - und niemand zeigt sich erschüttert. Also gut - fast niemand: Der Vorsitzende der „Jungen Union“ in NRW, Sven Volmering, immerhin befindet, der Rückzug des Sauerländers sei eine „Katastrophe“. Denn Merz rede „Klartext“ und stehe „stramm für Generationengerechtigkeit“.

In Weherufe bricht auch Guido Westerwelle aus. „Der Rückzug von Friedrich Merz schwächt das marktwirtschaftliche Lager innerhalb der Union dramatisch.“ Doch im Munde des politischen Gegners ist Mitleid selten selbstlos. Und so bietet der FDP-Chef seine Partei „den von der Union enttäuschten Anhängern der sozialen Marktwirtschaft“ als „starkes, freiheitliches Gegengewicht zu den Sozialdemokraten in Union und SPD“ an. Ohnehin werde die Union „immer stärker zu einer schwarzen SPD“.

Merz würde das bestimmt unterschreiben. Umso mehr sind Bundes- und Landes-CDU darum bemüht, seinen Abschied herunterzuspielen.

Generalsekretär Ronald Pofalla und NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers belassen es beim ritualisierten „Bedauern“. Gewiss, so Pofalla, sei Merz „einer der profiliertesten Wirtschafts- und Finanzpolitiker“. Aber schon heute sitze er nur als einfaches Mitglied im Rechtsausschuss. Deshalb reiße sein Abgang

auch keine Lücken. Noch weniger Empathie legen allenfalls Madame Tussauds Wachsfiguren an den Tag.

Wenn es da nicht Wolfgang Bosbach und seine Frustattacke gäbe. Der Unionsfraktions-Vize gibt zu Protokoll, auch ihn durchzuckten Rückzugsgedanken, „wenn man in 14 Monaten Regierung mehr Frustrations-Erlebnisse hat als in sieben Jahren Opposition.“ Unversehens hat Bosbach der Debatte damit eine Wendung gegeben: weg vom Schicksal eines Hinterbänklers namens Merz - hin zu schwarz-roten Stimmungslagen. „Dass wir keine lupenreine CDU-Politik machen können, ist doch klar“, sagt das CDU-Vorstandsmitglied Ursula Heinen aus Köln. „Aber die Vorteile der Regierungsarbeit überwiegen. Deshalb bin ich auch nicht frustriert, und ich erlebe auch die Stimmung in der Fraktion nicht so.“

Ein Kollege vermutet hinter Bosbachs Ausbruch auch die Enttäuschung darüber, dass ihm ein Regierungsamt - etwa der Posten des Innenministers - versagt geblieben ist.

Sicher aber speist sich Bosbachs Misslaunigkeit nicht nur aus den großkoalitionären Erfahrungen in Berlin, sondern auch aus seinem Ärger über Rüttgers, der sich als Sozialapostel profiliert - notfalls auch auf Kosten der eigenen Leute in Berlin. Aber das hat der Mann aus Bergisch Gladbach lieber für sich behalten.

Die Gefühle vieler anderer zum Merz-Rückzug fasst ein führender NRW-Vertreter in das Wort „überfällig“. Den Ausgang der Malaise mit Merz sehen Weggefährten im Jahr 2002, als er Angela Merkel im Kampf um den Fraktionsvorsitz unterlag. Damals, sagt einer aus der Fraktionsspitze, habe man Merz eigentlich schon verloren. Er sei „nicht teamfähig“ und kenne seine Grenzen nicht. So sei er letztlich ein „Opfer der eigenen Selbstüberschätzung“. Merkel könne man daran aus heutiger Sicht keine Mitschuld mehr geben. Sie habe sich zuletzt sehr um Merz bemüht.

Doch statt in der von ihm ständig kritisierten großen Koalition für seine politischen Ideen zu kämpfen, habe sich Merz darauf verlegt, „von außen zu sagen, was alles schiefläuft“. Diesen „bequemen Weg“ eingeschlagen und sich „wie Tausendschönchen auf die Bank gesetzt“ zu haben, kreiden ihm viele an. „Er hat uns nie dauerhaft und wirksam unterstützt“, klagt ein Vertreter des CDU-Wirtschaftsflügels,

als dessen Galionsfigur Merz vielfach wahrgenommen wird.

Es sei legitim, sich aus persönlicher Enttäuschung zurückzuziehen. Aber das dürfe man nicht mit Prinzipienfestigkeit verwechseln. Jürgen Rüttgers verspritzt in Düsseldorf noch eine andere Sorte Gift. Es sei „schade“, dass Merz vor seinem Rückzug nicht das

persönliche Gespräch gesucht habe. Damit will erMerz als Einzelgänger brandmarken. Seine Angriffe auf den Landesverband sollen so ins Leere laufen. „Politischen Autismus“ wollen Berliner Abgeordnete schon seit längerem bei Merz diagnostiziert haben. Einer redet sogar von den „Totalausfällen eines Quartalsirren“. Der Chef der Düsseldorfer CDU-Landtagsfraktion, Helmut Stahl, zieht sich demgegenüber auf die gestanzte Formel zurück, für Merz' Kritik sehe er „keinen objektiven Anlass“.

Dass Merz Rüttgers' sozial getönten Schmusekurs für das Allerletzte hält, können manche in der Landespartei sogar noch verstehen. Aber sich an der Regierung abzuarbeiten, gehe dann doch zu weit. „Wir sind da in einer Koalition mit der FDP - was will er denn noch?“, fragt ein Spitzenvertreter der Landes-CDU. Einer aus der Düsseldorfer Fraktionsführung hat gleich die Antwort parat: „So ist er halt, der Friedrich Merz. Wenn er mal loslegt, gibt es immer einen Rundumschlag.“

Trauerspiel in Italien

Gewalt in Stadien

Von Dirk Schümer, Venedig

Noch sind sie leer, die Stadien. Doch auch dieses Mal wird schnell der Ligaalltag zurückkehren
Das Spiel geht also weiter in Italien, auch nach dem brutalen Tod eines Polizisten. Die Stadien werden wieder geöffnet, die Partien der Serie A wiederaufgenommen und nachgeholt, und auch die Tifosi kehren zurück auf die Tribünen. Was auch sonst?

Hätte irgendjemand gedacht, die Milliardenbranche Calcio im Land des Weltmeisters - mitsamt der europäischen Beteiligung an Champions League und Uefa-Pokal - würde nach den Straßenschlachten von Catania über Monate, vielleicht gar eine ganze Saison den Betrieb einstellen? Fußball mag zwar nicht staatstragend sein, doch ist seine wirtschaftliche, mediale, gesellschaftliche Bedeutung übergroß. Selbst für eine Besinnungspause fehlen Zeit und Geld. Ein radikaler Stopp hätte zudem als Kapitulation vor den mörderischen Ultras gewirkt, die den Fußball nur als Vorwand für ihren Durst nach Adrenalin und Blut nutzen.

Berlusconi übersah untätig alle Übel

Wichtiger ist, unter welchen Bedingungen der geliebte Sport, der viel mehr ist als nur ein harmloses Spiel, von nun an in Italien ablaufen wird. Die harten Entschlüsse der Regierung waren allein schon zum Schutz der friedlichen Fans und der Polizisten notwendig: Publikumssperre aller Stadien, die den Sicherheitsnormen nicht entsprechen, individueller Kartenverkauf mit Identifikation, keine Gruppenanreise zu Auswärtsspielen, längere Untersuchungshaft, leichtere Zugangssperren, keine Geschäfte mehr mit den Ultras. Dadurch müssen fortan dauerhaft viele Spiele - in der Serie B oft mehr als die Hälfte - vor leeren Rängen oder mit limitierter Zuschauerzahl stattfinden. So wird der Calcio gerechterweise zum Trauerspiel.

Der Liga-Präsident Antonio Matarrese, ein Urgestein des Fußballmanagements, hat kundgetan, dass ihm die harte Linie der Regierung nicht schmeckt und damit den Abscheu von Ministerpräsident Prodi geweckt. Die Frage ist doch: Gehören zum Massenphänomen Fußball, wie Matarrese meint, notwendig auch Tote? Geht das Unterhaltungsgeschäft über Leichen? Natürlich nicht.

Schlendrian und die versäumten Reformen

Es ehrt den italienischen Staat, der unter Berlusconi so lange untätig alle Übel im Fußball übersah oder gar nährte, wenn er nun nicht vor der Gesetzlosigkeit und der Gewalt kapituliert. Schließlich zeigt das Beispiel England, dass man die Hooligans aus den Stadien verbannen kann. Und in Deutschlands nagelneuen Arenen ist der Profifußball zum friedlichen Familienspaß geworden.

Darum können die italienischen Maßnahmen auch nur ein Anfang sein. Ein Umbau des Systems, eine moderne Architektur für Stadien und Verband, eine wirksame Kontrolle der Ultras durch Klubs und Staat - das alles zieht sich über Jahre und wird teuer und schmerzhaft. Der Calcio, der einst die besten und teuersten Spieler der Welt anzog, bezahlt jetzt bereits die Zeche für den Schlendrian und die versäumten Reformen. Der Exodus von Weltstars und die Schwächung italienischer Klubs, die vorige Saison mit dem Schiedsrichterskandal Gestalt annahm, wird weitergehen. Mit gesperrten Stadien, angeekeltem Publikum und verschreckten Sponsoren werden sich die Verluste anhäufen. Den Weltmeister erwartet eine lange fußballerische Talsohle. Rom ist nicht an einem Tag konstruiert worden. Ein gesunder Calcio erst recht nicht.

Beinahe-Kollision in Düsseldorf

Auf dem Düsseldorfer Flughafen ist es am Dienstagmorgen (06.02.07) beinahe zu einem schweren Zusammenstoß gekommen. Ein Pilot missachtete die Halte-Aufforderung - ein anderer konnte beim Start gerade noch seine Maschine hochziehen.

Anweisungen der Lotsen missachtet?

Das war knapp: Beinahe wäre es am Dienstag (06.02.07) am Düsseldorfer Flughafen zu einer Kollision zweier Flugzeuge gekommen. Der Pilot einer italienischen Maschine habe trotz Halte-Aufforderung die Startbahn überquert, obwohl dort gerade ein Jet der Fluglinie Eurowings startete, hieß es seitens der Deutschen Flugsicherung.

Lotsen-Anweisungen wurden bestätigt

Um acht Minuten nach acht Uhr erhielt eine Maschine der Alitalia, die aus Mailand kam, die Landeerlaubnis für den Düsseldorfer Flughafen. "Die Cockpit-Crew erhielt vom Lotsen die Anweisung, auf der nördlichen Piste zu landen und vor der südlichen Piste anzuhalten", erklärte Michael Fuhrmann, Sprecher der Deutschen Flugsicherung, gegenüber WDR.de. Die Crew der Alitalia-Maschine habe die Anweisung bestätigt. "Diese Rückbestätigung mit den genauen Anweisungen ist Standard. Denn es kann immer passieren, dass Fehler übermittelt werden", sagt Fuhrmann. Daraufhin habe der Lotse einer Eurowings-Maschine, die auf dem Weg nach Zürich war, die Starterlaubnis auf der südlichen Piste erteilt.

Für Sicherheit am Himmel

Obwohl der Alitalia-Flugkapitän bestätigt habe, dass er anhalten werde, sei dies nicht geschehen. Der Eurowings-Kapitän konnte seine Maschine gerade noch hochziehen und das italienische Flugzeug überfliegen. "Nach Augenzeugenberichten hat der Abstand zwischen den Maschinen rund 50 Meter betragen. Genau wissen wir das aber erst nach der kompletten Auswertung der Daten, die bisher noch nicht vorliegen", so Fuhrmann.

Schwere Vorfälle sind selten

An Bord der Eurowings-Maschine befanden sich 71 Passagiere und vier Besatzungsmitglieder. "Für die bestand keine Gefahr", sagte Eurowings-Sprecher Heinzjoachim Schöttes. "Unser Pilot hatte die Starterlaubnis und war auch schon in der Luft, als die Alitalia-Maschine die Startbahn kreuzte. Der Pilot konnte dann den Flug ganz normal fortsetzen." Bei der Alitalia-Maschine waren rund 20 Passagiere an Bord.

Bei Alitalia in Rom hieß es, es habe "zu keinem Zeitpunkt die Gefahr einer Kollision bestanden". Offenbar habe es ein "Missverständnis" mit dem Tower gegeben.

Schwere Vorfälle sind selten

Der Vorfall wird nun der Bundesstelle für Flugunfall-Untersuchungen (BFU) gemeldet. Dort wird der Funkverkehr, die Daten aus den Cockpits und vom Radar ausgewertet. Auch die Beteiligten werden im Laufe der Ermittlungen befragt. Glücklicherweise kommt es nur sehr selten zu solch kritischen Vorfällen im deutschen Luftverkehr. "2005 waren es drei Zwischenfälle - bei 2,9 Millionen Flugbewegungen", bestätigt Fuhrmann. Verzögerungen im Flugverkehr hat es nicht gegeben. Verletzt wurde niemand, auch die Flugzeuge blieben unbeschädigt.

Montag, 5. Februar 2007

800 tote Schildkröten an indischer Küste angespült

Fast 1.000 tote Meeresschildkröten sind an den Stränden Indiens und Bangladeschs angeschwemmt worden. Allein in Ostindien haben Umweltschützer in den vergangenen zwei Monaten insgesamt 763 tote Tiere gezählt. Sie alle hätten sich in Fischernetzen verfangen, sagte Biswajit Mohanty, Koordinator der "Operation Kachchappa", was übersetzt Schildkröte heißt, am Montag.

"Sie hatten wulstige Augen und Hälse, was darauf hindeutet, dass sie an Sauerstoffmangel starben, nachdem sie stundenlang unter Wasser in Fischernetzen gefangen waren." Fischer in Bangladesch hatten die Anschuldigungen zurückgewiesen: Sie würden gefangene Schildkröten sofort zurück ins Meer werfen.

An Bangladeschs Stränden waren insgesamt etwa 200 tote Tiere entdeckt worden. Einige hätten ein Gewicht von mehr als 20 Kilogramm, sagten Behördenvertreter des Bezirks Cox's Bazar im Osten des südasiatischen Landes. Zahlreiche Schildkröten seien über eine vier Kilometer lange Strecke entlang der Strände gefunden worden, andere auf der vorgelagerten Insel St. Martin.

Fischer berichteten zudem von toten Delfinen. Der Tod der Tiere könnte Ozeanologen zufolge mit der steigenden Umweltverschmutzung im Golf von Bengalen zusammenhängen.

Merz zieht sich aus der Politik zurück

Die Steuererklärung auf dem Bierdeckel machte ihn berühmt, er galt als Merkels größter Rivale und Hoffnungsträger der Union. Jetzt will sich Friedrich Merz ganz aus der Politik zurückziehen - aus Protest gegen den Kurs der Großen Koalition und der Rüttgers-CDU in Nordrhein-Westfalen.

Berlin - Bei der Bundestagswahl 2009 wolle er aus beruflichen Gründen nicht mehr für das Parlament kandidieren, teilte Merz mit. "Ich habe meine Entscheidung allerdings auch im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Politik der Großen Koalition in Berlin und mit dem politischen Kurs der nordrhein-westfälischen Landespartei getroffen." Die Arbeit seiner Partei in seinem Stammland sei nicht mehr mit seinen Überzeugungen vereinbar. Merz erklärte, er wolle ganz in seinen Beruf als Jurist zurückkehren.

Der Finanzexperte Merz galt lange als Hoffnungsträger der CDU, hatte sich aber schon länger aus der ersten Reihe der Politik zurückgezogen. Im Jahr 2000 wurde er Nachfolger von Wolfgang Schäuble als Unions-Fraktionschef. Im Machtkampf mit CDU-Chefin Angela Merkel war Merz nach der verlorenen Bundestagswahl 2002 unterlegen. Danach war er noch zwei Jahre lang Fraktionsvize. Von 2000 bis 2004 gehörte Merz dem CDU-Präsidium an. Derzeit ist er noch Mitglied im Bundestags-Rechtsausschuss.

Merz profilierte sich vor allem als Steuerfachmann und Wirtschaftsliberaler. Er präsentierte 2003 ein Steuerkonzept, dessen Eckpunkte mit drei Stufen auf einem Bierdeckel erklärbar sein sollten. In der CDU hatte sich Merz auch als Wertkonservativer positioniert. Von ihm stammt der umstrittene Begriff der "deutschen Leitkultur".

Merz übernahm in den vergangenen Jahren neben dem Bundestagsmandat auch andere Tätigkeiten, zum Beispiel als Aufsichtsrat bei der Deutschen Börse AG. Er ist einer von sechs Abgeordneten, die vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Pflicht zur Veröffentlichung solcher Nebentätigkeiten geklagt haben.

Beim wichtigsten Projekt der Großen Koalition in den vergangenen Monaten, der Gesundheitsreform, fand Merz keine gemeinsame Linie mehr mit seiner Partei: Als Berichterstatter der Unionsfraktion im Rechtsausschuss lehnte er das Vorhaben wegen erheblicher verfassungsrechtlicher Bedenken angesichts der Zukunft der privaten Krankenkassen ab.

US-Offizier wegen Einsatzverweigerung vor Gericht

Prozessbeginn in den USA

Ehren Watatda hat als erster Berufsoffizier der Vereinigten Staaten im Juni 2006 den Marschbefehl in den Irak verweigert. Seine Begründung: Der Einsatz der US-Truppen im Irak sei illegal. Jetzt muss er sich vor einem US-Militärgericht verantworten. Ihm drohen vier Jahre Haft.

Von Marc Dugge

Ehren Watada hat das Zeug zu einem Teenager-Idol. Er ist 28, sieht glänzend aus und ist stets top angezogen. Ein sonnengebräunter Amerikaner japanischer Abstammung aus Hawaii, der von sich sagt, nur seinem Gewissen zu folgen. Und sich deswegen weigert, in den Irak zu gehen.

"Ich habe den Entschluss getroffen, weil ich soviel Leid und Schmerz gesehen habe. Bei den Soldaten und ihren Familien, bei unschuldigen Irakern und Menschen auf der ganzen Welt. Für etwas, dass ich als Täuschung und als Vertrauensmissbrauch am amerikanischen Volk empfinde", sagt er.

Mutig oder Verrat an der Armee?

Täuschung, Vertrauensmissbrauch - ein illegaler Krieg: Worte, die man selten aus dem Munde eines Leutnants hört. Schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Mutig nennen das die einen, Verrat an der Armee die anderen. Seine Gegner demonstrieren bei Veranstaltungen, auf denen Watada spricht - und davon gibt es viele."Er liegt definitiv falsch", sagt ein Watada-Gegner. "Als Offizier einen Befehl zu verweigern, weil man nicht mit politischen Entscheidungen einverstanden ist - das ist einfach nicht akzeptabel. Das ist ein Krieg für den Frieden und die Zivilisation, gegen die Mächte der Tyrrannei und des Bösen.”
Für viele ein Held

So ähnlich hat Ehren Watada vor vier Jahren auch noch gedacht. Als er sich freiwillig als Soldat meldete, weil er glaubte, sein Land verteidigen zu müssen, gegen Saddam Hussein und seine angeblichen Massenvernichtungswaffen. Das habe die Regierung damals immer erzählt, sagt er. Doch mit der Zeit bekommt er Zweifel an dem Einsatz. Als er für den Irak ausgebildet werden soll, will er nicht mehr. Watada schließt sich der Antikriegsbewegung an - und wird dort für viele zum Helden, mit Statements wie diesen:""Eine kräftige Berufsarmee, die nicht hinterfragen und widersprechen darf, bedroht eine demokratische Gesellschaft. Sie untergräbt das Wesen der Freiheit.”

Das sehen Militärs in den USA völlig anders. Der Armeeanwalt und Oberstleutnant Robert Resnick sagte im Radiosender NPR: "Damit unsere Demokratie erfolgreich ist, brauchen wir eine zivile Kontrolle des Militärs. Das bedeutet, dass wir Offiziere nicht die Autorität unserer zivilen Führung anzweifeln. Wir haben eine Befehlskette um Bedenken anzusprechen, aber wir machen das nicht öffentlich.”
Vier Jahre Haft drohen

Watada muss sich gleich in mehreren Anklagepunkten verantworten: Unziemliches Verhalten als Offizier, Befehlsverweigerung und Missachtung von Vorgesetze, wegen seiner Äußerungen zum Oberbefehlshaber der Armee, Präsident Bush. Wenn ihn das Militärgericht verurteilt, drohen ihm bis zu vier Jahre Gefängnis. Jetzt kann er darauf hoffen, dass viele seiner Kameraden die Dinge ähnlich sehen wie er. Die Gerichtsjury, die über das Strafmaß befindet, besteht nämlich nur aus Militärangehörigen.

Schäuble: „Vielleicht hatten wir bisher einfach Glück“

Innere Sicherheit

Im Interview mit Welt.de mahnt der Bundesinnenminister zu Wachsamkeit angesichts des internationalen Terrors. Der Bundesinnenminister spricht über die Gefahr in Deutschland, den möglichen Abschuss von Passagiermaschinen und das Phänomen des „home-grown terrorism“.

Seit dem 11. September 2001 ist klarer denn je, dass die westliche Welt terroristisch bedroht ist. Wie sieht die aktuelle Gefährdungslage in Deutschland aus?
Wolfgang Schäuble: Es gibt aktuell keine ganz besondere Gefährdung. Aber wir sind eines der Länder, das im im weltweiten Kalkül des Terrorismus eine Rolle eine Rolle spielt, das wissen wir. Im vergangenen Jahr gab es den Fall der Kofferbomben: Der Anschlag konnte zwar gottlob verhindert werden. Man sieht daran aber, dass die Bedrohung ernst ist. Ich glaube, die Gesellschaft ist sich dessen auch bewusst. Das weltweite Konfliktpotenzial, das den internationalen Terrorismus nährt, ist groß. Die Vernetzung der terroristischen Täter und Gruppen nimmt ohne Zweifel zu. Dessen sind wir uns bewusst. Wir tun, was wir können – ohne in einen Zustand ständiger Erregung zu geraten. Wir müssen beständig und in Ruhe die Instrumente der Terrorabwehr verbessern, und dabei müssen wir mit der technologischen Entwicklung Schritt halten – auch mit der technologischen Entwicklung der terroristischen Gruppen.

Sieht man von dem Versuch der Kofferbomber und von dem versuchten Anschlag auf den Straßburger Weihnachtsmarkt im Jahre 2000 ab, ist Deutschland vom islamistischen Terrorismus verschont geblieben. Warum?
Schäuble: Da bin ich mit Erklärungen sehr zurückhaltend. Sie spielen etwa auf den Anschlag in London im August 2005 an. Da könnte man als Erklärung anführen, dass es dort einen beträchtlichen Anteil von Menschen mit pakistanischer Abstammung gibt. Dass es dort eine Konzentration von Al-Qaida-nahen Aktivitäten möglich ist, liegt nahe. Es ist ja oft behauptet worden, London – und übrigens auch Madrid – wurden getroffen, weil es um das Irak-Engagement der beiden Staaten geht. Da bin ich skeptisch. Es gibt keine wirkliche Erklärung, warum es den einen trifft und den anderen nicht. Vielleicht hatten wir bisher einfach Glück.

Wurden wir bisher vielleicht auch deswegen verschont, weil die größte Gruppe der hier lebenden Migranten Türken sind – also aus einer kulturellen und gesellschaftlichen Welt stammen, in der man weniger anfällig ist für die fundamentalistische Verführung als anderswo?
Schäuble: Das meinte ich ja mit meinem Hinweis auf die Menschen pakistanischer Herkunft in Großbritannien. Diesen Radikalismus haben wir bei dem türkischstämmigen Teil unserer Bevölkerung so nicht. Aber wir haben auch den Fanatismus kurdischer Gruppen. Und die Sicherheitsbehörden beobachten, dass sich bei einzelnen Türkischstämmigen eine gefährliche Neigung zum radikalen Islamismus entwickelt. Auch hat die wachsende Zahl von Menschen, die bei uns – oder in Belgien und anderen europäischen Ländern – zum Islam konvertieren, durchaus etwas Bedrohliches. Ich sage natürlich nicht, dass jeder Konvertit ein potenzieller Terrorist ist. Aber man muss sehen, es wächst bei uns das Phänomen des home-grown terrorism, des Terrorismus, der gewissermaßen auf unserem eigenen Mist gewachsen ist.

Was ist, verglichen etwa mit dem Terrorismus der RAF, neu am islamistischen Terrorismus?
Schäuble: Die RAF hat sehr gezielt Einzelne bedroht: hohe Funktionsträger in Politik, Verwaltung, Gesellschaft. Der neue Terrorismus geht ganz wahllos vor, er greift die Gesellschaft insgesamt an. Diese Gruppen wollen die westliche Gesellschaft als ganze, als solche angreifen. Obwohl die RAF Beziehungen zu palästinensischen Organisationen oder etwa auch zu Rote Brigaden in Italien hatte, war sie doch eigentlich eine nationale Organisation. Das ist jetzt ganz anders. Und fast könnte man sagen, dass der Terrorismus die klassische Form der militärischen Auseinandersetzung, den herkömmlichen Krieg, ablöst.

Da dieser Krieg nicht erklärt ist und die eine Seite sich an keine Regeln hält, ist er sehr viel schwerer bekämpfbar als der herkömmliche Krieg. Ein „Sieg“ ist gar nicht vorstellbar.
Schäuble: Der Gegner ist jedenfalls schwerer zu bekämpfen. Er hat keine Kontur, Sie wissen nie, wo er gerade ist. Das und vieles andere führt dazu, dass die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit zu zerfließen beginnen. Es ist nicht möglich, diesen Terrorismus nur im eigenen Land zu bekämpfen. Das Zeitalter, in dem souveräne Staaten mit mehr oder minder klar definierten Grenzen Krieg gegeneinander führten, ist vorbei.

Wenn wir uns an der Allianz gegen den Terrorismus beteiligen, ziehen wir dann den Terrorismus auf uns?
Schäuble: Wir hatten ja eine Debatte darüber, ob die Beteiligung der Bundeswehr an der Umsetzung der UN-Resolution 1701 zum Libanon-Krieg uns den Terrorismus näherbringt. Ich habe dagegen immer gesagt: Nein, es ist unsere Pflicht, im Interesse der inneren und äußeren Sicherheit die neuen Gefahren präventiv zu bekämpfen.

Ist der islamistische Terrorismus eine archaische Kraft – oder ist er ein Modernisierungsphänomen, eine Folge der Globalisierung?
Schäuble: Er ist eher das Zweite. Er ist eine Folge der Globalisierung, auch der neuen Kommunikationstechnologien, die zur Folge haben, dass die unterschiedlichen Entwicklungsstufen auf der Welt viel stärker miteinander vernetzt sind als früher. Ohne moderne Massenkommunikation wäre der heutige Terrorismus völlig wirkungslos. Im Zeitalter der Kommunikation kann man mit geringen Mitteln große Wirkungen erzielen. Das wissen die, und deswegen sind sie auf ihre Weise modern. Hinzu kommen die Radikalisierung in Teilen des Islams und die Möglichkeit, Konflikte von einem Land in ein anderes zu übertragen – Afghanistan und Irak hängen enger zusammen, als uns lieb sein kann.

Kann man im Kampf gegen den Terrorismus eigentlich noch davon ausgehen, dass Staaten souverän sind?
Schäuble: Eine schwierige Frage. Die Staaten haben etwa das Monopol auf Kriegführung verloren. Wenn von failing states die Rede ist, glauben viele, das sei nur eine Floskel. Man muss sich aber nur die neueste Entwicklung in Somalia ansehen, um zu wissen, dass es das Problem wirklich gibt. Früher ging kriegerische Gewalt meist von starken Staaten aus – jetzt geht sie oft von Staaten aus, die zerfallen und die nicht wirklich souverän sind. Und solche Konflikte können heute jederzeit blitzschnell zu uns nach Europa, nach Deutschland überspringen. Und weil es so ist, brauchen wir mehr internationale Zusammenarbeit.

Obwohl es nach Anschlägen von Islamisten in der Regel Bekennerschreiben gibt, erklären sich die Terroristen nicht wirklich. Es ist eine sprach- und begründungslose Gewalt. Kann man die überhaupt bekämpfen? Ist nicht der Terrorismus – wie der sprichwörtliche Igel vor dem Hasen – immer schon am Ziel?
Schäuble: Man kann ihn schon bekämpfen: Man kann Ausbildungslager angreifen, Verbindungswege kappen und so weiter. Ein hundertprozentiger Erfolg ist aber, da haben Sie recht, nicht möglich. Aber 90 Prozent ist ja auch schon gut. Man kann die Finanzströme zu den Terroristen abschneiden, man kann das Internet intensiver beobachten und eingreifen. Und man muss ihnen die Basis für weitere Rekrutierung abschneiden. Auch kann man die Entsolidarisierung größerer Bevölkerungsmassen mit dem Terrorismus betreiben. Man kann verhindern, dass ein Mann wie Bin Laden gewissermaßen zum Heiligen und Volkshelden von Hunderten Millionen von Menschen wird.

Es gibt so etwas wie einen sozialarbeiterischen Ansatz der Terrorismusbekämpfung. Da heißt es dann, der Terror habe soziale Ursachen und müsse daher mit Entwicklungs- und Sozialpolitik bekämpft werden. Ein richtiger Ansatz?
Schäuble: Es gibt nicht die eine Ursache für den Terrorismus – wie ja auch die Vorstellung romantisch wäre, man könne mit entschlossener Entwicklungspolitik die großen Wohlstandsunterschiede in der Welt schnell ausgleichen. Trotzdem muss man sich darum bemühen. Wir dürfen etwa Afrika nicht vernachlässigen – erstens weil man niemals jemanden vernachlässigen darf, zweitens aber auch in unserem eigenen Interesse. Wenn in Afrika etwas schlecht läuft, sind wir unmittelbar betroffen – unmittelbarer als die meisten Länder der Welt.

Noch einmal, hat der Terror vor allem soziale Ursachen?
Schäuble: Vielleicht auch. Es ist aber ebenso ein kultureller Konflikt. Wir müssen lernen, ohne Arroganz mit Muslimen und dem Islam zu leben. Aber es gilt zugleich, dass unsere Werte der Menschenrechte, der Toleranz universelle Werte und nicht verhandelbar sind. Das wird in bestimmten Teilen der Welt anders gesehen, und das ist auch ein Grund für den Terrorismus. Wir werden, befürchte ich, neue Konflikte bekommen, um knapper werdende Energievorräte, um Ressourcen, um das Wasser, um die Klimaveränderung bekommen.

Das klingt ziemlich katastrophisch. War es früher besser?
Schäuble: Nicht besser, aber anders. Sie werden ja nicht behaupten wollen, dass die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts mit Hitler, Stalin, Mao und anderen eine besonders friedfertige Zeit gewesen sei. Gemessen daran, leben wir ja immer noch in wunderbar geordneten Verhältnissen. Unsere Perspektiven sind nicht düster.

Wenn die einzelnen Staaten ihre Souveränität verlieren und eine Weltregierung nicht in Sicht ist, ist dann nicht das große Chaos die Folge?
Schäuble: Sagen wir, es gibt eine neue Unübersichtlichkeit. Das ist nun mal, in der Wirtschaft genauso, die Folge der Globalisierung. Übrigens hatten die Staaten noch nie die volle Souveränität gehabt: Gegenseitige Abhängigkeit und wechselseitige Einflüsse gab es immer schon. Wir sehen es heute angesichts der Beschleunigung der Entwicklung nur schärfer und dramatischer. Schauen Sie sich das Heilige Römische Reich Deutscher Nation an: von Souveränität keine Spur. Vielleicht müssen wir lernen, dass der Nationalstaat mit seiner Souveränitätsgier nur eine relativ kurze Phase der Geschichte umfasst.

Der klassische Liberale Wilhelm von Humboldt hat vor etwas mehr als 200 Jahren gesagt, die eigentliche Hauptaufgabe des Staates sei es, die Sicherheit seiner Bürger zu garantieren. Kann der Innenminister der Bundesrepublik Deutschland guten Gewissens sagen: Ja, ich bin in der Lage, die Sicherheit meiner Bürger zu garantieren?
Schäuble: Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit. Das würde Humboldt, lebte er heute, auch nicht anders sehen. Im Übrigen beruht das Prinzip der Freiheit auch auf der Einsicht, dass es hundertprozentige Freiheit gar nicht geben kann. Karl Popper hat das sehr klar gesagt: Die auf Freiheit gegründete Ordnung ist immer imperfekt, unvollkommen. So sagt der Innenminister der Bundesrepublik Deutschland: Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht – aber es gibt das Bemühen der Verantwortlichen, das Menschenmögliche zu tun. Es gehört gewiss auch Glück dazu.

Seit geraumer Zeit kämpfen Sie für eine Neufassung des Luftsicherheitsgesetzes. Es soll dann möglich sein, dass ein voll besetztes Passagierflugzeug, das in die Hände von Terroristen gefallen ist, abgeschossen wird. Warum dieser Eifer? Der nächste Anschlag wird ganz anders verlaufen, und dafür wird es keine Regelung geben.
Schäuble: Das ist wahr. Und es gibt ja auch Verfassungen – etwa die Frankreichs und Amerikas –, die davon ausgehen, dass man solche Fälle rechtlich nicht regeln kann und daher alleine der Präsident entscheidet, wie reagiert werden soll. Es stimmt, den bisher undenkbaren Fall kann man nicht antizipieren.

Eben. Warum dann Ihr Eifer beim Luftsicherheitsgesetz?
Schäuble: Wir haben heute eine Verfassungslage, dass in dem von Ihnen genannten Fall ausdrücklich niemand entscheiden kann. Jetzt könnte man sagen, gut, die Verfassung ist eben darauf nicht vorbereitet. Nun hat aber die rot-grüne Bundesregierung eine Gesetzgebung gemacht, um den Fall zu regeln. Wir haben damals als Opposition das Vorhaben unterstützt – aber zugleich darauf hingewiesen, dass es dafür keine ausreichende verfassungsrechtliche Grundlage gibt. Mit dieser Einschätzung haben wir leider Recht behalten, das Verfassungsgericht hat gesagt, so geht es nicht. Nun kann man nicht mehr sagen, im konkreten Fall regeln wir das irgendwie. Nun muss die Verfassung ergänzt werden. Wir haben in diesem Punkt nun einmal die Unschuld verloren.

Noch einmal: Wäre es nicht besser, bestimmte Situationen, in denen so oder so – durch Handeln oder Unterlassen – Schreckliches passiert, nicht zu regeln? Wer dann entscheidet, tut möglicherweise das Richtige – und lädt doch Schuld auf sich.
Schäuble: Das ist im Fall des Luftsicherheitsgesetzes nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes nicht mehr möglich. Wir können jetzt nicht mehr sagen: Einen solchen Fall regelt man nicht. Im Gegenteil, wir haben eine Regelung, die für verfassungswidrig erklärt worden ist. Wir müssen jetzt handeln.

Sie haben kürzlich geschrieben, es bestehe kein kategorischer Widerspruch zwischen Freiheit und Sicherheit. Das klingt gut. Tatsächlich besteht zwischen diesen beiden fundamentalen Werten ein heftiges Spannungsverhältnis, und es kann allenfalls um eine halbwegs gelingende Balance gehen.
Schäuble: Ich würde es nicht so defensiv sagen. Sie haben Recht, es ist eine Balance – ich bin aber ganz zuversichtlich, dass es uns gelingen kann, sie zu halten. Der Staat hat die Pflicht, unter Wahrung der Prinzipien einer freiheitlichen Verfassung Sicherheit zu gewährleisten. Und die Leute wollen das auch so.

Wenn man sich etwa ansieht, wie in London – im Interesse der Sicherheit der Bürger – die ganze Stadt flächendeckend unter Observation steht: Kommt Sie da nie ein Frösteln an?
Schäuble: Das, was es da in London gibt, brauchen wir hier nicht. An bestimmten Brennpunkten der Kommunikation ist Videoüberwachung nötig. Kein Mensch regt sich darüber auf, dass in Kaufhäusern Videokameras hängen – warum sollte es dann ein Problem sein, wenn sie an Verkehrsknotenpunkten auch hängen? Im Übrigen: Wenn Sie in der Öffentlichkeit sind, müssen Sie damit rechnen, dass Sie beobachtet werden.

Wir können in Deutschland leicht gelassen sein. Wie würde Ihrer Meinung nach die Öffentlichkeit reagieren, wenn es hier einen Anschlag in der Art der Madrider und Londoner Anschläge gäbe?
Schäuble: Weil ich ahne, wie man in Deutschland darauf reagieren würde, sage ich: Lasst uns lieber rechtzeitig handeln. Auch in Kreisen unserer Koalition höre ich oft das Argument: Wenn ein großer Anschlag kommt, dann ist schlagartig sofort alles anders. Dagegen sage ich: Wenn so etwas passieren sollte, möchte ich, dass die Menschen bei uns so besonnen reagieren, wie sie das in London, in Madrid und vor allem in New York getan haben. Wir müssen die menschenmögliche Vorsorge treffen. Nur dann werden wir im Fall des Falles nicht hysterisch reagieren.

Alle Menschen neigen dazu, Gefahren zu verdrängen. Das muss so sein, denn im vollen Bewusstsein einer ständig drohenden Gefahr kann man nicht leben. Ist es möglich, Bedrohungen ernst zu nehmen und dennoch so heiter und entspannt zu leben, wie es das Miteinander der zivilen Gesellschaft erfordert?
Schäuble: Mein Rat an mich und andere ist: Versuche, auch da die Balance zu halten. Die aktuelle Lage ist angespannt, es gibt aber keinen Grund zu großen Aufgeregtheiten. Man kann nicht in hundertprozentiger awareness von Bedrohungen leben, ohne dass bestimmte Deformationen die Folge wären. Deswegen geht es mir ja um eine Balance zwischen Entschiedenheit und Gelassenheit. Die offene Gesellschaft ist schon ziemlich stabil. Denn sie ist getragen von einer ganz breiten Mehrheit der Bevölkerung. Der Wert der Toleranz ist in Deutschland so tief wie nie zuvor verankert. Wir müssen nur unserer alten Neigung zur Aufgeregtheit widerstehen. Ein Beispiel: Natürlich wird es nötig sein, dass wir ab und an Katastrophenschutzübungen machen. Wer sagt denn, dass dann all unsere Gelassenheit dahinschwinden muss. Andere Länder zeigen es ja: Auch dann geht die Welt nicht unter. Der Mensch ist ein belastbares Wesen und fähig, auch in schwierigen Situationen pragmatisch zu reagieren. Vielleicht geht die Welt irgendwann unter. Gut, dann ist es eben so. Wir wissen, dass wir sterben müssen – und leben doch nicht jeden Tag in dem Bewusstsein, dass es unser letzter sein könnte.

Der Soziologe Wolfgang Sofsky spricht von der Courage, die es braucht, um in Bedrohungssituationen anständig zu leben.
Schäuble: Ja, wir brauchen Courage. Die muss aber nicht immer ganz heroisch sein. Wir leben nun mal im postheroischen Zeitalter. Aber wir sind eine Gesellschaft, die genügend Kraft hat, um die Prinzipien von Freiheit, von Rechtsstaatlichkeit und auch von Verantwortung anderen gegenüber mit Leben zu erfüllen.

Sie würden also, ginge morgen die Welt unter, heute noch ihr Apfelbäumchen pflanzen?
Schäuble: Sicher, ich bin ja Protestant.

Es hat mich überrascht, dass hier in Ihrem Arbeitszimmer ein Bild von Jörg Immendorf hängt, das auch noch „Verwegenheit stiften“ heißt.
Schäuble: Ach, das habe ich nicht wegen der Verwegenheit. Obwohl es, so gesehen, ganz gut zu der Courage passt, von der wir gerade gesprochen haben. Ansonsten lasse ich mich von dem Bild immer wieder anregen. Ich sehe in dem Strichmännchen in der Mitte eine Anspielung auf die Problematik der Migration, die uns weltweit noch lange beschäftigen wird. Aber andere werden anderes mit Immendorfs Bild in Verbindung bringen.

Das Gespräch führte Thomas Schmid

60 Staaten gegen Einsatz von Kindersoldaten

Mit einem Vorstoss bei der UNO wollen etwa 60 Staaten gegen den Einsatz von Kindersoldaten mobil machen. In Paris begann eine Konferenz mit 300 Vertretern von betroffenen Staaten, Geldgebern, UNO, EU und Hilfsorganisationen.

«Mehr als 250 000 Kinder werden in Streitkräfte gezwungen, ein Dutzend Länder steht auf einer schwarzen Liste der UNO», sagte der französische Aussenminister Philippe Douste-Blazy. Das sei eine Zeitbombe für die Stabilität und das Wachstum Afrikas», sagte er dem «Figaro» (Montag).

Zusätzliche Aktualität bekam die vom UNO-Kinderhilfswerk UNICEF und von Frankreich ausgerichtete Konferenz durch das Eingeständnis Grossbritanniens, bis 2005 auch 15 Minderjährige in den Irakkrieg geschickt zu haben. Damit hat auch ein EU-Staat gegen die UNO-Konvention gegen Kindersoldaten verstossen.

Douste-Blazy forderte grosse Demokratien wie Grossbritannien und auch die USA auf, mit gutem Beispiel voranzugehen. Er verwies auf die dortigen Militärschulen, in die Rekruten vor Erreichen der Volljährigkeit aufgenommen würden. Die USA lehnen bislang weitere Massnahmen gegen Kindersoldaten ab.

Ein Massenphänomen sind Kindersoldaten in Bürgerkriegen Afrikas. Auch in Ländern wie Kolumbien, Nepal und Tschetschenien werden Kinder in Streitkräfte oder Milizen gepresst. An der Konferenz in Paris nehmen neben den EU-Staaten, der Schweiz, Japan und Kanada auch betroffene Länder wie Kongo, Haiti, Tschad und Burundi teil.

Die Konferenz soll «Pariser Prinzipien» zuhanden der UNO-Vollversammlung formulieren. Diese Grundsätze zielen auf die Bekämpfung der Rekrutierung, die Befreiung der Kindersoldaten und ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft.

Besondere Aufmerksamkeit müssten laut UNICEF Mädchen bekommen, die von bewaffneten Gruppen entführt werden. Sie würden sexuell missbraucht und hätten bei ihrer Befreiung oft Kinder. Die Rückkehr in ein normales Leben sei für sie besonders schwer. Das gesamte soziale Umfeld müsse in die Wiedereingliederung einbezogen werden.

Anklage gegen Chodorkowski und Lebedew

St. Petersburg. Die Generalstaatsanwaltschaft legt heute ihre neuen Anschuldigungen gegen Michail Chodorkowski und Platon Lebedew vor. Im ostsibirischen Tschita, wohin die beiden Gefängnisinsassen gebracht wurden, herrschen deshalb verschäfte Sicherheitsmaßnahmen.

Nach Angaben der Anwälte der beiden Ex-Oligarchen war ihnen zunächst nicht klar, welche Straftaten die Anklagebehörde ihren Mandanten jetzt vorwirft. Angeblich soll es sich um Geldwäsche handeln. Der Termin zur Vorlage der Anklageschrift wurde auf 14 Uhr Ortszeit festgesetzt.

Die Anwälte waren am Sonntag Abend vor dem Abflug nach Tschita im Moskauer Flughafen von der Polizei etwas eine Stunde aufgehalten worden. wie Juri Schmidt berichtete, sei es ihnen nur deshalb gelungen, frei zu kommen, weil sie „Lärm schlugen“ und zahlreiche Massenmedien und die Moskauer Anwaltskammer über ihre Festsetzung berichteten. Laut Schmidt sind in Tschita zahlreiche Straßen im Umkreis des Gebäudes der Staatsanwaltschaft gesperrt.

Ex-Yukos-Chef Michail Chodorkowski und der ehemalige Leiter der Menatep-Bank Platon Lebedjew waren 2005 zu je acht Jahren Haft verurteilt worden. Ihnen waren vor allem Steuervergehen zur Last gelegt worden.

Lebedew wurde zur Verbüßung in eine Strafkolonie am Polarkreis im Nordural gebracht, Chodorkowski in ein Lager in Krasnokamensk, 500 Kilometer von Tschita entfernt. Seit Dezember befinden sich beiden Häftlinge im Untersuchungsgefängnis der ostsibirischen Stadt, wo sie wegen der neuen Anschuldigungen verhört wurden.

Der Staat als Hacker

Der Bundesgerichtshof untersagt geheime Online-Durchsuchungen von Computern durch die Polizei, doch das Bundesinnenministerium lässt bereits eine Spy-Software entwickeln. Kommt jetzt ein Hacker-Gesetz?

Von Christoph Seils

Man stelle sich einmal vor, die Polizei würde die Wohnung eines Verdächtigen heimlich durchsuchen, Akten lesen, Tagebücher kopieren und vielleicht auch noch die Kontoauszüge studieren. Immer auf der Suche nach versteckten Hinweisen auf geplante Verbrechen. Ein Skandal wäre dies, von Stasi-Methoden wäre die Rede und von einem Verfassungsbruch, schließlich besitzt die Unverletzlichkeit der Wohnung Verfassungsrang. Haussuchungen müssen offen erfolgen und dem großen Lauschangriff, der akustische Wohnraumüberwachung mittels Wanzen, hat das Bundesverfassungsgericht enge Grenzen gesetzt.

Computer stehen mittlerweile in fast jedem Haushalt, auf ihm werden Briefe geschrieben, Kontos geführt, intimste Informationen gespeichert. Das ganze Leben eines Menschen lässt sich mittlerweile mithilfe der Informationen, die auf einem Computer gespeichert sind, nachvollziehen. Trotzdem fanden die Sicherheitsbehörden bislang nichts dabei, Computer von Beschuldigten mithilfe von so genannten Trojanern oder Backdoor-Programmen online zu durchsuchen, ohne die Betroffenen darüber in Kenntnis zu setzen. Bislang war es deren Praxis, Online-Durchsuchungen beim Verdacht schwerer Straftaten gemäß Paragraf 102 Strafprozessordnung wie Haussuchungen zu behandeln. Die Vorschrift, dass ein Beschuldigter bei einer Durchsuchung anwesend sein müsse, sah die Bundesanwaltschaft allein dadurch erfüllt, dass der Betroffene online und damit „während der Maßnahme zugegen“ sei. Dass er von der Durchsuchung nichts merke, so die etwas absurde Argumentation, ändere an seiner Anwesenheit nichts.

Damit ist jetzt erst einmal Schluss. In seinem heute veröffentlichten Urteil erklärte der 3. Strafsenat des BGH verdeckte Online-Durchsuchungen der im Computer eines beschuldigten gespeicherten Daten für unzulässig, weil es in der Strafprozessordnung an der für einen solche Eingriff erforderlichen Ermächtigungsgrundlage fehle. Im vorliegenden Fall hatte der Bundesgerichtshof über eine Beschwerde der Generalbundesanwältin Monika Harms zu entscheiden. Die Bundesanwaltschaft hatte zuvor beantragt, den Computer eines Verdächtigen ohne dessen Wissen online zu durchsuchen. Doch der zuständige Bundesrichter hatte diesen Antrag im November vergangenen Jahres erstmals abgelehnt. Dagegen richtete sich die jetzt gescheiterte Beschwerde.

Sonntag, 4. Februar 2007

Peinliche Panne beim britischen Militär

„Unverzeihlicher Fehler“

Großbritannien hat zwischen Juni 2003 und Juli 2005 ein von London selbst ratifiziertes Protokoll gegen den Einsatz von Kindersoldaten verletzt. In einer zweistelligen Zahl von Fällen wurden Minderjährige zum Kampfeinsatz in den Irak geschickt.

Wie der Staatsminister im britischen Verteidigungsministerium, Adam Ingram, in einer am Sonntag veröffentlichten Antwort auf eine Parlamentsanfrage der Liberaldemokraten erklärte, seien die meisten der betroffenen 15 Soldaten kurz vor ihrem 18. Geburtstag entsandt worden oder kurz nach ihrer Ankunft wieder nach Großbritannien zurückgeschickt worden.

Ingram betonte, die Entsendung der minderjährigen Soldaten sei „irrtümlich“ geschehen. Vier der Minderjährigen seien Mädchen gewesen. „Weniger als fünf der 17-Jährigen wurden für einen länger als drei Wochen dauernden Zeitraum eingesetzt“, schrieb Ingram. Von Juli 2005 an seien keine Minderjährigen mehr als Soldaten in den Irak abkommandiert worden.

Die liberaldemokratische Parlamentarierin Sarah Teather, die die Anfrage eingebracht hatte, kritisierte die Handlungsweise der Regierung als „unverzeihlichen Fehler“. Teather forderte von Premierminister Tony Blair eine Entschuldigung. So junge Menschen seien weder geistig noch emotional auf einen so blutigen Konflikt wie im Irak vorbereitet.

Entsprechend der Uno-Konvention über das Recht der Kinder und ihre Verwicklung in bewaffnete Konflikte müssen die Unterzeichnerstaaten alle möglichen Vorkehrungen treffen, dass keine unter 18-Jährigen in ein Kriegsgebiet entsandt werden. Großbritannien ratifizierte das Protokoll nach den Worten von Ingram am 24. Juni 2003.

Freitag, 2. Februar 2007

Irisches Vorbild?

José Ignacio de Juana Chaos, ETA-Häftling im Hungerstreik wird zur Symbolfigur der baskischen Separatisten und setzt die spanische Regierung unter Druck
Madrid - José Ignacio wiegt nur noch 50 Kilo. Sein Gesicht ist eingefallen, er hat kaum noch Kraft, sich zu bewegen. Nach 83 Tagen im Hungerstreik fürchten die Ärzte um sein Leben. Dennoch entschieden die spanischen Richter, den 51-jaehrigen Terroristen der baskischen Organisation ETA nicht aus dem Gefängnishospital in Madrid zu entlassen.

De Juana gilt als eines der brutalsten Mitglieder der ETA. Er gehörte in den 80er Jahren dem gefürchteten „Kommando Madrid“ an und wurde 1987 wegen 25fachen Mordes zu 3.000 Jahren Haft verurteilt.

Der Richterspruch wurde vom Großteil der Spanier begrüßt. Der Rechtsstaat darf sich solchen Erpressungen nicht beugen, auch wenn das Leben des Häftlings auf dem Spiel stehe, meint die überwältigende Mehrheit der spanischen Gesellschaft. Eigentlich hätte de Juana wegen guter Führung bereits im Herbst 2006 entlassen werden sollen. Die geplante Freilassung führte allerdings zu großen Protesten. Opferverbände errechneten, dass der Terrorist, der keinerlei Reue zeigt und ETA-Morde in seiner Zelle feierte, gerade einmal ein Jahr pro Mord absitzen musste. In zwei Artikeln in der radikalen Baskenzeitung „Gara“ rief de Juana sogar zur Fortführung der Gewalt auf und benannte zwei Justizbeamte als wünschenswerte Attentatsziele.

Mit seiner Vermutung scheint er richtig zu liegen. Neuesten Erkenntnissen zufolge, sollte es keineswegs bei dem Anschlag auf dem Madrider Flughafen bleiben. Ein jüngst verhaftetes ETA-Mitglied erklärte bei einem Polizeiverhör, dass er den Auftrag erhielt, Anschlagsorte in und um Valencia auszuspähen. Der Anschlag sollte in drei Monaten während des America´s Cup in der Mittelmeermetropole stattfinden. Auch die gewalttätigen Demonstrationen der baskischen Unabhängigkeitsbefürworter nehmen wieder zu. Oftmals tragen sie Plakate mit dem Bild von de Juana bei sich. Die baskische Landesregierung warnte, dass de Juana, der unter den Separatisten bereits als „Symbolfigur für die Unterdrückung der spanischen Rachejustiz“ gilt, zum „Märtyrer“ werden könnte, sollte er den Hungerstreik nicht überleben.

Sein Tod könnte sogar zum Ausbruch der Gewalt führen, meint auch Mikel Besabe von der gemäßigten baskischen Linkspartei Aralar und erinnert an den IRA-Terroristen Bobby Sands. Als dieser 1981 nach seinem Hungerstreik gestorben sei, habe das eine Gewaltwelle ausgelöst.Die Regierung von Ministerpräsident Zapatero nutze seinen Aufruf und einen Tag vor seiner Entlassung wurde er zu weiteren 12 Jahren Haft verurteilt. Als „Opfer der spanischen Rachejustiz“ trat de Juana in den Hungerstreik, um zumindest einen Hausarrest zu erwirken.

Dennoch kommt eine Debatte, wie sie derzeit in Deutschland um die vorzeitige Freilassung der beiden ehemaligen RAF-Terroristen Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt geführt wird, in Spanien nicht in Frage. Die baskische Organisation ETA will nach wie vor die Unabhängigkeit des Baskenlandes durch terroristischen Mittel erreichen. Während sich deutsche Politiker wie der Rechtsexperte der Grünen, Hans Christian Ströbele, für die Begnadigung Christian Klars aussprechen, weil von ihm keine Gefahr mehr ausgehe, besteht diese Gefahr in Spanien sehr wohl, wie der Fall „Jesus Ternera“ zeigte. Der ETA-Terrorist wurde erst vor wenigen Jahren aus der Haft entlassen und tauchte schon bald unter, um erneut die Führung der Terrorbande zu übernehmen.

Die ETA hat in den vergangenen 40 Jahren bereits 817 Menschen ermordet und seit dem Bombenattentat am 30. Dezember 2006 auf dem Madrider Flughafen, bei dem zwei Menschen ums Leben kamen, ist ein Ende auch nicht in Sicht. Mit dem Attentat brach die Terrororganisation ihre neunmonatige „Waffenruhe“. Die spanische Regierung erklärte daraufhin den so genannten „Friedensprozess“ für beendet.

„Vor diesem Hintergrund ist es besonders hart, dass sich viele Regierungspolitiker für die Freilassung von de Juana aussprechen“, erklärt Eduardo Uriarte von der Terroropfer-Vereinigung „Para la libertad“ gegenüber Zeit-Online. Sogar der Vorsitzende der regierenden Sozialisten, Manuel Chavez, sowie der Chef der baskischen Sozialisten (PSE), Patxi López, befürworteten aus „humanitären Gründen“ die Haftentlassung des ETA-Terroristen. Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero wollte sich nicht zum Thema äußern und verwies auf die Unabhängigkeit der spanischen Gerichte.

Der Grund für dieses Verhalten liegt für Eduardo Uriarte auf der Hand: „Die Regierung will sich mit solchen Gesten eine kleine Hintertür zur Wiederaufnahme des Dialogs offen halten. Im Mai finden landesweit Kommunalwahlen statt und 2008 Parlamentswahlen. Zapatero baute zur Wiederwahl auf seinen Friedensprozess. Nun steht er vor einem Scherbenhaufen und will zumindest versuchen, sein Prestigeprojekt notfalls für den Wahlkampf wieder zu beleben“. Das weiß auch die konservative Oppositionspartei und nutzt den „Fall de Juana“ medienwirksam aus. „Was passiert, wenn nun alle ETA-Terroristen in den Hungerstreik treten? Kommen die dann alle frei?“, polemisierte Mariano Rajoy, Chef der konservativen Volkspartei (PP). Seine Rechnung geht allerdings nicht auf. Das Ende der Friedensgespräche und die Debatte um die Haftminderung de Juanas haben Zapatero politisch nicht so sehr geschwächt wie erwartet. Das liegt zu einem daran, dass die Mehrheit der Spanier es für richtig hielt, Verhandlungen mit der ETA zu führen. Zum anderen stellt sich die konservative Oppositionspartei bei den Versuchen der Regierung, mit allen Parteien einen Anti-Terrorpakt zu formieren, stur.

Dennoch: Die fehlende Absichtserklärung Zapateros, sich nach dem Madrider Attentat nicht wieder mit den Terroristen an den Verhandlungstisch zu setzen, stößt bei vielen Spaniern auf Kritik. Am Samstag, den 3. Februar, haben zahlreiche Terroropfer-Verbände in Madrid zum Protestmarsch aufgerufen, um neben dem Ende der ETA auch eine klare Absage an zukünftige Gespräche mit den Terroristen zu fordern. „Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Terroristen immer wieder Waffenruhen ausnutzen, um sich neu zu formieren. Man kann den Etarras einfach nicht trauen, denn früher oder später stellen sie ihre Forderungen nach Unabhängigkeit und die kann keine spanische Regierung erfüllen“, sagt Uriarte, der selbst Mitglied der sozialistischen Partei ist und wegen seiner Stadtrattätigkeit für die Sozialisten in Bilbao sogar seit Jahren auf den Todeslisten der ETA auftaucht.