Sonntag, 18. Januar 2009

Land der untergehenden Hoffnung

Von Horand Knaup, Nairobi

Blutige Unruhen erschütterten Kenia vor einem Jahr - heute sind es politische Skandale in Serie. Die Regierung lässt es sich gutgehen, reist und schwelgt, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Währenddessen versinkt ein Großteil des Landes im Elend.

Nairobi - Das neue Jahr ist gerade erst ein paar Tage alt, aber es hat für die Kenianer schlecht begonnen. Millionen leiden unter der monatelangen Dürre. Die Trockenheit macht allen zu schaffen, selbst in Nairobis besseren Stadtteilen fällt immer häufiger das Wasser aus.

Zugleich wird das durchaus affärenerprobte Land von politischen Skandalen erschüttert wie selten zuvor. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht neue kleinere oder größere Verfehlungen offenbar werden. "Land der Skandale" schlagzeilte Kenias größte Tageszeitung "Daily Nation" am Donnerstag auf ihrer Titelseite. Und tatsächlich ist die Frequenz der Skandale in den vergangenen Wochen beklemmend hoch:

  • 76 Millionen Euro sind verschwunden, nachdem die halbstaatliche Pipelinegesellschaft auf eigene Faust Ölreserven verkauft hat. Der Vorsitzende und sein Geschäftsführer wurden vom Dienst suspendiert.
  • Knapp zehn Millionen Euro müssen die Verbraucher bezahlen, weil ein Kartell - besetzt mit hochrangigen Politikern - den Mais künstlich verknappt und trotz Verbotes ins Ausland verkauft hat. Politische Konsequenzen? Bisher keine.
  • 4,3 Millionen Euro hat die halbstaatliche Tourismusbehörde an zwei private Unternehmen praktisch ohne Gegenleistung bezahlt. Der Amtschef wurde umgehend entlassen.
  • Für rund 30 Millionen Euro wurde im vergangenen Sommer das "Grand Regency Hotel", eines der besten Hotels in Nairobi, an einen libyschen Investor verkauft, obwohl der Marktwert des Hotels deutlich höher eingeschätzt wird. Der Finanzminister musste infolge des ominösen Deals gehen.

Vor allem der Mais-Skandal erregt die Kenianer. Erst stiegen die Preise im vergangenen Sommer wie überall, dann stellte sich heraus, dass die Regierung nicht genügend Mais importiert hatte, um den absehbaren Bedarf aufzufangen. Und schließlich wurde auch noch ruchbar, dass die Knappheit - nicht zuletzt durch Politiker - künstlich angeheizt worden war.

Es war die Justizministerin, die jetzt - für Kenia überaus ungewöhnlich - Alarm schlug und eigene Regierungskollegen attackierte: "Korrupte Leute innerhalb der Regierung sind dafür verantwortlich, dass die Kenianer leiden." Das Kabinett sei im vergangenen Jahr zu schnell gebildet worden, ohne die Minister und ihre Vergangenheit gründlich zu überprüfen. "So finden sich selbst korrupte Leute in der Regierung wieder", klagte sie öffentlich.

Und sie zeigte auch den Mechanismus auf. Skrupellose Händler hätten zusammen mit staatlichen Agenturen importierten Mais aufgekauft und ihn mit Verzögerung an die Müller weiterverkauft. Auch die bedienten sich: "Am Ende haben die Müller das Maismehl zu einem Preis verkauft, den sich kein normaler Kenianer leisten kann."

Was sie nicht sagte: Ein beträchtlicher Teil wurde zu deutlich höheren Preisen in den Südsudan exportiert, wo Hilfsorganisationen dankbare Abnehmer sind, um dort Hungernde und Flüchtlinge zu versorgen.

Die unfeinen Deals sind umso skandalöser, als wegen der Trockenheit und der Unruhen des vergangenen Jahres die Ernteerträge in Kenia dramatisch schlecht ausgefallen sind. Über zehn Millionen Kenianer, geschätzt rund ein Drittel der Bevölkerung, sind auf Ernährungshilfe angewiesen, Hunderttausende hungern schon.

Korruptionsskandale sind in Kenia keine Seltenheit. Immer wieder werden neue Affären ruchbar, kleine und größere, häufig sind Politiker involviert, doch Konsequenzen müssen sie selten befürchten. Der Polizeiminister ist immer noch im Amt, obschon ihm erst unlängst wieder attestiert wurde, dass seine Beamten zum korruptesten Berufsstand des ganzen Landes gehören.

Auch der Einwanderungsminister amtiert noch, obwohl er gegen den Rat seiner Spitzenbeamten freihändig Arbeitsgenehmigungen an Ausländer ausgegeben hatte. Er bleibt, obwohl die Anti-Korruptionsbehörde ermittelt hatte, dass Banden im Umfeld seines Ministeriums mit Arbeitsgenehmigungen Millionengeschäfte machen.

Markige Worte, keine Taten

Kurz nach der letzten Wahl Ende 2007 hatte Präsident Mwai Kibaki noch in markigen Worten angekündigt, jeder seiner Minister, der in Korruptionsaffären verwickelt sei, werde umgehend suspendiert, bis die Sache aufgeklärt sei. Davon ist nun keine Rede mehr. Vielleicht auch weil der Präsident sonst fast ein Dutzend Mitglieder seines aufgeblähten Kabinetts entlassen müsste.

Als besonders skandalanfällig haben sich die vielen halbstaatlichen Organisationen erwiesen, deren Führungspositionen zumeist politisch und selten nach Kompetenz besetzt werden. Die Spitzenpositionen von Strom- und Wassergesellschaft, Tourismus- und Eisenbahnbehörde, Flughafen- und Hafenverwaltungen sind hoch dotiert, werden aber in der Regel politisch und nicht nach Qualifikation besetzt. Entsprechend unzureichend sind die Ergebnisse.

Hinzu kommt, dass die politische Kaste in Kenia selbstgefällig auftritt wie kaum irgendwo sonst. Mit Vehemenz - und bisher mit Erfolg - wehrten sich die Parlamentsabgeordneten dagegen, dass zumindest ein Teil ihrer Bezüge versteuert wird. Dabei gehören sie zu den bestdotierten Volksvertretern auf der ganzen Welt, selbst im ölverwöhnten Norwegen bekommt ein Parlamentarier weniger als in Kenia.

Ein Jahr lang weigerte sich die nationale Wahlkommission zurückzutreten, die das Desaster der letzten Wahlauszählung mitzuverantworten hat und der eine Untersuchungskommission Dutzende von haarsträubenden Fehlern und Versäumnissen nachwies. Erst im Dezember beendete eine Unterschrift des Präsidenten den Spuk.

Kein Regen, kein Trinkwasser, kein Mais - und nichts passiert

"In nur einem Jahr sehen sich die Kenianer einem Ausmaß an Korruption ausgesetzt, wie sie es nie zuvor gesehen haben", klagte diese Woche Okong'o O'Mogeni von der Vereinigung kenianischer Juristen. "Wir wollen nun von der Regierung und all denen Taten sehen, die berufen wurden, die Korruption zu bekämpfen."

Die politische Elite zeigt sich davon wenig beeindruckt. Der Premierminister tourte gerade eine knappe Woche lang mit großem Gefolge durch Indien, auch der Agrarminister sah trotz der Versorgungsprobleme keinen Anlass zur vorzeitigen Rückkehr. Der Außenminister, gerade erst von der 50-Jahr-Feier in Kuba zurückgekehrt, wird mit großem Gefolge zur Obama-Inthronisation nach Washington reisen – um sich die Show im Fernsehen anzuschauen. Mit dabei sind neben Parlamentariern der Gesundheitsminister und seine Kollegin vom Sportressort. Begegnen werden sie alle Obama nicht, aber die Gelegenheit zu einer USA-Visite schien doch gar zu günstig. "Nichts anderes als eine Vergnügungsreise auf Kosten der Steuerzahler", kritisierte die "Daily Nation".

Die inflationäre Zahl der Affären hat nicht zuletzt mit der Großen Koalition zu tun, die sich nach den Unruhen vor Jahresfrist zusammenfand. Wie immer bei Großen Koalitionen fehlt eine wuchtige Opposition. Die mühsam zusammengezimmerte Regierungsallianz hat sich in den zehn Monaten ihres Bestehens eher als fragiles Gebilde denn als kraftvoller Motor der Erneuerung erwiesen. Präsident Mwai Kibaki und Premier Raila Odinga haben alle Mühe, ihre eher losen Parteibündnisse zusammenzuhalten. Zu Disziplinarmaßnahmen oder gar Entlassungen von Ministern fehlt ihnen jede Kraft. Und so wurde der einzige Minister, der bisher gehen musste, auf Druck des Parlamentes hin nach Hause geschickt.

Den Medien, die zwangsläufig einen Teil der Regierungskontrolle übernommen haben, verpassten Regierung und Parlament kurz vor Weihnachten ein scharfes neues Mediengesetz, das der Regierung weitreichende Eingriffe in die Berichterstattung erlaubt.

Nationaler Notstand droht

Während die politische Elite von einer "Vision 2030" träumt, die das Land in eine Spitzenposition auf der südlichen Hemisphäre katapultieren soll, sieht die harte Realität anders aus. Von dem verbilligten Maismehl für arme Kenianer, das die Regierung vor zwei Monaten angekündigt hatte, ist bei den Betroffenen bisher so gut wie nichts angekommen. Inzwischen räumen die ersten Minister ein, dass Logistik- und Verteilungsprobleme mit zum Desaster beigetragen haben.

Strom- und Wasserausfälle gehören zum kenianischen Alltag. Die traditionsreiche Eisenbahnlinie von Mombasa nach Nairobi verkehrt nur noch dreimal pro Woche, die schwerfällige Abfertigung im Hafen von Mombasa gilt als Nadelöhr für ganz Zentralafrika, und die Fähren an der Küste, die die touristenreiche Südküste mit dem Festland verbinden, sind so marode, dass Passagiere und Fahrzeuge, darunter auch die vielen Touristenbusse, seit Wochen stundenlange Wartezeiten hinnehmen müssen. Inzwischen erheben die Hoteliers lautstarken Protest.

Ein Notfallpaket soll jetzt Abhilfe schaffen. Ein zwölfköpfiger Krisenausschuss mit den Spitzen beider Parteien soll die schlimmsten Skandale aufklären. In einem 100-Kilometer-Radius rund um Nairobi will die Regierung Dutzende von neuen Brunnen bohren, um die Wasserversorgung zu verbessern. Auch die Verteilung der Maisrationen soll jetzt auf Touren gebracht werden. Nachdem er schon vor Tagen den nationalen Notstand ausgerufen hatte, bat Präsident Kibaki nun auch die internationale Gebergemeinschaft offiziell um Beistand.

Die jedoch ist reichlich verärgert angesichts der zahlreichen Affären. "Inakzeptabel" ließ unter anderen der deutsche Botschafter Walter Lindner verlauten und verlangte von der Regierung Aufklärung und eine schnelle Bereinigung der Skandale. Vorher sei ausländische Hilfe nicht mehr zu vertreten.

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