Sonntag, 28. Februar 2010

Amerell erneut schwer belastet

Schiedsrichter-Trio gibt eidesstattliche Versicherungen ab

Manfred Amerell ist kurz vor der Gerichtsverhandlung von drei weiteren Referees schwer belastet worden. Nachdem Michael Kempter den Ex-DFB-Schiedsrichtersprecher beschuldigt hatte, erhob ein Trio weitere konkrete und schwerwiegende Vorwürfe.

Zitat

„Ich habe mir gesagt, dass das Nicht-Hinsehen und Nicht-Hinhören ein Ende haben muss. Alle wissen noch gar nicht, ob das das Ende ist.“

Franz-Xaver Wack
 
 
Am Donnerstag wird es vor dem Landgericht München I zu einer Verhandlung zwischen Amerell und dem DFB kommen. Amerell und sein Anwalt Jürgen Langer ("Dann muss der DFB Farbe bekennen") wollen in einem Zivilverfahren gegen den Verband eine einstweilige Verfügung erreichen, wonach der DFB nicht mehr von "sexueller Belästigung und Übergriffen" in Bezug auf Amerell sprechen darf.
 

Psychologen eingeschaltet

Einer der drei Unparteiischen erklärte derweil im Rahmen einer Gesprächsrunde in München, an der auch Kempter teilnahm, dass sie sich nicht als Täter hinstellen lassen wollen."Unser Leben wurde kaputt gemacht", sagte der Unparteiische. Insgesamt unterschrieben am Sonntag sechs Personen eidesstattliche Versicherungen, die dem Landgericht München I vorgelegt werden sollen. Neben Kempter und dem Trio hatten auch ein weiterer Schiedsrichter, der in Zusammenhang mit Amerell Beobachtungen gemacht haben will, und DFB-Justiziar Jörg Englisch in seiner Funktion als Ansprechpartner der Unparteiischen eidesstattliche Versicherungen unterschrieben.
 
"Ich muss von einem System Amerell reden", sagte der Berliner Anwalt Christian Schertz. Kempter und die drei Schiris hatten sich am Sonntag in München zu Beratungen mit Englisch, Schertz, dem Nationalmannschafts-Psychologen Hans-Dieter Hermann ("Das sind große Belastungen für diese Menschen") sowie dem ehemaligen DFB-Referee Franz-Xaver Wack getroffen. Wack fungierte als "Vertrauensperson" der Referees und ist "erschüttert. Ich habe mir gesagt, dass das Nicht-Hinsehen und Nicht-Hinhören ein Ende haben muss", sagte der Münchner: "Alle wissen noch gar nicht, ob das das Ende ist."
 

DFB soll helfen

Nach eigenen Angaben hatten sich die Schiris an den DFB gewandt, um sich "juristisch, medial und psychologisch" beraten zu lassen. Bereits im Februar hatten sie im Zuge der Aufklärung beim DFB ausgesagt.

Der Bedienstete der JVA Aachen wollte groß abkassieren

Der Bedienstete der JVA Aachen, der den beiden Schwerverbrechern Peter Paul Michalski und Michael Heckhoff beim Gefängnisausbruch im vergangenen November geholfen hatte, handelte offenbar mit großer krimineller Energie. Nach Informationen des 'Focus' bereitete der Mann den Ausbruch über einen längeren Zeitraum vor. Im Gegenzug wollte er bei geplanten Banküberfällen abkassieren. Laut Anklage forderte er 200.000 Euro.


Dem Bericht zufolge baute der JVA-Bedienstete über Monate ein Vertrauensverhältnis zu Michalski und Heckhoff auf. Dafür spendierte er den beiden in den Hafträumen Bier und ließ sie in seiner Uniform sowie mit Dienstwaffe und Anstaltsschlüssel posieren.

"Meister, es ist an der Zeit Danke zu sagen"

Kurz vor der Flucht habe er Michalski und Heckhoff per SMS informiert, schreibt der 'Focus'. "Nur die ruhe! Maximal noch ne halbe stunde und das paradies liegt vor euch!", hieß es in der Kurzmitteilung. Heckhoffs Antwort: "Meister, es ist auch mal an der Zeit Danke zu sagen, für deine Verlässlichkeit, dass du das Fest ermöglicht hast. Und ich gebe dir mein Wort, wenn die Dinge so laufen, wie ich hoffe, dann wird dein Lohn groß sein."

Die Schwerverbrecher waren am 26. November aus der JVA Aachen geflohen. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft hatte der JVA-Mann die beiden mit einer Schreckschusspistole ausgestattet und sie vom Hafthaus zur Transportschleuse gebracht. Im Innenhof vor der Schleuse überwältigten sie einen unbeteiligten Gefängniswärter. Der 40-Jährige überreichte dem Duo zwei Dienstpistolen und entließ sie in die Freiheit. Heckhoffs Flucht endete nach einer Reise quer durch Nordrhein-Westfalen drei Tage später in Mülheim/Ruhr, Michalski ging der Polizei am 1. Dezember nach einer Handy-Ortung am Niederrhein ins Netz. Zu diesem Zeitpunkt war er auf einem Damenfahrrad unterwegs.

Streit um EU-Antibetrugsbehörde

Frau Gräßles Kampf gegen die Kommissare

Von Hans-Jürgen Schlamp, Brüssel
Eine umtriebige Abgeordnete aus dem Schwabenland hat einen folgenschweren Streit mit der EU-Kommission angezettelt: Arbeitet die Antibetrugsbehörde ohne Rechtsgrundlage, weil ihr Interimschef ohne Parlamentsvotum bestimmt wurde? Hunderte Verfahren gegen Korruption könnten auf der Kippe stehen.
Inge Gräßle, 48, CDU-Abgeordnete im Europäischen Parlament, ist eigentlich eine Frau, die gerne lacht. Aber sie sitzt im Haushaltskontrollausschuss und sie ist Schwäbin: Das macht sie zwangsläufig zur Spaßbremse in Brüssel. Wenn Inge Gräßle mailt, schreibt, anruft, vergeht der Führungsetage der Brüsseler Kommission regelmäßig die gute Laune.
So stieß sie neulich auf die Stellenausschreibung eines Direktorenpostens - 33 Zeitungsinserate in 27 EU-Ländern und allen 23 EU-Amtssprachen. 109.000 Euro habe die gekostet, fand sie schnell heraus, empörte sich und machte das auch noch publik. Die Eurokraten in ihrem gigantischen Hauptquartier finden das einfach "grässlich".
Derzeit erregt sich die schwäbische Pfennigfuchserin besonders über die Vorgänge beim Amt für Betrugsbekämpfung. Für diese Behörde ist sie Berichterstatterin im Haushaltskontrollausschuss und sie findet, dass dort derzeit einiges ganz gewaltig schief läuft.
Anfang des Jahres starb der Generaldirektor dieser sensiblen Behörde, der Deutsche Franz Hermann Brüner. Der Ex-Staatsanwalt leitete das Amt seit der Gründung 1999. Damals erschütterten schwere Korruptionsskandale die EU-Institutionen, die zum Rücktritt der gesamten Kommission führten. Um fortan Betrug, Misswirtschaft und Korruption zu Lasten europäischer Steuerkassen besser verhindern oder wenigstens effizienter ahnden zu können, wurde "Olaf" geschaffen, so genannt nach der französischen Bezeichnung "Office Européen de Lutte Anti-Fraude", zu deutsch: Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung. Und weil die dort tätigen Aufpasser und Ermittler besondere Freiheiten haben sollten, auch innerhalb der EU-Institutionen ans Werk zu gehen, wurde für den Amtschef ein ganz spezieller Status erfunden.
"Glatter Rechtsbruch"
Anders als sonstige Generaldirektoren der EU-Verwaltung, die von der Kommission benannt werden, muss der Olaf-Vormann "im Einvernehmen" von Kommission, Rat - das ist der Kreis aller 27 EU-Mitgliedstaaten - und Parlament bestimmt werden. Dermaßen breit verankert darf der Olaf-Chef allein entscheiden, was seine Leute untersuchen sollen, ob er Verfahren einstellt oder ob er Staatsanwaltschaften und Gerichte einschalten will. Nur er darf das, kein anderer in der Behörde, nicht einmal die Behörde als Institution, nur der Chef in Person. Und da entzündet sich nun ein Streit, der so typisch ist für die Eifersüchteleien der EU-Institutionen, der von außenstehenden Nicht-Juristen nur schwer zu begreifen ist - der aber dennoch schwerwiegende Folgen haben kann.
Als Brüner starb, erklärte die EU-Kommission kurzerhand dessen Stellvertreter Nick Ilett zum Übergangschef, bis ein ordentlicher Brüner-Nachfolger gefunden ist. Denn die Suche werde voraussichtlich schwierig, bis ein von allen akzeptierter Kandidat gefunden werde, könne gut ein Jahr vergehen. Und so lange könne das Betrugsamt ja nicht kopflos bleiben. Das klingt verständlich, sei aber "glatter Rechtsbruch", sagt Inge Gräßle, und viele mit der Sache befassten Parlamentarier und Experten stimmen ihr zu. Solange der Stellvertreter nicht von Rat und Parlament akzeptiert sei, "sei dessen Ernennung nicht rechtsgültig".
Schnelles und einfaches Verfahren
Die Folge wäre fatal, das sieht ein besorgter Olaf-Ermittler, der anonym bleiben will, genauso: "Alles, was wir jetzt tun, jede Ermittlung, jedes Bußgeld, das darauf fußt, haut uns der Europäische Gerichtshof weg, sobald jemand klagt." Ein paar hundert Verfahren stehen auf der Kippe, weil der amtierende Olaf-Generaldirektor womöglich nicht legal im Amt ist. "Wie auf eine kranke Kuh", habe Gräßle auf den zuständigen Kommissar, den Litauer Algirdas Semeta, diese Woche im zuständigen Parlamentsausschuss eingeredet. Aber der wolle einfach nicht hören.
Dabei sei das Parlament bereit, den Posten in einem schnellen, einfachen Verfahren "rechtlich sauber" zu besetzen. Dafür will es natürlich bei der Auswahl des Kandidaten mitreden. Das hält auch der juristische Dienst des Parlaments für den einzig richtigen Weg. In seinem Gutachten vom 27. Januar 2010 heißt es, zusammengefasst: Der Interimschef müsse nach gleichen Regeln bestimmt werden wie zuvor Generaldirektor Brüner, so wie es Artikel 27 der einschlägigen Vorschrift verlange. Die Kommission müsse sich deshalb schleunigst mit Rat und Parlament "abstimmen".
Die denkt aber nicht daran, sich vom Parlament reinreden zu lassen. Es gebe kein juristisches Problem, behauptet die Kommission und beruft sich auf ihre eigenen Hausjuristen. "Kein Grund zur Sorge", verkündet die irische Generalsekretärin und "starke Frau" der EU-Kommission. So riskiere die Kommission, warnt die konfliktfreudige Schwäbin Gräßle, "dass in ein, zwei Jahren ein Millionen-Bußgeld platzt oder ein Verfahren gegen die Mafia annulliert wird".
Sollte das so kommen, könnte es ganz schwer werden für den litauischen Kommissar, seine 25 Kollegen und ihren portugiesischen Präsidenten José Manuel Barroso.

Griechenland-Krise:Verfassungsrechtler Kirchhof hält Finanzhilfen für Rechtsbruch

Verfassungsrechtler Kirchhof: "Juristisch erheblicher Tatbestand"
Verfassungsrechtler Kirchhof: "Juristisch erheblicher Tatbestand"
Für Paul Kirchhof ist die Sache klar: Nach Ansicht des Verfassungsrechtlers würden europäische Finanzhilfen für das wirtschaftlich angeschlagene Griechenland die Euro-Verträge verletzen. Im SPIEGEL rät er Parlamentariern, in dem Fall das Verfassungsgericht anzurufen.

Hamburg - Ist Griechenland noch zu retten? Und wenn ja, wer zahlt die vermutlich zig Milliarden, die für die Sanierung des maroden Haushalts notwendig sind? Nach Auffassung des ehemaligen Verfassungsrichters Paul Kirchhof sollten die EU-Staaten die Finger davon lassen.

"Ich gehe nicht davon aus, dass sich europäische Regierungen darauf verständigen, geltendes Recht zu brechen", sagte Kirchhof dem SPIEGEL. Sollte es dennoch zu Finanzhilfen kommen, "gibt es das Instrument der Organklage". Fühlten sich Parlamente oder auch Abgeordnete "in ihren Rechten verletzt, können sie das Verfassungsgericht anrufen", so der Jurist, der 1998 als Berichterstatter die Verfassungsklage gegen den Euro abgewiesen hat.
Zu den Vorwürfen, Griechenland habe sich mit gefälschten Zahlen den Zugang zum Euro erschlichen, sagte der Jurist: "Wenn es so ist, dann gibt es einen juristisch erheblichen Tatbestand. Unter diesen Bedingungen hätte mindestens ein Land nicht Mitglied der Währungsunion werden dürfen." In Kirchhofs Augen muss sich der überschuldete Ägäis-Staat selbst helfen. "Was hindert Griechenland, alle staatlichen Leistungen unter Finanzierungsvorbehalt zu stellen?", sagte er. "Die Regierung könnte die Gehälter von Staatsbediensteten und die Subventionen für Unternehmen kürzen."

Kirchhof forderte die Politik auf, einen Konstruktionsfehler des europäischen Rechts zu beheben. "Bislang werden die Kriterien aus dem Stabilitäts- und Wachstumspakt von der Versammlung der europäischen Finanzminister überwacht. Das heißt: Täter und Wächter sind identisch." Dieses Doppelmandat habe sich nicht bewährt.

Google, Twitter und die Suche nach Überlebenden

Chile nach dem Erdbeben

Dramatische Suche nach weiteren Erdbebenopfern: In Chile kämpfen die Helfer gegen die Zeit, mehr als 300 Menschen sind ums Leben gekommen. Viele Angehörige schreiben ihre Hilferufe und Appelle ins Internet.
Hilfskräfte befreien  eine Verschüttete aus den Trümmern in 
Concepción; AFP
Hilfskräfte befreien eine Frau aus den Trümmern - bei der Suche nach Überlebenden ist das Internet unerlässlich.
Bei der Suche nach Angehörigen und Freunden nach dem verheerenden Erdbeben in Chile rückt das Internet immer stärker in den Mittelpunkt. Der US-Konzern Google startete noch am Samstag eine Personen-Suchfunktion, die unter chilepersonfinder.appspot.com abrufbar ist. In der Suchmaske können entweder unter "Ich suche jemanden" der Name eines Vermissten eingegeben oder unter "Ich habe Informationen über jemanden" Informationen über Vermisste hinterlegt werden. Am Samstagabend zählte die Seite bereits rund 1400 Einträge. Eine ähnliche Funktion hatte der Internetriese nach dem Erdbeben in Haiti Mitte Januar eingerichtet.
Auch soziale Internet-Netzwerke wie Facebook oder Twitter werden für die Opfer des Bebens und ihre Angehörigen zunehmend zur unerlässlichen Informationsquelle. Zahlreiche Menschen schrieben Hilferufe und Appelle auf ihre Facebook-Seiten. "Bitte ruft mich an, wenn jemand ein Zeichen meiner Eltern hat, dass es ihnen gut geht", schrieb etwa Carlos Jaque auf sein Profil. Ein Freund antwortete: "Ich habe mit deinem Vater telefoniert, die Verbindung brach ab, aber ich glaube, es geht ihnen gut." Über Twitter tauschen viele Nutzer Erfahrungen und Tipps aus, wie man sich bei Erdbeben verhalten sollte; sie beten und helfen bei der Suche.
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Südamerika Gewaltiges Beben schockt Chile Rahmen
Chile dpa
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In Japan erreichten am Sonntag kleinere Flutwellen vorgelagerte Inseln. Nach Angaben der meteorologischen Behörde erreichte ein lediglich zehn Zentimeter hoher Tsunami die Ogasawara-Inseln, ein weiterer Tsunami von 30 Zentimetern Höhe wurde in Hokkaido beobachtet. Berichte über Schäden lagen nicht vor. Dennoch galt die Gefahr zunächst noch nicht als gebannt.
Aus Furcht vor einem Tsunami hatten die Behörden zuvor Zehntausende von Bewohnern an der gesamten Pazifikküste des Inselreiches aufgefordert, sich auf Anhöhen in Sicherheit zu bringen.
Nach Angaben der nationalen meteorologischen Behörde könnte ein Tsunami von einer Höhe bis zu drei Metern die Küste des Landes erreichen. Allein in den nördlichen Provinzen Aomori und Miyagi wurden 12.000 beziehungsweise 13.500 Haushalte aufgerufen, ihre Häuser zu verlassen. Bahnbetreiber stoppten sicherheitshalber den Betrieb mehrerer Züge, unter anderem auch in der Hauptstadt Tokio. Auch Abschnitte von Autobahnen wurden wegen der Tsunami-Warnung gesperrt. Die Regierung in Tokio richtete einen Notfallstab ein.

Tsunami-Warnung für Russland aufgehoben


Für die gesamte japanische Ostküste galt eine Tsunami-Warnung, Hunderttausende Menschen in niedrig gelegenen Regionen waren aufgefordert worden, sich in höher gelegene Gebiete zu begeben.
Auch an der russischen Pazifikküste beobachteten die Behörden erste kleinere Flutwellen mit Höhen von bis zu 80 Zentimetern. Im Süden der Halbinsel Kamtschatka im Fernen Osten des Riesenreichs sei der Meeresspiegel um 40 Zentimeter gestiegen, meldete die Agentur Ria Nowosti. Einige Bewohner der Kurilen-Inselkette mussten sicherheitshalber ihre Wohnungen verlassen. Die Tsunami-Warnung sei noch nicht aufgehoben worden, hieß es. Berichte über Schäden lagen nicht vor.
Nach dem Beben der Stärke 8,8 am Samstagmorgen in Chile war praktisch für die gesamte Pazifikregion eine Tsunami-Warnung ausgesprochen worden. 16 Stunden nach dem Beben hatte die Flutwelle die Hawaii-Inseln erreicht. Dort waren die Bewohner der Küstenregionen am Samstag mit Sirenen gewarnt worden. Die Strände waren verwaist, zahlreiche Bewohner deckten sich mit Lebensmitteln und Benzin ein. Die Flutwelle verlief dann aber glimpflich.
Aus dem Pazifikstaat Tonga wurde eine zwei Meter hohe Flutwelle gemeldet, Hinweise auf Schäden lagen nach Behördenangaben zunächst nicht vor. Auf Samoa blieb der befürchtete Tsunami offenbar aus. Dort waren vor fünf Monaten bei einer Flutwelle 183 Menschen ums Leben gekommen. In Australien verzeichnete die Meteorologische Behörde einen 50 Zentimeter hohen Tsunami auf der Norfolk-Insel, auf den neuseeländischen Chatham-Inseln wurde am Sonntag eine zwei Meter hohe Welle gemeldet. Berichte über Schäden lagen nicht vor. Russland hob im Laufe des Sonntags den Tsunami-Alarm für seine Pazifikküste ebenfalls auf, für die Küste Japans wurde er herabgestuft.

Die Zahl der Toten nach dem Erdbeben und dem folgenden Tsunami in Chile wird nach Behördenangaben weiter steigen. Carmen Fernández, die Direktorin des Notstandsbüros im chilenischen Innenministerium sagte am Samstagabend, das Ausmaß der Katastrophe werde frühestens in drei Tagen feststehen. Nach bisherigen Erkenntnissen sind bei dem Beben mehr als 300 Menschen ums Leben gekommen. Vor allem in den am stärksten betroffenen Regionen von Maule und Bíobío gelten außerdem zahlreiche Menschen als verschollen.
In der Stadt Concepción ist bei dem Beben ein Gebäude mit 14 Stockwerken in zwei Teile zerbrochen. Nach einem Bericht der Zeitung La Tercera wurden bis zum späten Abend (Ortszeit) etwa 30 Menschen lebend aus den Trümmern befreit, 60 Menschen seien jedoch noch in dem Komplex gefangen, der jederzeit ganz einstürzen könnte, berichtete das Blatt.
Finanzminister Andrés Velasco sagte den Opfern der Umweltkatastrophe finanzielle Unterstützung zu. Der Staatshaushalt sei flexibel, so dass das Land in der Lage sei, derartige Katastrophen zu bestehen.
Seit dem Hauptbeben wurden mehr als 70 Nachbeben mit einer Stärke von mindestens 4,9 registriert, berichtete die US-Geologiebehörde USGS.
Die chilenische Präsidentin Michelle Bachelet versuchte am Samstagabend, ihren geplagten Landsleuten Mut zu machen: "Wie bei früheren Katastrophen werden wir auch diese Probe bestehen", sagte sie im Fernsehen. Ihren Angaben zufolge waren zwei Millionen Menschen direkt von dem Beben betroffen und 1,5 Millionen Wohnungen teilweise oder ganz zerstört.

Technisches Hilfswerk entsendet Team


Außer den erheblichen Schäden an Gebäuden und der Infrastruktur in der Hauptstadt Santiago und anderen Großstädten weiter im Süden des Landes wurden weite Küstenstriche durch große Flutwellen verwüstet.
Die mächtigen Erdstöße am Samstag um 3.34 Uhr Ortszeit hatten die Menschen im Schlaf überrascht. Hunderttausende rannten in Panik aus ihren Häusern und kampierten aus Angst im Freien. Das Epizentrum lag nach Angaben der US-Erdbebenwarte etwa 92 Kilometer nordwestlich der Stadt Concepción.
Das Technische Hilfswerk (THW) entsandte ein Vorausteam in das Erdbebengebiet nach Chile. Am Samstagabend flogen vier THW-Helfer in die argentinische Hauptstadt Buenos Aires, um von dort weiter in die vom Erdbeben betroffene Region im Süden Chiles zu reisen. Der Flughafen der chilenischen Hauptstadt wurde am Samstag bei dem Erdbeben der Stärke 8,8 schwer beschädigt und bleibt vorerst geschlossen. Unter den Einsatzkräften sind nach Angaben des THW zwei Fachleute einer Spezialeinheit, die auf Bergungseinsätze im Ausland spezialisiert ist und innerhalb weniger Stunden mit Ortungs- und Bergungsarbeiten beginnen kann.
Außerdem flogen ein Rettungssanitäter und ein Koordinationsexperte des THW, der die Lage gemeinsam mit Mitarbeitern der Deutschen Botschaft verfolgen soll, in die betroffene Region. "Ob wir weitere Hilfskräfte schicken, hängt davon ab, ob es ein Hilfegesuch der chilenischen Regierung gibt", sagte ein Sprecher des THW in Bonn. Bislang gebe es jedoch keine offizielle Anfrage der chilenischen Behörden.
Chiles kleine Olympia-Delegation will nach dem ersten Schock über das schwere Erdbeben in der Heimat doch an der Schlussfeier in Vancouver teilnehmen. Alle haben mittlerweile positive Nachrichten von ihren Familien und Freunden, die offenbar allesamt nicht Opfer der Naturkatastrophe geworden sind.
"Natürlich sind wir schockiert vom Erdbeben und traurig darüber, dass Menschen dabei gestorben sind", teilte das Team mit. Ursprünglich hatten die Chilenen erwogen, gänzlich auf die Teilnahme am Schlussakt der Winterspiele zu verzichten.

Aufarbeitung von Missbrauchsfällen: Erzbischof Zollitsch lehnt Runden Tisch ab

Die katholische Kirche wird sich an einem Runden Tisch zur Aufklärung von Missbrauchsfällen nicht beteiligen. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Zollitsch, gestand aber Fehleinschätzungen zum Thema Missbrauch in der Vergangenheit ein.
Robert Zollitsch: "Wir brauchen keinen Runden Tisch"



Robert Zollitsch: "Wir brauchen keinen Runden Tisch"
Berlin - Erzbischof Robert Zollitsch, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, lehnt einen Runden Tisch zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs von Kindern durch Geistliche ab. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hatte für die Einführung einer solchen Institution plädiert. "Sexueller Missbrauch von Kindern ist kein spezifisches Problem der katholischen Kirche. Es hat weder etwas mit dem Zölibat zu tun noch mit Homosexualität noch mit der katholischen Sexuallehre. Deshalb brauchen wir auch keinen Runden Tisch für die katholische Kirche", sagte Zollitsch der Zeitung "Welt am Sonntag". Sollte die Ministerin einen Runden Tisch für alle gesellschaftlich relevanten Gruppen einrichten, werde die Kirche natürlich dabei sein.
Zollitsch hält es für positiv, wenn über die Verlängerung der Verjährungsfrist bei sexuellem Missbrauch debattiert wird. "Dabei sind die Anliegen der Opfer sowie der Umstand zu berücksichtigen, dass die Taten oft lange zurückliegen", sagte Zollitsch der Zeitung. Auf die Frage, warum viele Missbrauchsopfer lange bei kirchlichen Stellen auf taube Ohren stießen, sagte er: "Diese Fälle liegen in der Regel 25, 30 Jahre zurück. Damals hat man geglaubt, dass wenn die Täter ihr Unrecht einsehen, das nicht mehr vorkommt. Es war naiv, das zu glauben."
Damals habe man das ganze Thema anders beurteilt, fügte Zollitsch hinzu. "Es gab in den siebziger Jahren eine Diskussion, ob die Strafbarkeit von Sexualität mit Kindern abgeschafft werden sollte. Wir haben das von der Moraltheologie her immer abgelehnt. Aber der Umgang mit dem Thema war nicht reflektiert. Da haben wir dazugelernt."

Samstag, 27. Februar 2010

Unwetter: Gewaltiges Sturmtief nähert sich Spanien


Windgeschwindigkeiten von bis zu 190 Stundenkilometern, entwurzelte Bäume, umgeworfene Ampelmasten: Vom Atlantik her zieht ein schwerer Sturm auf die iberische Halbinsel zu. Die Behörden haben Unwetteralarm ausgelöst, rufen die Menschen auf, zu Hause zu bleiben.

Madrid - Das Wetter in Spanien beruhigt sich nicht. Nachdem bereits Anfang des Monats heftige Regenfälle Teile des Landes unter Wasser gesetzt haben, zieht jetzt ein gewaltiger Sturm vom Atlantik her auf. Die spanischen Behörden haben praktisch für das ganze Land Unwetteralarm gegeben. Für die Regionen an der Atlantikküste in Nordspanien wurde die höchste Alarmstufe ausgelöst. Das Unwetter war in der Nacht über die Kanarischen Inseln hinweggezogen. Erst vor zehn Tagen fegte ein starker Sturm über die Inseln hinweg. Jetzt erreichten Orkanböen Geschwindigkeiten von 120 Stundenkilometern. Über die Bergspitzen der Insel La Palma rasten die Böen gar mit bis zu 190 Stundenkilometern hinweg. Auf dem Flughafen von La Palma wurden zahlreiche Flüge abgesagt. Mehrere Straßen wurden gesperrt. Nach Angaben des staatlichen Rundfunks RNE entwurzelte der Sturm auf Teneriffa und La Palma mehrere Bäume und riss Ampelmasten um. Schwerere Schäden wurden zunächst nicht gemeldet.

Es wurde erwartet, dass das Sturmtief in der Nacht zum Sonntag das spanische Festland erreichen werde. Die Bewohner der nordspanischen Regionen an der Atlantikküste wurden aufgefordert, nach Möglichkeit in ihren Wohnungen und Häusern zu bleiben, Türen und Fenster fest verschlossen zu halten. Für Lastwagen wurde ein Fahrverbot verhängt. Die spanische Regierung richtete ein Krisenkomitee unter dem Vorsitz von Innenminister Alfredo Pérez Rubalcaba ein.

Meteorologen hatten von einer "explosiven Wetterlage" und einer "meteorologischen Bombe" gesprochen. Sie warnten, dass die Orkanstürme von kurzer Dauer, aber sehr intensiv sein werden. Das Unwetter war durch ein relativ ungewöhnliches Aufeinandertreffen von zwei Sturmtiefs ausgelöst worden.




Schiedsrichter outet Michael Kempter



Gegrabbelt oder nicht gegrabbelt? Michael Kempter streitet die Sex-Vorwürfe ab

Ein Nachwuchs-Schiri aus der dritten Liga erklärte jetzt, das angeblich heterosexuelle Missbrauchsopfer habe sich ihm im vergangenen Jahr in einem Hotel sexuell zu nähern versucht.

Von Carsten Weidemann

Die Affäre um Ex-Fußballbund-Funktionär Manfred Amerell und Schiedsrichter Michael Kempter nimmt immer absurdere Züge an: Während Kempter nach wie vor angibt, er sei von seinem Förderer Amerell sexuell belästigt worden, behauptet nun ein anderer Nachwuchs-Schiri, Kempter habe sich ihm in einem Hotel aktiv mit deutlichen Absichten zu nähern versucht.

Der (nicht namentlich genannte) Jung-Schiedsrichter, der unter anderem in der dritten Liga als Linienrichter aktiv sei, habe sich nach Informationen der Frankfurter Rundschau (FR) beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) gemeldet. Der Mann berichtete demnach, dass Michael Kempter ihn am 13. Mai 2009 in einem Hotel offensiv angegraben habe. Pikant dabei: Kempter hatte noch letzte Woche behauptet, er sei heterosexuell. Gegenüber der FR wies der 27-Jährige die Vorwürfe des anderen Schiedsrichters als "falsch" zurück.

Der DFB selbst wollte am Freitag weder bestätigen noch dementieren, dass sich jemand mit entsprechenden Infos beim Verband gemeldet hätte. In einer Presseerklärung des Fußballbunds heißt es jedoch: "Die Frage, ob Herr Kempter etwas mit einem Mann oder einer Frau hatte, ist für den DFB überhaupt nicht relevant, solange er seine Pflichten als Schiedsrichter nicht verletzt hat. Im Gegensatz zu Herrn Amerell, der in seiner Funktion zu den ihm anvertrauten Schiedsrichtern die nötige Distanz wahren musste, liegen dem DFB bei Herrn Kempter keine Hinweise auf eine Pflichtverletzung vor. Wie und mit wem ein Mitarbeiter sein Privatleben verbringt, ist für den DFB nicht zu bewerten."

Mit den Bild-Enthüllungen war der Höhepunkt der Schlammschlacht offenbar noch nicht erreicht

Die Anmach-Vorwürfe gegen Kempter sind nicht die einzige neue Wendung, die an der Glaubwürdigkeit des jungen Schiedsrichters rütteln. Auch der Vorsitzende des DFB-Schiedsrichterausschusses, Volker Roth, hat jetzt einer Aussage Michael Kempters öffentlich widersprochen. Roth wurde von dem Schiedsrichter am 17. Dezember erstmals über die angeblichen Missbrauchsversuche informiert.

Bei dem Gespräch habe er ihn darauf "aufmerksam gemacht, wie die Abläufe im Fall Amerell in meinem persönlichen Fall waren. Und ich habe ihm gesagt, dass es noch andere Fälle gibt, von denen ich inzwischen gehört hatte. Ich hatte detaillierte Informationen in der Hand", sagte Michael Kempter Mitte Februar aus. Gegenüber der FAZ meinte Roth nun jedoch: "Kempter hat nur über sich und Amerell gesprochen, nicht aber über andere, möglicherweise in Mitleidenschaft gezogene Schiedsrichter." Der Vorsitzendes des Schiedsrichterausschusses steht selbst unter Kritik, weil er DFB-Präsident Theo Zwanziger erst nach vier Wochen über das Gespräch informiert hat.
 
Weitere pikante Enthüllungen und Wendungen scheinen im Fall Amerell/Kempter/DFB indes nicht ausgeschlossen. Am kommenden Donnerstag wird die Angelegenheit vor dem Münchner Landgericht verhandelt´: Amerell hat gegen den Fußballbund einen Verfügungsantrag auf zukünftige Unterlassung einzelner Behauptungen gestellt, die der DFB im Rahmen einer Pressemitteilung getätigt hatte.

Das miese Geschäft mit den Modehunden

Von ANDREA KAHLMEIER
47 Hundewelpen, in ein Auto gepfercht, fand die Polizei bei einer Kontrolle auf einer Autobahnraststation in Graz.
47 Hundewelpen, in ein Auto gepfercht, fand die Polizei bei einer Kontrolle auf einer Autobahnraststation in Graz.

Der kleine Malteserwelpe hat rote, blutunterlaufende Augen. Sein Fell ist verfilzt, der Körper bis auf die Rippen abgemagert.
Er ist einer von 47 Welpen, die ein Slowake in Plastikboxen gestapelt hatte. Ob er überlebt? Unwahrscheinlich. Aber das kalkuliert die Hundemafia ein. Es gibt genügend Nachschub in den Zuchtstationen ...
Die miese Masche mit süßen Welpen. Auf fünf King- Charles-Spaniels, einen Faltenhund, einen Labrador, 20 Malteser, acht Zwergpinscher, zwei Rauhaardackel, vier Chihuahuas, einen Jack-Russell-Terrier, vier Zwergspitze und eine französische Bulldogge stieß die Polizei in Graz jüngst bei einer Raststättenkontrolle.
Allesamt Modehunde, bei denen hierzulande mit langen Wartezeiten gerechnet werden muss. „Ein seriöser Züchter kann auf Modetrends nun mal nicht reagieren“, sagt Udo Kopernik, Sprecher des Verbandes für das deutsche Hundewesen (VDH).

Doch Hundefreunde lassen sich vor allem mit dem Preis ködern: Nur 500 Euro für einen Malteser zahlen zu müssen, der hierzulande mindestens 1.000 Euro beim Züchter kostet – da fragen viele nicht lange nach, woher das Tier denn stammt. „Wenn man bedenkt, dass das Tier in bekannten illegalen Zuchtländern wie Polen, Ungarn, Tschechien oder der Slowakei gerade mal 30 Euro kostet, kann man sich die Gewinnspanne schnell ausrechnen“, so Kopernik.
Doch nicht nur die Welpen haben ein Martyrium hinter sich, bis ein neuer Besitzer sie für viel Geld aufpäppeln kann. Ihre Mütter, von denen sie viel zu früh getrennt werden, sind noch schlimmer dran. Kopernik: „Sie werden schon mit der ersten Hitze (Beginn der Geschlechtsreife) gedeckt, dann zwei- bis dreimal im Jahr. Bis der ausgemergelte Körper wertlos ist.“
Tierschutzorganisationen wie „Vier Pfoten“ starten jetzt Kampagnen gegen die Hundemafia, die mit gefälschten Papieren, Mikrochips und Tätowierungen arbeitet. Dennoch schafft sie es noch immer, jährlich Zehntausende Tiere illegal über die Grenze zu schmuggeln.

Großer Vertrauensvorschuss für Putschisten in Niger

Niamey/Niger (apn) Politik verkehrt: Der gewählte Präsident wandelt sich zum Despoten und will nicht von der Macht lassen, das Militär putscht im Namen der Demokratie, und das Volk findet das auch gut so. Im Allgemeinen ist es Sache der Legislative und Judikative, der Exekutive auf die Finger zu schauen. In Niger jedoch hat das Militär die Aufgabe übernommen, über die demokratischen Spielregeln zu wachen – wenn es sein muss, mit Gewalt. So sprengten sie vorige Woche das Tor zum Präsidentenpalast, stürzten Staatschef Mamadou Tandja und setzten die ganze Regierung fest.
Die Militärjunta schwört hoch und heilig, die Regierungsgewalt wieder in zivile Hände zu geben – ein Versprechen, das sich anderswo in Afrika allzu oft als hohl erwiesen hat. Der Unterschied: In Niger glauben die meisten Menschen daran. «Für Verfechter der Demokratie wie uns ist es schwierig, einem Staatsstreich Beifall zu zollen», räumt Marou Amadou ein, ein Menschenrechtsaktivist, der unter Tandja inhaftiert und verprügelt worden war. «Aber das musste so kommen, und wir sind überglücklich. Es gab keine andere Wahl.»
Der Sturz Tandjas wurde zwar vom Ausland offiziell verurteilt, daheim aber von Gewerkschaften, Menschenrechtsgruppen, führenden Vertretern der Zivilgesellschaft und Medien weithin begrüßt. Am Dienstag ernannte die Junta den früheren Informationsminister Mahamadou Dandah als Ministerpräsidenten einer Übergangsregierung bis zu Neuwahlen.
«Analphabeten, korrupt oder verängstigt»
Auch Tandja war vor einem Jahrzehnt durch Wahlen an die Macht gekommen und vor fünf Jahren bestätigt worden. Doch zum Ende seiner zweiten Amtszeit entwickelte er sich zum Diktator, löste Parlament und Obersten Gerichtshof auf und herrschte per Dekret. Vergangenen August peitschte er ein umstrittenes Referendum durch, das die verfassungsmäßige Begrenzung der Amtszeiten aufhob. Die als rechtswidrig kritisierte neue Verfassung garantierte ihm drei weitere Jahre an der Macht und die Möglichkeit, nach Belieben oft für das Präsidentenamt zu kandidieren.

Anfangs hatte Tandja Erfolg, weil «er wusste, dass die meisten unserer Landsleute in drei Kategorien fallen», wie Amadou erklärt: «Sie sind entweder Analphabeten, korrupt oder verängstigt.» Das westafrikanische Land am Südzipfel der Sahara mit seinen 15 Millionen Einwohnern ist zwar reich an Uranvorkommen, rangiert aber im UN-Entwicklungsindex unter 182 Ländern an letzter Stelle. Regelmäßig herrschen Dürre und Lebensmittelknappheit, immer wieder gibt es Aufstände im Norden und in jüngster Zeit auch Entführungen.
Nach dem Referendum wurde Niger aus dem Wirtschaftsblock westafrikanischer Länder (ECOWAS) ausgeschlossen. Europa und die USA kürzten dem Land, dessen Haushalt sich zu 40 Prozent auf Auslandshilfe gründet, die Zuwendungen. Angesichts dieser Isolation hatten die Putschisten nichts zu verlieren. Aber, wie Kritiker bemerken, viel zu gewinnen: Kürzlich wurden Ölvorkommen entdeckt, und es gibt Pläne für eine Uranerzmine, die die größte der Welt wäre.
Zweifel im alten Regierungslager
«Sie stellen sich als Retter der Demokratie dar, aber sind sie das auch?», zweifelt Ali Sabo, ein prominenter Parteifreund des gestürzten Präsidenten. «Wer sagt, dass sie unser Land nicht ausplündern werden wie andere Militärregimes?» Der Putsch beweise nur, dass die Streitkräfte «immer noch eine mächtige politische Kraft sind, die jederzeit mit Waffen eingreifen kann».

Dass die gebildete Öffentlichkeit den Militärs indes Vertrauen entgegenbringt, liegt auch an deren Hintergrund. Mehrere der führenden Putschisten hatten bereits 1999 einen ähnlichen Coup durchgezogen und noch im gleichen Jahr freie Wahlen sichergestellt, die ein Jahrzehnt friedlicher Demokratie einläuteten. Dieses Mal würden sie «das gleiche tun», versichert Juntamitglied Oberst Djibrilla Hima Hamidou.
«Unsere Soldaten wissen, dass die Ära der Militärregimes vergangen ist», sagt Mohammed Bazoum, Sprecher der größten Oppositionspartei. «Es besteht immer das Risiko, dass sie versuchen, an der Macht zu bleiben, aber wir halten das Risiko für minimal. Wir vertrauen ihnen, dass sie das Richtige tun.»
Die Junta bestehe offenbar aus einer neuen Soldatengeneration, die gebildeter sei als ihre manchmal nicht lese- und schreibkundigen Vorgänger, meint Aissata Bagnan Fall von der Anti-Korruptions-Organisation Transparency International. Heutzutage haben die meisten Offiziere Universitätsabschlüsse, viele wurden im Ausland ausgebildet, sie haben sich mit Menschenrechten beschäftigt. Manche, wie Juntachef Major Salou Djibou, haben an Friedensmissionen in Kongo und Elfenbeinküste teilgenommen und aus eigener Anschauung erlebt, wie ein Konflikt ein Land zerreißen kann.
«Die Verlockung der Macht ist groß»
«Sie haben Laptops und Internet-Zugang», sagt Fall. «Sie sind sich bewusst, wie sie gesehen werden, und das beeinflusst ihr Handeln.» Dennoch sei die Junta mit Vorsicht zu genießen, denn «man kennt einen Menschen erst wirklich, wenn er zu Geld und Macht kommt und man sieht, was er damit macht». Ein Risikofaktor in Niger ist nach ihrer Ansicht die Zeit: «Je länger das Militär am Ruder bleibt, desto schwerer fällt es ihnen zu gehen. Die Verlockung der Macht ist groß. Deshalb hätten wir die Übergangszeit gerne so kurz wie möglich.»

Einen Zeitrahmen für Wahlen hat die Junta noch nicht bekanntgegeben, aber ein Referendum über eine neue Verfassung in Aussicht gestellt. Manch ein Einwohner Nigers hat es mit der Rückkehr zu einer Zivilregierung gar nicht so eilig. «Wir haben es mit der westlichen Demokratie probiert, und es hat nicht geklappt», findet der 27 Jahre alte Elektriker Amadou Madi. «Wahlen haben uns Diktatur und Korruption beschert. Was wir brauchen, ist ein starkes Militär, das ein Machtwort spricht.»

Freitag, 26. Februar 2010

Tatort Bus und Bahn

Tatort Bus und Bahn

Der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN), Christian Pfeiffer

Gewaltexzesse, verübt von Jugendlichen, scheinen sich zu häufen. Aber die Medienberichte zeigen nicht die ganze Wirklichkeit, sagt Professor Christian Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen.


DW-WORLD.DE: In der vergangenen Zeit haben sich zumindest in den Medien Berichte über Jugendgewalt gehäuft, bei denen Opfer krankenhausreif oder gar zu Tode geprügelt und getreten werden. Und das oft direkt vor den Überwachungskameras. Hat die Jugendgewalt stark zugenommen?

Christian Pfeiffer: Wir können in Bezug auf das letzte Jahr noch nichts Genaues sagen, weil die Polizei die Statistiken noch nicht veröffentlicht hat. Unsere im Dunkelfeld erhobenen Daten aus den Jahren 1998 bis 2008 geben Hinweise darauf, dass die Jugendgewalt stabil bis leicht rückläufig ist. Jedenfalls da, wo wir geforscht haben. Dort gab es nur wenige Ausnahmen, wo Jugendgewalt zugenommen hatte.

Unsere Wahrnehmung, dass wir aufgrund der Medienberichte eine Zunahme vermuten, stimmt also nicht?

Unsere Daten bis zum Jahr 2009 belegen keine Zunahme. Im Gegenteil: An den Schulen hatten wir einen Rückgang. Im Vergleich zu den Zahlen von 1997 haben schwere Gewaltvorfälle, die für das Opfer im Krankenhaus endeten, bis 2007 um 44 Prozent abgenommen. Bei der Tötungsrate sind es zwölf Prozent weniger. Und auch die gefährlichen bis schweren Körperverletzungen sind nach Erkenntnissen der Polizei 2009 im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen. Angestiegen sind allerdings die Medienberichte. Wir bewerten das sehr positiv, wie sensibel vor allem über die Opfer solcher Vorfälle berichtet wird.

Ein zweiter Eindruck: Bei den Tätern scheint es sich überproportional um männliche Jugendliche mit Migrationshintergrund zu handeln – stimmt das mit der Datenlage überein?

Wenn wir Migranten und Deutsche mit gleichem sozialen Hintergrund vergleichen, die beispielsweise die Realschule besuchen, deren Familie nicht von Armut betroffen ist, die auch von ihrem Wertekonzept vergleichbar aufgewachsen sind, dann haben wir die selben Gewaltraten. Aber die Beobachtung ist auch richtig, denn statistisch betrachtet, begehen junge Migranten weit häufiger Gewaltdelikte als junge Deutsche. Das beruht unter anderen darauf, dass sie häufiger auch familiärer Gewalt ausgesetzt sind, viel häufiger in sozial schwachen Familien aufwachsen und auch im Bildungssystem massiv benachteiligt sind. Bei einem Projekt in Hannover beispielsweise haben engagierte Bürger türkischen Jugendlichen kostenlos Nachhilfeunterricht erteilt. Dort machen nun fast 70 Prozent den Realabschluss oder Abitur. Ihr soziales Netzwerk und ihre schulischen Perspektiven haben sich so positiv verändert. Die Quote die Mehrfachtäter von Jugendgewalt ist seit 1998 um die Hälfte zurückgegangen.

Auffällig ist auch die maßlose Gewaltanwendung: Das Opfer liegt bereits hilflos auf dem Boden und trotzdem wird mit höchster Brutalität nachgetreten. Koppeln sich die Täter von der Realität ab, von den Folgen für das Opfer? Und ist das möglicherweise eine Folge des Medienkonsums, von Computerspielen und Filmen, in denen exzessive Gewalt zelebriert wird und die Konsequenzen keine Rolle spielen?

Szene aus dem Computerspiel Mortal Kombat mit zwei Kämpfern (Foto: AP)Bildunterschrift: Großansicht des Bildes mit der Bildunterschrift: Virtuelle Gewalt mit Trainingseffekt: Computerspiel "Mortal Kombat"

Das können wir mit unserer Analyse 2007/08 bestätigen. Wir haben 45.000 Jugendliche befragt und die Auswertung zeigt: Man wird zwar nicht direkt zum Amokläufer oder Gewalttäter, weil man brutale Computerspiele spielt, aber das Risiko von Gewalttaten erhöht sich bei denen, die sich durch tägliche Nutzung solcher Gewaltspiele die Sensibilität für die Leiden der Opfer nehmen und so schrittweise seelisch abstumpfen.

Sind die Höhe und die Anwendung der Strafen aus Ihrer Sicht ausreichend?

Das Wichtigste ist das Risiko des „Erwischtwerdens“. Und da ist das Risiko gerade auf dem höchsten Stand, den wir je hatten, weil heute mehr als Dreiviertel der Gewalttaten aufgeklärt werden. Das schreckt ab. Ob dann nun drei oder fünf Jahre Jugendvollzugsanstalt auf die Täter warten, ist den Jugendlichen völlig egal. Es geht darum, ob man erwischt wird oder nicht. Daher ist der Staat in dieser Hinsicht auf einem guten Kurs. Verbessern könnte er sich bei der Prävention: Vor allem an Schulen gibt es keine Nachmittagsangebote, die Jugendliche vom stundenlangen Computerspielen abhalten oder davon, einfach auf der Straße rumzuhängen.

Das Interview führte Michael Gessat.

Redaktion: Nicole Scherschun

Island: Medieninitiative bewältigt erste Hürde

Island ist dabei, sich das wohl fortschrittlichste Medienrecht der Welt zu geben. Die Rechte von Medien und investigativen Journalisten werden im Rahmen der Icelandic Modern Media Initiative (IMMI) signifikant gestärkt. Whistleblower und Provider werden vor klagewütigen Konzernen in Schutz genommen. Der Vorschlag hat nun die erste Hürde im Parlament passiert.

Wie die IMMI am Donnerstag mitteilte, wurde der Vorschlag für eine Modernisierung des Medienrechts vom Parlament (Althing) in erster Lesung ohne Gegenstimmen angenommen. Nun ist die Regierung aufgefordert, die Vorschläge der Initiative in Gesetzesform zu gießen. Die Vorschläge würden jetzt in den Ausschüssen des Parlaments behandelt und in rund einem Monat dem Plenum zur zweiten Debatte vorgelegt, wie die Initiative meldete.

Die Icelandic Modern Media Initiative wurde von Abgeordneten aus allen Parteien unterstützt, die im isländischen Parlament vertreten sind. 19 von insgesamt 63 Parlamentariern gehören zu den Erstunterstützern des Vorschlags. Der Gesetzesvorschlag sieht zahlreiche Bestimmungen zur Stärkung der Informationsfreiheit vor. Als Vorbild gelten die Bestimmungen in Estland, Großbritannien und Norwegen sowie die Empfehlungen des Europarats.

Schutz von Verlagen, Quellen und Journalisten

Beispielsweise sollen Provider als reine Datentransporteure Schutz vor Klagen von Rechteinhabern genießen. Auch die offenen Online-Archive von Zeitungen werden vor Klagen geschützt, denn in jüngster Zeit hat sich auch in europäischen Ländern die Unsitte eingebürgert, dass ein archivierter Artikel bei Aufruf durch den User als neu publiziert gilt - ein Ansatzpunkt für Zeitgenossen, die ihnen nicht genehme Enthüllungen gerne aus dem Netz gelöscht haben möchten. Es soll Klägern auch verunmöglicht werden, durch einstweilige Verfügungen die Publikation kritischer Artikel zu verhindern. Auch der "Libel Tourism", die Praxis von Klägern, sich das für sie günstigste Gericht auszusuchen, um gegen unliebsame Medieninhalte vorzugehen, soll durch die Initiative eingeschränkt werden.

Die Kommunikation zwischen Journalisten und ihren Quellen sowie die interne Kommunikation in den Redaktionen sollen geschützt werden. Auch Whistleblower, also Personen, die anonym zum Wohl der Gesellschaft auf eklatante Missstände in Konzernen und Institutionen hinweisen, genießen Schutz vor Enttarnung.

Die Konzepte der Icelandic Modern Media Initiative wurden von den isländischen Politikern mit Unterstützung von Julian Assange und Daniel Schmitt von der Whistleblower-Website Wikileaks entwickelt.

Mann, red Deutsch!

Westerwelles Sprach-Kampagne

Von Reinhard Mohr

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Deutsch ist die Sprache der Aufklärung und der Empfindsamkeit. Ausgerechnet Brachialrhetoriker Guido Westerwelle macht sich stark für eine Kampagne des Goethe-Instituts. Tenor: Wer Deutsch lernt, lernt Demokratie!

Margot Käßmann, die katholische Kirche, Jürgen Rüttgers, Jogi Löw, Oliver Bierhoff: Die Autoritäten purzeln derzeit noch schneller, als der Schnee schmilzt. Was bleibt, sind Sport und Sprache, unsere Gold-Mädels von Vancouver und die deutsche Kultur. In den Worten des bekennenden Helene-Hegemann-Fans Harald Schmidt: "Arschfick und Adorno".

So drastisch gesampelt und "Axolotl-Roadkill"-mäßig wollte es Außenminister Guido Westerwelle am Donnerstagabend im Berliner "Radialsystem", einem ehemaligen Pumpwerk, nicht formulieren. In seiner "Hommage" zur Eröffnung dieser Weiterverbreitungskampagne des deutschen Idioms, der "Sprache der Ideen", zitierte er lieber andere Vokabeln, Schlüsselworte der deutschen Romantik wie "Abendrot" und "Blütenstaub". 
 
"Deutsch kann sehr blumig sein", erklärte der Vizekanzler in spätrömischer Anstrengungslosigkeit, wie er überhaupt recht fröhlich und beschwingt wirkte. 

Und nicht ohne Selbstironie.

"Ich halte meine kurze Ansprache auf Deutsch", hatte der böse Bube der deutschen Politik zu Beginn versprochen (danke dafür!), obwohl das "Radialsystem" nicht etwa nur ein neuer Raum für Kultur ist, sondern, ganz offiziell, "The New Space for the Arts in Berlin".
Aber klar: "Es kommt darauf an, was man sagt und wie man es sagt", sagt Westerwelle. "Jeder hat seinen eigenen Duktus." Der könne verdecken oder offenbaren, was man eigentlich meint. Er kann die Dinge aber auch einfach "auf den Punkt bringen". Also sprach der Minister des Auswärtigen und war nicht ohne anspielungsreiche Koketterie. 

Demokratie. Sag bloß!

Mehr Deutsch bitte! So lautet das Panier. Die Muttersprache Spätgermaniens, die derzeit rund hundert Millionen Menschen in Europa ihr Eigen nennen, soll hinaus in die weite Welt getragen werden, wo bislang nur etwa 15 Millionen Menschen sich der Mühe unterziehen, die deutsche Grammatik und seltsame Wörter wie "Radkappe" oder "Starthilfe" zu lernen - vor allem mit Hilfe des Goethe-Instituts.

Es gehe dabei aber auch um die Vermittlung von demokratischen Werten, um "intellektuelle Freiheit" und den Wunsch, "die Welt von morgen zu gestalten", hob Westerwelle hervor.

Visionäre Gestaltungskraft konnte man vom anschließenden Kulturprogramm allerdings nicht erwarten. Eine sechsköpfige Künstlergruppe namens "Die Maulwerker" arbeitete sich mehrfach an der unübertrefflichen Schönheit deutscher Wort- und Silbenschöpfung ab - "mamamama-aaaaaa-wiwiwiwi-tatatatata-eieieieiei" -, intertextuell und kongenial verknüpft mit herabfallenden Papierschnipseln ("Ich spreche mit Ihnen", stand darauf), Scrabble-artigen Videospielchen und schweren Atemgeräuschen aus dem Off, die möglicherweise an die anstrengenden Bemühungen um die Verbreitung des Deutschen im Hochland der Anden oder in der Hitze indischer Metropolen gemahnen sollten. 

Dürre Rhetorik

Nach einer unterhaltsamen, wenn auch nicht völlig unangestrengten Sprachtravestie im Geiste Ernst Jandls, die die Trägerin der Goethe-Plakette, Yoko Tawada, zu Gehör brachte, kamen die Liebhaber deutscher Klassik zu ihrem Recht: Schuberts Vertonung von Goethes "Erlkönig".

Es folgten eine Lesung des ungarischen Autors Peter Esterházy, zehn kurze Gedichte von Heinrich Heine mit Kompositionen von Wilhelm Killmayer und schließlich "Spoken Word und Rap-Musik" mit Nina "Five" Sonnenberg und DJ Phekt - gemäßigt deutsch-multikulturelle Selbsterfahrungs- und Betroffenheitslyrik.

Dazwischen hatte Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts, noch rasch das Wort ergriffen, das, allen Aufrufen zur Leidenschaft für die "wunderbare Sprache" (Westerwelle) zum Trotz, leider nicht ihn ergriff. Blass und staubtrocken präsentierte der oberste deutsche Kulturvermittler Beispiele für die Liebe zur deutschen Sprache - im Ausland.

Hierzulande, das zeigte dieser merkwürdig leidenschaftslose Auftakt der Kampagne, bleibt noch viel zu tun. "Deutsch - Sprache der Ideen": Vielleicht sollte man gleich im Bundestag schon mal damit anfangen. Dann klappt's auch im Rest der Welt.

Aufseher soll Häftling misshandelt haben

Das Schleusentor der JVA Brackwede I in Bielefeld: "Wir nehmen die Anzeige sehr ernst"

Das Schleusentor der JVA Brackwede I in Bielefeld: 

Ein Häftling der JVA Bielefeld hat gegen einen Vollzugsbeamten Anzeige erstattet, weil dieser ihn geschlagen haben soll. Aus Angst vor Repressionen habe er den Vorfall erst nicht gemeldet.

Es werde ermittelt, teilte Staatsanwalt Christoph Mackel am Freitag mit und bestätigte damit einen Bericht der "Neuen Westfälischen". Der Häftling der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Brackwede I habe Mitte Januar Anzeige erstattet. Demnach soll der 44 Jahre alte Beamte ihn am 11. Dezember 2009 grundlos in den Nierenbereich geschlagen haben.

Der Häftling sei daraufhin gestürzt und kurzzeitig bewusstlos gewesen. Aus Angst vor Repressionen habe er den Vorfall erst eine Woche später gemeldet. Der Beschuldigte habe sich noch nicht geäußert, sagte Mackel. 

Er ist vorläufig suspendiert.
"Wir nehmen die Anzeige sehr ernst", sagte Anstaltsleiter Robert Dammann. Man habe umgehend reagiert. Der Häftling habe sich erst auf Nachfrage und eine Woche nach dem angeblichen Vorfall geäußert. Er sei an dem Freitag (18. Dezember 2009) dann umgehend ärztlich untersucht worden. Der JVA-Beamte sei an dem darauffolgenden Montag suspendiert worden.
Dem Zeitungsbericht zufolge sitzt der Häftling wegen Betrugs in der JVA. Wegen guter Führung genieße er Vollzugslockerungen. Der Anzeige zufolge sollte er mit zwei Mithäftlingen den Bereich der Beamten reinigen, als er von dem Vollzugsbeamten grundlos geschlagen wurde. Noch eine Woche später habe der Arzt erhebliche Blutergüsse in der Nierengegend festgestellt.
Es gebe immer wieder Anschuldigungen von Häftlingen, sagte Dammann. Seit seinem Amtsantritt vor acht Jahren habe es in der JVA aber weder eine Anklageerhebung noch eine rechtskräftige Verurteilung eines JVA-Bediensteten gegeben.
Das Justizministerium wollte sich nicht zu dem aktuellen Fall äußern. Derartige Taten würden nicht gesondert erfasst. Zum jetzigen Zeitpunkt könne man nur "allgemein mitteilen, dass es sich bei den von Strafgerichten rechtskräftig entschiedenen Fällen, in denen Bedienstete des Justizvollzuges gegenüber Inhaftierten rechtswidrig körperliche Gewalt angewendet haben, um absolute Ausnahmen handelt".

Protest im Bundestag

Plakate mit den Namen der Opfer des Luftangriffs in Kundus - sie waren der Grund, warum Abgeordnete der Linkspartei während der Bundestagsdebatte zum ISAF-Einsatz der Bundeswehr des Saales verwiesen wurden. Zu Recht?

Warum können Abgeordnete ausgeschlossen werden?

Blick in den Bundestag während einer "Aktuellen Stunde" 
zur Gesundheitspolitik.  (Foto: dpa) Abgeordnete können vom Bundestagspräsidenten wegen Protestaktionen, Beschimpfungen oder anderen Störungen von einer Sitzung des Bundestages ausgeschlossen werden. Der Ausschluss ist die schärfste Disziplinarmaßnahme des Parlaments. Geregelt wird er von der Geschäftsordnung des Bundestages. Der Präsident handelt dabei auf Grundlage des Paragrafen 38 der Geschäftsordnung des Bundestages.
Dort heißt es unter anderem: "Wegen gröblicher Verletzung der Ordnung kann der Präsident ein Mitglied des Bundestages, auch ohne dass ein Ordnungsruf ergangen ist, für die Dauer der Sitzung aus dem Saal verweisen. Bis zum Schluss der Sitzung muss der Präsident bekanntgeben, für wieviel Sitzungstage der Betroffene ausgeschlossen wird. Ein Mitglied des Bundestages kann bis zu 30 Sitzungstage ausgeschlossen werden."
Laut Geschäftsordnung muss der Abgeordnete den Plenarsaal unverzüglich verlassen. Bei einer Weigerung kann der Präsident aufgrund seines Hausrechts und der Polizeigewalt den Abgeordneten zwangsweise entfernen lassen. Ausgeschlossene Parlamentarier dürfen aber auf der Besuchertribüne Sitzungen verfolgen. Ein Ausschluss hat auch eine Kürzung der Kostenpauschale zur Folge. Mildere Ordnungsmaßnahmen des Parlaments sind Rügen, Ordnungsrufe und Wortentziehungen.

Geschäftsordnung des Bundestages:

§38 Ausschluß von Mitgliedern des Bundestages
(1) Wegen gröblicher Verletzung der Ordnung kann der Präsident ein Mitglied des Bundestages, auch ohne daß ein Ordnungsruf ergangen ist, für die Dauer der Sitzung aus dem Saal verweisen. Bis zum Schluß der Sitzung muß der Präsident bekanntgeben, für wieviel Sitzungstage der Betroffene ausgeschlossen wird. Ein Mitglied des Bundestages kann bis zu dreißig Sitzungstage ausgeschlossen werden. (...)
(3) Der Betroffene hat den Sitzungssaal unverzüglich zu verlassen. Kommt er der Aufforderung nicht nach, wird er vom Präsidenten darauf hingewiesen, daß er sich durch sein Verhalten eine Verlängerung des Ausschlusses zuzieht. (...)
Können ausgeschlossene Abgeordnete trotzdem abstimmen?

Die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags lässt keine Differenzierung zu zwischen dem Ausschluss von der Sitzung und dem Ausschluss von Abstimmungen. Aber es gibt trotzdem eine Möglichkeit ausgeschlossene Abgeordnete an einer Abstimmung im Bundestag teilnehmen zu lassen.
Der Bundestag kann nach Paragraf 126 der Geschäftsordnung Abweichungen von der Geschäftsordnung beschließen. Diese Abweichung von der Geschäftsordnung kann der Bundestagspräsident den nicht ausgeschlossenen Abgeordneten empfehlen. Allerdings müssen zwei Bedingungen erfüllt werden. Erstens muss der Deutsche Bundestag die Abweichung mit Zwei-Drittel-Mehrheit beschließt und zweitens dürfen die Bestimmungen des Grundgesetzes dem nicht entgegen stehen. Kommt dieser Beschluss zustande, dann dürfen die ausgeschlossenen Abgeordneten wieder in den Plenarsaal und an einer Abstimmung teilnehmen.

Werden oft Abgeordnete ausgeschlossen?

Vom einem Sitzungsausschluss wurde bisher relativ sparsam Gebrauch gemacht. Seit 1949 wurden lediglich 23 Abgeordneten vorübergehend die Teilnahme untersagt. Seit 1990 wurde kein Ausschluss mehr verhängt. Als letzte Abgeordnete traf es damals Jutta Oesterle-Schwerin von den Grünen.
Zu einem spektakulären Ausschluss kam es 1984, als die beiden Grünen-Abgeordneten Joschka Fischer und Jürgen Reents für zwei Sitzungen aus dem Plenarsaal verbannt wurden. Der spätere Außenminister Fischer hatte Parlamentspräsident Richard Stücklen (CSU) zugerufen: "Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch, mit Verlaub."

Am häufigsten wurde in der Frühzeit der Bonner Republik von Ausschlüssen Gebrauch gemacht. Den ersten Ausschluss - gleich für 20 Sitzungstage - traf 1949 Kurt Schumacher. Der SPD-Fraktionschef hatte von der Rednertribüne aus den CDU-Regierungschef Konrad Adenauer als "Kanzler der Alliierten" beschimpft.


Joschka Fischer 1984: "Sie sind ein Arschloch, mit Verlaub."
 
18. Oktober 1984: Joschka Fischer  (Foto: picture-alliance / dpa)Schumachers späterer Nachfolger Herbert Wehner durfte nach rhetorischen Ausfällen für zehn Tage nicht ins Plenum kommen. Die "Höchststrafe" von 30 Sitzungstagen bekam als bislang einziger Abgeordneter überhaupt 1950 der KPD-Parlamentarier Walter Fisch wegen Pöbeleien. Kurz zuvor waren vier andere KPD-Abgeordnete für 20 Sitzungen ausgeschlossen worden.

Zu Protestaktionen von Abgeordneten ist es aber auch in den letzten Legislaturperoiden immer wieder gekommen. Besonders Mitglieder der Linksfraktion haben ihren Protest bei Debatten um Hartz IV und den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan immer wieder gezeigt. Da sie jedoch der Aufforderung des Bundestagspräsidenten, die Aktionen zu beenden folgten, wurden sie nicht ausdrücklich des Saales verwiesen.

War der Ausschluss berechtigt?

Das hängt vom Standpunkt des Betrachters ab. Lammert selbst bezeichnet sein Vorgehen als "alternativlos" und zwar "unter Berücksichtigung der Geschäftsordnung und der Übereinkunft aller Fraktionen des Hauses".
Die designierte Chefin der Linkspartei, Gesine Lötzsch, sieht im Ausschluss ihrer Fraktion von der Afghanistan-Debatte eine "deutliche Überreaktion" des Parlamentspräsidenten. Lammert sei ihr "sehr unsicher" erschienen. Es gebe Signale, dass sein Verhalten auch in anderen Fraktionen "heftig diskutiert" werde.

Die Linksfraktion lasse nun durch ihre Parlamentarische Geschäftsführerin Dagmar Enkelmann "ganz präzise überprüfen", ob die Geschäftsordnung des Bundestages richtig angewendet wurde.
Eklat im Bundestag bei ISAF-Debatte

Berlusconi und der Bus-Stopp

Empörung über verlegte Haltestelle

Von Richard Meusers

Busverkehr direkt vor seinem Palazzo in Rom? Das wollte Italiens Ministerpräsident Berlusconi nicht dulden - die Haltestelle wurde geschlossen. Jetzt regt sich Protest, und ein Oppositioneller höhnt: "Die Prostituierten kommen ja eh mit dem Taxi."

Rom: Ärger in der Via del Plebiscito

Eigentlich könnte Ministerpräsident Silvio Berlusconi wie seine Amtsvorgänger im römischen Palazzo Chigi, direkt neben dem Parlament, amtieren und auch wohnen. Doch das behagt dem Premier offenbar nicht.

Stattdessen bezog Berlusconi schon vor geraumer Zeit den Palazzo Grazioli. Das barocke Gemäuer aus dem 17. Jahrhundert dient dem Politiker oft genug zur Erholung von anstrengenden Regierungsgeschäften, dort sollen nächtens ausgelassene Partys gefeiert werden, die in Rom Gesprächsstoff sind.

Der Palazzo liegt in der Via del Plebiscito, in unmittelbarer Nähe zur Piazza Venezia und dem Kapitol. Beide Sehenswürdigkeiten sind umbrandete Touristenmagnete, umso mehr hält Berlusconi auf Privatsphäre und den Schutz seiner Person.

Und so verfügte die römische Stadtverwaltung Ende vergangenen Jahres ganz plötzlich, dass die direkt am Palazzo gelegene Bushaltestelle nicht mehr angefahren werden dürfe. Offizielle Erklärung: Sicherheitsmaßnahmen.

Viel mehr als diese dürre Begründung gaben die römischen Verkehrsbetriebe Atac nicht preis. Weder wurden die anliegenden Bewohner und Geschäftsleute zuvor von der Maßnahme informiert - noch die eigenen Fahrgäste.

Nacht-und-Nebel-Aktion

Kurz vor Silvester, noch am Tag der Mitteilung, erschienen unangekündigt städtische Angestellte vor Ort, um die Fahrpläne abzumontieren und die Neuigkeit den verblüfften Fahrgästen zu verkünden.

Die reagierten ebenso erbost wie die anliegenden Geschäftsleute und Pendler, die zu Hunderten in den umliegenden Büros an der Piazza Venezia arbeiten. Immerhin 18 Buslinien legten an der Via del Plebiscito bislang einen Zwischenstopp ein, bis zur nächsten Haltemöglichkeit müssen die Fahrgäste beinah einen halben Kilometer zu Fuß zurücklegen.

Schon zuvor hatte es rund um den Palast Berlusconis umfangreiche Einschränkungen für den Straßenverkehr gegeben. Große Blumenkübel verhindern in den Seitenstraßen die Durchfahrt von Autos und Motorrädern.

In einer weiteren Erklärung der Atac hieß es, man wolle den Durchfluss der Touristenströme künftig effektiver gestalten. Die Zettel an den Fahrplansäulen mit dem Satz "Diese Haltestelle ist abgeschafft" sind jedoch bloß auf Italienisch verfasst. Hinweise und Empfehlungen für Auswärtige und Touristen - Fehlanzeige. Da war der Zorn entsprechend groß, denn ohnehin müssen sich die Römer, egal ob im eigenen Auto oder im Bus, jeden Tag durch den kollabierenden Verkehr der Hauptstadt quälen.

"Die Prostituierten kommen sowieso mit dem Taxi"

Für die politischen Gegner des Regierungschefs war das Ereignis ein gefundenes Fressen.

Via Twitter ätzte Berlusconis Intimfeind, Ex-Staatsanwalt Antonio di Pietro, eine Bushaltestelle sei gänzlich überflüssig: "Die Prostituierten kommen sowieso mit dem Taxi."

Auch Oppositionspolitiker Pino Sgobio flüchtete sich in Ironie: "Und wann wird eine Mauer errichtet? Eine Politik, die Angst vor den Bürgern hat und sich in einem Elfenbeinturm einschließt, gibt kein gutes Beispiel."

Doch auch ganz normalen Bürgern wollte sich der Sinn der Nacht-und-Nebel-Aktion nicht recht erschließen. Die lokalen Geschäftsleute, Friseure, Schuhverkäufer und Haushaltswarenläden befürchten einen Rückgang ihrer Umsätze. Und legten Unterschriftenlisten gegen die als Schikane empfundene Maßnahme aus.

Damit nicht genug, gründete der römische Stadtrat Massimo Lucà umgehend eine Facebook-Gruppe mit dem Namen "Wiederinbetriebnahme der Bushaltestelle an der Via del Plebiscito". Obwohl nur von äußerst lokalem Bezug, hat sie mittlerweile weit über 5000 Mitglieder. Und die machen in den Kommentaren aus ihren Herzen keine Mördergrube.

"Kann man die Residenz des Premiers nicht an den Stadtrand verschieben?"

"Alessandro" weist darauf hin, dass es beim Senat der Republik eine gleichartige Haltestelle gibt. "Offensichtlich ist die 'Sicherheit' von 350 Senatoren und eines Verfassungssymbols nicht so wichtig." "Don Campisi" fügt zornig an: "Kann man die Residenz des Premiers nicht an den Stadtrand verschieben?" Und ein Dritter erregt sich: "Der Palazzo Grazioli ist Berlusconis Privatwohnsitz, er kann nicht einfach das Zentrum von Rom privatisieren."

Die Causa Busstopp hat inzwischen sogar eine Schülerinitiative mobilisiert. Immerhin 400 Unterschriften kamen von Schülern, deren Eltern und den Lehrern des nahe gelegenen Visconti-Gymnasiums. Außerdem drehten sie einen Filmbericht und stellten den Videoclip online.

Bislang war die römische Verwaltungsspitze den Forderungen der Haltestellenfreunde gegenüber völlig unnachgiebig aufgetreten. Präfekt Giuseppe Pecoraro hatte sich wochenlang jedem Gesprächsansinnen verweigert und ansonsten eisern zur Angelegenheit geschwiegen. Am vergangenen Wochenende wurden der Stadtverwaltung schließlich die Petition mitsamt 10.000 Unterschriften überreicht. Federico Catania, einer der Initiatoren der Unterschriftensammlung, erklärte dabei, er habe dabei auch einen Brief an Behördenchef Pecoraro übergeben. "Wir sind zuversichtlich, dass sich am Ende der gesunde Menschenverstand durchsetzen wird."

Via del Plebiscito heißt auf Deutsch übrigens "Straße der Volksabstimmung".