Montag, 11. Juni 2007

Was ist Neoliberalismus wirklich

Ein Kommentar zu Becks Kritik an der Union von Gerald Braunberger


Er war neoliberal:
Ludwig Erhard
Die Union ist neoliberal? Selten so gelacht. Die Union ist überhaupt nicht neoliberal, und wenn sie es jemals war, dann zu Zeiten Ludwig Erhards. Seitdem ist sie zu einer sozialdemokratischen Kraft - die CSU übrigens stärker als die CDU - mutiert, in der hin und wieder liberale Geister wie Friedrich Merz ihre Stimme erheben, ohne damit Wirkung zu erzielen. Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck, der in der F.A.Z. den vermeintlichen Neoliberalismus der Union gegeißelt hat (siehe: F.A.Z.-Gastbeitrag von Kurt Beck: „Das soziale Deutschland“ irrt sich in seinem Feindbild.

Es lohnt, der Frage nachzugehen, was sich mit dem Begriff Neoliberalismus einmal verband, bevor er von linken Kapitalismus- und Globalisierungsgegnern, denen die eigene Utopie abhanden gekommen ist, zum Schmähwort für alles wurde, was ihnen an der Welt von heute nicht gefällt.

Der Laisser-faire-Liberalismus hatte versagt

falschen Rezepte: SPD-Chef Kurt Beck

Das Wort Neoliberalismus entstand im Jahre 1938 auf einer Konferenz in Paris, zu der sich führende liberale Geister der damaligen Zeit zusammen gefunden hatten. Der spätere Nobelpreisträger Friedrich von Hayek war ebenso anwesend wie Walter Eucken, der Vater des deutschen Ordoliberalismus und Wilhelm Röpke, ein im Exil lebender, sprachgewaltiger und viel gelesener deutscher Ökonom und Gesellschaftsphilosoph.

Ihnen ging es darum, in einer von Diktaturen geprägten Welt, die sich vom Freihandel verabschiedet hatte und prompt in eine Weltwirtschaftskrise gestürzt war, das liberale Gedankengut zu erneuern. Aus ihrer Sicht hatte der alte Laisser-faire-Liberalismus des 18. und 19. Jahrhunderts versagt, in dem er die Bildung wirtschaftlicher Macht durch Monopole und Kartelle zugelassen hatte, die dann ihrerseits Macht auf die Politik ausgeübt und diese korrumpiert hatte.

Milton Friedmans negative Einkommensteuer

Nach dem Verständnis dieser Neoliberalen durfte der Staat sich keineswegs auf die Rolle eines Nachtwächters zurückziehen, sondern sollte die Rahmenbedingungen herstellen und sichern, ohne die eine freie Gemeinschaft von Menschen nicht auf Dauer friedlich zusammen leben kann. Becks Vorstellung, der Neoliberalismus erzeuge einen künstlichen Gegensatz von Staat und Freiheit, ist abwegig. Solche Vorstellungen finden sich allenfalls bei einigen versprengten Radikalliberalen (vorwiegend in den Vereinigten Staaten), die Freiheit und Anarchie miteinander verwechseln.

Nein, der Neoliberalismus braucht den Staat, aber es handelt sich nicht um einen Staat, wie ihn sich Kurt Beck vorstellt. Der neoliberale Staat sorgt für einen verlässlichen Rahmen, indem er Rechtssicherheit und Vertragsfreiheit garantiert, das Privateigentum und den Wettbewerb schützt, eine stabile Währungsordnung garantiert und ansonsten weitgehend Marktfreiheit zulässt. Insofern ist Becks Behauptung, eine konsequent neoliberale Union müsse weniger Rechtssicherheit fordern, gänzlich neben der Wahrheit. Man wird daneben keinen bedeutenden Neoliberalen finden, der eine finanzielle Grundsicherung für in Not geratene Menschen ablehnt; wie man diese organisieren kann, hat Milton Friedman mit seinem Konzept einer negativen Einkommensteuer gezeigt.

CDU hält neoliberale Politik für nicht mehrheitsfähig

Der neoliberale Staat ist allerdings eines nicht: eine Umverteilungsmaschine, deren Vertreter meinen, die Bürgersolidarität sei umso höher, je mehr Geld dem einen zwangsweise genommen und dem anderen gegeben werde. Er ist einer, der Freiheitsrechte innerhalb der von ihm gesetzten Ordnung respektiert, aber keiner, der den Menschen in paternalistischer Manier vorschreiben will, wie sie zu leben haben.

Es erscheint nun offensichtlich, dass die Union keine wirkliche neoliberale Partei ist. Ihre Vertreter halten gelegentlich Sonntagsreden, in denen sie den Geist Ludwig Erhards beschwören, tatsächlich aber hat die Union nicht weniger Anteil am Wuchern eines überdimensionierten Sozialstaats und am Marsch in die Schuldenwirtschaft wie die SPD. 2003 schien es kurz, als würde sich die CDU des Erbes Erhards erinnern, als sie auf dem Leipziger Parteitag eine von Friedrich Merz entworfene radikale Steuerreform beschloss, die aber ebenso nie verwirklicht wurde wie eine Gesundheitsreform, die diesen Namen verdient. Die Ernüchterung der Bundestagswahl 2005 - und hier hat Beck einmal recht - hat die CDU zu dem Schluss kommen lassen, dass neoliberale Politik in Deutschland nicht mehrheitsfähig ist.

Beck will SPD als Partei der Linken verorten

Aber es existiert keine Alternative zu den neoliberalen Rezepten. Dies zeigt der Arbeitsmarkt, der Monat für Monat erfreuliche Zahlen produziert. Die meisten Fachleute sind der Ansicht, dass neben der guten Konjunktur vor allem zwei Faktoren die Schaffung neuer Stellen begünstigen: die Lohnzurückhaltung der vergangenen Jahre sowie die (insgesamt bescheidenen) Deregulierungen des Arbeitsmarktes. Die Lohnzurückhaltung ist aber nun gerade das Ergebnis des von Beck beklagten Nachlassens der Gewerkschaftsmacht. Das einstmals die Lohnfindung prägende, in allmählicher Auflösung befindliche Tarifkartell aus Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften hat mehr zur Arbeitslosigkeit in Deutschland beigetragen als jede andere Institution.

Die Attacken auf den vermeintlichen Neoliberalismus der Union zeigen letztlich eines: die Ideenarmut der Sozialdemokratie, die unter Gerhard Schröder eine vorübergehende und vorsichtige Annäherung an den verhassten Neoliberalismus praktiziert hatte, heute aber nicht mehr weiß, wofür sie eintreten soll. Beck scheint zu dem Schluss gekommen zu sein, dass für die SPD in der Mitte wenig zu holen ist. Also benutzt er die Sprache seines ehemaligen Parteifreundes Oskar Lafontaine, um die SPD als Partei der Linken zu verorten. Was er dort an brauchbaren wirtschaftspolitischen Rezepten finden will, wird sein Geheimnis bleiben.

Text: F.A.Z., 12.06.2007, Nr. 133 / Seite 15

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