Dienstag, 19. Juni 2007

Fundamentale Meinungsverschiedenheiten in der Koalition

Nach den Beschlüssen der Koalitionsspitzen hat die SPD-Führung scharfe Kritik an CDU und CSU geübt. Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD) hat der Union eine Blockadehaltung vorgeworfen. Trotz der Niederlage seiner SPD im Streit um Mindestlohnregelungen hat er sich allerdings zur Fortsetzung der Koalition mit der Union bekannt.

Die Weigerung des Koalitionspartners, im Koalitionsausschuss über die Sittenwidrigkeit von Löhnen zu verhandeln, habe bei ihm „Empörung und Zorn“ ausgelöst, sagte der Vizekanzler am Dienstag in Berlin. „Was ist das für eine Moral?“, erklärte er an die Adresse des Regierungspartners. Aus seiner Sicht seien die erzielten Vereinbarungen „kein Kompromiss“.

SPD-Parteichef Kurt Beck warf der Union am Dienstag vor, sie blockiere konkrete Festlegungen, ab welcher Untergrenze Löhne sittenwidrig seien. „Das ist eine Abwertung der Arbeitsgesellschaft und ein Auf-den-Kopf-Stellen von sozialer Marktwirtschaft.“ Zwischen den Partnern gebe es da fundamentale Meinungsverschiedenheiten.

Die Lehre aus der „vertanen Chance“ sei: Mindestlöhne könnten nicht mit der Union, sondern nur „gegen sie“ durchgesetzt werden, sagte Müntefering und fügte hinzu, er werde dabei seinen Teil beitragen. Er glaube nicht mehr, dass die Union sich in diesem Punkt noch bewegen werde. Deshalb müsse nach „anderen Wegen“ gesucht werden, um Druck zu machen. Spätestens bei der Bundestagswahl 2009 müssten die Bürger darüber entscheiden. Er sei fest überzeugt davon, dass es in nächster Zukunft auch in Deutschland Mindestlöhne geben werden.

Die Koalition sieht der Vizekanzler aber nicht gefährdet. Offene Kritik an der Rolle von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vermied er mit Hinweis auf den internen Charakter der Gespräche im Kanzleramt. In Anspielung auf Merkel fügte er jedoch hinzu, bei der Union sei spürbar gewesen, dass sie das „Thema geräuschlos aus dem Verkehr“ ziehen wolle. Er bekräftigte auch seine jüngste Aussage, wonach sich die Kanzlerin - anders als ihr SPD-Vorgänger Gerhard Schröder - stärker als Parteivorsitzende verstehe.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich derweil mit den Kompromissen der Koalitionspartner in den Streitthemen Pflegeversicherung und Mindestlohn zufrieden gezeigt. Merkel sagte beim Medienforum in Köln am Dienstag, es seien zwei wichtige Entscheidungen getroffen worden, „die für die Menschen in unserem Land gut sind“. Dadurch, dass es nicht zu einer Vereinbarung von gesetzlichen Mindestlöhnen gekommen ist, würden die Tarifparteien gestärkt. „Das halte ich für einen ganz wichtigen Schritt.“ Man könne trotzdem sicherstellen, dass Lohndumping nicht stattfinde.

„Nur Schritt in die richtige Richtung“

Die SPD-Führung bewertete die geplante Ausweitung des Entsendegesetzes zur Festschreibung tariflicher Mindestlöhne in weiteren Branchen als Schritt in die richtige Richtung, der aber unzureichend bleibe. „Wir bedauern sehr, dass es nicht gelungen ist, beim Thema Mindestlohn die Union von ihrer ablehnenden Haltung abzubringen“, sagte Fraktionschef Peter Struck. „Wir haben in der Tat nicht unser Ziel erreicht, aber eine Etappe hinter uns gebracht“, sagte auch Beck. Die SPD werde alles daran setzen, ihr Ziel gesetzlicher Mindestlöhne noch durchzusetzen. Die SPD-Linke Andrea Nahles wertete den Beschluss, für Branchen mit geringer Tarifbindung Gremien zur Tariffindung einzusetzen, als Durchbruch zum Mindestlohn und SPD-Sieg gegen die Union.

Die Union wiederum machte für die Konflikte die SPD verantwortlich. Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Norbert Röttgen, warnte die Sozialdemokraten davor, sich von der Linkspartei treiben zu lassen. „Die SPD muss für sich entscheiden, ob sie weiter ihre Politik reaktiv bestimmen lässt von der PDS oder ob sie wieder die Kraft findet, eine eigene sozialdemokratische Politik zu machen“, sagte er. „Ich halte das für die Überlebensfrage der SPD, ob sie diese Kraft wieder gewinnt oder zu einer ängstlichen und reaktiven Partei wird, die in Wahrheit von der PDS gesteuert wird.“

Auch CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer griff die SPD scharf an: „Die SPD muss sich auch personell läutern und schälen.“ Sie müsse die Spreu vom Weizen trennen. „Wenn sie das nicht tut, wird sie zwischen der Linkspartei und dem bürgerlichen Lager restlos zerrieben.“ Die Beratungen in der Nacht seien die härtesten Verhandlungen gewesen, die die Koalition je erlebt habe.

Trotz der gegenseitigen Vorwürfe werteten Union und SPD die Beschlüsse des Koalitionsausschusses als Zeichen, dass ihre Koalition handlungsfähig sei. „Ich glaube, wir können in der großen Koalition zufrieden sein“, sagte Unions-Fraktionschef Volker Kauder. Kauder und SPD-Generalsekretär Hubertus Heil sahen vor allem die Einigung auf eine Pflegereform einen Erfolg.

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