Sonntag, 10. Juni 2007

»Daran ist die Bild schuld«

Demonstrant im Schnellverfahren zu zehn Monaten Haft verurteilt. Ihm droht der finanzielle Ruin. Ein Gespräch mit Jürgen S

Interview: Wera Richter
Jürgen S. ist am 2. Juni nach der Anti-G-8-Demo in Rostock verhaftet worden. Am Dienstag wurde er als erster G-8-Gegner in einem Schnellverfahren verurteilt. Am Mittwoch folgten sieben weitere Urteile

Sie sind am vergangenen Samstag in Rostock nach der Großdemonstration gegen den G-8-Gipfel festgenommen und am Dienstag in einem Schnellverfahren zu zehn Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt worden. Was wirft man Ihnen vor?

Ich bin wegen schwerem Landfriedensbruch und versuchter schwerer Körperverletzung verurteilt worden. Ich soll während der Demonstration Steine geworfen haben. Das habe ich aber nicht getan. Ich bin die meiste Zeit neben der Demonstration gelaufen und habe fotografiert. Als die Auschreitungen anfingen, war ich in der Nähe. Ich bin dann da schnell weggegangen, weil ich mich von Gewalt distanziere.

Sie sagten, Sie hätten Zivilpolizisten beobachtet. Was haben Sie gesehen?

Ich habe bei der Abschlußkundgebung beochbachtet, wie sich ein vermummter Zivilpolizist mit einem Mann aus dem schwarzen Block unterhalten hat. Nachdem sich der Zivi entfernt hat, kamen zwei weitere Herren in Zivil. Sie wollten den Menschen aus dem schwarzen Block verhaften. Der vermummte Polizist tauchte auch wieder auf und wollte helfen. Als klar wurde, daß die Verhaftung so nicht läuft, riefen sie eine behelmte Polizeieinheit zu Hilfe. Für mich war das eindeutig, daß da Provokateure im schwarzen Block waren. Ich hab’ auch noch nie so viele neu und teuer eingekleidete Gruppen in so einem Block gesehen.

Wie ist es zu Ihrer Festnahme gekommen?

Das war viel später. Die Verhaftung erfolgte gegen 20.30 Uhr am Doberaner Platz. Ich war auf dem Weg, um mir etwas zu essen zu holen. Der Platz war von der Polizei abgeriegelt. Dönerstand und thailändischer Imbiß waren umstellt. Deshalb habe ich mich auf den Bordstein gesetzt, eine Zigarette geraucht und überlegt, wo ich sonst hingehen könnte. In dem Moment hielt neben mir eine Wanne. Sechs Leute stiegen aus und stellten sich gemütlich neben ihren Wagen. Auf einmal hieß es »Zugriff«. Sie warfen sich auf mich, zerrten mich in den Wagen, wo ich ein paar Tritte bekam, und transportierten mich ab.

Wie ging es weiter?

Der Richter in der Gefangenensammelstelle verordnete Gewahrsam bis Montag morgen um acht Uhr mit der Auflage, Rostock dann sofort zu verlassen. Doch am Sonntag wurde ich auf einmal vor den Schnellrichter gezerrt, der mich in Untersuchungshaft steckte. Am Montag bin ich gegen Kaution freigekommen.

Am Dienstag folgte das Schnellverfahren. Wer hat gegen Sie ausgesagt?

Es haben eine Frau und ein Mann, die in Zivil auf der Demo waren, gegen mich ausgesagt. Sie hätten mich fünf Stunden lang observiert, nachdem ich angeblich um 15.30 Uhr fünf Steine geworfen hätte. Sie erzählten, daß sie mich mehrere Male in der Menge verloren hätten, mich aber immer wieder identifizieren konnten. Zwischendurch hätten sie an ein anderes Observationsteam übergeben, um nicht aufzufallen. Gegen 20.30 Uhr erschien ihnen der Zeitpunkt günstig, um eine Einsatzmannschaft zu infomieren und mich festnehmen zu lassen.

Hatten Sie keine Zeugen?

Ich hatte einen Zeugen, der vor Gericht ausgesagt hat, daß ich ihn gegen 16 Uhr zu Hause in Rostock besucht habe –wir haben ein St.-Pauli-Spiel geguckt –und mich bis 18/19 Uhr bei ihm aufgehalten habe. Gericht und Staatsanwalt nahmen ihn aber nicht ernst. Sie meinten, wir hätten uns abgesprochen. Den Berufszeugen von der Polizei wurde alles geglaubt, obwohl sie sich mehrfach widersprachen.

Was bedeutet das Urteil für Sie?

Ich werde das nicht so stehen lassen und habe Berufung eingelegt. Das ist ein politisches Urteil, gegen das ich vorgehen werde. Das Urteil bedeutet für mich, daß ich verschiedene Aufträge nicht mehr bekomme. Ich bin Kellner. Den ersten Job, der zwei Wochen gehen sollte, habe ich am Mittwoch schon verloren. Daran ist die Bild-Zeitung schuld, die mein Foto mit ihrer Hetze abgedruckt hat. Ich werde mehrere Aufträge verlieren. Auch ohne Vollstreckung der Urteils kann das mein Ruin sein.
  • Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) hält seinen Notdienst auch in den Tagen nach dem G-8-Gipfel aufrecht. Hilfe und Beratung für Rechtssuchende gibt es unter der Telefonnummer: 038204/768111, ravev[at]t-online.de
  • Wer die Arbeit des anwaltlichen Notdienstes unterstützen will, spendet an: RAV, Konto 9004301, BLZ 25010030, Postbank Hannover, Stichwort: Anwaltsnotdienst G8 2007



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