Dienstag, 5. Juni 2007

Anti-G8, oder: „Bürgerkrieg in Rostock“

Am letzten Samstag waren wir mit der IZ wieder „mittendrin statt nur dabei“, jedenfalls am Anfang der Anti-G8-Großdemonstration in Rostock. Dort haben wir unsere aktuelle Sonderausgabe zum Thema Globalisierung und G8-Gipfel verteilt um von muslimischer Seite am Diskurs teilzunehmen, und mit der breiten Öffentlichkeit in Kontakt zu kommen. Neben der anfangs sehr netten, gewaltfreien Atmosphäre war es doch auffällig, wie groß der Anteil von komplett in Schwarz gekleideten Demo-Teilnehmern war. Auch die Musik auf der Bühne vor der Auftaktveranstaltung am Hauptbahnhof, wo wir uns befanden, war fröhlich bis militant, konnte man dort doch einen amerikanischen Liedermacher in Country-Manier „we will burn them down“ singen hören. Was uns persönlich betrifft, war es interessant zu sehen, wie groß die Spannbreite der Demoteilnehmer war. Mit unserer Zeitung trafen wir sowohl auf absolute Abneigung auf der einen, als auch auf reges Interesse an unserer Sichtweise auf das Phänomen der Globalisierung auf der anderen Seite. Die Ansammlung auf dem Bahnhofsvorplatz war alles andere als homogen. Dort waren Gewerkschaftler neben Anhängern politischer Parteien, FrauenrechtlerInnen und auch Autonomen Antifaschisten zu sehen.

Der Demonstrationszug setzte sich bunt und lautstark in Bewegung. Weiter vorn demonstrierten Gruppen wie Attac, die Gewerkschaften und Parteien und so weiter, ausgerüstet mit Trommeln, bunten Transparenten und riesigen Pappmaché-Figuren. Hinten hingegen sah man mehr schwarz-rote Fahnen und ebenso schwarz gekleidete Demonstranten die sehr bedacht auf ihre Grundrechte zu sein schienen, besonders auf das Recht am eigenen Bild, trugen sie doch zum großen Teil Kapuzen und Sonnenbrillen Die Parolen in diesem Block waren eindeutig anti-kapitalistisch und natürlich anti-faschistisch.

Als die Demonstrationszüge am Ende der Strecke in den Hafen einbogen, blieben diese Leute gleich vor diesem Platz, an dem auch schon etwas Polizei anwesend war. Während von der Bühne Musik zu hören war und der Demo-Sampler vorgestellt wurde, begann sich fast augenblicklich die Stimmung dort auf Krawall einzupendeln. Gegenseitige Provokationen lösten sich mit Entspannungen ab, wie von beiden Seiten in vielen vorherigen Probeläufen einstudiert, bewirkten doch die Durchsagen über Probleme mit der Polizei von Seiten der Veranstalter, das sich die friedlichen Demonstranten und die Familien mit Kindern nicht mehr all zu wohl fühlten in einer Atmosphäre von Musikberieselung und Konsum von Nahrung an überlaufenen Ständen und die Demo - vorbei an demolierten (später im Fernsehen ausgebrannt zu Sehenden ) Autos - verließen. Auch wir gingen so gegen 16:30 Uhr, als gerade eine Hundertschaft schwarz uniformierter Polizisten von ebenfalls schwarz uniformierten Autonomen unter Rufen von “Haut ab! Haut ab!“ vom Platz gedrängt wurden. So fuhren wir also von dannen. Über 1.000 Verletzte, ausgebrannte Autos, Hetzjagden auf Polizisten. Am Sonntag Morgen auf meinem Heimweg, nach nächtlichem Zwischenstopp, höre ich den Sprecher im Radio, wie er berichtet, die Bilder im Fernsehen gesehen zu haben, wobei er sich fragte, was da schon wieder im Mittleren Osten los sei, aber nein, das ist ja Deutschland!

Es herrschte Bürgerkrieg in Rostock. Die Gewalt, die durch militärische Besatzungen, „Präventivkriege“ mit eindeutig wirtschaftlichen Interessen, Finanzierung von - je nach dem - umstürzlerischen Oppositionen oder Militär-Diktaturen, sowie die ganze Globalisierung an anderen Orten der Welt schwappt zurück in die „westliche Welt“. Es ist noch kein Ende in Sicht; für diese Woche sind weitere Krawalle zu erwarten. Wie man weiß, nimmt jemand, der sich gegen etwas definiert, dessen Form selbst an. Was hat uns dieser Mob anderes zu bieten als das, was man der Globalisierung vorwirft, nämlich Verwüstung? Der Sozialvertrag des Abtretens des eigenen Anspruchs auf Gewaltausübung an eine Autorität, die große Errungenschaft der Aufklärung, wird aufgekündigt. Was bleibt? Alle bedauern die Ausschreitungen und fragen sich, was man hätte anders machen können. Nichts hätte man anders machen können. Wo immer derartige Demonstrationen organisiert werden, wird der „Schwarze Block“ dabei sein. Heißt das, dass wenn man diese Ausschreitungen verhindern will, man vielleicht nicht mehr demonstrieren gehen sollte? Was dann? Diesmal hatte man die Demonstration an einen unter Sicherheitsaspekten gesehen nah zu perfekten Ort gelenkt: einen Platz am Hafen, begrenzt durch Wasser auf der einen Seite, also gut einzukesseln. Wenn es dieses Ventil für die radikalen Kräfte nicht gäbe, was dann? Würden sie sich im Untergrund organisieren und noch zerstörerischer wirken? Eigentlich kann man mit der momentanen Situation „zufrieden“ sein. Es gab genügend Provokationen von beiden Seiten, und das Ergebnis am Samstag Abend war abzusehen. Die Sicherheits-Debatte wird wieder angekurbelt, Rufe nach Gummigeschossen werden schon laut. Was fehlt, ist der erneute Ruf danach, im eigenen Land und gegen die eigene Bevölkerung auch die Bundeswehr einsetzen zu können. Warten wir diese Woche ab, aber es würde mich wundern, wenn dies in der Nachbetrachtung zu den Protesten nicht geschehen würde.

Jeder, der Bilder von anderen Anti-G8-Demonstrationen gesehen hat, kann nicht wirklich überrascht sein. Die Kapitalismus-Kritik wird personalisiert, Globalisierung ist kein Zufall. Doch was haben die Staatsoberhäupter der G8 wirklich zu sagen? Ist es nicht eher ein sich mehr und mehr verselbstständigendes Wirtschafts- und Finanzsystem, das verantwortlich zu machen ist und das dazu führt, dass die politischen Entitäten der Nationalstaaten ausgehöhlt werden? Wie viel schuld kann man Bush und Co. in die Schuhe schieben, wenn man sich an die Abschiedsrede des ehemaligen US-Präsidenten Eisenhower erinnert und seine Warnung vor der wachsenden Macht des „militärisch-industriellen Komplexes“ darin? Haben denn diese acht Staatschefs irgendeine Einflussmöglichkeit auf die Praktiken der Weltbank und des IWF? Liegt der Kern dieser Problematik nicht darin, dass wir symbolisches Geld benutzen, das ein solches Gefälle von Arm und Reich erst möglich macht? Solche Investitions- und „Entwicklungs“-Projekte?

Wenn man sich vor Augen führt, wie viel die Weltraum-Missionen verschlingen und man das in einem realen Kontext zu sehen versucht, erkennt man, wie viele Menschen man damit ernähren könnte. Unendliches Wachstum ist selbst theoretisch nur mit einer unendlich vermehrbaren Geldmenge zu denken. Wie sonnst könnte man die Ressourcen aufbringen, um eine Rakete ins Weltall zu schicken, wenn nicht mit Symbolgeld, dessen „Wert“ von der verschuldeten Masse erwirtschaftet werden muss? Der Ausweg bestünde darin, damit aufzuhören, ihr Geld zu benutzen und stattdessen zu realen Werten zurückzugehen. Die Verantwortlichen in der Weltbank und im IWF wissen das, verbieten sie doch jedem, der ihre Verträge unterzeichnet, eine von Gold gedeckte Währung einzuführen. Der andere Ansatz, im kleinen wie im Großen umsetzbar, besteht darin, dass wenn man schon ihr Geld benutzt, es wenigstens aus ihrem Netzwerk von Mergers und Acquisitions heraus zu ziehen und lokal zu wirtschaften, den Mittelstand zu stützen und einen großen Bogen um ihre Banken zu machen, die durch die Zinsen die Werte von den Armen zu den Wohlhabenden transportieren. Größere wirtschaftliche Strukturen müssen als Genossenschaften gemeinschaftlich aufgebaut werden. Einer unserer Ansätze als Muslime ist hier der allen offene Marktplatz im wörtlichen Sinn. Wir sitzen alle im selben Boot, auf dem selben Planeten. Wir müssen auch alle aus diesem Schuldensystem ausbrechen.

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