Mittwoch, 20. Juni 2007

Das giftige Erbe des Vietnamkrieges

Die siebenjährige Nguyen Thi Kieu Nhung:
Der Vater brachte regelmäßig Fisch
aus einem dioxinbelasteten See mit nach Hause

Millionen Menschen in Vietnam leiden an Missbildungen, Hautkrankheiten, Krebs - Spätfolgen des Vietnamkrieges: Damals versprühten US-Truppen das dioxinhaltige Entlaubungsgift "Agent Orange". Nun gehen die Opfer erneut vor Gericht.

Die Beine der Siebenjährigen biegen sich verkrüppelt nach innen, ihr rechtes Auge wölbt sich aus dem Gesicht. Wenn die Mutter sie umzieht, schreit Nguyen Thi Kieu Nhung vor Schmerzen. Seit 17 Jahren lebt die Familie in der Nähe eines ehemaligen Luftwaffenstützpunkts in Danang, wo die US-Streitkräfte während des Vietnamkrieges vor mehr als 30 Jahren das dioxinhaltige Entlaubungsgift "Agent Orange" mischten. Noch heute liegen die Dioxinwerte auf Teilen des 850 Hektar großen Geländes 300- bis 400-mal höher als international zulässig, wie eine noch unveröffentlichte Studie ergab.
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Bis zu drei Millionen Vietnamesen leiden nach Angaben der Regierung an Geburtsschäden oder anderen Gesundheitsproblemen, die durch den Kontakt mit Dioxin verursacht wurden. Die USA lagerten das Gift in Danang, bevor es mit Wasser verdünnt und zum Besprühen der vietnamesischen Wälder auf Flugzeuge geladen wurde, um den feindlichen Kämpfern das Versteck zu nehmen. Was dabei verschüttet wurde, versickerte im Boden.

Weil Dioxin sich dauerhaft an Erde und Gestein bindet, ist es noch Generationen später im Boden verhaftet und gefährdet jeden, der die kontaminierte Erde berührt. Über das Regenwasser wird die Chemikalie in Abwasserkanäle und nahe gelegene Seen gespült, wo sie über Fische und andere Tiere in die Nahrungskette des Menschen gelangen kann.
Die Dioxinwerte sind um das 50-Fache erhöht
Für die meisten der fast eine Million Einwohner von Danang besteht Experten zufolge zwar keine direkte Gefahr. Bei mehreren Dutzend Anwohnern, die regelmäßig in einem See nahe dem Militärgelände fischten oder Lotusblüten pflückten, entdeckten die Wissenschaftler jedoch erhöhte Dioxinwerte. In den Sedimenten des Gewässers liegt der Dioxingehalt 50 Mal so hoch wie international zulässig. Schilder, die auf diese Gefahr hinweisen, gibt es an dem See nicht.
"Wenn die früher reagiert hätten, wären wir dem nicht ausgesetzt gewesen", sagt die Mutter des behinderten Mädchens, Luu Thi Thu. Die Familie lebt in der Nähe des belasteten Sees, der Vater brachte regelmäßig Fisch von dort mit nach Hause. Seine Tochter wurde krank, als sie zwei Jahre alt war. Heute hat sie nur zwei Zähne und kann nicht laufen, ihr rechter Schulterknochen ragt unnatürlich heraus. "Ich bin wütend, aber ich weiß nicht, was ich tun soll", sagt die Mutter. "Zwei Mal im Monat gehe ich in die Pagode um zu beten, dass meine Tochter gesund wird." Die Ärzte sagen, sie wird es nicht.
"Die höchsten Werte, die ich je gesehen habe"
"Wenn dieses Gelände in den USA oder Kanada läge, wären erhebliche Studien und eine sofortige Säuberung notwendig", sagt der Wissenschaftler Thomas Boivin, der für die Firma Hatfield Consultants den Stützpunkt in Danang untersuchte. "Das sind die höchsten Werte, die ich in meinem ganzen Leben gesehen habe." Es ist das erste Mal, dass das Unternehmen Zugang zu einem der Orte erhielt, an denen die US-Streitkräfte in Vietnam "Agent Orange" mischten. Bei früheren Tests in anderen Teilen des Landes lagen die gemessenen Dioxinwerte bislang meist innerhalb der zulässigen Grenzen.

Auch außerhalb des Stützpunktes in Danang sei die Belastung deutlich geringer als im Inneren, sagt Charles Bailey von der Ford-Stiftung, die die Hatfield-Studie finanziert hat. Bei 55 getesteten Personen aus der weiter entfernten Umgebung waren die Dioxinwerte im Rahmen der zulässigen Grenzen. "Trotzdem ist es eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit, und es ist ein Risiko", betont er.
USA bestreiten Zusammenhang zwischen Dioxin und Schäden
Eine von den USA bezahlte Untersuchung soll nun klären, wie das Gelände entgiftet werden könnte. Bis dahin will die Stiftung zumindest vorläufig verhindern, dass das Dioxin während der Regenzeit verstärkt in die Umgebung gespült wird. Eine dauerhafte Reinigung des Geländes in Danang und anderer belasteter Stützpunkte würde nach Schätzungen der vietnamesischen Behörden mindestens 40 Millionen Dollar (30 Millionen Euro) kosten - für das kleine Land unbezahlbar. "Es ist wirklich notwendig, dass die USA hier antreten und die Säuberung dieser Grundstücke finanzieren", fordert der Wissenschaftler Boivin.

Doch ein Zusammenhang zwischen dem Dioxin und den Gesundheitsschäden der vietnamesischen Bevölkerung ist für die USA noch immer nicht ausreichend belegt. Entschädigungszahlungen gibt es bislang nur für US-Soldaten, die an Krankheiten leiden, die mit dem Herbizid in Verbindung gebracht werden.
Klage für die Einstufung als Giftgas
In einer Sammelklage gehen betroffene Vietnamesen nun deshalb gegen die Hersteller von "Agent Orange" vor. Die Kläger wollen erreichen, dass das Herbizid als völkerrechtlich verbotenes Giftgas eingestuft wird. Ein Gericht in New York hatte eine erste Klage bereits im März 2005 abgewiesen.

Ein Anwalt der Herstellerfirmen, unter ihnen Monsanto und Dow Chemical, sagte, dass die Unternehmen lediglich nach Anweisungen der Regierung und des Kongresses gehandelt hätten. Der Jurist Seth Waxman wies auf eine Erklärung der Regierung zu dem Gerichtsverfahren hin, wonach der Einsatz von Agent Orange eine Entscheidung der Kriegsführung gewesen sei. Deshalb sei die Frage nach einem möglichen Schadensersatz nur auf dem Wege der Diplomatie zu beantworten.

Direkte Entschädigungszahlungen an die vietnamesische Bevölkerung seien auch in Zukunft nicht geplant, sagt der US-Botschafter Michael Marine. Der US-Kongress habe jedoch erst kürzlich drei Millionen Dollar bereitgestellt, um die Dioxinbelastungen in Vietnam zu untersuchen. Seit 1989 seien 43 Millionen Dollar an Behinderte in Vietnam geflossen - allerdings unabhängig der Ursache für die Gesundheitsschäden.
"Ich gebe niemandem die Schuld"
"Krieg bringt immer Leiden", sagt die Mutter der 17-jährigen Nguyen Thi Trang Ngan. Die Familie fischte in dem verseuchten Gewässer und trank Wasser aus einem nahe gelegenen Brunnen. Das Mädchen kann weder sprechen, sitzen, laufen, noch alleine essen. Es schmatzt und lutscht am Daumen. "Ich gebe niemandem die Schuld dafür", sagt die Mutter. "Das ist mein Schicksal."
Ben Stocking

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