Mittwoch, 6. Juni 2007

„Schockierende Erkenntnisse“

Von Reiner Burger, Dresden



Es waren hochdramatische Worte, die der sächsische Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) an den Landtag richtete. Um die vom Verfassungsschutz des Freistaats unter anderem in Leipzig und Plauen aufgedeckten kriminellen Netze zu zerstören, müssten nun alle Demokraten zusammenstehen. Eindringlich warnte Buttolo, die Netze seien noch intakt und hoch gefährlich. Alle, die sich am Kampf gegen die Organisierte Kriminalität (OK) in Sachsen beteiligten, müssten deshalb damit rechnen, dass die Szene nun mit typischen Methoden wie Rufmordkampagnen, Verleumdung und Einschüchtern zurückschlage.

Seit mehr als drei Wochen beschäftigt sich die sächsische Öffentlichkeit mit nichts intensiver als mit der angeblichen Verquickung von Politikern, Justiz- und Polizeibeamten mit dem kriminellen Milieu. Täglich werden weitere Details bekannt, die freilich kaum nachgeprüft werden können. Denn die mehr als 15.000 Aktenstücke, die der sächsische Geheimdienst über insgesamt fünf Fallkomplexe zusammengetragen hat, sind nach wie vor als geheim eingestuft. Auch Buttolo wollte sich deshalb nicht zu Details äußern, sprach aber von „schockierenden Erkenntnissen“.

„Eine Herausforderung an den Rechtsstaat“

Selbst die Staatsanwaltschaft Dresden, die sich mittlerweile mit der Angelegenheit beschäftigt, kennt die Unterlagen nicht im Detail. Bisher hält sie lediglich zusammenfassende Dossiers zu zwei der Fallkomplexe in Händen. Dies ist nach Ansicht Buttolos nötig, um die Quellen des sächsischen Geheimdienstes zu schützen. Über den Stand ihrer Ermittlungen gibt die Staatsanwaltschaft keine Auskunft.

So stochert die Öffentlichkeit noch immer weitgehend im Nebel. Zugleich aber stellen jene, die die Akten kennen, immer wieder die besondere Dramatik heraus. „Ich sehe in dem, was ich gelesen habe, eine Herausforderung an den freiheitlichen Rechtsstaat und seine Institutionen. Die Bewältigung der Affäre ist zugleich eine Bewährungsprobe rechtsstaatlicher Mechanismen im Freistaat Sachsen“, sagt der CDU-Abgeordnete Frank Kupfer.

Vorwürfe bis hin zum Mord

PDS-Mann André Hahn, der wie Kupfer Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) ist, wählt geschickt einen Umweg, um trotz Geheimhaltungspflicht doch wenigstens Grundzüge über die im Raum stehenden Strafvorwürfe bekanntgeben zu können. Er referiert und bestätigt bisherige Presseveröffentlichungen: „Es geht um Amtsmissbrauch und Bestechlichkeit, um Rechtsbeugung und Geheimnisverrat, um Strafvereitelung im Amt, um Sexual- und Drogendelikte, um Immobilienschiebereien sowie um schwere Körperverletzung bis hin zum Mord.

Den Schwerpunkt der Geheimdienstrecherchen bilden unter dem Stichwort „Abseits“ Vorgänge aus Leipzig. Anknüpfungspunkte waren für die Schlapphüte zum Teil schon gerichtlich behandelte Fälle wie etwa der Mordanschlag auf den ehemaligen städtischen Immobilienmanager Martin Klockzin.

Lebensgefährliche „Abreibung“

Zwei Geschäftsleute hatten Anfang der neunziger Jahre Schläger beauftragt, um Klockzin im Streit um eine Immobilie in Zentrumsnähe eine „Abreibung“ zu verpassen. Der Mann wurde mit mehreren Schüssen lebensgefährlich verletzt. Bei der juristischen Aufarbeitung der Sache kam es zu Merkwürdigkeiten. Während die tatausführenden Kleinkriminellen zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt wurden (die Richter gingen dabei deutlich über die Anträge der Staatsanwaltschaft hinaus), kamen die Auftraggeber fast ungeschoren davon: Lediglich 2.500 Euro an die Opferhilfeorganisation Weißer Ring mussten die beiden aus Bayern stammenden Geschäftsleute zahlen.

Schon kurz darauf war das für die OK-Bekämpfung zuständige Leipziger Polizei-Kommissariat K 26 im Zusammenhang mit dem Mordanschlag auf Klockzin auf ein Beziehungsgeflecht von Leuten aus dem kriminellen Milieu, Immobilienmaklern, Polizisten und Juristen gestoßen. Ins Visier der erfahrenen Ermittler geriet auch der damalige Leipziger Oberstaatsanwalt Norbert R., der heute Amtsgerichtspräsident in Chemnitz ist und dem auch in anderen Zusammenhängen obskure Kontakte nachgesagt werden.

Ungeklärte Vorgänge

2002 kam es zu einer dramatischen Wende, als man den Mitarbeitern von K 26 Streifvereitelung im Amt vorwarf. Zwar endete der Prozess gegen die Kriminalisten mit Freisprüchen, doch K 26 war aus dem Rennen. Auch alle dienstaufsichtlichen Prüfungen gegen den Leiter von K 26 sind mittlerweile eingestellt - seinen Arbeitsplatz hat er dennoch heute bei der Kriminaltechnik.

Weitere Anknüpfungspunkte für die Verfassungsschützer waren ungeklärte Vorgänge im Zusammenhang mit dem Selbstmord des früheren Leipziger CDU-Schatzmeisters Walter Bullinger. Zudem beschäftigten sich die Verfassungsschützer mit Fällen von Kinderprostitution. Die Schlapphüte sammelten dem Vernehmen nach auch Hinweise auf Verbindungen zwischen der italienischen Mafia und Mitarbeitern der Leipziger Stadtverwaltung und thematisieren in ihren Akten eine Tafelrunde.

Sexuelle Ausschweifungen im Leipziger Rathaus

Dabei sollen sich Stadtbedienstete und Immobilienmanager in einem italienischen Restaurant zu illegalen Geschäftsabsprachen getroffen haben. Und schließlich sammelten sie Behauptungen, über angebliche sexuelle Ausschweifungen von in ganz Deutschland bekannten Leipziger Polit-Größen mit tschechischen Prostituierten in Diensträumen des Rathauses. Zum Komplex „Abseits“ gehören zudem Vorgänge im Vogtland und in Chemnitz.

Ansatzpunkt war auch hier ein mutmaßlicher Selbstmord. Schon Mitte der neunziger Jahre waren gegen den damaligen Leiter der Plauener Kriminalpolizei Vorwürfe erhoben worden, er habe Amtsgeheimnisse verraten und dafür kostenlose Dienstleistungen in einem Bordell in Anspruch genommen. Nach einer Zeugenaussage in einem Wirtschaftsprozess im fränkischen Hof wurden die Ermittlungen gegen Sporer 1999 wieder aufgenommen. Wenig später fand ein Wanderer den Mann erhängt im Wald.

Zum „Plauener Spinnennetz“ sollen Justiz-Leute, Rotlichtgrößen und ehemalige Stasi-Mitarbeiter gehören. Längst hat die Korruptionsaffäre politische Weiterungen. Die PDS erhebt den Vorwurf, dass manche der noch vorgebrachten Dinge den verschiedenen Institutionen in Sachsen schon seit Jahren bekannt gewesen seien. „Jetzt aber ist es allerhöchste Zeit auszumisten und aufzuräumen“, sagt André Hahn, der auch parlamentarischer Geschäftsführer der PDS im Sächsischen Landtag ist.

Personelle Konsequenzen?

Die Fraktion fordert mittlerweile einen Untersuchungsausschuss, um zu klären, wer die politische und juristische Verantwortung dafür trägt, „dass offenkundig schon Mitte der der neunziger Jahre ernsthafte Bestrebungen, den kriminellen Netzwerken im Justiz- und Polizeibereich das Handwerk gelegt letztlich gescheitert sind“, wie Hahn sagt.

Die CDU sieht im Ruf nach einem Untersuchungsausschuss einstweilen vor allem den Versuch, das Thema Korruption bis zur Landtagswahl im Jahr 2009 auf politischem Feuer warmzuhalten. Gleichwohl erneuert auch CDU-Mann Kupfer seine Forderung, der Innenminister möge personelle Konsequenzen an der Spitze seines Hauses prüfen. Die PKK sei viel zu spät über die brisanten Erkenntnisse des Verfassungsschutzes informiert worden. Darin ist sich Kupfer mit PDS-Mann Hahn einig.

Verschwieg de Maizière „Leichen im Keller“?

Doch Hahn sieht längst schon einen noch ranghöheren Verantwortlichen: Kanzleramtsminister Thomas de Maizière (CDU), der bis zu seinem Wechsel nach Berlin sächsischer Innenminister war. Er hatte vor kurzem geäußert, die Erkenntnisdichte des Verfassungsschutzes sei nicht ausreichend gewesen, um die PKK und die Ermittlungsbehörden zu informieren. Hahn fragt nun auch: „Ist es wirklich wahr, dass er seinen Nachfolger Buttolo von den Leichen im Keller des Ministeriums in keiner Weise in Kenntnis gesetzt hat?“

Unterdessen ruft der sächsische Justizminister Geert Mackenroth (CDU) mit historisch unterlegtem Pathos zur Geduld und zum Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des rechtsstaatlichen, gewaltenteiligen Systems auf. „In Leipzig, wo die Vorwürfe derzeit nur so niederprasseln, haben die Sachsen in den Montagsdemonstrationen den Rechtsstaat erkämpft. Nun sollten wir ihm die Chance geben, seine Kraft zu zeigen.“

In Anspielung auf die Forderung der PDS, in den Akten genannte Justizmitarbeiter wie Norbert R. zu suspendieren, äußert der Minister, die Zeiten seien vorbei, als ohne Entscheidung eines unabhängigen Gerichts, allein gegründet auf Vermutungen, Hinweise und Gerüchte, menschliche Existenzen vernichtet wurden. „Damit hat unser Rechtsstaat seine größte Bewährungsprobe bereits bestanden.“

Ein einflussreicher Sozialdemokrat, der nicht genannt werden will, zweifelt jedoch genau daran. „Wir haben in der Öffentlichkeit eine enorme Erwartungshaltung geschürt. Wenn nun am Ende nicht genügend Schurken gefunden und verurteilt werden, weil sich vieles nicht gerichtsfest machen lässt oder weil manches schon verjährt ist, wird das das Ansehen des Rechtsstaats untergraben und die extremen Ränder stärken.“

Text: F.A.Z.

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