Sonntag, 10. Juni 2007

Schwere Vorwürfe gegen westliche Militärs in Afghanistan

Brandbrief aus Kabul

Ein hochrangiger Militär wollte reden. Er schickte eine brisante Warnung an den Außenminister, kurz vor dem Attentat auf die deutschen Soldaten. Der Brandbrief ist jetzt MONITOR zugespielt worden."

Sie haben überlebt, viele andere in ihrem Dorf sind tot. Nach einem Luftschlag der Amerikaner, der eigentlich den Taliban galt. Wie viele zivile Opfer der Krieg in Afghanistan bisher gefordert hat weiß keiner genau. Einer will nun nicht länger schweigen. Einer, der die Wirklichkeit in Afghanistan tagtäglich erlebt. Es ist ein Appell, eine Warnung, geschrieben an den deutschen Außenminister, verfasst von einem deutschen Offizier, dem militärpolitischen Berater der Bundesregierung in Kabul.

Auszug aus dem Brief:"Es gibt keine Entschuldigung für das durch unsere westlichen Militärs erzeugte Leid unter den unbeteiligten und unschuldigen Menschen."

Immer noch spricht die NATO in Afghanistan von Stabilität und Wiederaufbau, mit Hilfe der Bundeswehr. Schulen, Brücken, Krankenhäuser. Im Internet inszeniert das Militärbündnis seinen Einsatz als humanitäre Erfolgsgeschichte.

Ein Ort nördlich der Hauptstadt Kabul: Nach einer Operation der NATO geführten ISAF-Truppen. Zerstörte Dörfer, getötete Zivilisten. Der Krieg gegen die Taliban wird nicht nur von den amerikanischen Anti-Terror-Einheiten immer brutaler geführt, sondern auch von der ISAF. Der Anspruch der NATO und die Wirklichkeit eines schmutzigen Krieges. Der militärpolitische Berater der Bundesregierung erhebt schwere Vorwürfe, auch gegen die NATO-Truppen.

Auszug aus dem Brief: "Ich gerate zunehmend in Widerspruch zu dem, wie die eigenen westlichen Truppen in Afghanistan agieren. (...) Es ist unerträglich, dass unsere Koalitionstruppen und ISAF inzwischen bewusst Teile der Zivilbevölkerung und damit erhoffte Keime der Zivilgesellschaft bekämpfen."

Britische Soldaten in der Region Helmand im Süden des Landes. Das Mandat der ISAF-Truppen wurde mehrfach ausgeweitet. Längst sind die NATO-Einheiten im Süden und Osten des Landes zur kriegsführenden Partei geworden. Täglich Gefechte gegen Aufständische und immer wieder Luftangriffe mit verheerenden Folgen, wie Hilfsorganisationen kritisieren.

Martin Bröckelmann-Simon, Kath. Hilfswerk "Misereor": "Wir beobachten schon eine Radikalisierung der Kriegsführung. Vor allen Dingen in dem Sinne, dass die Zahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung wächst."

Bild: Martin Bröckelmann-Simon, Kath. Hilfswerk 'Misereor'; Rechte: WDR-Fernsehen 2007

Der militärpolitische Berater der Bundesregierung spricht in seinem Brief von Verstößen gegen das Kriegsvölkerrecht.

Auszug aus dem Brief: "Westliche Jagdbomber und Kampfhubschrauber verbreiten Angst und Schrecken unter den Menschen (...) Wir sind dabei, durch diese unverhältnismäßige militärische Gewalt das Vertrauen der Afghanen zu verlieren."

Martin Bröckelmann-Simon, Kath. Hilfswerk "Misereor: "Ich glaube, der Mann hat Recht! Der Mann beschreibt aus dem Innern des Apparates heraus, wenn man es mal so sagen will, eine emotionale Lage und eine Wahrnehmung innerhalb der afghanischen Bevölkerung, die absolut realistisch ist."

Ihr Zorn gilt den westlichen Truppen. Jalalabad im Osten, März 2007. 19 unschuldige Menschen starben im Kugelhagel, 50 wurden verletzt. Hier waren es die Amerikaner, doch die Wut der Afghanen richtet sich längst auch gegen die ISAF-Soldaten aus Europa. Unter welchem Befehl Zivilisten zum Opfer werden macht für sie keine Unterschied. Nicht in Jalalabad, nicht in Herat. Hier starben nach offiziellen afghanischen Angaben im April 50 Menschen bei Kämpfen und Luftangriffen. Taliban? Aufständische? "Da waren keine Taliban", sagt dieser Mann. "In meiner Familie wurden 10 Menschen getötet." Für die westlichen Militärs sind solche zivilen Opfer bedauerliche Folgen erfolgreicher Militärschläge im Anti-Terror-Kampf. Für den militärpolitischen Berater der Bundesregierung sind diese offiziellen Verlautbarungen Kriegspropaganda.

Auszug aus dem Brief: "Ich stelle dabei zunehmend fest, dass die militärische Lage unzulässig geschönt dargestellt wird. Auch deutsche Generäle beschönigen oder verschweigen eigene Probleme."
Bild: Militärfahrzeug der Bundeswehr; Rechte: WDR-Fernsehen 2007

Die Bundeswehr im Norden des Landes. Nach den jüngsten Anschlägen droht auch sie sich immer tiefer in den Kriegswirren zu verstricken. Viele Aufbauprojekte sind gefährdet. Und die Deutschen agieren keineswegs nur im Norden. Auch bei solchen Militärschlägen im Süden tragen deutsche Generäle Verantwortung. Im ISAF-Hauptquartier bestimmen sie mit über den eskalierenden Krieg im Süden des Landes. Doch was hat dieser Krieg noch mit dem Mandat der UNO und den Beschlüssen des deutschen Bundestags zu tun, die dem Einsatz in Afghanistan klare Grenzen gesetzt haben? Was ist mit Wiederaufbau und Stabilität?

Der militärpolitische Berater in Kabul appelliert eindringlich an den deutschen Außenminister, jetzt zu handeln!

Auszug aus dem Brief:"Das Militär droht sich zu verselbstständigen und von den politischen und völkerrechtlichen Vorgaben zu lösen. (...) Sorgen Sie bitte mit Ihren politischen Verbindungen dafür, die Militärs in die Schranken zu weisen!"

Am Hindukusch wollte Deutschland Sicherheit und Frieden schaffen. Jetzt herrscht Krieg und Chaos in Afghanistan. Der Brief des eigenen Beraters liegt dem Auswärtigen Amt vor. Kommentieren wollte ihn Außenminister Steinmeier nicht.

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