Japan - Für immer mehr junge obdachlose Menschen in Tokio wird die Kabine eines Internet-Cafés zum Schlafzimmer, weil sie sich die hohen Mieten in der Millionen-Metropole nicht leisten können. Einige Café-Betreiber bieten den armen Menschen inzwischen sogar eine Dusche an. 
  
         Foto: AP         Eines der vielen Internet-Cafés in Tokio. Fast alle haben durchgehend 24-Stunden geöffnet
       Es ist schon fast Mitternacht, als Ryo es sich in seinem Lehnsessel bequem    macht. Eine Kanne Tee und ein Päckchen Zigaretten liegen neben ihm, morgen    früh muss er wieder auf der Baustelle sein. So lange ist die Kabine des    Internet-Cafés mit dem flimmernden Monitor und dem Fernseher sein Zuhause. 
Ryo, der seinen vollständigen Namen nicht nennen möchte, gehört zu einer    wachsenden Zahl von Menschen in Japan, die nach Ansicht von Experten fast    eine neue soziale Schicht bilden. Es sind junge, arme Japaner, die in den    billigen und rund um die Uhr geöffneten Internet-Cafés übernachten, um einem    Leben ganz auf der Straße zu entgehen. Der 30-jährige Ryo übernachtet hier    fünf Tage in der Woche, am Wochenende lebt er bei einem Freund. 
"Internet-Café-Flüchtlinge"
   Es gibt zwar keine verlässlichen Zahlen, die schon als "Internet-Café-Flüchtlinge"    bezeichnete Personengruppe ist inzwischen aber schon so groß, dass das    japanische Gesundheitsministerium an einem Bericht zur Situation in den 1300    Internet-Cafés des Landes arbeitet. Im vergangenen Jahr infizierten sich 13    Menschen in einem solchen Laden westlich von Tokio mit Tuberkulose. Die    Behörden vermuteten, dass die Erkrankung von den Obdachlosen dort ausging. 
   "Dieses Phänomen wirft viele Fragen auf, soziale, gesundheitliche und    auch zum Arbeitsschutz", sagt Tomohiro Uchino von der    Sozialamtsabteilung des Gesundheitsministeriums. "Das Problem ist, dass    wir noch kein genaues Bild haben, wie viele Menschen betroffen sind und was    die Regierung tun kann." Hintergrund dieser Entwicklung ist die    wachsende Zahl vor allem junger Menschen, die keine feste Arbeit haben,    sondern die sich von einem Job zum nächsten hangeln. Es sind vermutlich    inzwischen schon mehr als zwei Millionen. Sie sind auch ein Produkt der    Wirtschaftskrise, die Japan vor einem Jahrzehnt erfasste, und einer sich    wandelnden Einstellung gegenüber der traditionellen Arbeitsethik. 
Mietwohnungen sind vielen zu teuer
   Ryo erklärt, er sei praktisch durch seine Liebe zur Reggae-Musik obdachlos    geworden. Er sei dabei auch in die USA gereist, um Musiker kennen zu lernen,    bis seine Ersparnisse aufgebraucht waren. Und in einer Stadt wie Tokio, in    der selbst ein kleines Zimmer nur selten weniger als umgerechnet rund 600    Euro im Monat kostet, ist es für Menschen wie Ryo einfach billiger im    Internet-Café zu übernachten, was einen Bruchteil davon kostet. Einige der    Läden bieten auch kostenlose alkoholfreie Getränke, manche sogar eine Dusche. 
   Die "Internet-Café-Flüchtlinge" sind die moderne Version    der Tagelöhner, die die japanischen Städte in den Boomjahren in den 60er    Jahren bevölkerten. Es war eine Unterschicht, die in billigen Herbergen    übernachtete, um dann am nächsten Tag auf der nahe gelegenen Baustelle zu    arbeiten. Heute wird der Job über das Handy ausgemacht. "Manche    Arbeitsvermittler rufen am Abend vorher an oder schicken eine E-Mail",    sagt Makoto Yuasa, der ein Obdachlosenzentrum in Tokio leitet. "Es sind    meist Fabrik-Jobs, die keine Perspektive bieten", sagt Yuasa. 
Obdachlosigkeit besonders unter jungen Menschen
   Einer offiziellen Untersuchung von Anfang des Jahres zufolge gab es in Japan    18.500 Obdachlose, die meisten davon waren 40 Jahre oder älter. Rein    statistisch war es ein Rückgang um 27 Prozent im Vergleich zu einer Studie    vier Jahre zuvor. Das Phänomen der "Internet-Café-Flüchtlinge"    zeige aber, dass es dahinter eine versteckte Form der Obdachlosigkeit    besonders unter jüngeren Menschen gebe, die bislang nicht erfasst wurde,    erklärt Yuasa. 
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen