Die Protestler in den Camps machen sich über das, was „schwarzer Block“ genannt wird, bisweilen lustig. Sie leugnen seine Existenz. Sie sagen, der schwarze Block sei eine Legende. Schon am Dienstagabend trugen Clowns und andere Demonstranten aus dem Camp Wichmannsdorf einen schwarzen Pappkarton in das Ostseebad Kühlungsborn. „Der schwarze Block“ riefen sie, ließen den Karton über ihre Köpfe wandern und sperrten immerhin zwei schwarz gekleidete Demonstranten hinter ein Absperrband. Mehr schwarze Gestalten aus dem Camp nahmen an dem Protestzug nicht teil - anscheinend war das nichts für sie.
Spiel und Ernst
Es war nur ein Spiel, doch der Protest ist nun einmal nicht nur friedlich, auch wenn die meisten Demonstranten Gewalt ablehnen. Die Gewalt der Autonomen existiert, das Problem ist nicht zu leugnen. Die geworfenen Steine des „schwarzen Blocks“, das Tränengas und die Wasserwerfer der Polizei - diese Bilder bleiben hängen, nicht die von den friedlichen Protesten und von Deeskalation.
Dass Gewalt von schwarz gekleideten Autonomen ausgeübt wird, haben die Demonstrationen und Straßenblockaden in den vergangenen Tagen deutlich gezeigt. Über Wälder, Felder und Wiesen hinweg, durch Gräben hindurch waren die Protestler von Camp Reddelich aus auf die Zufahrtstraßen nach Heiligendamm gelangt, hatten die Sperrzone durchbrochen und es bis zum symbolträchtigen Zaun geschafft. Mehrere tausend Demonstranten blockierten die Zufahrten, ließen sich auf der längsten Lindenallee Deutschlands nieder, skandierten „Wir sind friedlich, was seid ihr?“ oder „Wir lassen uns nicht aufhalten“. Doch an der Spitze der Demonstrationszüge liefen die schwarzen Gestalten mit den Kapuzenpullovern, mit den schwarzen Flaggen mit Anarchie-Symbolen und den hinter Tüchern verborgenen Gesichtern.
Die schwarzen Gestalten, die zum Teil Steine warfen, sorgten dafür, dass am Mittwochabend unisono zu lesen war, dass die Gewalt in Heiligendamm wieder einmal eskaliert sei. Auch wenn die Vorfälle nicht mit denen von Rostock zu vergleichen sind.
„Wir schützen die Rechte der Demonstranten“
Der Name „Schwarzer Block“ entstand in den siebziger Jahren, nachdem sich Autonome auf Demonstrationen selbst so nannten. Medien und Politik übernahmen die Bezeichnung. 1981 ermittelte die Staatsanwaltschaft Wiesbaden gegen Autonome, die in Frankfurt-Nied ein Bahnbetriebswerk besetzt hatten, wegen „Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung schwarzer Block“. Seitdem werden sie so genannt, die schwarzen Gestalten, die zwar erheblich in der Minderheit sind, aber von der linken Szene weitgehend akzeptiert werden. Oft fehlt eine klare Distanzierung.
Namen will niemand preisgeben. „Herr Mustermann“, wollen drei Norddeutsche genannt werden, die zusammen mit fünfzehn anderen nach Heiligendamm gekommen sind. In Rostock haben sie Steine geschmissen, nun sind sie im Camp Reddelich, um gegen den G-8-Gipfel zu demonstrieren. Der Block sei keine Organisation, sagen sie, sondern eine Art von Protest, die keiner kontrollieren könne. „Warum darf die Polizei sich vermummen und wir nicht?“, fragen sie. Der Polizei werfen sie vor, die Eskalation in Rostock ausgelöst zu haben. Und liefern anschließend ihre Legitimation für ihr Tun: „Ohne den schwarzen Block hätte die Polizei zu viel Macht. Der schwarze Block schützt die Rechte der Demonstranten.“
Schwarzer Block - das sind zumeist Männer und Frauen zwischen 16 und 30 Jahren, aber manchmal verbergen sich hinter den Tüchern und Mützen auch Ältere. Es gibt keine festen Organisationsstrukturen, man findet sich über die Kleidung und sieht, wer zusammengehört. Die drei Mustermänner sagen, es gebe keine großen schwarzen Gruppen, die geschlossen auf Demonstrationen führen. Vielmehr setze sich der schwarze Block aus Freunden, kleinen Autonomen-Zirkeln aus unterschiedlichen Städten oder Einzelpersonen zusammen.
Spontan koordinierte Treffen
Nicht einmal abgesprochen seien die Treffen, sagen die drei. Und genau das macht es schwierig für die Polizei, frühzeitig gegen den „schwarzen Block“ vorzugehen. Auf Demonstrationen aber läuft die Kommunikation der Chaoten viel besser. Dann werden Neuigkeiten per Funkgerät übermittelt und Aktionen am Handy abgesprochen. Neue Blocker schreiben ihre Handynummern sogar mit Edding auf den Unterarm.
So mag man auch am Mittwoch in Kontakt gekommen sein, als etwa 30 Vermummte eine Natodrahtabsperrung einige hundert Meter vor dem östlichen Zugangspunkt nach Heiligendamm zerstörten. Unterstützung bekamen sie von anderen Protestlern, wurden angespornt, als sie mit Kneifzangen, Lederhandschuhen und „Fuck You“-Rufen an ihr Werk gingen. Eine Viertelstunde dauerte es, dann waren fünfzig Meter der Absperrung abgerissen. Hundert andere schaulustige Demonstranten jubelten. Der Zaunabriss war zum Sinnbild einer ansonsten friedlich verlaufenden Blockade-Aktion geworden.
Ein 26 Jahre alter Mann aus Nordrhein-Westfalen war während der Aktion dabei. Mit verspiegelter Sonnenbrille, die seine Augen verdeckte, und einem schwarzen Tuch, das den Mund und den Dreitagebart verhüllte. „Um sich vor der Polizei zu schützen“, sagt er. Noch ein „Herr Mustermann“.
„Wir sind Individuen“
„Wir begehen auch nicht mehr Gewalttaten als die Polizei“, behauptet er. Und keiner, der komme, habe von vornherein vor, gewalttätig zu werden. Das seien die Krawalltouristen, die mit Autonomen nichts zu tun hätten. „Es ist falsch, von dem schwarzen Block zu sprechen. Wir sind Individuen, und nicht alle greifen zu Gewalt.“
Zudem werde nicht jede Form von Gewalt toleriert. „Die Fünf, die am Samstag einen Polizeiwagen angegriffen haben, wurden danach von Leuten aus dem Block zur Rechenschaft gezogen.“ Was immer das heißen mag. Dann sagt der Mann noch, dass die vom schwarzen Block keine Soldaten seien, dass sie nie marschieren würden. Das ist ihm wichtig. Der Unterschied zwischen Gehen und Marschieren. Doch am Zaun rannte er, als jemand rief: „Die Bullen kommen“. Er versteckte sich in der Menge, zwischen Deutschen, Italienern, Spaniern, Engländern und Franzosen. Der Block ist international, wie der ganze Protest in Heiligendamm.
Jeder habe das Recht, auf eigene Art zu demonstrieren, sagen die Demonstranten in den Lagern. Doch gehört Steine werfen dazu? „Man kann nicht sagen, der Block findet Gewalt geil“, sagen die drei jungen Männer aus Norddeutschland. Jeder habe eigene Gründe, sich der schwarzen Bewegung anzuschließen. Ihnen gehe es darum, Herr über sich selbst zu sein und sich von niemandem vorschreiben zu lassen, wie sie zu handeln haben. Der Block laufe nicht weg, sagen sie stolz, er wehre sich. Keiner werde gezwungen, teilzunehmen. Jeder könne selbst entscheiden, wie weit er gehen wolle. Und manche, das zeigte sich in Rostock und auch wieder in Heiligendamm, gehen dabei sehr weit.
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