Frau Böttinger, was ist besser: der Christopher Street Day oder der Kölner Karneval?
Karneval ist unpolitisch, da kann ich mich gehen lassen. Dagegen ist der Christopher Street Day, der CSD, mehr als der Kampf um die schönste Tuntenverkleidung. Mir persönlich gehen die Teilnehmer auf die Nerven, denen es nur auf das schrillste Kostüm und den Spaß ankommt. Es ist ein Zug des Selbstbewusstseins von Lesben und Schwulen.
Können Sie sich an Ihren ersten CSD erinnern?
Ja, das muss Mitte der 90er Jahre gewesen sein. Ich stand als Zuschauerin in der Südstadt, das ist ein urköllsches Viertel. Das Wetter und die Atmosphäre waren wunderbar. Ich musste sehr lachen über ein altes, ganz in Schwarz gekleidetes Mütterchen, das nicht wusste, was das schwule „Aloha“ bedeutet.
Was bitte bedeutet das schwule „Aloha“?
Man streckt den Arm aus und knickt die Hand etwas nach unten ab. So veräppelt man den Karneval. Das Mütterchen hat das nicht so ganz verstanden. Ihre Geste erinnerte fatal an den Hitlergruß, aber sie rief dazu unablässig „Aloha“. Rührend war das!
Sie sagen, Sie waren nur Zuschauerin …
Ich habe noch nie aktiv am Zug teilgenommen. Ich bin ja beim Karneval auch nicht oben auf dem Wagen. Nicht, dass Sie mir fehlendes Engagement unterstellen.
1969, da waren Sie 13, wurde der von den Nazis noch verschärfte Paragraf 175 wieder abgemildert, der homosexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen unter schwere Strafe stellte. Erst 1994 wurde er abgeschafft. Hat dieser Paragraf Ihr Leben beeinflusst?
Nein, überhaupt nicht. Das Gesetz bezog sich ausschließlich auf männliche Homosexualität. Frauen kamen da nicht vor. Der Gesamtbereich der Homosexualität wird sowieso viel zu häufig von Männern dominiert. Das öffentliche Bewusstsein ist in dieser Hinsicht unterentwickelt. Wenn es heute darum geht, wer Homosexualität offen leben kann, sind das meist Schauspieler und Fernsehmoderatoren, gelegentlich auch Bürgermeister.
Ist man nicht anfälliger für Skandale, wenn man in der Öffentlichkeit steht?
In diesen Berufen besitzt man per se eine gewisse Exotik, diese andere Art von Libertinage wird eher akzeptiert. Eine Grundschullehrerin steckt da in einem engmaschigeren sozialen Netz. Für sie ist es unter Umständen schwieriger, sich über soziale „Konventionen“ hinwegzusetzen.
Berlin und Hamburg werden von schwulen Bürgermeistern regiert. Wann gibt es die erste lesbische Bürgermeisterin?
Ich bin sicher, dass wir bereits irgendwo eine haben. Ich bin mir übrigens auch sicher, dass in vielen Bereichen Frauen, die beruflich erfolgreich sind, Frauenbeziehungen leben. Das hat nicht nur mit der sogenannten Veranlagung zu tun, sondern auch damit, dass selbst bestimmte Frauen irgendwann keine Lust mehr haben, sich zu Hause in ein klassisches Mann-Frau-Schema zu fügen.
Als Annette Schavan vor zwei Jahren als CDU-Kandidatin für das Amt der Ministerpräsidentin von Baden-Württemberg zur Debatte stand, wurde das Gerücht gestreut, sie sei lesbisch, um sie zu diskreditieren.
Mit Verlaub: Das ist eben der kleine Unterschied. Bei Männern lässt man Homosexualität eher durchgehen. Wenn Frauen jedoch mit ihrer Lebensweise Männer für verzichtbar erklären, dann machen sie sich bei Männern nicht gerade beliebt.
Sie selbst hatten auch Männerbeziehungen.
Ich glaube, die allermeisten Homosexuellen hatten vorher auch andere Beziehungen.
Wie war das für Sie: zu merken, dass Sie eigentlich etwas anderes wollen?
Ach, das ist schon so lange her.
Können Sie uns einen Zeitpunkt nennen, als Männer nicht mehr für Sie interessant waren?
Die Frage ist mir eigentlich zu persönlich. Aber gut: Sagen wir, mit Ende 20 war das Thema durch. Schwer war es für mich schon vorher, Mitte der 70er Jahre. 1974 gab es den Prozess gegen Judy Anderson und Marion Ihns. Die beiden Frauen hatten ein Verhältnis miteinander. Dummerweise war Marion Ihns verheiratet – und das Problem lösten sie durch einen Auftragsmord. Es gab eine unglaubliche Medienkampagne, vor allem auf der ersten Seite der „Bild“ geführt. Es ging nur um „die lesbischen Monster und Hexen“. Zufällig passierte das, als ich in der Oberstufe meine erste Mädchenbeziehung hatte. Zu so einer Zeit ein Coming-out zu haben, wenn gleichzeitig eine gesellschaftliche Kampagne läuft, da wird man automatisch so klein mit Hut. Ich weiß, dass mein Leben da relativ exemplarisch ist. Letztlich habe ich mich aber immer durchsetzen können. Damals war das ein Grund, von der Schule zu fliegen.
Sie sind von der Schule geflogen?
Ich sollte, habe aber viele Gespräche geführt und war aufmüpfig. Dabei war ich einfach nur in eine Mitschülerin verliebt! Es kam zu einer Denunziation, es war mein erstes erzwungenes Coming- out. Das zweite kam dann 20 Jahre später ...
Harald Schmidt hat in seiner Sendung vier Bilder gezeigt: von der „Emma“, einer Flasche Eierlikör, einem Klodeckel und Ihnen. Die Auflösung des Bilderrätsels: Diese vier Dinge würde ein Mann niemals anfassen. Welches Zwangsouting war unangenehmer?
Sie waren, was den Grad der Verletzung betrifft, vergleichbar. Beide Mal habe ich mich gewehrt. Auf der Schule hat es sehr viele Diskussionen gegeben. Meine Direktorin wollte mich von der Schule verweisen. Mitschüler haben mir heimlich die „Bild“-Schlagzeilen auf das Pult gelegt. Mein Notendurchschnitt sank zwar dramatisch, so kurz vor dem Abitur, aber ich habe mir gesagt: Ich lass mich hier nicht kleinmachen! Ich will Germanistik und Geschichte studieren, ich brauche keinen Numerus clausus zu erreichen! Am Ende hat die Schule aufgegeben, ich konnte mein Abi machen.
Wie reagierte Ihre Mutter?
Sagen wir mal so: In der Phase war sie keine besonders große Stütze.
Gab es Lehrer, die Ihnen halfen?
Eine Lehrerin, und das war ausgerechnet die konservativste von allen. Wenn ich mir das Lehrerkollegium von damals ansehe, erinnere ich mich an den Film „Mädchen in Uniform“, den ich gerade im Fernsehen sah. Darin spielt Therese Giehse eine knorrige Anstaltsvorsteherin. So waren die Lehrer auf meinem Düsseldorfer Goethe-Gymnasium. Der Deutschlehrerin entgleisten die Züge, als ich ihr erzählte, was los war. Aber sie sagte: Wenn dem so ist, müssen Sie damit klarkommen – und wenn es nötig ist, unterstütze ich Sie. Das war eine schöne Erfahrung.
Und wie war es bei Schmidt?
Meine Reaktion war die gleiche: Ich wollte so mit mir nicht umgehen lassen.
Nach dem Abitur studierten Sie an der Universität Bonn. Die damals aktive linke Uniszene hat die Schwulen- und Lesbenfrage ignoriert.
Ich habe lange geschwankt, in welche Gruppe ich gehen sollte. Ich tendierte in Richtung des sozialistischen Hochschulbundes, ging oft in die Frauengruppen. Da wurde Sexualität allerdings nie thematisiert. Das Private war tabu. Es kristallisierte sich trotzdem irgendwie heraus, wer etwas mit Frauen hatte. Aber es lief eigentlich undercover.
Wo haben sich damals Lesben getroffen?
Ab den späten 70ern waren Frauen-Buchläden beliebte Treffpunkte. Sie gucken mich an wie ein Auto! Das war damals so! In Buchläden entstanden sehr viele Frauengruppen, unter anderem eine Lesbengruppe aus verschiedenen Fakultäten.
Was haben Sie da gemacht?
Wir diskutierten über klassische feministische Texte. Es gab die feministische Zeitschrift „Courage“ und seit 1976 die „Emma“, die schlug ein wie ’ne Bombe. Ein Fanal!
Gab es eine Disko für Lesben?
Es gab in Bonn ein Frauencafé. Mit zunehmender Dämmerung wurde daraus ein Club. Das war der Treffpunkt, wenn man jemanden kennenlernen wollte. Ich gehörte zu den Gründerinnen. Wir beschlossen, wir brauchen einen eigenen Raum – abgesehen vom Hörsaal E, so nannten wir den Erfrischungsraum. Normale Cafés waren zu teuer. Man ging nicht einfach in ein Café wie heute und trank Latte macchiato zu einem absurden Preis.
Schwule tauchten in den 80er Jahren in Filmen auf, in der Popmusik waren sie präsent.
Die meisten Lesbenfilme waren eher gut gemeint als gut. 1982 etwa kam „Weggehen um anzukommen“ in die Kinos. Der „Spiegel“ schrieb: Die Sexszenen erinnern an Bewegungsübungen einer Rheumaklinik. Das Problem war, der Spott war berechtigt. Natürlich warteten wir auf einen Paukenschlag, der unser Selbstbewusstsein stärkte. Aber es passierte nichts. Es gab nichts, was man auch ästhetisch akzeptieren konnte – wie zum Beispiel „Brokeback Mountain“ für die Schwulen. Ich nehme jetzt mal Ihre nächste Frage vorweg …
… bitte, interviewen Sie sich ruhig selbst …
… Wo waren eigentlich die Frauen?
Sie hatten weder in der Kunst noch in der Politik viel zu melden. In den politischen Gruppen an der Uni wurden sie auch unter den Teppich gekehrt. Wenn es darauf ankam, durften sie Kaffee kochen – auch bei den Schwulen. Ich habe von den schwul-lesbischen Aktionsbündnissen nie viel gehalten. Ein gemeinsamer Kampf um die Rechte der Homosexuellen muss zwar geführt werden, trotzdem sind Frauen grundsätzlich in einer anderen Situation als Männer.
Ja?
Ich gebe Ihnen ein hübsches Beispiel. Ich habe für den Völklinger Kreis eine Veranstaltung moderiert und ...
… das ist der Berufsverband für homosexuelle Führungskräfte …
… der Sänger Rainer Bielfeldt trat auf, alles war Friede, Freude, Eierkuchen. Auf einmal kam ein homosexueller Politiker aus dem Saarland zu mir, er hatte schon leicht einen im Tee, und sagte: Eines könnt ihr Frauen sowieso nicht ändern – wir haben nun einmal das bessere Bindegewebe.
Sie lachen.
Inzwischen lache ich, ja. Doch darin steckt ein gewisser Kern. Wenn ein Mann unter Alkoholeinfluss so etwas sagt, wird er das nüchtern vielleicht nicht sagen. Denken schon. Manche Männer glauben heute noch, sie hätten die Homosexualität für sich gepachtet.
1990 hat sich Hella von Sinnen geoutet, drei Jahre später die Schauspielerin Maren Kroymann. Hat Ihnen das Auftrieb gegeben?
Ich erinnere mich an den „Stern“-Titel mit Hella von Sinnen und der Schlagzeile: Ich werde Cornelia heiraten. Ich finde es grundsätzlich gut, wenn Frauen – oder auch Männer – auch öffentlich zu ihrer Lebensweise stehen.
Im selben Jahr war auch der Tag des Standesamtes.
Das war eine große Aktion, wo vor vielen Standesämtern Schwule und Lesben aufmarschierten. Das führte dazu, dass sogar Michael Schanze ein Lesben- und ein Schwulenpaar in seine Sendung „Flitterabend“ einlud. Ich war Redaktionsleiterin von „Hier und Heute“, und die „Aktuelle Stunde“ berichtete. Da kam ein Redakteur und fragte schüchtern, ob ich den Kommentar sprechen wolle. Ich habe ja nie ein Geheimnis draus gemacht und nie zu den Leuten gehört, die auf offiziellen Empfängen einen Heterodummy mitbringen. Wenn es journalistisch darauf ankam, hab ich immer Farbe bekannt. Mein Kommentar war laut und deutlich. Es war allen klar, dass da eine spricht, die betroffen ist.
2001 wurde von der rot-grünen Koalition das Partnerschaftsgesetz verabschiedet. War das für Sie ein Grund zur Freude?
Schwule und Lesben sollen Romantizismen bedienen, aber vom Erb- und Steuerrecht und Adoptionsrecht bleiben wir ausgeschlossen. Ein fauler Kompromiss.
Sie waren mit 34 Jahren die jüngste Redaktionsleiterin im WDR. War es schwerer, als Frau in eine solche Position zu kommen?
Nein. Man wusste, dass ich mit großer Begeisterung arbeite, dass ich ziemlich unbegrenzt belastbar war – das hat jeder Arbeitgeber gern.
Maren Kroymann hat einmal gesagt: „Eine Lesbe im Vorabendprogramm – das wollten die Programmmacher den Bundesbürgern nicht zumuten.“ Nach ihrem Coming-out habe sie zunächst keine Rollenangebote mehr bekommen.
Manche Regisseure und Drehbuchautoren haben Rollenklischees im Kopf und können sich nicht vorstellen, dass eine Lesbe bei „Oh Gott, Herr Pfarrer“ einen Mann küssen kann.
Sind Sie jemals in Ihrem Job diskriminiert worden?
Das weiß ich nicht so genau, denn zum Wesen der Diskriminierung gehört, dass man sie schlecht nachweisen kann. Jedenfalls bin ich so gar nicht blond, relativ lang und habe auch noch eine große Klappe. Viele Männer kommen damit wunderbar klar. Andere weniger – nämlich diejenigen, die von einer Frau erst mal ein Unterwürfigkeitsritual erwarten, ein Flirtgehabe, bevor es um die Sache geht. Für solche Männer bin ich ein rotes Tuch.
Sie übertreiben.
Nein. Ich stellte mich mal einem neuen Chef vor und wusste schon, das wird nix, als ich noch im Türrahmen stand. Der Gute war gerade mal 1,65 groß und wirkte etwas verklemmt. Ich dachte: Jetzt sieht er auch, dass ich 1,80 bin. Ein andermal kam ich total gestresst aus einer Besprechung, da sagte meine Kollegin: Mensch, mach dich nicht verrückt, der guckt eben seiner Kollegin lieber mal ins Dekolleté, als mit ihr zu diskutieren. Ist so. Gucken Sie sich doch bitte mal an, mit welchen Frauen männliche Führungskräfte aufschlagen. Ich gucke mir unheimlich gerne Ehefrauen an. Ein wirklich gleichberechtigtes Paar kann man lange suchen.
Was für ein Klischee!
Ja, aber Klischees entstehen nicht aus dem Nichts, sondern aus einer Verdichtung von Lebenserfahrung. Männer erwarten von den Frauen an ihrer Seite nur selten, dass sie auf Augenhöhe sind. Das ist vielleicht der Grund dafür, dass durchaus erfolgreiche Frauen immer noch meinen, betonen müssen, dass zu Hause der Mann das Sagen hat.
Sie haben mal gesagt, in all den Jahren als Moderatorin hätten Sie eine unglaubliche Menschenkenntnis gewonnen.
Es gibt Menschen, die das stark bezweifeln. Wie meine Lebensgefährtin.
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