Mittwoch, 10. März 2010

Und am Ende gibt´s (k)ein Trinkgeld: Professionelle Stadtführung oder günstige Unterhaltung?

"Ähm, jetzt habe ich komplett den Faden verloren ... ", erklärt der Mann sichtlich irritiert, und ich denke nur: Würde mir auch so gehen. Gerade nehme ich an einer von Sandeman´s beliebten New Europe Tours teil und werde von John (Name geändert) durch die wichtigsten Stationen der Geschichte Madrids geführt. Insgesamt sind wir an die 12-14 interessierte Touristen. Und dann sind da noch einige andere Teilnehmer, die scheinbar aber schon einen recht guten Überblick über die Stadt haben und hin und wieder ein paar altkluge Kommentare vom Stapel lassen. Warum machen die eine Stadtführung mit, wenn sie sich schon so hervorragend auskennen? Bei genauerem Hinsehen fällt der Blick auf die kleinen Schilder, auf denen etwas in die Richtung "offizieller Tourist Guide" zu lesen ist. Die Schildträger machen zahlreiche Fotos von John und unserer kleinen Gruppe, ein paar von ihnen nehmen sogar die gesamte Tour mit der Digitalkamera auf. Nur während der halb-stündigen Pause in einem lokalen Restaurant kann ich keines ihrer Gesichter erspähen - und registriere beim Verlassen des Lokals, dass sie in der Bar gegenüber auf die Fortsetzung der Tour gewartet haben.

Freie Stadtführung auf Trinkgeld-Basis

John, Schauspieler und Madridliebhaber, arbeitet als unabhängiger Tourist Guide und bekommt seine "Aufträge" über die Firma Sandeman´s. Diese wurde von Chris Sandeman ins Leben gerufen und bietet seit 2004 ihre "Free Tours" an: Zunächst in Berlin, mittlerweile in weiteren Städten wie London, Paris, Tel Aviv, München, Amsterdam - und eben auch Madrid. "Wir wollen jedem die Möglichkeit geben, Madrid zu erleben, egal was der Geldbeutel hergibt", stellt Sandeman´s seine Konzeptidee vor. John und die anderen Guides arbeiten unentgeltlich und bieten die Tour "for free" an. Pro Teilnehmer zahlt John 3,- €uro an Sandeman´s. Am Ende der Tour kann jeder Teilnehmer entscheiden, ob ihm die Tour gefallen hat und er Trinkgeld geben möchte. Das darf John dann auch behalten. Die Tour endet, als wir am Plaza de la Cortes ankommen. Jeder von uns zückt wie selbstverständlich sein Portemonnaie, mehrere klopfen John lobend auf die Schulter und bedanken sich - ein sichtlich begeisterter Mann sogar mit einem 20€ Schein. Ich meine zu sehen, wie der ein oder andere dabei einen verärgerten Blick in Richtung Schildinhaber-Truppe wirft. Die waren wirklich die ganze Tour über dabei und haben Kaugummi kauend versucht, John aus dem Konzept zu bringen. Hinter der nervigen Sabotage-Aktion steckt wohl deutlich eine gute Portion Frust.

Studierte Touristenführer bangen um ihren Beruf

"Wir sind Professionelle, sind für diesen Beruf auf die Universität gegangen und mussten Prüfungen ablegen.", bemerkt eine der offiziellen Tourist Guides gegenüber dem Madrider Lokalblatt "Qué!". Der Ärger über die "unprofessionnellen" Tourist Guides von Sandeman´s sitzt tief. Zwar verlieren die offiziellen Gruppen-Guides nicht direkte Kundschaft, weil bei Sandeman´s meist einzelne Touristen teilnehmen, die sonst wohl die Stadt auf eigene Faust erkunden würden, aber der Beruf des Touristenführers ist durch die Free Guides - meist auf Zeit arbeitende Studenten - gefährdet. Wenn ein ausländischer Student eine Führung durch Madrid geben kann, und das noch dazu auf eine interessante Weise, was braucht man dann noch studierte Touristenführer? Diejenigen, die eben diese Ausbildung hinter sich gebracht haben, kennen die Antwort. Sie haben sich jahrelang mit dem Thema Tourismus beschäftigt, haben die Stadt nahezu "erforscht", um den Touristen den bestmöglichen Einblick in Geschichte, Kultur und Architektur bieten zu können. Wahrscheinlich haben sie auf so ziemlich jede Frage eine passende Antwort parat, und sie können durch ihre Praxis-Erfahrung und Stadtkenntnisse auf die Wünsche und Kommentare der Teilnehmer eingehen. Das würde man zumindest erwarten, ginge man nach dem Spruch "Qualität hat seinen Preis".

"Das kann man ja auch im Internet lesen"

Verständlich also, wenn man sich nach jahrelanger Ausbildung auch im Recht auf Arbeit sieht. So wie John momentan eine hat. Noch dazu eine, in der er richtig aufzugehen scheint. Gerade erzählt er von seiner ersten Schauspielrolle in einem Hollywoodfilm, der in Madrid gedreht wurde. Mit Hand und Fuss teilt er aufgeregt seine Erfahrungen, die er in einen geschichtlichen Kontext einbettet. Ob die Geschichte von dem verzweifelten Mädchen, dass sich von einer Brücke stürzte und von ihrem fliegenden Rock gerettet wurde, wahr ist? Wer weiss das schon. Aber wenn John anfinge, länger als 5 Minuten geschichtliche Fakten zu erzählen, würde ich abschalten. "Das kann man ja auch im Internet lesen", sagt einer der Teilnehmer zu mir. Er freut sich, als wir in Richtung des Lokals "Cerveceria 100 Montaditos" aufbrechen, wo wir eine Essenspause einlegen. "Hier kann ich ja mal mit Freunden hingehen", denke ich mir. Meine Tischnachbarn scheinen die kleinen Brötchen zu geniessen und Hunger gehabt zu haben.

"Kostenlose" Unterhaltung auf Zeit

"Unsere Guides geben immer ihr Bestes, und würden nie ein Trinkgeld einfordern.", liest man auf der Homepage von Sandeman´s. Druck ist von Johns Seite aus auch nicht zu spüren - er scheint eher erleichtert zu sein, die Tour nach den dreieinhalb Stunden Kritiker-Beobachtung endlich zu beenden. Trotzdem gibt er noch bereitwillig Auskunft, als ihn eine der Teilnehmerinnen nach dem Weg zum Prado fragt. Die offziellen Tourist Guides verabschieden sich bald darauf. Abgeschreckt haben sie weder John, noch einen der Teilnehmer vom Weitermachen. Aber ein Zeichen haben sie deutlich gesetzt: Glücklich sind sie nicht über ihre Situation. Klar, dass die allgemeine wirtschaftliche Lage den Frust auf derartige Konkurrenz verdoppelt. Und wenn ich über die Tour reflektiere, sind mir doch einige Stationen der Zeitreise unklar geblieben. Ob die ausgebildeten Tourist Guides da einen besseren Job getan hätten? Eigentlich "wartet er noch auf seinen grossen Durchbruch als Schauspieler," bemerkt John zwischendurch. Beinahe-Hollywood-Unterhaltung hat seine Tour allemal geboten und gesehen habe ich auch einiges ... also gebe ich ihm ein meiner Beurteilung nach angemessenes Trinkgeld. "For free" war die Tour für mich dann doch nicht ganz. "Naja, täglich durch die Stadt rennen und Leute für lau unterhalten - das würde ich auch nicht machen. Schon gar nicht für immer", denke ich mir noch, bevor ich mich auf den Rückweg mache.


 

Esther Spari
 
Von Berlin mit ERASMUS in den Süden Spaniens. Land und Leute ins Herz geschlossen, also noch ein Weilchen länger geblieben. Auf ging´s nach Madrid, zurück hinein ins Grossstadtleben!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen