Die Kanzlerin stellt ihren Außenminister bloß. Sie wirbt vor ihrer Türkei-Reise für eine privilegierte Partnerschaft, ganz anders als Westerwelle.
Es war ein peinlicher Momente in Guido Westerwelles noch kurzer Amtszeit als Außenminister. Westerwelle war im Januar in Ankara, zum Antrittsbesuch in der Türkei. Zu Hause, in Kreuth, spielte die CSU mal wieder verrückt. Sie forderte von Westerwelle den sofortigen Abbruch der türkischen Beitrittsverhandlungen mit der EU. In dieser hitzigen Atmosphäre wurde er von türkischen Journalisten gefragt, was er eigentlich vom Vorschlag der Christdemokraten einer privilegierten Partnerschaft halte. Ob die neue Bundesregierung etwa nicht mehr für faire und ergebnisoffene Beitrittsverhandlungen der Türkei stehe.
Westerwelle verneinte: Er halte an der türkischen EU-Perspektive fest. Ausdrücklich lobte er Fortschritte, die die Türkei zuletzt gemacht hat. Da die Türken ihn offenbar ungläubig anschauten, versicherte Westerwelle, das Kinn nach oben gereckt: "Was ich sage, zählt". Er spreche für die Bundesregierung, "nicht als Privatmann". Er sei hier "nicht als Tourist in kurzen Hosen unterwegs".
Nun, zweieinhalb Monate später, stellt sich die Frage, inwiefern der Außenminister in Ankara wirklich für die Bundesregierung gesprochen hat. Angela Merkel jedenfalls, die an diesem Montag für zwei Tage in die Türkei reist, hat vor ihrer Abfahrt keinen Zweifel daran gelassen, dass sie das Gegenteil von dem bevorzugt, was Westerwelle in Aussicht gestellt hat. Für ihre Verhältnisse ungewöhnlich deutlich sagte Merkel dem Deutschlandfunk und anderen Medien: Sie sei "eher für eine privilegierte Partnerschaft", eben für das alte Unionskonzept, das zwar eine enge Bindung zwischen EU und Türkei vorsieht, aber eben keine Mitgliedschaft.
Merkel hat ihrem Außenminister damit die Badehose angezogen. Seiner bisherigen Türkei-Politik hat sie nicht einmal widersprochen, sie hat sie schlicht ignoriert. Offiziell würden die beiden dem zwar widersprechen: Offiziell halten sich beide an den Koalitionsvertrag. Allerdings stehen hier, auf Seite 109, Sätze, die bewusst Spielraum lassen: "Deutschland hat ein besonderes Interesse an einer (...) Anbindung der Türkei an die Europäische Union." Und ein Absatz weiter: "Sollte die EU nicht aufnahmefähig oder die Türkei nicht in der Lage sein, alle mit einer Mitgliedschaft verbundenen Verpflichtungen voll und ganz einzuhalten, muss die Türkei in eine Weise, die ihr privilegiertes Verhältnis zur EU weiterentwickelt, möglichst eng an die europäischen Strukturen angepasst werden."
Zwei Interpretationen sind möglich. Entweder: Die Möglichkeit des Beitritts sollte so lang und gutwillig wie möglich ausgelotet werden. Oder eben: Ein privilegiertes Verhältnis ist anzustreben, da es an der "vollen und ganzen" Erfüllung der Anforderungen ohnehin hapern könnte.
Merkels Vertraute lassen wenig Zweifel daran, dass die Kanzlerin zur zweiten Interpretationsgruppe gehört. Gründe gegen einen türkischen EU-Beitritt gäbe es schließlich zuhauf, heißt es aus dem Umfeld der Kanzlerin. So hinke die Türkei den anderen EU-Ländern in vielen Standards hinterher: Etwa in der Sozialpolitik (beispielsweise hinsichtlich der Rechte von Gewerkschaften), der Justiz (Parteiverbote) oder der Wettbewerbspolitik. Außerdem belaste der Zypern-Streit nach wie vor das Verhältnis.
Aber, heißt es aus dem Umfeld der Kanzlerin, das Problem liege nicht nur in der Türkei, sondern auch in der EU selbst. Ihr sei die "intensive Erweiterungspolitik" in den letzten Jahren nicht unbedingt gut bekommen. Merkel lege Wert darauf, dass die EU ihren Charakter nicht verliert und durch weitere Beitritte geschwächt werde, heißt es. Ein Riesenland wie die Türkei mit ihren 72 Millionen Einwohnern würde das Kräfteverhältnis gravierender verändern als beispielsweise Kroatien, dessen Beitrittsbemühungen Merkel wohlgesinnt beobachtet.
Die Außenpolitiker der FDP reagieren angesäuert auf Merkels Türkei-Politik. Über den Begriff "privilegierte Partnerschaft" wolle er gar nicht erst reden, sagt der außenpolitische Sprecher der Partei, Rainer Stinner, ZEIT ONLINE. Die FDP unterstütze das Beitrittsgesuch der Türkei. Schließlich sei die ein strategisch wichtiges Land, Deutschland müsste großes Interesse daran, dass die augenblickliche "Westorientierung der Türkei" und der Reformprozess nicht durch europapolitische Enttäuschungen geschwächt werde.
Andere FDP-Politiker klagen, Merkel brüskiere unnötig die Türkei (und obendrein den Außenminister). "Wenn sie von vornherein sagt: Wir streben bloß eine Mitgliedschaft light, an, ist das nicht glaubwürdig, wenn sie gleichzeitig bekräftigt, sich einen ergebnisoffenen Prozess zu wünschen", klagt ein liberaler Außenpolitiker. Merkel schiele auf die latent Türkei-skeptische Haltung ihrer Partei und auf Stammtisch-taugliche Positionen kurz vor der NRW-Wahl, hört man von enttäuschten Liberalen.
Womit sie Recht haben. Wenn Merkel einen Türkei-Beitritt für nicht wünschenswert hält, fragt sich, warum sie die mühsamen Beitrittsverhandlungsprozess dennoch vorgeblich unterstützt. So sind Enttäuschungen seitens der Türkei vorprogrammiert. Derzeit lässt die Kanzlerin die reformwillige Regierung am ausgestreckten Arm auf Distanz. Die Ambivalenz stört die Reformer, die sich von der deutschen Kanzlerin zunehmend hingehalten fühlen. Anders als von ihrem Vorgänger Gerhard Schröder, der, wie auch Ex-Außenminister Steinmeier, als Förderer der türkischen EU-Integration galt.
Westerwelle wollte dieser Tradition eigentlich folgen. Jetzt zeigt sich: Ein schüssiges Konzept für ihre Türkei-Politik hat die schwarz-gelbe Bundesregierung nicht. Die Kanzlerin demonstriert Richtlinienkompetenz. Und Westerwelle trägt Badehose.
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