Mittwoch, 24. März 2010

Man nennt sie "Vaterlandsbetrügerin"

Maya Wind, 20, hat den israelischen Militärdienst verweigert. Statt zwei Jahre zur Armee ging sie ins Gefängnis - aus Protest gegen die Besatzung der Palästinensergebiete.

VON MARLENE HALSER

TEL AVIV taz | Im Sommer will Maya weg. Weg aus Israel und raus aus ihrem Leben. Denn in ihrem Heimatland ist sie für viele nur die Vaterlandsbetrügerin, das radikale Mädchen, das einen Schritt zu weit gegangen ist. Maya Wind hat den israelischen Militärdienst verweigert. Sie hat in aller Öffentlichkeit gesagt: Ich mache nicht mit. In einem Land, in dem die Verteidigung des eigenen Landes für alle jüdischen Jugendlichen obligatorisch ist und in dem der für Männer drei Jahre und für Frauen zwei Jahre dauernde Dienst an der Waffe als Eintrittskarte in die Gesellschaft gilt. In Israel, das seit mehr als sechzig Jahren in einem stetig schwelenden, bisweilen blutig aufbrechenden Kriegszustand mit den Palästinensern und seinen arabischen Nachbarn lebt. Sie hat verweigert, aus Protest gegen die israelische Besatzungspolitik.

Maya hetzt durch die Straßen Ostjerusalems, eilt vorbei an verhüllten Frauen, die Weinblätter, Minze und Salbei verkaufen, drückt sich um Marktschreier und übermütige Halbstarke. Gerade war sie auf einer Gerichtsverhandlung. Jetzt wartet schon der nächste Termin. Im Vorbeigehen zeigt das zerbrechliche Mädchen auf die Polizeistation. "Da war ich schon oft drin", sagt sie. Erst kürzlich war sie verhaftet worden, weil sie gegen die Zwangsräumung palästinensischer Häuser in Ostjerusalem protestiert hatte, gewissermaßen beruflich. Die 20-jährige arbeitet für die Menschenrechtsorganisation "Rabbis For Human Rights". Dort koordiniert sie die Proteste für die Rechte der Araber in Ostjerusalem. Ein Job, der fast ihr gesamtes Leben ausfüllt. Daneben gibt sie alternative Stadtführungen zur Besatzungspolitik Israelis in Jerusalem und ist Teil einer feministischen Gruppierung gegen die Militarisierung der israelischen Gesellschaft. Während sie mit wehenden Haaren um eine Häuserecke biegt, scherzt sie: "Eine Freundin hat mal zu mir gesagt: Maya, wenn ich mit dir telefoniert habe, muss ich mich danach immer erst mal setzen."

Mayas Einberufung stand 2008 kurz nach Beginn des Gazakriegs bevor. Gemeinsam mit neun anderen Jugendlichen schrieb sie ihre Ablehnung gegenüber der israelischen Besatzungspolitik in einem Brief nieder und schickte ihn an die Medien. "Gewalt ist ein Kreislauf, der sich selbst verstärkt", stand da. "Die sinnlose Besatzung führt nur zur Radikalisierung der Meinung der Besetzten, zu Hass und zur Eskalation von Gewalt. Dieser Gewaltkreislauf wird nicht aufhören, bis jemand aufsteht und sich kompromisslos weigert, daran teilzunehmen." So öffentlich haben außer Maya bislang nur etwa sechzig andere Jugendliche in Israel verweigert. Sie nennen sich "Shministim", Zwölftklässler auf Hebräisch.

Über die Reaktionen der Leser ist Maya noch immer schockiert. Sie sei eine Verräterin am eigenen Volke, schrieben einige. Andere, man solle ihre Eltern verklagen, weil sie eine solch missratene Tochter erzogen hätten. "Ich war so wütend darüber, dass alle so einverstanden damit schienen, was in Gaza passierte", erinnert sie sich. Die Entscheidung, zu verweigern, hatte Maya aber schon viel früher gefällt.

"Ich war zwölf, als die zweite Intifada begann", erzählt sie. An den Tag des ersten Anschlags in Jerusalem erinnert sie sich noch genau. "Ein palästinensischer Selbstmordattentäter sprengte sich in einem Café in die Luft." Einmal saß sie in einem Auto, nur wenige Meter von einem explodierenden Bus entfernt. "Ich war damals ziemlich rechts", erinnert sie sich. "Wir alle waren wütend auf die palästinensischen Terroristen, die uns das antaten." Das Wort "Besatzung" kannte sie damals noch nicht.

Dann sah sie eines Tages eine Anzeige für eine Begegnungsgruppe für israelische und palästinensische Jugendliche in der Zeitung. Maya war fünfzehn. Sie ging hin. "Ich weiß nicht mehr genau, was mir damals durch den Kopf ging", sagt sie. Bis dahin hatte sie noch nie einen Palästinenser kennen gelernt. "Früher habe ich es geliebt, meine Freunde in den jüdischen Siedlungen im Westjordanland zu besuchen", erzählt sie. Die Scheiben der Siedlerautos aus dickem Panzerglas zum Schutz vor palästinensischen Steinwürfen, Soldaten, die nachts die Siedlung bewachen, die stetige Angst vor dem unbekannten Feind - ein Abenteuer für das Mädchen aus Jerusalem: "Den politischen Zusammenhang habe ich damals noch nicht verstanden."

Dann kommt der Moment, an dem sich in Mayas Leben alles verändert. Bei einem der Treffen mit der Begegnungsgruppe erzählt eine gleichaltrige Palästinenserin, wie israelische Soldaten ihren Vater mitten in der Nacht abgeholt und verhaftet hatten. Später hatte man der Familie mitgeteilt, dass der Vater im Gefängnis gestorben sei. Als das Mädchen zu weinen beginnt, bricht auch Maya in Tränen aus. "Damals begriff ich: Diese Soldatin, die den Vater des Mädchens verhaftet, das könnte in drei Jahren ich sein."

Gemeinsam mit anderen kritischen Israelis fährt sie nach Hebron, um arabische Olivenbauern bei der Ernte vor Angriffen von national-religiösen Siedlern oder dem Militär zu schützen - und findet Freunde. Da hört sie zum ersten Mal von den "Shministim" und fasst den Entschluss, zu verweigern. "Bis dahin hatte ich immer gedacht, ich gehe zum Militär und verändere es von innen", erzählt sie. "Ich wollte Leutnant werden und den friedlichsten Checkpoint im ganzen Westjordanland leiten."

Dann wird Maya einberufen. Als sie sich zum ersten Mal mit ihren zukünftigen Kameradinnen in einer Reihe aufstellen soll, stellt sie sich abseits. Der Kommandant brüllt sie an. Maya muss lachen, wenn sie daran zurückdenkt. Ein kleiner Schritt, und sie wäre ein ganz normales israelisches Mädchen geblieben. Doch Maya reiht sich nicht ein. Noch auf der Militärbasis wird sie einem Richter vorgeführt. Der verurteilt sie zunächst zu 17 Tagen Gefängnis wegen Missachtung eines Befehls. Insgesamt sechs Mal wird sie entlassen. Immer wieder verweigert sie. Immer wieder wird sie eingesperrt. Etwas mehr als 40 Tage bleibt sie in Haft.

Danach bekommt sie Hausarrest in der Kaserne. "Objektiv betrachtet ist das nicht viel", sagt sie. "Aber mir erschien die Zeit sehr lang." Einmal kommt sie für fünf Tage in Einzelhaft in einen schwarz gestrichenen Raum mit 24-Stunden-Neonbeleuchtung.

Sich - wie viele ihrer Altersgenossen - per Attest oder aus religiösen Gründen vor dem Militärdienst zu drücken, kam für sie dennoch nie in Frage.

"Ich wollte ein Statement setzen", sagt sie und erzählt sie von ihrer Großmutter, einer Schweizerin, die Mayas Großvater, einen Juden, bei sich zu Hause versteckte. "Ich will das nicht gleichsetzen", sagt sie, "aber ich will mit dem, was ich tue, im Geiste meiner Großmutter leben." Später am Abend ist Maya im arabischen Ostjerusalemer Stadtteil Sheikh Jarrah zum Essen eingeladen. Im August 2009 wurden hier einige palästinensische Familien von der israelischen Polizei gewaltsam aus ihren Häusern vertrieben. National-religiöse jüdische Siedler sind an ihrer Stelle eingezogen. An einem der Häuser flattern nun Fahnen mit dem blauen Davidstern auf weißem Grund im Abendwind.

Seit Monaten organisiert Maya hier jeden Freitag Proteste gegen die Zwangsräumung. "Die Menschen in Sheikh Jarrah haben mich quasi adoptiert", sagt sie zwischen zwei Gabeln Safranreis.

Zu großen Feierlichkeiten bei ihren Eltern geht Maya nicht mehr oft. Dort ist sie zur Außenseiterin geworden, ihre Verweigerung ein unverzeihlicher Tabubruch. "Einmal hat mich ein Freund meiner Eltern angeschrien und aus dem Haus geworfen", erzählt sie. Den Militärdienst zu verweigern, sei wie eine unsichtbare rote Linie zu übertreten, erklärt sie. Man könne links sein in Israel und die Regierung kritisieren. "Aber nicht zur Armee zu gehen", sagt sie, "das ist einfach zu radikal." Viele ihrer alten Schulfreunde wollen heute nichts mehr mit ihr zu tun haben, halten sie für einen Freak.

Im Sommer geht Maya zum Studium nach New York City, wo sie ihren Bachelor in Politischer Wissenschaft machen will. Vier Jahre also, weit weg von dem Stigma, das sie in ihrer Heimat auf Schritt und Tritt begleitet. Danach wolle sie wiederkehren, sagt sie: "Mit mehr Wissen und mehr Sicherheit. Um meine Arbeit in Israel fortzusetzen."

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen