Mit 1.000.000 Unterschriften sollen die Bürger EU-Politik machen können - solange die EU-Kommission vorher dem Anliegen zustimmt. Das schlägt die Kommission vor.
Mehr als 1,2 Millionen Europäer haben im Internet den Aufruf unterschrieben, den Zweitsitz des Europaparlaments in Straßburg zu streichen. Die Organisatoren der Kampagne www.oneseat.eu beziehen sich auf ihrer Website ausdrücklich auf die mit dem Lissabon-Vertrag eröffnete Möglichkeit, mit einem Bürgerbegehren die EU-Gesetzgeber zum Handeln zu zwingen. Die Reform ist seit drei Monaten in Kraft. Für die technischen Details der Umsetzung legte die EU-Kommission gestern einen Vorschlag vor.
Sie stützt sich dabei auf die Ergebnisse einer Online-Befragung und schlägt folgendes Verfahren vor: Jede Privatperson oder Rechtspersönlichkeit, also eine Bürgerinitiative oder politische Partei, kann ein Bürgerbegehren bei der EU-Kommission anmelden. Geschwätzig darf man dabei nicht sein: 100 Druckzeichen im Titel, 200 in der Betreffzeile und 500 Zeichen in der Kurzbeschreibung - das ist kaum mehr, als auf einer Postkarte Platz findet.
Wenn die Organisatoren 300.000 Unterschriften aus drei EU-Mitgliedsstaaten zusammen haben, prüft die EU-Kommission innerhalb von zwei Monaten, ob das Vorhaben zulässig ist. Verstößt es gegen die Grundwerte der Union oder ist Brüssel nicht zuständig, wird es abgewiesen. Eine Initiative zur Einführung der Todesstrafe hätte demnach ebenso wenig Chancen wie der Vorstoß, den Bau von Minaretten zu verbieten.
Ist diese Hürde überwunden, müssen die Initiatoren eine Million Unterschriften aus mindestens einem Drittel der Mitgliedsstaaten sammeln. Sie haben dafür ein Jahr Zeit. Die Mindestquote für die beteiligten Länder berechnet sich aus der Anzahl der Parlamentssitze multipliziert mit dem Faktor 750. Wenn Deutschland mitgezählt werden soll, müssen von dort mindestens 72.000 Unterschriften stammen. In Luxemburg reichen 4.500 Stimmen. Die Unterzeichner müssen wahlberechtigt sein. Der jeweilige Mitgliedsstaat kontrolliert wie bei einem nationalen Referendum, dass die Unterschriften rechtmäßig zustande kamen und niemand doppelt gezählt wurde.
Sind alle Bedingungen erfüllt, muss die Kommission innerhalb von vier Monaten Stellung beziehen. Lehnt sie es ab, ein Gesetz vorzuschlagen, muss sie das begründen. Kritiker fürchten, dass viele gute Vorschläge am Ende in der Schublade verschwinden. Doch die Kommission selbst hat in den vergangenen Jahren ständig mehr Dialog und mehr Bürgerbeteiligung gefordert.
Greenpeace ist eine der Organisationen, die sich an der Anhörung zum Bürgerbegehren beteiligt hatte. Die Umweltschützer haben eine Schwelle von 25 Prozent der Mitgliedsstaaten und eine Sammeldauer von 18 Monaten für angemessen empfunden. Sie sind auch dagegen, dass ein Unterzeichner das Wahlalter erreicht haben muss. Außerdem wollen sie Menschen aus anderen Herkunftsländern, die schon lange in der Union leben, die Teilnahme ermöglichen.
Das EU-Parlament wird im Gesetzgebungsverfahren sicher versuchen, einige dieser Anliegen erneut einzubringen. Die Mitgliedsstaaten hingegen werden im Rat die Hürden für das EU-Referendum so hoch wie möglich bauen. Da sie in dieser Frage mit qualifizierter Mehrheit entscheiden, kann aber kein Land das ganze Projekt mit seinem Veto stoppen. Um den Straßburger Parlamentssitz muss sich Frankreich dennoch keine Sorgen machen. Die Kommission hat bereits mitgeteilt, dass sie in dieser Frage keinen Gesetzesvorschlag einbringen wird, weil das Parlament nicht mitentscheiden darf, wo es tagt - das machen die Mitgliedsstaaten unter sich aus.
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