Streit über Armenier-Genozid
Von Daniel Steinvorth, Istanbul
Wenn der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan das Wort ergreift, kann es anschließend ordentlich Ärger geben. Rhetorische Aussetzer und Querschläger sind seine Spezialität. Es würde sich fast lohnen, daraus ein ein Buch zu machen - eine Worst-of-Sammlung sozusagen.
Als der Premier den Frauen in der Türkei vor zwei Jahren dringend nahelegte, mindestens drei Kinder zu gebären, damit die Nation nicht "ausgelöscht" werde, konnten es die Frauenrechtlerinnen und Familienplaner am Bosporus nicht fassen.
Als Erdogan im selben Jahr einen Mann in Schutz nahm, der mit einer Flinte auf demonstrierende Kurden geschossen hatte ("Wenn die Bürger die Mittel haben, sich zu schützen, dann werden sie es tun"), trauten Kurden und Türken ihren Ohren nicht. Und als Erdogan den wegen Kriegsverbrechen in Darfur gesuchten sudanesischen Staatspräsidenten Umar al-Baschir mit den Worten in Schutz nahm, ein Muslim könne ja gar keinen Völkermord begehen, schüttelten viele nur noch ungläubig den Kopf. Seine Berater, so heißt es in Ankara, fürchteten den Moment, in dem Erdogan vom Redemanuskript abweicht und dem eigenen Temperament freien Lauf lässt. "Baskarlari adina utanmak" lautet in etwa die türkische Übersetzung für Fremdschämen.
In dieser Woche war es wieder einmal soweit. Da haute der Ministerpräsident im Streit über zwei Genozid-Resolutionen aus den USA und Schweden ordentlich auf die Pauke. Erdogans Logik: Weil armenische Lobbyisten im Ausland für die Resolutionen verantwortlich seien, in denen der Völkermord an über einer Million Armeniern im Schatten des Ersten Weltkrieges beim Namen genannt wird, müsse sich die Türkei jetzt wehren und gegen Armenier im eigenen Land vorgehen. Aber natürlich nur gegen solche, die keinen türkische Staatsangehörigkeit besäßen. "Ich muss sie nicht in meinem Land behalten. Wenn nötig sage ich ihnen: Auf geht's, zurück in euer Land", so der Premier. Ein echter Erdoganismus.
Und bestechend logisch, wie der Hürriyet-Journalist Yilmaz Özdil ironisch befindet: "Um zu beweisen, dass wir die Armenier nicht verjagt haben, verjagen wir sie. Um zu beweisen, dass wir keine Vertreibung gemacht haben, führen wir eine durch. Das ist eine Komödie."
"Wie der Rechtspopulist Geert Wilders"
Warum die Türkei eigentlich nicht Amerikaner und Schweden ausweise, will der Armenier Ara Papyan wissen, der Erdogan eine gedankliche Nähe zum niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders vorwirft. Und wie die neuerlichen Deportationen denn durchgeführt werden sollten? "Es ist dreist, ein menschliches Drama vorzuschlagen", sagt der Istanbuler Politologe Cengiz Aktar. Und reichlich widersprüchlich: "Um im großen Stil abzuschieben, müsste man die türkisch-armenische Grenze öffnen, aber bis jetzt weigert sich die Regierung, diese zu öffnen."
Wie selten zuvor haben die antiarmenischen Aussetzer Erdogans in der Türkei Kritik und Widerspruch hervorgerufen. In Istanbul demonstrierte am Donnerstag eine Gruppe Jugendlicher mit Plakaten, auf denen Erdogan als osmanischer Innenminister Talat Pascha dargestellt wird. Talat Pascha gilt als einer der drei Hauptverantwortlichen für den Völkermord an den Armeniern. Vor allem junge Türken, so scheint es, sind immer weniger bereit, der offiziellen Geschichtsschreibung und den nationalistischen Reflexen ihrer politischen Klasse zu folgen.
Für Etyen Mahcupyan, den Chefredakteur der türkisch-armenischen Wochenzeitung "Agos" - sonst ein starker Fürsprecher der Erdogan-Regierung - ist das die eigentliche Sensation: Noch vor fünf Jahren sei das Tabuthema totgeschwiegen worden, heute gebe es Bücher, Filme, Theaterstücke über den Völkermord - und abweichende Meinungen. Im Dezember 2008 starteten türkische Intellektuelle gar eine Entschuldigungskampagne "für die große Katastrophe von 1915" - mehr als 30.000 Türken unterschrieben sie. Mit einem Wort: "Die Gesellschaft", so Mahcupyan, "ist in ihrer Vergangenheitsbewältigung viel weiter als die Regierung und die politische Klasse."
Und Erdogan? Völlig missverstanden fühlte sich der türkische Premier am Freitag, seine Äußerungen seien von der Presse entstellt worden, er habe keine Probleme mit "unseren Staatsbürgern mit armenischen Wurzeln". Es sei ihm lediglich um jene Armenier gegangen, die sich illegal in seinem Land aufhielten. Doch genau so hatte es die Presse auch vermeldet. Armenier aus Armenien dürften sich in der Türkei auch nach diesen Worten kaum sicherer fühlen.
Als der Premier den Frauen in der Türkei vor zwei Jahren dringend nahelegte, mindestens drei Kinder zu gebären, damit die Nation nicht "ausgelöscht" werde, konnten es die Frauenrechtlerinnen und Familienplaner am Bosporus nicht fassen.
Als Erdogan im selben Jahr einen Mann in Schutz nahm, der mit einer Flinte auf demonstrierende Kurden geschossen hatte ("Wenn die Bürger die Mittel haben, sich zu schützen, dann werden sie es tun"), trauten Kurden und Türken ihren Ohren nicht. Und als Erdogan den wegen Kriegsverbrechen in Darfur gesuchten sudanesischen Staatspräsidenten Umar al-Baschir mit den Worten in Schutz nahm, ein Muslim könne ja gar keinen Völkermord begehen, schüttelten viele nur noch ungläubig den Kopf. Seine Berater, so heißt es in Ankara, fürchteten den Moment, in dem Erdogan vom Redemanuskript abweicht und dem eigenen Temperament freien Lauf lässt. "Baskarlari adina utanmak" lautet in etwa die türkische Übersetzung für Fremdschämen.
In dieser Woche war es wieder einmal soweit. Da haute der Ministerpräsident im Streit über zwei Genozid-Resolutionen aus den USA und Schweden ordentlich auf die Pauke. Erdogans Logik: Weil armenische Lobbyisten im Ausland für die Resolutionen verantwortlich seien, in denen der Völkermord an über einer Million Armeniern im Schatten des Ersten Weltkrieges beim Namen genannt wird, müsse sich die Türkei jetzt wehren und gegen Armenier im eigenen Land vorgehen. Aber natürlich nur gegen solche, die keinen türkische Staatsangehörigkeit besäßen. "Ich muss sie nicht in meinem Land behalten. Wenn nötig sage ich ihnen: Auf geht's, zurück in euer Land", so der Premier. Ein echter Erdoganismus.
Und bestechend logisch, wie der Hürriyet-Journalist Yilmaz Özdil ironisch befindet: "Um zu beweisen, dass wir die Armenier nicht verjagt haben, verjagen wir sie. Um zu beweisen, dass wir keine Vertreibung gemacht haben, führen wir eine durch. Das ist eine Komödie."
"Wie der Rechtspopulist Geert Wilders"
Warum die Türkei eigentlich nicht Amerikaner und Schweden ausweise, will der Armenier Ara Papyan wissen, der Erdogan eine gedankliche Nähe zum niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders vorwirft. Und wie die neuerlichen Deportationen denn durchgeführt werden sollten? "Es ist dreist, ein menschliches Drama vorzuschlagen", sagt der Istanbuler Politologe Cengiz Aktar. Und reichlich widersprüchlich: "Um im großen Stil abzuschieben, müsste man die türkisch-armenische Grenze öffnen, aber bis jetzt weigert sich die Regierung, diese zu öffnen."
Wie selten zuvor haben die antiarmenischen Aussetzer Erdogans in der Türkei Kritik und Widerspruch hervorgerufen. In Istanbul demonstrierte am Donnerstag eine Gruppe Jugendlicher mit Plakaten, auf denen Erdogan als osmanischer Innenminister Talat Pascha dargestellt wird. Talat Pascha gilt als einer der drei Hauptverantwortlichen für den Völkermord an den Armeniern. Vor allem junge Türken, so scheint es, sind immer weniger bereit, der offiziellen Geschichtsschreibung und den nationalistischen Reflexen ihrer politischen Klasse zu folgen.
Für Etyen Mahcupyan, den Chefredakteur der türkisch-armenischen Wochenzeitung "Agos" - sonst ein starker Fürsprecher der Erdogan-Regierung - ist das die eigentliche Sensation: Noch vor fünf Jahren sei das Tabuthema totgeschwiegen worden, heute gebe es Bücher, Filme, Theaterstücke über den Völkermord - und abweichende Meinungen. Im Dezember 2008 starteten türkische Intellektuelle gar eine Entschuldigungskampagne "für die große Katastrophe von 1915" - mehr als 30.000 Türken unterschrieben sie. Mit einem Wort: "Die Gesellschaft", so Mahcupyan, "ist in ihrer Vergangenheitsbewältigung viel weiter als die Regierung und die politische Klasse."
Und Erdogan? Völlig missverstanden fühlte sich der türkische Premier am Freitag, seine Äußerungen seien von der Presse entstellt worden, er habe keine Probleme mit "unseren Staatsbürgern mit armenischen Wurzeln". Es sei ihm lediglich um jene Armenier gegangen, die sich illegal in seinem Land aufhielten. Doch genau so hatte es die Presse auch vermeldet. Armenier aus Armenien dürften sich in der Türkei auch nach diesen Worten kaum sicherer fühlen.
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