Donnerstag, 18. März 2010

Verteidigungsministerium wollte Wahrheit gezielt vertuschen

Der Kunduz-Ausschuss vernimmt die gefeuerten Spitzenbeamten Wichert und Schneiderhan - sie müssen sich heiklen neuen Fragen stellen. Interne Dokumente belegen nach SPIEGEL-ONLINE-Informationen, wie eine "Gruppe 85" im Verteidigungsministerium Nato-Ermittlungen beeinflusste. Und sogar versuchte, die Justiz zu steuern.

Berlin - Bundeswehrführung und Verteidigungsministerium haben nach dem Bombardement von Kunduz gezielter an der Vertuschung der Wahrheit gearbeitet als bisher bekannt. Vertrauliche Unterlagen aus dem Ministerium belegen, dass im Haus eigens eine Arbeitsgruppe aus mindestens fünf Beamten gegründet wurde, um die Ermittlungen der Nato zu dem Fall zu beeinflussen.


Durch eine Kommunikationsstrategie sollte die "Gruppe 85" im Fall Kunduz ein "positives Bild auch des Erfolgs" möglich machen - und Kritik an der Bundeswehr gezielt verhindern, steht in einem SPIEGEL ONLINE vorliegenden Protokoll.

Die Abteilung für die Vertuschung wurde schon am 9. September ins Leben gerufen, also nur fünf Tage nach dem Luftangriff. Sie stand unter der Ägide des damaligen Staatssekretärs Peter Wichert. Der mächtige Beamte nahm zwei Tage später an einer Auftakt-Videokonferenz mit den Mitgliedern der Gruppe teil und ließ sich später immer wieder über die Ergebnisse unterrichten. Mit den Erkenntnissen der Gruppe wollte Wichert die Ministeriumsspitze um Franz Josef Jung (CDU) vorbereiten. Dass die Nato-Ermittler in Afghanistan die Deutschen wegen des Bombardements kritisieren würde, war dem Strategen bewusst. Aber Wichert wollte gewappnet sein.

Existenz und Aktivitäten der "Gruppe 85" werden auch Thema in der ersten öffentlichen Sitzung des Untersuchungsausschusses zur Kunduz-Affäre sein. Das Gremium, das unter anderem das Informationschaos nach dem Angriff untersucht, vernimmt am Nachmittag Wichert und Ex-Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan - jene zwei Spitzenbeamten, die Jungs Nachfolger Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) im Herbst 2009 gefeuert hatte. Die beiden werden sich fragen lassen müssen, was sie von der Vernebelungseinheit wussten.

Dass das Ministerium versucht hat, auf den Nato-Bericht Einfluss zu nehmen, hatte der SPIEGEL schon kurz nach dem Angriff berichtet. Dies wurde jedoch stets dementiert. Die Akten belegen nun das Gegenteil.

Ständige Telefonate mit dem Spion bei der Nato

Die "Gruppe 85" hatte eine zentrale Aufgabe. So sollte über das deutsche Mitglied in der Nato-Untersuchungskommission genau in Erfahrung gebracht werden, was dort recherchiert wird und wie man den Bericht - heute meist als Comisaf-Report zitiert - im deutschen Interesse beeinflussen kann.

Ein Mitglied der Arbeitsgruppe telefonierte dazu regelmäßig mit dem Oberstleutnant V. und gab detailliert Vernehmungsplanungen und Inhalte der Besprechungen weiter - und vor allem die Planungen für die Fertigstellung des Berichts. Denn der Zeitpunkt der Veröffentlichung spielte für die Verantwortlichen in der Regierung eine große Rolle. Nur rund drei Wochen nach dem umstrittenen Angriff waren Bundestagswahlen angesetzt. Ein harscher Nato-Report, der den Tod von Zivilisten bestätigt und die Bundeswehr deutlich kritisiert, wäre fatal gewesen.

Eine Woche vor der Wahl jedoch hatte der Spion der Deutschen im Nato-Team gute Nachrichten. Zum einen habe man durch eine Terminverschiebung "eine Woche gewonnen". Der Bericht sei außerdem "nicht vor dem 9. Oktober zu erwarten". Also nach der Wahl.


Kurz vor Fertigstellung des Nato-Berichts gab die Arbeitsgruppe ihrem Mann bei der Nato sehr konkrete Anweisungen, wie er seine Ermittleraufgabe auszuführen habe. Am späten Nachmittag des 6. Oktober schrieben die Nato-Offiziere in Kabul schon an der Endversion ihres Reports, da kam es zu einem längeren Telefongespräch mit dem Spion. Regierungsdirektor B. wies ihn "höchstvorsorglich" an, "dass - falls möglich - ein ermessensfehlerfreies Handeln herausgestellt werden sollte".
 
Die Nato dürfte über die Bespitzelung durch die "Gruppe 85" wenig amüsiert sein. Über ihren Mann im Nato-Team im fernen Afghanistan erfuhr das Verteidigungsministerium immer genau, was die Ermittler taten, und versuchten gar, das Endprodukt zu beeinflussen - bei so viel Recherche war der finale Report für die Deutschen wohl keine Überraschung mehr.

Feldjäger-Bericht wie das Werk eines unreifen Schuljungen präsentiert

Auch andere Truppenteile machten bei der Vernebelung mit. Die Feldjäger hatten am Tag nach dem Angriff Recherchen aufgenommen, einen nicht unkritischen Bericht geschrieben und dem für das Bombardement verantwortlichen Oberst Georg Klein diverse Regelverstöße attestiert, die später von der Nato bestätigt wurden. Der Bericht führte zur Entlassung von Wichert und Schneiderhan - nachdem Neu-Minister zu Guttenberg davon erst über die "Bild"-Zeitung erfahren hatte - und zur Neubewertung des Falls. Im Einsatzführungskommando dagegen wurde überlegt, wie man der Nato das Dossier der Feldjäger richtig verkaufen kann. Am Ende wurde es ihr Anfang Oktober wie das Werk eines unreifen Schuljungen präsentiert.

Der Bericht sei gespickt mit "unvollständigen und oberflächlichen Feststellungen", der Autor für die Ermittlungen "nicht befugt", wurde der Nato kommuniziert. Seine Einschätzungen stellten "gegenwärtig nicht die nationale Einschätzung dar". Vielmehr gehe man weiter von einer "ermessensfehlerfreien Entscheidung" von Oberst Klein "zur Anforderung eines Luftschlags gegen regierungsfeindliche Kräfte" aus, steht im Begleitschreiben.

Einflussversuche auf die Staatsanwaltschaft

Die dubiosen Tätigkeiten der "Gruppe 85" gingen sogar noch weiter - in den Runden wurde eine Beeinflussung der deutschen Justiz ausgeheckt. Akten zufolge berieten die Strategen vor einem Treffen mit der Generalstaatsanwaltschaft Dresden Mitte September darüber, welche Dokumente man dabei übergeben sollte. Um eine unmittelbare Bedrohung zu belegen, sollte eine Liste von Anschlägen mit entführten Lastern angefertigt werden. Außerdem sollte eine Warnmeldung des Bundesnachrichtendienstes geschickt zitiert werden, damit die Justiz auf das Papier aufmerksam wird und es sich dann direkt besorgt.

Illegal sind derlei Praktiken wohl nicht - sie belegen aber die Tendenz des Ministeriums und vor allem Wicherts, den Fall Kunduz zu verschleiern. Diese Haltung des einstigen Staatssekretärs ist durch weitere Aktenbelege nachzuvollziehen. So plädierte er schon am 10. September 2009 dafür, einen vorläufigen Nato-Report (IAT-Bericht) nicht mal dem Bundestag zugänglich zu machen. Dieses Report eines mehrköpfigen Ermittlerteams wies schon damals viele Verfehlungen der Bundeswehr nach und vor allem den Tod von Zivilisten.

Wichert empfahl seinem damaligen Minister Jung vorsorglich, Abgeordneten keine Akteneinsicht in den schon sehr detaillierten Bericht zu geben. Einen solchen Wunsch hatte zwar noch niemand im Bundestag geäußert, aber der Staatssekretär baute vor. In seinem perfiden Vermerk an den "Herrn BM" (Bundesminister) schrieb er: "Zweckmäßig dürfte es aber sein, wenn Sie sich für Ihre Ablehnung der Unterstützung von MdB Merten und MdB Siebert versichern könnten." Beide Mitglieder des Bundestags (MdB) saßen im Verteidigungsausschuss - und waren damals enge Vertraute von Minister Jung.

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