Freitag, 19. März 2010

Hybris im Namen des Herrn

Enthüllungen über Gewalt und Missbrauch überwältigen die Republik. Der Skandal hinter dem Skandal ist das Schweigekartell, das sich so lange halten konnte - und das auf elitärem Wahn und fehlgeleiteter Gemeinschaftsideologie basiert. Wie kann so etwas in einem liberalen, säkularen Land passieren?

Kommentar von Reinhard Mohr

Und nun das. Enthüllungen über Gewalt, sexuellem Missbrauch und brutale Herrschaft von Priestern, Heimleitern und Schuldirektoren im ganzen Land. Es ist überhaupt kein Trost, dass die meisten Untaten Jahrzehnte zurückliegen. Jeden Tag kommen landauf, landab Fälle ans Licht, die man in der liberalen, säkularen Bundesrepublik Deutschland nicht für möglich gehalten hätte.

Da hilft es auch nichts, die offizielle Statistik von Kindesmissbrauch heranzuziehen, der zufolge die weitaus meisten Fälle in Familien zu beklagen sind. Man kann die katholische Kirche mit ihrem immer noch schweigenden Papst nun mal nicht an der gleichen moralischen Elle messen wie eine sozial verwahrloste Familie. Zumal sich die Kirche und auch elitäre Schulleiter sonst moralisch und intellektuell doch so erhaben fühlen.

Dieselbe Kirche, die jungen Menschen jahrhundertlang Angst und Schrecken einjagte, selbst wenn es nur um kleinste angebliche Sünden und Verfehlungen ging, tolerierte sehenden Auges Sadisten und Sexualverbrecher in ihren Reihen. Motto: tarnen, täuschen und vertuschen.

Die Verlogenheit der katholischen Kirche ist historisch nicht neu, auch nicht ihre Doppelmoral und Scheinheiligkeit, ob es nun um das Tabu der Homosexualität, das Geißeln von Pille und Präservativen oder mittelalterliches Foltern im Dienste der Frömmigkeit geht. Für viele überraschend mag aber doch sein, dass sie sich auch in unserer demokratischen Gesellschaft bis heute als Paralleluniversum halten kann - als eine Macht, deren finanzielle Grundlage nicht zuletzt in der staatlichen Eintreibung der Kirchensteuer besteht. (...)
Hier wird ein voraufklärerischer Raum erhalten, in dem die unbefragte, geweihte Amtsautorität fast alles dominiert, vom Phänomen der uneingeschränkten Männerherrschaft zu schweigen. Es ist ein verklemmtes und intransparentes System von Abhängigkeit, Macht und Herrschaft, das nun völlig zu Recht am Pranger einer entsetzten Öffentlichkeit steht.

Hier und heute heißt das: Die demokratisch verfasste Gesellschaft muss jetzt Licht ins Dunkel bringen. Sie muss radikal Aufklärung betreiben. Und jene fördern, die in dem Schweigekartell das Reden begonnen haben.

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