Windsbacher Knabenchor
Von Conny Neumann
Acht Jahre hatte es gedauert. Acht Jahre hatte Klaus Kirschner die Hölle des Windsbacher Knabenchors durchlitten - dann, ein Jahr vor seinem Abitur, trieb er seinen Widerstand gegen Lehrer Hans T. auf die Spitze.
Lehrer T., ein ehemaliger Offizier und späterer Kirchenmusikdirektor des Windsbacher Knabenchors, forderte von dem Jungen während eines Konzerts 1968, seinen Zylinder abzunehmen. Klaus Kirschner widersetzte sich. Erfolgreich. Nach dem Eklat wurde er aus der "Gemeinschaft verstoßen". Einer Gemeinschaft, über die Kirschner später schrieb, man habe ihr nur durch Abitur oder Tod entrinnen können.
Der Zylinder - ein Symbol seines Sieges über das offenbar grausame Regime in Chor und Internat der evangelischen Institution. Der Hut begleitete ihn sein ganzes Leben. Kirschner, später Fernsehjournalist und Musiker in München, trug ihn bei Feierlichkeiten noch kurz vor seinem Tod.
Der Zylinder war wohl auch ein Symbol des Überlebens. Ein Mitschüler aus Windsbach, der ähnlich gequält wurde wie Kirschner, hatte sich nach dem Abitur lange im Wald versteckt und beging schließlich Selbstmord.
Als Klaus Kirschner 2004 wusste, dass er nur noch Monate zu leben hatte, schrieb er zwei Abschiedsbriefe an Kirchenmusikdirektor T. Dieser verstarb 2007. Auf die Briefe geantwortet hat er nie. Sie sind ein Dokument des Grauens.
Kirschner schildert in seinen Briefen, wie er und seine Klassenkameraden von dem Lehrer und dem damaligen Internatsleiter, einem evangelischen Pfarrer, regelmäßig geschlagen wurden. So habe der Internatsleiter vornehmlich nach dem Mittagessen einzelne Jungen in sein Büro geholt, dessen Tür doppelt gepolstert gewesen seien - "damit die Schreie der Gepeinigten nicht an die Öffentlichkeit drangen". Dort habe er ihnen die Wahl zwischen Nilpferdpeitsche und Rohrstock gelassen und die Kinder anschließend verprügelt.
Misshandlungen aus sexueller Erregung?
Die Schläge hätten ihn offensichtlich sexuell erregt. Danach habe der Pfarrer sich jedes Mal mit dem Satz gerechtfertigt: "Mir tut es genauso weh wie dir."
Kirschner nannte den Windsbacher Chor ein "Kinder-KZ". Ältere Schüler seien dazu angehalten worden, jüngere zu unterdrücken und zu schlagen. T. habe einen Schüler, der den Ton nicht vollkommen traf, mit dem Schuh brutal in den Oberkörper getreten. Die anderen Jungen hätten sich nicht getraut, dem Mitschüler zu helfen. T. habe die Kinder häufig mit Handkantenschlägen verprügelt, bis sie hilflos am Boden lagen.
Die Gewaltexzesse von Kirchenmusikdirektor T. sind legendär bei ehemaligen Schülern des Windsbacher Chores. Sie nannten ihn einen "Prügelpädagogen". Peter Lemberg, heute 75, sagt über ihn: "Er war der übelste Schläger, den es gab." Zwei seiner Schulkameraden hätten später Selbstmord begangen, weil sie die Demütigungen in Windsbach nie verkraften konnten. Von einem Präfekt sei ein Mitschüler so geschlagen worden, dass ihm das Trommelfell platzte. Als sie älter wurden, seien sie tatsächlich angewiesen worden, kleinere Schüler zu verprügeln: "Es wurde nicht gelegentlich geschlagen, sondern systematisch."
"In unserem Haus sind die Vorfälle nie tabuisiert worden"
Thomas Miederer, Direktor des Studienheims des Windsbacher Chores, bestätigt die Existenz zahlreicher Berichte über schwere Misshandlungen in Chor und Internat aus diesen Jahren. In den kommenden Tagen solle deshalb ein externer Berater anfangen, die Berichte zu sammeln und als Anlaufstelle für die ehemaligen Schüler zur Verfügung zu stehen.
Miederer möchte die negativen Kapitel in der Geschichte des berühmten Chores im kommenden Jahr bei einem Symposium anlässlich der 175-Jahr-Feier des Internats öffentlich aufarbeiten lassen. "Dazu brauchen wir nun Zeit, das kann kein Schnellschuss werden", sagt Miederer. "In unserem Haus sind die Vorfälle nie tabuisiert worden."
2004 gab es in Windsbach zwischen Eltern und Chorleitung einen heftigen Streit um den Dirigenten Karl-Friedrich Beringer. Beringer war vorgeworfen worden, er habe Kinder angebrüllt, gedemütigt, gewürgt und misshandelt. Der Dirigent hatte das zurückgewiesen. Hinreichende Beweise für Gewalttätigkeiten gab es nicht - Beringer konnte seine Arbeit fortsetzen. Eltern berichten, in den Proberäumen seien nun auch auf Wunsch Beringers Kameras installiert worden. Seither habe man von Übergriffen nichts mehr gehört.
Mitarbeit: Birte Schmidt
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen