Mittwoch, 10. März 2010

Ausgebeutete Stadtführer: Zwangsabgabe beim Trinkgeld

Von Joe Sperling

Fünf Euro Trinkgeld - das ist an sich nicht so wenig. Könnte Ihnen aber ein guter Stadtführer schon wert sein, oder? Für ein paar Stunden durch Berlin, oder London, Madrid, Paris. Sogenannte Gratis-Touren, bitte nur gegen ein freiwilliges Trinkgeld: Das ist die Erfolgsidee des Unternehmers Christopher Sandeman. Für ihn scheint sich die Sache zu rechnen - für seine Leute nur dann, wenn die Touristen reichlich geben. Denn abgeben müssen die Stadtführer hinterher in jedem Fall - an Sandeman. Über dessen besonders findige Art der Beschäftigung auch zum Minuslohn.
Michael Dempsey ist Brite und führt Touristen durch Berlin. Er arbeitet für ein europaweit tätiges Unternehmen mit einem klangvollen Namen: Sandemans New Europe. Die Firma bietet Stadtführungen an. Gratis – umsonst - so lautet die Werbung für ihre „Free- Tour“. „Ich und meine Kollegen arbeiten nur fürs Trinkgeld“, das muss Michael Dempsey den Touristen immer dabei aufsagen. Was er nicht sagen darf: In Wirklichkeit kassiert die Firma ihn ab.



O-Ton Michael Dempsey, Tourführer:



Michael Dempsey. Quelle: ZDFWenn ich zum Beispiel eine Gruppe von 25 Leuten führe, muss ich 3 Euro pro Kopf bezahlen, für jeden Teilnehmer, das macht 75 Euro, und die muss ich als Tourführer bezahlen.
Wie viel Trinkgeld er am Ende bekommt, weiß er nie, wie viel er bezahlen muss, immer. Denn diese Mitarbeiterin der Firma Sandeman zählt gleich zu Beginn der Tour die Zahl der Gäste, schreibt sie auf und gibt das dem Stadtführer weiter. 3 Euro pro Kopf muss der zahlen, auch wenn das Trinkgeld spärlich fließt, so wie heute bei Michael Dempsey. Er hat 26 Gäste auf der Rechnung.



O-Ton Michael Dempsey, Tourführer :

Ich hatte heute 26 Leute. Jetzt muss ich 3 mal 26, also 78 Euro an die Firma zahlen. Bleiben 18 oder 19 Euro für mich.

Doch weil der Stadtführer das Kopfgeld nicht erwähnen darf, ahnen die Touristen davon nichts. Sie glauben, er behalte das ganze Trinkgeld. Sie sind empört, dass ein großer Teil davon an die Firma fließt.



O-Ton Touristin: Das ist nicht in Ordnung, ich finde das nicht fair. Und es ist irreführende Werbung.
O-Ton Tourist : Ich bin ein bisschen erstaunt.
Frontal 21: Warum?
O-Ton Tourist: Das hatte ich nicht erwartet. Das ist ja eigentlich nicht free, nicht, wie heißt das – gratis.

Lohn, Urlaubs- und Krankengeld oder gar Sozialversicherungsbeiträge bezahlt die Firma Sandemans nicht für ihre Stadtführer. Das sind häufig Studenten, auch Akademiker aus dem Ausland, und die sind auf solche Jobs angewiesen und halten deshalb den Mund. Wer über das Kopfgeld redet, fliegt raus.



O-Ton Michael Dempsey, Tourführer :



Niemand darf darüber reden und wenn du das tust, wirst du aus dem Tourplan entfernt. Und das heißt nichts anderes als: du bist gefeuert.

Prof. Schüren. Quelle: ZDFPeter Schüren ist Professor für Arbeitsrecht und hat solche Verträge der Firma Sandemans geprüft.


O-Ton Prof. Peter Schüren, Arbeitsrechtler, Universität Münster:


Ich sehe darin einen wirklich grob rechtswidrigen Missbrauch des Arbeitsrechts. Wir haben einen Arbeitnehmer, dem wird kein Geld bezahlt, zusätzlich wird ihm das Trinkgeld, das ihm die Kunden geben, weggenommen teilweise. In Wirklichkeit müsste der Arbeitgeber ihm einen Stundenlohn zahlen und das



Trinkgeld, dass er bekommt, darf er behalten.
Michael Dempsey bekommt seine Zahlungsaufforderung einmal pro Woche per SMS aufs Handy:



303 Euro muss er diesmal aufs Sandeman- Konto einzahlen. Das müssen die Stadtführer selbst dann, wenn sie soviel Trinkgeld gar nicht bekommen haben.
O-Ton Michael Z. (Name geändert) Ehemaliger Sandemans-Stadtführer:



Also es gab Fälle, bei mir zum Glück nur – glaube ich - zwei Mal oder so, aber es gab andere Guides, die haben dann zwei Wochen hintereinander bei jeder Tour minus 20, minus 30 Euro gemacht. Sie haben wirklich miese gemacht, die mussten dann draufzahlen.
Wir machen die Probe aufs Exempel, bewerben uns in der Berliner Firmenzentrale von Sandemans New Europe als Stadtführer, drehen mit versteckter Kamera.



Originaltext nachgesprochen, Wortprotokoll:



Antwort: Abgeben müssen Sie so 3 Euro pro Person, und normalerweise können die Guides ziemlich viel verdienen – die guten!
Frage: 3 Euro muss man für jeden bezahlen?
Antwort: Genau!
Frage: Und wenn man ne Tour hat von zehn Leuten und kommt nicht auf die 30 Euro, was dann?
Antwort: Trotzdem muss das abgegeben werden!
Frage: Das muss trotzdem abgegeben werden?
Antwort: Genau!
Wir fragen nach. Doch Firmenchef Christopher Sandeman, nebenbei ein Erbe des Sherry-Imperiums gleichen Namens, kann uns nicht treffen. Er halte sich im Ausland auf.



Wir fragen noch einmal nach. Am Telefon erklärt er uns auf Deutsch, nun sei er zwar wieder da, habe aber keine Zeit.
Als er unverhofft vor unsere Kamera gerät, versteht er plötzlich auch kein Deutsch mehr.



Frontal21: Herr Sandemann, warum zahlen Sie Ihren Angestellten keinen Lohn?
O-Ton Christopher Sandeman, Firmenchef Sandemans New Europe: Sorry, my German is not really that good!
Frontal21: Mr. Sandeman, why you don’t pay your employees no money? Why you don’t pay your employees no money, Mr. Sandeman?
O-Ton Christopher Sandeman, Firmenchef Sandemans New Europe: Thank you very much.
Stadtführer Michael Dempsey arbeitet inzwischen für einen Konkurrenten von Sandeman. Der bezahlt ihn für seine Arbeit.



Abmoderation:
Wir berichten ja häufig über Lohndumping und Niedriglöhne. Trinkgeldeinzug aber ist mal eine neue Spielart.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen