Die Einstellung des Prozesses gegen ANC-Chef Zuma hat Südafrika in eine neue Krise gestürzt. Kurz vor der wichtigsten Wahl seit 1994 droht eine Schlammschlacht zwischen Opposition und Zuma-Getreuen. Dabei hätte das Land ernste Herausforderungen zu bewältigen.
Eins steht fest: Der nach Nelson Mandela prominenteste Südafrikaner wird Jacob Zuma am 22. April seine Stimme nicht geben. Der frühere Erzbischof und Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu hat schon vor über einem Jahr angekündigt, dass er aus Protest gegen den mächtigen Chef der Regierungspartei ANC ins Lager der Nicht-Wähler wechseln wolle. Seit Zuma im Dezember 2007 in der Provinzstadt Polokwane zum ANC-Präsidenten gewählt worden ist, hat der streitbare Kirchenmann wieder und wieder davor gewarnt, ihm das Staatsschiff anzuvertrauen.
Doch in den vergangenen Tagen ist der Konflikt zwischen Tutu und Zuma derart eskaliert, dass eine Aussöhnung kaum noch möglich erscheint. Tutu spricht Zuma die moralische Fähigkeit ab, das Land zu führen. Zuma wirft dem Kirchenmann vor, er sei von Hass geleitet und habe sich an einer “Schmutzkampagne” beteiligt, mit der ein “Lynch-Mob” versucht habe, seine Wahl zum ANC-Chef zu torpedieren. “Ich will ihn nicht mehr sehen”, ließ Zuma Anfang der Woche verkünden.
Knapp zwei Wochen vor der wohl wichtigsten Wahl in Südafrika seit dem Ende des Apartheid-Regimes ist das Land zerrissen wie nie seit dem ersten demokratischen Urnengang 1994. Der Streit zwischen Zuma, dem mit großer Wahrscheinlichkeit nächsten Präsidenten des Landes, und Tutu, dem moralischen Gewissen der Nation, symbolisiert, wie tief der Graben ist, der die Nation spaltet.
Jeder gegen jeden
Alle Hoffnungen des Zuma-Lagers sind verflogen, dass die Einstellung des Korruptionsprozesses gegen den ANC-Chef die Wogen wieder glätten würde. Im Gegenteil: Seit der Chef der Strafverfolgungsbehörde NPA, Mokotedi Mpshe, am vergangenen Montag das Verfahren gegen Zuma für beendet erklärte, droht dem Land eine neue juristische und politische Schlammschlacht, ein Kampf jeder gegen jeden.
Denn Msphe hatte Zuma nicht etwa für unschuldig befunden. Zumas Verteidigern waren plötzlich Protokolle über Telefongespräche von dem früheren NPA-Chef Bulelani Ngcuka und dem ehemaligen Top-Mann der Polizei-Eliteeinheit “Scorpions”, Leonard McCarthy, zugespielt worden. Sie stammen offenbar vom südafrikanischen Geheimdienst. Wie die Geheimprotokolle in die Hände der Zuma-Anwälte geraten konnten, ist ungeklärt. Sie belegen allerdings nach Mpshes Ansicht, dass Strippenzieher aus Politik und Justiz im Hintergrund Einfluss auf das Verfahren genommen und somit einen fairen Prozess verhindert hätten. Deshalb entschied er, Zuma trotz aller Zweifel außer Verfolgung zu setzen.
Der jubelnde, tanzende und singende Zuma verkündet seinen Anhängern seit jenem, für ihn historischen Montag immer wieder sichtlich erleichtert: “Mein Gewissen ist rein. Ich habe keine Verbrechen begangen.” Er hege auch keinen Groll gegen seine Gegner, versichert er. Doch in ihrer Euphorie über das plötzliche Ende des achtjährigen juristischen Tauziehens um seine politische Zukunft wollen Zuma und seine Getreuen nun den ehemaligen Staatschef Thabo Mbeki und dessen Gefolgsleute vor Gericht zerren.
“Verschwörer gegen Zuma sollen zahlen”
Noch sind es Scharfmacher aus der zweiten Reihe, die zum Rachefeldzug aufrufen. So schäumte der Sekretär der kommunistischen Jugendliga, Buti Manamela: “Verhaftet Bulenani Ngcuka, verhaftet Thabo Mbeki, verhaftet (den früheren Justizminister) Penuell Maduna, werft sie ins Gefängnis.” “Strolche, Kriminelle und Verschwörer müssen bloßgestellt werden,” tobte Manamela. Auch der Generalsekretär des einflussreichen Gewerkschaftsbundes Cosatu, Zwelinzima Vavi, drohte: “Alle, die sich gegen Zuma verschworen haben, sollen dafür vor Gericht zahlen.”
Für Vavi ist Mbeki ebenfalls der Hauptschuldige. Aber er setzte auch gleich noch die inzwischen zur ANC-Abspaltung COPE übergetretene frühere südafrikanische Vizepräsidentin Phumzile Mlambo-Ngcuka auf die Verschwörerliste. Auch Leonard McCarthy muss damit rechnen, dass Zuma und seine Leute ihn zur Rechenschaft ziehen. Lautstark verlangen sie, dass er als erstes seinen neuen Job als oberster Korruptionsbekämpfer bei der Weltbank verlieren müsse. Zuma selbst schießt Breitseiten gegen die Justiz: Einige Richter fühlten sich offenbar “wie Götter” und hätten dem ANC den Krieg erklärt.
Doch wer wem inzwischen alles mit Konsequenzen oder gar gerichtlicher Verfolgung gedroht hat, ist kaum noch zu überblicken. Denn auch die Opposition ist nicht untätig: Sie will Zuma nicht ungeschoren davonkommen lassen. Helen Zille, Vorsitzende der Demokratischen Allianz (DA), der größten Oppositionspartei, will die Einstellungsentscheidung der NPA vor Gericht anfechten, weil sie juristisch zweifelhaft sei. Ein Eilverfahren, das sie beantragt hatte, ist allerdings abgeschmettert und auf die Zeit nach der Wahl vertagt worden.
Juristen warnen vor Verfassungskrise
Die ANC-Absplitterung COPE und die Independent Democrats von Patricia de Lille wollen ebenfalls die Wiedereröffnung des Zuma-Verfahrens vor Gericht erzwingen. Auch gegen Mpshe und den Geheimdienstchef Südafrikas will die Opposition möglicherweise vorgehen. Andere verlangen, dass der skandalumwitterte Waffendeal nun endlich voll aufgeklärt werden müsse, bei dem die südafrikanische Regierung vor zehn Jahren den Ankauf von Fregatten und U-Booten beschloss - und an dem seitdem der Ruch der Korruption haftet.
Juristen befürchten unterdessen, dass Südafrika vor einer Verfassungskrise stehe. Und der frühere Staatspräsident Frederik Willem De Klerk, der 1993 gemeinsam mit Nelson Mandela den Friedensnobelpreis bekommen hat, sagt, die Niederschlagung des Zuma-Prozesses werde “in Südafrika und in Übersee weithin als der bisher ernsteste Anschlag auf den Rechtsstaat seit Beginn unserer jungen Demokratie verstanden werden”. Auch der von Zuma und dem ANC im Herbst vergangenen Jahres aus dem Amt gejagte Ex-Präsident Mbeki, der jede Einflussnahme auf das Zuma-Verfahren bestreitet, warnt, dass nun genau die Schlammschlacht drohe, die er mit seinem Rücktritt vor sieben Monaten habe vermeiden wollen.
2. Teil:
Warum die Polit-Schlammschlacht für Südafrika zum Verhängnis werden könnte
Für Südafrika wäre es verhängnisvoll, wenn das Land auch nach der Wahl vom 22. April durch juristische und politische Grabenkämpfe in seiner politischen Handlungsfähigkeit eingeschränkt oder gar gelähmt würde. Denn seit den xenophobischen Ausschreitungen im Frühjahr vergangenen Jahres ist das Land kaum zur Ruhe gekommen.
Und es steht vor neuen, schweren Herausforderungen: Die globale Wirtschafts- und Finanzkrise, von der Südafrika bisher erstaunlich unberührt geblieben ist, scheint nun doch am Kap angekommen zu sein. Nach Angaben der südafrikanischen Industrie- und Handelskammer ist der Geschäftsklima-Index im März auf den tiefsten Punkt seit sieben Jahren gefallen. Analysten befürchten, dass das mit Wachstumsraten von über sechs Prozent verwöhnte Land zum ersten mal seit 17 Jahren in eine Rezession geraten könnte.
Vor allem die trotz eines vor zwei Jahren drastisch verschärften Kreditgesetzes immer noch enorme Verschuldung der Privathaushalte macht Finanzexperten Sorgen: Das Wirtschaftsforschungsressort der Universität von Südafrika fand heraus, dass beim Normalverdiener von je zehn verdienten Rand 8,40 Rand für Schuldentilgung draufgingen - für Häuser, Autos, Unterhaltungselektronik, Möbel, Kreditkarten. Wirtschaftsforscher Tony Twine ermittelte, dass Bankschulden bis zu 75 Prozent des verfügbaren Einkommens der Privathaushalte auffräßen. Die enormen Investitionen im Hinblick auf die Fußball-WM 2010 in die Infrastruktur Südafrikas wirken derzeit nach Ansicht von Analysten als eine Art Puffer, der die Folgen der weltweiten Krise vorübergehend noch abmildert.
Keine Lösungen gegen die Kriminalität
Doch nicht nur ökonomische Sorgen drücken Südafrika. Das Gesundheits- und das Bildungssystem sind marode, Aids und Armut plagen das Land. Die Kriminalität, die Wirtschaft wie Bürger verunsichert, ist ein Problem, für das keine der Parteien im Wahlkampf eine überzeugende Lösung anzubieten hat. Vor allem in der Provinz Western Cape ist die Kriminalität bei fast jedem Auftritt der Spitzenpolitiker das beherrschende Thema - und je näher der Wahltag rückt, desto heißer wird die Schlacht. Denn dort hoffen die DA und COPE, die Vorherrschaft des ANC am 22. April brechen und den künftigen Ministerpräsidenten stellen zu können - und in Südafrika damit endgültig eine Mehrparteien-Demokratie zu etablieren.
Da die Kriminalität sowohl in den weißen Wohnvierteln wie in den Townships heftig diskutiert wird, ist das Thema für die Opposition deshalb immer wieder ein willkommener Wahlkampf-Hit. COPE-Spitzenkandidat Alan Boesak landete bei einer Kundgebung in einem der Armenviertel vor Kapstadt gleich einen Rundumschlag gegen ANC und DA: “Im vergangenen Jahr hat Kapstadt die zweifelhafte Auszeichnung bekommen, unter den fünf Großstädten mit den meisten Morden in der Welt auf Platz zwei gesetzt zu werden. Die einzige Stadt, in der es gewalttätiger zugeht, ist Caracas in Venezuela.”
Täglich stürben sechs Menschen auf den Straßen der von der DA regierten “Mutterstadt” eines gewaltsamen Todes. “Aber die Verbrechen geschehen natürlich meistens außerhalb der grünen, wohlhabenden Viertel, in denen die Wählerschaft der Demokratischen Allianz in Kapstadt wohnt”, höhnte Boesak. “Weder die DA noch der ANC haben es geschafft, irgendeinen bemerkenswerten Erfolg bei der Verbrechensbekämpfung am Westkap zu erzielen.”
Kapstadts Oberbürgermeisterin Zille und ihre DA malen im Kampf um Wählerstimmen die Situation in Südafrika noch schwärzer. “Die Kriminalität ist außer Kontrolle geraten, weil die meisten Kriminellen damit rechnen, ungeschoren davonzukommen”, schreibt Zille in der Einleitung zum DA-Wahlprogramm. Die Strafgerichtsbarkeit Südafrikas funktioniere nicht. Die Polizei stecke mitten in einer großen Krise.
“Tief Luft holen und Zuma eine Chance geben?”
Zilles Law-and-Order-Rezept: Die Polizei soll auf 250.000 Mann aufgerüstet, die Strafen sollen verschärft werden. “Lebenslang” müsse wirklich “lebenslang” bedeuten. Als die Kapstädter Taxifahrer warnten, die Stadt mit einem Streik lahm zu legen, schreckte Sauberfrau Zille nicht einmal davor zurück, in Verkennung ihrer verfassungsmäßigen Kompetenzen mit dem Einsatz der Armee zu drohen.
Die Vorsitzende der südafrikanischen Menschenrechtskommission, Jody Kollapen, fürchtet, dass Südafrika sich “von den Visionen derer, die unsere Freiheit erkämpft haben”, mittlerweile entfernt hat. “Wir haben es offensichtlich zu ernst genommen, dass wir wirklich diese wunderbare Regenbogennation sind,” sagte sie im März bei der Jahreskonferenz der Menschenrechtskommission. “Aber wir sind es nicht. Wir sind eine ganz normale Nation.” In mancher Hinsicht sei Südafrika immer noch eine Gesellschaft, die sich im Krieg mit sich selbst befinde.
Pieter-Dirk Uys, der prominenteste politische Kabarettist Südafrikas und einer der schärfsten Kritiker Zumas, des ANC und der gesellschaftlichen Entwicklung des Landes, fragte seine Landsleute angesichts der Eskalation der Auseinandersetzung um das voraussichtliche künftige Staatsoberhaupt Jacob Zuma bereits besorgt: “Sollten wir nicht tief Luft holen und Zuma eine Chance geben?” Schließlich, so Uys, habe er viel Humor. “Er lacht, er singt, er tanzt. Er ist charmant.” Vor allem aber sei Zuma “kein kalter Fisch” - wie sein Vorgänger Mbeki.
Von Karl-Ludwig Günsche
Eins steht fest: Der nach Nelson Mandela prominenteste Südafrikaner wird Jacob Zuma am 22. April seine Stimme nicht geben. Der frühere Erzbischof und Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu hat schon vor über einem Jahr angekündigt, dass er aus Protest gegen den mächtigen Chef der Regierungspartei ANC ins Lager der Nicht-Wähler wechseln wolle. Seit Zuma im Dezember 2007 in der Provinzstadt Polokwane zum ANC-Präsidenten gewählt worden ist, hat der streitbare Kirchenmann wieder und wieder davor gewarnt, ihm das Staatsschiff anzuvertrauen.
Doch in den vergangenen Tagen ist der Konflikt zwischen Tutu und Zuma derart eskaliert, dass eine Aussöhnung kaum noch möglich erscheint. Tutu spricht Zuma die moralische Fähigkeit ab, das Land zu führen. Zuma wirft dem Kirchenmann vor, er sei von Hass geleitet und habe sich an einer “Schmutzkampagne” beteiligt, mit der ein “Lynch-Mob” versucht habe, seine Wahl zum ANC-Chef zu torpedieren. “Ich will ihn nicht mehr sehen”, ließ Zuma Anfang der Woche verkünden.
Knapp zwei Wochen vor der wohl wichtigsten Wahl in Südafrika seit dem Ende des Apartheid-Regimes ist das Land zerrissen wie nie seit dem ersten demokratischen Urnengang 1994. Der Streit zwischen Zuma, dem mit großer Wahrscheinlichkeit nächsten Präsidenten des Landes, und Tutu, dem moralischen Gewissen der Nation, symbolisiert, wie tief der Graben ist, der die Nation spaltet.
Jeder gegen jeden
Alle Hoffnungen des Zuma-Lagers sind verflogen, dass die Einstellung des Korruptionsprozesses gegen den ANC-Chef die Wogen wieder glätten würde. Im Gegenteil: Seit der Chef der Strafverfolgungsbehörde NPA, Mokotedi Mpshe, am vergangenen Montag das Verfahren gegen Zuma für beendet erklärte, droht dem Land eine neue juristische und politische Schlammschlacht, ein Kampf jeder gegen jeden.
Denn Msphe hatte Zuma nicht etwa für unschuldig befunden. Zumas Verteidigern waren plötzlich Protokolle über Telefongespräche von dem früheren NPA-Chef Bulelani Ngcuka und dem ehemaligen Top-Mann der Polizei-Eliteeinheit “Scorpions”, Leonard McCarthy, zugespielt worden. Sie stammen offenbar vom südafrikanischen Geheimdienst. Wie die Geheimprotokolle in die Hände der Zuma-Anwälte geraten konnten, ist ungeklärt. Sie belegen allerdings nach Mpshes Ansicht, dass Strippenzieher aus Politik und Justiz im Hintergrund Einfluss auf das Verfahren genommen und somit einen fairen Prozess verhindert hätten. Deshalb entschied er, Zuma trotz aller Zweifel außer Verfolgung zu setzen.
Der jubelnde, tanzende und singende Zuma verkündet seinen Anhängern seit jenem, für ihn historischen Montag immer wieder sichtlich erleichtert: “Mein Gewissen ist rein. Ich habe keine Verbrechen begangen.” Er hege auch keinen Groll gegen seine Gegner, versichert er. Doch in ihrer Euphorie über das plötzliche Ende des achtjährigen juristischen Tauziehens um seine politische Zukunft wollen Zuma und seine Getreuen nun den ehemaligen Staatschef Thabo Mbeki und dessen Gefolgsleute vor Gericht zerren.
“Verschwörer gegen Zuma sollen zahlen”
Noch sind es Scharfmacher aus der zweiten Reihe, die zum Rachefeldzug aufrufen. So schäumte der Sekretär der kommunistischen Jugendliga, Buti Manamela: “Verhaftet Bulenani Ngcuka, verhaftet Thabo Mbeki, verhaftet (den früheren Justizminister) Penuell Maduna, werft sie ins Gefängnis.” “Strolche, Kriminelle und Verschwörer müssen bloßgestellt werden,” tobte Manamela. Auch der Generalsekretär des einflussreichen Gewerkschaftsbundes Cosatu, Zwelinzima Vavi, drohte: “Alle, die sich gegen Zuma verschworen haben, sollen dafür vor Gericht zahlen.”
Für Vavi ist Mbeki ebenfalls der Hauptschuldige. Aber er setzte auch gleich noch die inzwischen zur ANC-Abspaltung COPE übergetretene frühere südafrikanische Vizepräsidentin Phumzile Mlambo-Ngcuka auf die Verschwörerliste. Auch Leonard McCarthy muss damit rechnen, dass Zuma und seine Leute ihn zur Rechenschaft ziehen. Lautstark verlangen sie, dass er als erstes seinen neuen Job als oberster Korruptionsbekämpfer bei der Weltbank verlieren müsse. Zuma selbst schießt Breitseiten gegen die Justiz: Einige Richter fühlten sich offenbar “wie Götter” und hätten dem ANC den Krieg erklärt.
Doch wer wem inzwischen alles mit Konsequenzen oder gar gerichtlicher Verfolgung gedroht hat, ist kaum noch zu überblicken. Denn auch die Opposition ist nicht untätig: Sie will Zuma nicht ungeschoren davonkommen lassen. Helen Zille, Vorsitzende der Demokratischen Allianz (DA), der größten Oppositionspartei, will die Einstellungsentscheidung der NPA vor Gericht anfechten, weil sie juristisch zweifelhaft sei. Ein Eilverfahren, das sie beantragt hatte, ist allerdings abgeschmettert und auf die Zeit nach der Wahl vertagt worden.
Juristen warnen vor Verfassungskrise
Die ANC-Absplitterung COPE und die Independent Democrats von Patricia de Lille wollen ebenfalls die Wiedereröffnung des Zuma-Verfahrens vor Gericht erzwingen. Auch gegen Mpshe und den Geheimdienstchef Südafrikas will die Opposition möglicherweise vorgehen. Andere verlangen, dass der skandalumwitterte Waffendeal nun endlich voll aufgeklärt werden müsse, bei dem die südafrikanische Regierung vor zehn Jahren den Ankauf von Fregatten und U-Booten beschloss - und an dem seitdem der Ruch der Korruption haftet.
Juristen befürchten unterdessen, dass Südafrika vor einer Verfassungskrise stehe. Und der frühere Staatspräsident Frederik Willem De Klerk, der 1993 gemeinsam mit Nelson Mandela den Friedensnobelpreis bekommen hat, sagt, die Niederschlagung des Zuma-Prozesses werde “in Südafrika und in Übersee weithin als der bisher ernsteste Anschlag auf den Rechtsstaat seit Beginn unserer jungen Demokratie verstanden werden”. Auch der von Zuma und dem ANC im Herbst vergangenen Jahres aus dem Amt gejagte Ex-Präsident Mbeki, der jede Einflussnahme auf das Zuma-Verfahren bestreitet, warnt, dass nun genau die Schlammschlacht drohe, die er mit seinem Rücktritt vor sieben Monaten habe vermeiden wollen.
2. Teil:
Warum die Polit-Schlammschlacht für Südafrika zum Verhängnis werden könnte
Für Südafrika wäre es verhängnisvoll, wenn das Land auch nach der Wahl vom 22. April durch juristische und politische Grabenkämpfe in seiner politischen Handlungsfähigkeit eingeschränkt oder gar gelähmt würde. Denn seit den xenophobischen Ausschreitungen im Frühjahr vergangenen Jahres ist das Land kaum zur Ruhe gekommen.
Und es steht vor neuen, schweren Herausforderungen: Die globale Wirtschafts- und Finanzkrise, von der Südafrika bisher erstaunlich unberührt geblieben ist, scheint nun doch am Kap angekommen zu sein. Nach Angaben der südafrikanischen Industrie- und Handelskammer ist der Geschäftsklima-Index im März auf den tiefsten Punkt seit sieben Jahren gefallen. Analysten befürchten, dass das mit Wachstumsraten von über sechs Prozent verwöhnte Land zum ersten mal seit 17 Jahren in eine Rezession geraten könnte.
Vor allem die trotz eines vor zwei Jahren drastisch verschärften Kreditgesetzes immer noch enorme Verschuldung der Privathaushalte macht Finanzexperten Sorgen: Das Wirtschaftsforschungsressort der Universität von Südafrika fand heraus, dass beim Normalverdiener von je zehn verdienten Rand 8,40 Rand für Schuldentilgung draufgingen - für Häuser, Autos, Unterhaltungselektronik, Möbel, Kreditkarten. Wirtschaftsforscher Tony Twine ermittelte, dass Bankschulden bis zu 75 Prozent des verfügbaren Einkommens der Privathaushalte auffräßen. Die enormen Investitionen im Hinblick auf die Fußball-WM 2010 in die Infrastruktur Südafrikas wirken derzeit nach Ansicht von Analysten als eine Art Puffer, der die Folgen der weltweiten Krise vorübergehend noch abmildert.
Keine Lösungen gegen die Kriminalität
Doch nicht nur ökonomische Sorgen drücken Südafrika. Das Gesundheits- und das Bildungssystem sind marode, Aids und Armut plagen das Land. Die Kriminalität, die Wirtschaft wie Bürger verunsichert, ist ein Problem, für das keine der Parteien im Wahlkampf eine überzeugende Lösung anzubieten hat. Vor allem in der Provinz Western Cape ist die Kriminalität bei fast jedem Auftritt der Spitzenpolitiker das beherrschende Thema - und je näher der Wahltag rückt, desto heißer wird die Schlacht. Denn dort hoffen die DA und COPE, die Vorherrschaft des ANC am 22. April brechen und den künftigen Ministerpräsidenten stellen zu können - und in Südafrika damit endgültig eine Mehrparteien-Demokratie zu etablieren.
Da die Kriminalität sowohl in den weißen Wohnvierteln wie in den Townships heftig diskutiert wird, ist das Thema für die Opposition deshalb immer wieder ein willkommener Wahlkampf-Hit. COPE-Spitzenkandidat Alan Boesak landete bei einer Kundgebung in einem der Armenviertel vor Kapstadt gleich einen Rundumschlag gegen ANC und DA: “Im vergangenen Jahr hat Kapstadt die zweifelhafte Auszeichnung bekommen, unter den fünf Großstädten mit den meisten Morden in der Welt auf Platz zwei gesetzt zu werden. Die einzige Stadt, in der es gewalttätiger zugeht, ist Caracas in Venezuela.”
Täglich stürben sechs Menschen auf den Straßen der von der DA regierten “Mutterstadt” eines gewaltsamen Todes. “Aber die Verbrechen geschehen natürlich meistens außerhalb der grünen, wohlhabenden Viertel, in denen die Wählerschaft der Demokratischen Allianz in Kapstadt wohnt”, höhnte Boesak. “Weder die DA noch der ANC haben es geschafft, irgendeinen bemerkenswerten Erfolg bei der Verbrechensbekämpfung am Westkap zu erzielen.”
Kapstadts Oberbürgermeisterin Zille und ihre DA malen im Kampf um Wählerstimmen die Situation in Südafrika noch schwärzer. “Die Kriminalität ist außer Kontrolle geraten, weil die meisten Kriminellen damit rechnen, ungeschoren davonzukommen”, schreibt Zille in der Einleitung zum DA-Wahlprogramm. Die Strafgerichtsbarkeit Südafrikas funktioniere nicht. Die Polizei stecke mitten in einer großen Krise.
“Tief Luft holen und Zuma eine Chance geben?”
Zilles Law-and-Order-Rezept: Die Polizei soll auf 250.000 Mann aufgerüstet, die Strafen sollen verschärft werden. “Lebenslang” müsse wirklich “lebenslang” bedeuten. Als die Kapstädter Taxifahrer warnten, die Stadt mit einem Streik lahm zu legen, schreckte Sauberfrau Zille nicht einmal davor zurück, in Verkennung ihrer verfassungsmäßigen Kompetenzen mit dem Einsatz der Armee zu drohen.
Die Vorsitzende der südafrikanischen Menschenrechtskommission, Jody Kollapen, fürchtet, dass Südafrika sich “von den Visionen derer, die unsere Freiheit erkämpft haben”, mittlerweile entfernt hat. “Wir haben es offensichtlich zu ernst genommen, dass wir wirklich diese wunderbare Regenbogennation sind,” sagte sie im März bei der Jahreskonferenz der Menschenrechtskommission. “Aber wir sind es nicht. Wir sind eine ganz normale Nation.” In mancher Hinsicht sei Südafrika immer noch eine Gesellschaft, die sich im Krieg mit sich selbst befinde.
Pieter-Dirk Uys, der prominenteste politische Kabarettist Südafrikas und einer der schärfsten Kritiker Zumas, des ANC und der gesellschaftlichen Entwicklung des Landes, fragte seine Landsleute angesichts der Eskalation der Auseinandersetzung um das voraussichtliche künftige Staatsoberhaupt Jacob Zuma bereits besorgt: “Sollten wir nicht tief Luft holen und Zuma eine Chance geben?” Schließlich, so Uys, habe er viel Humor. “Er lacht, er singt, er tanzt. Er ist charmant.” Vor allem aber sei Zuma “kein kalter Fisch” - wie sein Vorgänger Mbeki.
Von Karl-Ludwig Günsche
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