Hamburg - Das US-Justizministerium ging mit feinster Behördenakribie zu Werke. "Sie wollten die Ansicht dieses Büros zu der Frage wissen", schreibt Jay S. Bybee vom Büro für Rechtsfragen am 1. August 2002 an John Rizzo, Chefjustiziar des US-Geheimdienstes CIA, "ob ein bestimmtes Verhalten, das Sie vorgeschlagen haben, gegen das Folterverbot verstößt." Das "Verhalten" präzisiert der Autor in dem Schreiben in zehn Punkten.
In nüchternen Worten ist da zu lesen, was Menschenrechtler auf der ganzen Welt auf die Barrikaden trieb, was Präsident Obama inzwischen verboten hat und mitunter euphemistisch als "harsche Verhörmethoden" bezeichnet wird: das extreme Repertoire der CIA-Folterknechte, abgesegnet vom damaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten, George W. Bush.
Die Memos, die das Weiße Haus am Donnerstag veröffentlicht hat, beschreiben die Verhörmethoden, denen insgesamt 28 Terrorverdächtige ausgesetzt waren. Mit der Veröffentlichung der Unterlagen ging die inzwischen umstrittene Ankündigung Obamas einher, den CIA-Folterern Straffreiheit zu gewähren. Diese hätten sich in "gutem Glauben" auf die Einschätzung des Justizministeriums verlassen - auch um seine Argumentation zu erläutern, habe er die Memos zugänglich gemacht, sagte Obama.
Nie zuvor waren offizielle Dokumente zugänglich, die derart detailliert beschreiben, wie die CIA-Verhörleiter in den Befragungen vorgingen. In den Dokumenten - "Top Secret" gekennzeichnet, das Wort ist inzwischen durchgestrichen - sind die zehn Methoden aufgelistet, für die die CIA das Justizministerium um Zustimmung gebeten hatte.
Ein Auszug:
"Die Phase (der verschärften Befragung, Anm. d. Red.) wird vermutlich nicht mehr als ein paar Tage dauern, kann aber auf bis zu 30 Tage ausgedehnt werden. Während dieser Phase wollen Sie (die CIA, Anm. d. Red.) zehn Methoden zur Anwendung bringen, von denen Sie glauben, dass sie dazu führen, dass er (der Gefangene Abu Subeida, Anm. d. Red.) (...) entscheidende Informationen (…) preisgibt."
Die erste Methode:
"Der Aufmerksamkeitsgriff besteht darin, die Person mit beiden Händen am Kragen zu packen, je eine Hand an jeder Kragenseite, die Bewegung ist kontrolliert und schnell. So, wie der Verhörleiter die Person gepackt hat, reißt er sie zu sich herüber."
Weitere Methoden sind das sogenannte Walling, bei dem der Häftling gegen eine Wand geschleudert oder gedrückt wird, um ihn einzuschüchtern, der Griff ins Gesicht, Ohrfeigen, Einzelhaft in einer beengten dunklen Zelle, stundenlanges Stehen und Ausharren in einer unbequemen Position. Andere Methoden zielen eher auf psychologischen Druck statt auf Gewalt. So war vorgesehen, den Gefangenen Subeida, der unter einer Insektenphobie litt, in eine Kiste voller harmloser Insekten zu sperren und ihm weiszumachen, es handele sich um stechende Exemplare - der Plan wurde allerdings nicht ausgeführt.
In einem Memo vom 10. Mai 2005 sind weitere Methoden aufgeführt, die Manipulation der Nahrung etwa ("die Häftlinge bekommen fades, wenig ansprechendes Essen, das aber alle Ernährungsanforderungen erfüllt"), Nacktheit ("verursacht psychologisches Unwohlsein", "Kleidung kann als sofortige Belohnung für Kooperation eingesetzt werden"), Schlag auf den Bauch ("mit der Rückseite der geöffneten Hand", "Schlag muss zwischen Nabel und Brustbein treffen", dient der Einschüchterung) und Wassereinsatz ("Kaltes Wasser aus einem Behälter oder einem Schlauch ohne Düse", "Wasser darf nicht in Nase, Mund oder Augen gelangen", "Umgebungstemperatur muss über 18 Grad bleiben").
Dass Gefangene am Schlafen gehindert wurden, fand demnach vielfach statt. Das Justizministerium schreibt dazu im August 2002:
"Schlafentzug darf angewendet werden. Sie haben angegeben, Sie wollten mit dieser Methode erreichen, dass die Person nicht mehr klar denken kann und die Unannehmlichkeiten des Schlafentzugs sie dazu bringen zu kooperieren. Die Folgen dieses Schlafentzugs geben sich normalerweise nach ein, zwei Nächten ohne Unterbrechung des Schlafs. Sie haben uns darüber in Kenntnis gesetzt, dass Ihren Erkenntnissen zufolge in seltenen Fällen Menschen mit einer Neigung zu psychologischen Störungen bei Schlafentzug abnormal reagieren. Aber selbst in diese Fällen geben sich die Folgen, wenn die Person schlafen darf. Zusätzlich sind, für den unwahrscheinlichen Fall einer abnormalen Reaktion, Kollegen mit medizinischer Ausbildung anwesend, die einschreiten können. Sie haben uns mündlich mitgeteilt, dass Sie Subeida nicht mehr als elf Tage am Stück am Schlafen hindern würden. Und dass Sie ihn bereits erfolgreich 72 Stunden am Stück wachgehalten haben, ohne dass er körperlichen oder seelischen Schaden erlitten hat."
Der Rest des Absatzes ist geschwärzt. Und später, im Mai 2005:
"Die maximale Dauer des Schlafentzugs, den die CIA genehmigt, liegt bei 180 Stunden, nach deren Ablauf dem Gefangenen gestattet werden muss, acht Stunden ohne Unterbrechung zu schlafen. Sie haben uns in Kenntnis gesetzt, dass bislang mehr als ein Dutzend Häftlinge einem Schlafentzug von mehr als 48 Stunden ausgesetzt waren, drei Häftlinge waren einem Schlafentzug von mehr als 96 Stunden ausgesetzt; die längste Zeitspanne, die je ein Häftling vom Schlafen abgehalten wurde, betrug 180 Stunden."
Zum Waterboarding heißt es im August 2002:
"Bei dieser Prozedur wird die Person fest an eine geneigte Bank gebunden (…). Die Füße der Person sind normalerweise angehoben. Ein Tuch wird über Stirn und Augen gelegt. Dann wird Wasser kontrolliert auf das Tuch gegossen. Wenn das Tuch sich vollgesogen hat und komplett Mund und Nase verdeckt, wird durch das Tuch die Luftzufuhr für eine Dauer von 20 bis 40 Sekunden leicht unterdrückt. (…) Der erhöhte Atemimpuls ruft in Zusammenspiel mit dem Tuch ein Gefühl des 'Erstickens und aufkommender Panik' hervor, das heißt das Gefühl zu ertrinken. Die Person atmet dabei kein Wasser ein. Während dieser 20 bis 40 Sekunden wird ununterbrochen weiter Wasser aus einer Höhe von 30 bis 60 Zentimetern gegossen. Danach wird das Tuch entfernt, und die Person darf drei- bis viermal ungestört tief einatmen. Das Gefühl des Ertrinkens hört sofort auf, wenn man das Tuch entfernt. Die Prozedur kann dann wiederholt werden. (…) Sie haben uns mündlich davon in Kenntnis gesetzt, dass diese Prozedur automatisch das physiologische Empfinden des Ertrinkens auslöst, das die Person nicht unter Kontrolle hat, selbst wenn sie sich darüber im Klaren ist, dass sie nicht wirklich ertrinkt. Sie haben uns außerdem mündlich mitgeteilt, dass eine solche Prozedur nicht länger als 20 Minuten in einem Durchgang dauert."
Details zu Dauer der Anwendung des Waterboarding sind in einem Schreiben vom Mai 2005 zu finden. Darin heißt es, binnen der Gesamtdauer der verschärften Verhöre von 30 Tagen dürfe Waterboarding an fünf Tagen angewendet werden. Binnen 24 Stunden dürfen die CIA-Mitarbeiter zwei Durchgänge mit dem Häftling absolvieren, ein Durchgang darf maximal zwei Stunden dauern. Während einer "Session" ist es den Agenten gestattet, den Gefangenen mehrfach glauben zu lassen, er ertränke - sechsmal insgesamt. Sechsmal Todesangst in zwei Stunden.
Und was ist nun Folter? Das Uno-Übereinkommen gegen Folter von 1984 definiert Folter als "jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden".
Mit dieser Definition setzt sich auch der Autor eines der Memos auseinander. "Damit Schmerz oder Leiden zur Folter wird", schreibt das Justizministerium an die CIA, "müssen Schmerz und Leiden laut Statuten schwer sein." Keine der zehn Techniken, schlussfolgern die Juristen, fielen demnach unter den Begriff der Folter. Weder Ohrfeigen, noch Einschüchtern, noch Schlafentzug - und vor allem: auch Waterboarding nicht. "Das Waterboarding ist einfach ein kontrolliertes intensives Erlebnis, dem die Anmutung einer längeren Zeitspanne fehlt, das man üblicherweise mit Leiden in Verbindung bringt."
Bleibt die Frage: Wie viel Zeit braucht man zum Leiden? 20 Sekunden? 40? Reicht sechsmal Todesangst binnen zwei Stunden? Auch wenn die Berater aus dem Justizministerium unter der Regierung Bush das klar verneinten - Barack Obama ist anderer Ansicht. Er verbot Waterboarding und andere umstrittene Praktiken am 22. Januar 2009. Es war eine seiner ersten Amtshandlungen - kurz nachdem George W. Bush Geschichte war.
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