Somalia ist ein Land ohne Staat: Funktionierende Behörden oder Gesetze gibt es nicht. Wer sein Geld mit kriminellen Geschäften wie der Piraterie verdient, profitiert davon. Der Großteil der Bevölkerung aber ist auf Hilfe aus dem Ausland angewiesen. In Brüssel berät darüber heute eine Geberkonferenz.
Staatszerfall, Terrorherrschaft, Anarchie und ein Untergrundkrieg radikaler Islamisten gegen gemäßigtere Kräfte: Seit der Flucht des letzten Staatschefs Siad Barre vor 18 Jahren geht es mit Somalia kontinuierlich bergab. In der Hauptstadt Mogadischu zeugen nur noch von Gewehrsalven und Granateneinschlägen durchsiebte Häusergerippe von einstiger Größe. “Mogadischu ist ein Dschungel, in dem jeder macht, was er will”, sagt Mohammed Hurre, der Initiator einer somalischen Friedensinitiative. “Die Regierung hat keine Kontrolle. Die Aufständischen operieren aus dem Untergrund. Alle haben Waffen, und die Gewalt eskaliert.”
Übergangsregierung hat keine Kontrolle
Nur knapp 3000 Soldaten unter Mandat der Afrikanischen Union versuchen in dieser Hölle, eine Art von Ordnung aufrecht zu erhalten. Die Übergangsregierung von Präsident Sharif Sheikh Achmed, die 15. seit 18 Jahren, hat hingegen kaum Kontrolle über das Land. Sicherheitskräfte beider Seiten sollen jetzt mit Millionen gestärkt werden, über deren Bereitstellung Geberländer heute in Brüssel diskutieren.
42 Prozent der Menschen brauchen Hilfe
Es ist höchste Zeit, wenn man Dawn Blalock, der UN-Sprecherin für humanitäre Angelegenheiten in Somalia, zuhört: “Wir haben in Somalia seit 20 Jahren humanitäre Probleme, aber in den vergangenen zwei Jahren hat sich die Lage dramatisch verschlechtert. Inzwischen sind 3,2 Millionen Somalis auf humanitäre Hilfe angewiesen, das sind mehr als 42 Prozent der gesamten Bevölkerung. Mehr als eine Million davon sind intern vertrieben.”
Besonders trifft die Dauerkrise Kinder: Nirgendwo auf der Welt geht es ihnen schlechter, so das UN-Kinderhilfswerk UNICEF. Jedes siebte somalische Kind ist UNICEF zufolge schwer mangelernährt. “Meine Mutter verkauft Gemüse auf dem Markt”, beschreibt der 14-jährige Abdulrahim sein Leben in Mogadischu. “Aber wenn dort gekämpft wird, ist es schwierig für uns. Das Überleben der Familie hängt von dem wenigen ab, was meine Mutter auf dem Markt verdient. Früher haben wir dreimal am Tag gegessen, inzwischen muss eine Mahlzeit am Tag reichen.”
Helfer werden entführt oder umgebracht
Wegen der galoppierenden Inflation im Land können sich viele Somalis nicht einmal eine Mahlzeit leisten und sind ausschließlich auf Hilfsgüter angewiesen. Doch die Verteilung von humanitärer Hilfe in Somalia ist so schwer wie nie zuvor. Immer häufiger werden Helfer umgebracht oder entführt. Derzeit befinden sich drei Mitarbeiter von “Ärzte ohne Grenzen” in der Gewalt somalischer Entführer, die eine Million Dollar Lösegeld fordern.
“Niemand mehr kann hier seine Aufgabe erfüllen”, warnt der Präsident von Ärzte ohne Grenzen, Christophe Fournier. “Wir erwarten keinen besonderen Schutz. Aber die Kriegsparteien müssen unsere neutrale Position und den humanitären Einsatz respektieren.” Ein Paradies ist Somalia nur für diejenigen, die mit kriminellen Geschäften Geld machen. Denn in einem Land ohne Staat gibt es keine Gesetze, keine Polizei, keine Küstenwache.
“Debatte über Piraten nicht zu Lasten der Hilfe”
UN-Sprecherin Blalock warnt, wegen der Debatte um Piratenangriffe die humanitäre Hilfe nicht zu vernachlässigen. “Warum sollte man die Masse der notleidenden Somalis für die Taten einer kleinen Gruppe bestrafen, die organisierte Kriminelle sind? Es ist ja nicht so, als ob die gesamte Bevölkerung zu Piraten geworden wäre. Es ist gut, dass sich die internationale Gemeinschaft dieses Problems annimmt, aber ich hoffe, dass dies nicht zu Lasten der Männer, Frauen und Kinder geht, die unterernährt sind, Hunger leiden oder nicht einmal Wasser oder ein Dach über dem Kopf haben.”
Doch nicht nur die Piraten, auch die Wirtschaftskrise beeinträchtigt die Hilfe für Somalia. Nicht einmal ein Drittel des Geldes, das UNO und Hilfsorganisationen dieses Jahr in Somalia benötigen, ist bisher zugesagt.
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