Donnerstag, 16. April 2009

Der Papst ist schuldig, Bin Laden nicht

Von Anne Huschka, Leiden

Wie war das mit dem gesunden Volksempfinden?
In der holländischen Gerichtsshow "Anwalt des Teufels" urteilt eine Bürgerjury im Schnellverfahren: Erst war Bin Laden angeklagt, jetzt der Papst - das Kirchenoberhaupt schnitt schlechter ab als der Qaida-Chef.


In der Vorwoche saß Osama Bin Laden auf der Anklagebank, diese Woche vertrat der "Anwalt des Teufels" einen anderen vermeintlichen Delinquenten: Papst Benedikt XVI. Ein niederländischer TV-Sender macht "Menschen, von denen die Öffentlichkeit ein festes Bild hat" den Schauprozess. Ein Anwalt vertritt die Interessen der Angeklagten, eine Jury aus Bürgern urteilt über "schuldig" oder "nicht schuldig".

Flammen züngeln über den Fernsehschirm, im Hintergrund wüten Streicher und Paukenschläge. Der Papst vor dem Hakenkreuz, leere Giftdosen und ausgemergelte Männer vor einem Bahnwaggon werden eingeblendet, es folgen sterbende Afrikaner, ein totes Kind im Sarg, tanzende Männer in Balletröckchen und immer wieder sein Konterfei: Papst Benedikt XVI. Diskriminiert er Frauen und Homosexuelle? Ist er für Millionen Aids-Tote verantwortlich? Legitimiert er Antisemitismus?

Über diese schwerwiegenden Anklagepunkte wurde am Mittwochabend entschieden. Binnen 35 Minuten, beim niederländischen TV-Kanal AVRO, in der Sendung "Anwalt des Teufels" ("Advocaat van de Duivel"). In der Vorwoche hatte sich noch Osama Bin Laden für den 11. September 2001, die Führung al-Qaidas und Terrorismus im Allgemeinen verantworten müssen.

Die Jury sprach den Terrorpaten überraschend in den ersten beiden Anklagepunkten frei, lediglich den Vorwurf des Terrorismus musste sich Bin Laden - in Abwesenheit - gefallen lassen. Auch Papst Benedikt XVI. war nicht persönlich vor dem TV-Gericht erschienen. Was auch nicht nötig war, denn der braungebrannte Amsterdamer Anwalt Gerard Spong, Experte in Strafrecht, übernahm erneut die Verteidigung des Angeklagten.

Der Titel der Show bezieht sich dabei nicht auf den vermeintlich teuflischen Angeklagten, sondern auf einen lateinischen Ausdruck aus der Rhetorik: den Advocatus Diaboli als jene Person, die grundsätzlich die Gegenposition einnimmt - sei sie auch noch so verpönt.

Nach der Vorstellung der fünfköpfigen Jury - Busfahrer, Rezeptionistin, Medienschaffende, Karriere-Coach und Student - folgte die Anklage. Dem Vorwurf, der Papst diskriminiere Frauen und Homosexuelle, begegnete Anwalt Spong mit Argumenten wie "Frauen können auch heiliggesprochen werden", "das populärste Kirchenlied ist das Ave Maria", "die Rechte von Homosexuellen werden von keiner Kirche mehr verteidigt als von der katholischen".

Die Aussage eines Papst-Mitarbeiters, der Heilige Stuhl verurteile jede Form von unrechtmäßiger Gewalt gegen Homosexuelle, warf kurz die Frage auf, ob es denn rechtmäßige Gewalt gegen Homosexuelle gebe. Doch Moderator Lennart Booij tat sein Bestes, um die ohnehin spärlichen Diskussionen zwischen Spong und seinen Gegenübern, einem Journalisten und einem Ethiker, zu unterbinden.

Ebenfalls für unschuldig befand Spong seinen virtuellen Mandaten im Falle der Millionen Aids-Toten. "Nicht Kondome, sondern eine strengere Moral ist die wirksamste Waffe gegen Aids", räsonierte der Anwalt. Namhafte Wissenschaftler hätten schließlich bestätigt, dass Kondomgebrauch nicht wesentlich gegen die Verbreitung von Aids helfe.

Spong zückte Zeitungsausschnitte und TV-Einspieler, stellte fest: "Die Kirche hat Aids nicht verursacht." Seine Verteidigungsrede gipfelte in der Aussage eines flämischen Epidemiologen: Wenn Menschen in Afrika sich auf einen Partner beschränken würden "dann hört die HIV/Aids-Epidemie auf, so wie sie in Europa nie begonnen hat". Der Journalist gegenüber wies schnell darauf hin, "dass wir an einem außergewöhnlich gefährlichen Punkt angekommen sind".

Zeit also für den dritten Anklagepunkt: Die Sache mit dem Antisemitismus. Spong bestritt vehement, dass der Papst von der Gesinnung des Piusbruders Williamson gewusst habe - und was den Zweiten Weltkrieg angehe: "Als Hitler an die Macht kam, war der Papst noch ein Kind!" Nach 35 Minuten bizarrer Argumente, zerstückelter Argumentationen und oberflächlicher Betrachtungen konnte sich die Bürgerjury zurückziehen. Schnell wurden einige Fragen gewälzt: Gefährden Homosexuelle den Fortbestand der Menschheit? Taugt der Mensch zur Monogamie? Wollte der Heilige Vater dem Piusbruder Williamson lediglich eine zweite Chance einräumen?

Am Ende mussten Spong und der Heilige Vater härter einstecken als Osama Bin Laden: Schuldig in den ersten beiden der drei Anklagepunkte. Bin Laden hingegen war in der Woche zuvor mit lediglich einem Schuldspruch davongekommen.

Vier weitere Angeklagte müssen sich in den nächsten Wochen noch in den kurzen TV-Prozessen verantworten. Der Sender AVRO will mit dem Format "die Geschichte hinter der Geschichte zeigen. Eine Geschichte, die wir vielleicht lieber nicht hören wollen". Die Einschaltquoten der ersten Sendung bestätigten dies: Im Vergleich zum Vorprogramm fiel die Zahl der Zuschauer von 682.000 auf 229.000.

Das Echo auf das Format ist sehr schwach und geteilt: Zwischen "schön kontrovers" und "funktioniert auf dem Papier besser als im TV" urteilen Blogger einschlägiger Seiten. Im Forum zur Sendung wird ein bisschen weiterdiskutiert, die Zeitungen des Landes halten sich nicht mit dem Thema auf. Was nicht verwundert: Die Hälfte der Niederländer bezeichnet sich als konfessionslos.

Bei der verantwortlichen Produktionsfirma Palm Plus ist man jedoch vom Erfolg des Formats überzeugt. "Es besteht latentes Interesse aus dem Ausland", so eine Sprecherin. Mit Sendern aus Skandinavien und Großbritannien stehe man in Verhandlungen über die Rechte, "wir sind sicher, dass wir das Format weiterverkaufen".

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