Sonntag, 26. April 2009

Schwule im Irak: Verfolgt, inhaftiert, erschossen

Schwule im Irak sind Freiwild für Kleriker, ihre Familien und Todesschwadrone. Allein in Sadr City wurden in den vergangenen zwei Monaten 25 Männer ermordet - auf ihrer Kleidung klebten "Pervers"-Zettel. Trotzdem zeigen sich Homosexuelle seit Saddams Sturz häufiger.

Von Ulrich Leidholdt, ARD-Hörfunkstudio Amman

"Wir kriegen Euch, Ihr Schwuchteln!" Hetzparolen wie diese bedecken Hauswände in Bagdads Schiiten-Slum Sadr City. Kein Zweifel, was den Opfern blüht: "Wir werden Euch bestrafen, Ihr Perversen" drohen Hass-Aufkleber einer Gang, die sich "Brigade der Aufrechten" nennt.

Die Ankündigung ist todernst. Adel Kadel, ein 40-jähriger Fahrer, erzählt, wie er in Sadr City Augenzeuge der Schwulen-Hatz wurde: "Es gibt Banden, die sagen ganz offen, wir verfolgen diese Typen und bringen sie um." Das habe er selbst gesehen: "Die haben es wirklich getan. Die Jungs, die kennen die bewaffneten und islamischen Banden und haben Angst vor ihnen."

25 Leichen lagen in den letzten zwei Monaten auf Straßen des Zwei-Millionen-Slums, vermutlich weil die Männer schwul waren oder dafür gehalten wurden. An ihrer Kleidung fand sich der Aufkleber: "pervers". Anderen Opfern wurden Arme und Beine gebrochen.

Eine Straße in Bagdad (Foto: dpa)
"Ist doch keine Schande"

Der Islam verbietet Homosexualität. Im Irak stehen darauf bis zu sieben Jahre Haft. Dennoch zeigen sich Schwule hier seit dem relativen Abflauen der Gewalt und dem Rückzug religiöser Milizen öfter. Jungen wie der 16-jährige Laith Basem oder der 17-jährige Ra'oof Zaki mit seinen im Irak unüblich langen Haaren.

"Seit drei Jahren lasse ich mein Haar wachsen. Das ist hübsch, ich mag das. Ist doch keine Schande, ist doch nichts falsch dabei", sagt Ra'oof. "Das ist doch normal und der Staat soll uns schützen wie woanders auch", meint Laith.

Nicht nur sunnitische oder schiitische Banden machen Jagd auf Schwule, auch die Polizei. Homosexualität sei gegen das Gesetz und einfach ekelhaft, begründet ein Offizier die Razzien. Selbst vor den eigenen Verwandten müssen sich Schwule in Acht nehmen. Söhne, die nach ihrer Auffassung Schande über die Familie gebracht haben, werden ermordet. So soll deren Ehre wieder hergestellt werden. Behörden ermitteln halbherzig, spielen die Zahl der Toten herunter, nehmen kaum Schuldige fest.

"Das sind die, die immer Ärger machen"

Heithem Sami ist einer der wenigen Schwulen in Bagdad, der offen redet. Der 28-jährige hatte gehofft, der Sturz Saddam Husseins würde zu mehr gesellschaftlichen Freiheiten führen. "So was gibt’s doch in allen Ländern. Diejenigen, die das in einem islamischen Land für pervers halten, sind halt die, die immer Ärger machen."

Jeder solle seine eigenen Ansichten haben können in einer echten Demokratie. "Jeder schläft auf der Seite, die er bequem findet, sagt ein Sprichwort. So funktioniert persönliche Freiheit und Demokratie, haben wir die nicht nach dem Sturz des Systems?", fragt er.

Order des Groß-Ajatollahs: Todesstrafe

Tatsächlich hat der schiitische Groß-Ajatollah al Sistani schon vor vier Jahren die Order verkündet, Schwule und Lesben seien mit dem Tod zu bestrafen. Und zwar "auf die schlimmste und härteste Art". Bei Freitagsgebeten in Sadr City wird Homosexualität immer wieder verdammt, ebenso Mode und Lebensstil des Westens.

Salaam Ganem, 32 Jahre alt und schwul, lebt entsprechend vorsichtig. Seine Hoffnungen wirken irreal im Irak, wo Männer wie er täglich mit ihrer Ermordung rechnen müssen. "Seit dem Sturz Saddams und nach unserer Verfassung sollen wir frei sein, absolut und im wahren Sinne des Wortes. Tatsächlich ist unsere Freiheit beschnitten. Diese Verbrechen hier in Sadr City haben doch wohl nichts mit der Freiheit der Iraker zu tun. Unsere Freiheit bleibt unzulänglich."

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