Es war ein denkwürdiger Anlass, den sich das Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN) ausgesucht hatte, um für sein Anliegen zu werben: Der anstehende Welt-Malariatag, den das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (Unicef) alljährlich veranstaltet, in diesem Jahr am 25. April. „Durch Malaria sterben jedes Jahr eine Million Menschen. Betroffen sind vor allem afrikanische Kinder südlich der Sahara“, hieß es in der Einladung zur Pressekonferenz im Haus des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu).
Mindestens eine Million Tote pro Jahr, vier Fünftel davon Kinder unter fünf Jahren, zwischen zwei- und dreihundert Millionen Krankheitsfälle, 3,3 Milliarden, die von der Krankheit bedroht sind, die Hälfte der Menschheit mithin. Komplette Volkswirtschaften afrikanischer Staaten liegen wegen Malaria am Boden. Die Zahlen, die die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in ihrem regelmäßigen Welt-Malaria-Report veröffentlicht, zuletzt 2008, könnten dramatischer nicht sein. Andere Stellen gehen von über zwei Millionen Toten aus. Malaria ist nach Aids die zweitschlimmste Infektionskrankheit. Gegen Aids kann man sich schützen, wie jeder weiß. Dass man sich auch gegen Malaria schützen kann, wusste man immerhin schon mal.
Der Bann von DDT erfolgte zu Unrecht
Es gibt ein Mittel, mit dem man auf bestem Wege war, der Seuche weltweit den Garaus zu machen: Dichlordiphenyltrichlorethan, kurz DDT. Bis der Stoff auf den Index kam, geächtet wurde – und die Malaria zurückkehrte. Zu Unrecht erfolgte der Bann von DDT, wie Forscher heute wissen. Doch einmal auf dem Index, immer auf dem Index, so erscheint die Logik derjenigen Umweltverbände, die sich am lautstärksten durchsetzen – und dazu gehören besonders die deutschen Gruppen, in die Behörden hinein sowie international bestens vernetzt.
Und so stand die Pressekonferenz des PAN, unter Teilnahme auch des Umweltbundesamtes und der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) – und damit der Bundesregierung – bizarrerweise nicht etwa unter dem Motto: Wie können wir der fatalen Krankheit Herr werden? Die dort anstehende Frage lautete vielmehr, ausgerechnet im Hinblick auf den Malariatag: Wie schaffen wir es, auch denjenigen Ländern, die es heute noch – oder wieder – wagen, DDT einzusetzen, dies endlich auszureden? „Staaten am Rande der Legalität“ werden diese Länder auf dem Titel der bei der Veranstaltung verteilten Broschüre diskreditiert, als ökologische Schurkenstaaten. Anklage wird auch erhoben gegen die US-amerikanische Entwicklungsagentur sowie die Weltgesundheitsagentur, die beide seit wenigen Jahren wieder – wenn auch äußerst zurückhaltend und punktuell – den Gebrauch von DDT befürworten, im Gegensatz zu vielen anderen tonangebenden Verbänden in Europa und auch zur Bundesregierung, die ihre geballte Macht in der internationalen Entwicklungshilfe und in Handelsbeziehungen recht erfolgreich einsetzt, Malaria-Staaten in Afrika einen solchen Schritt zu versagen.
Die “Stockholmer Konvention” lässt Ausnahmen zu
In der „Stockholmer Konvention“ – seit 2004 in Kraft – sind zwölf Chemikalien aufgelistet, deren Gebrauch in allen 133 Unterzeichnerstaaten als verboten gilt. Neun Pestizide sind in diesem „Dirty Dozen“ aufgeführt, darunter auch DDT. Doch lässt die Konvention bei DDT ausdrücklich Ausnahmen zu. Ohnedies wird DDT heute nicht mehr als Pestizid eingesetzt, nur noch wohldosiert als Insektenspray gegen die Anopheles-Mücke, den Überträger der Malaria – anders als in den 50er- und 60er-Jahren, als DDT vor allem in den USA, aber auch in Europa bisweilen flächendeckend, auch aus dem Flugzeug versprüht, in der Landwirtschaft gegen Schädlinge Verwendung fand, zu Tausenden von Tonnen; als auch die Kleidung der US-Soldaten damit imprägniert wurde, um sie vor Malaria zu schützen – und sie nicht zu Schaden kamen.
Längst sind in hoch angesehenen wissenschaftlichen Fachblättern wie etwa „Lancet“, „Science“, „Nature“ und anderen Studien zu lesen, die die weitgehende Unbedenklichkeit des verteufelten Stoffes dokumentieren. „Behauptungen von Risiken durch DDT für die menschliche Gesundheit und die Umwelt konnten trotz wiederholter wissenschaftlicher Forschung nicht belegt werden“, kommentierte ein Autor von „Lancet“, der international führenden medizinischen Fachzeitschrift, im Jahr 2000 eine Studie im selben Blatt.
Die oft ins Spiel gebrachte Resistenz der Mücken gegen DDT
Auch wurde dort ausdrücklich die oft ins Spiel gebrachte Resistenz der Mücken gegen DDT als „kein wesentliches Problem für den anhaltenden Gebrauch von DDT für die Malaria-Bekämpfung“ angesehen.
Längst kann auch niemand mehr behaupten, die Anwendung von DDT werde nur von Lobbyisten der Chemiemultis propagiert. „DDT-Verbot tötet Menschen“ titelte „Eco-World“, der Newsletter des eher grün angehauchten Kölner „Katalyse-Institutes für angewandte Umweltforschung“ – gleichlautend mit einem Aufmacher-Beitrag der Umweltzeitschrift „Natur und Kosmos“.
In der amerikanischen Sektion von Greenpeace und WWF scheint man inzwischen auch wieder zu erkennen, dass DDT Leben retten kann. Eine Info-Website des Umweltbundesamtes Österreichs – gewiss kein Land, das frei wäre von zum Teil überzogenen Umweltängsten – kritisiert den DDT-Bann: „Massive Verschlechterung in der Dritten Welt, erneuter Anstieg an Malaria-Fällen, keine effektiven bzw. kostengünstigen Alternativen“, und kommt zu dem Resümee: „Zeitgemäße Anwendungsmethoden in Innenräumen können Malaria verhindern, ohne notgedrungen schädliche Wirkungen auf Mensch und Umwelt zu verursachen.“ Und zu guter Letzt muss sogar das PAN selbst in der bei seiner Pressekonferenz verteilten Broschüre feststellen: „Beim Menschen ist ein Zusammenhang zwischen DDT und verminderter Spermienzahlen nicht eindeutig belegt bzw. schwierig belegbar. Es fehlen auch monokausale Beweise dafür, dass dieses Insektizid oder seine Abbauprodukte beim Menschen Krebs auslösen.“
Was, wenn ein Todesfall auf Verzehr von Gen-Produkten zurückzuführen sei?
Weniger diesen Satz, aber umso mehr den Geist der Veranstaltung hatte jene Mitarbeiterin einer linken Tageszeitung im Blick, als sie bei der Pressekonferenz die Frage stellte, warum DDT nicht längst komplett aus dem Verkehr gezogen sei. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO), so lautete die Antwort der PAN-Vertreterin Carina Weber, betrachte eben den medizinischen Aspekt, weniger den Umweltaspekt. Ist dies verwunderlich bei einer Million Todesfälle pro Jahr? Was würde wohl geschehen, wenn auch nur bei einem einzigen Todesfall bewiesen würde, dass er auf den Verzehr gentechnisch veränderter Produkte zurückzuführen sei?
Aber worin besteht die ökologische Verfänglichkeit von DDT, wenn die Wissenschaft keine allzu schädlichen Folgen ausmachen kann? Das Argument, das Umweltverbände hier am häufigsten anbringen, ist, dass DDT sich in Organismen anreichert, in der Muttermilch nachgewiesen wird und eine Halbwertszeit von zehn oder sogar 20 Jahren hat (im menschlichen Körper allerdings nur ein halbes Jahr verbleibt). So fänden sich Rückstände von DDT, das über die Flüsse in die Meere gelangt sei, auch in arktischen Regionen wieder, wo der Stoff nie eingesetzt worden ist. Mit anderen Worten: DDT ist da. Und dies allein wird als schädlich reklamiert, unabhängig von seinem Effekt. Seine toxische Wirkung zumindest auf Säuger, das sagt die Wissenschaft, ist äußerst gering. Ob die Vogelwelt durch den Stoff geschädigt wird, ist sehr umstritten.
Wie sich der Ruf vom Teufelszeug entwickelte
Dabei hatte mit einer solchen Behauptung einst alles angefangen. Rachel Carson, US-amerikanische Wissenschaftsjournalistin und Schriftstellerin, hatte 1962 großes Aufsehen erregt mit ihrem Buch „Der stumme Frühling“, in dem sie behauptet hatte, DDT bewirke, dass die Eierschalen diverser Vogelarten immer dünner würden, ihre Fortpflanzung in Gefahr sei. Die neu aufkommende Umweltbewegung in den USA sah ihre große Chance, den Bann eines ins Gerede gekommenen Stoffes zu erreichen. Chroniken der anlaufenden Kampagnen, auch die Protokolle der anschließenden Anhörungen im US-Senat, die schließlich zum Verbot erst in Amerika und Ende der 70er-Jahre weltweit führten, legen den Schluss nahe, dass es den Aktivisten weniger um DDT ging als darum, einen symbolischen, sinnstiftenden Erfolg zu verbuchen. Er führte dazu, dass das Akronym DDT anschließend für das Böse an sich, für ein Teufelszeug der Industriegesellschaft angesehen wurde und bis heute in diesem Ruf steht.
Obwohl seit den 60er-Jahren die Aussagen Carsons und auch nachgeschobener Versuche, die diese bestätigen sollten, von Wissenschaftlern in Zweifel gezogen wurden. Ohnedies geht es heute nicht um den Gebrauch von DDT wie in den 60er-Jahren, als an einem Tag über US-Feldern als Pestizid ein Vielfaches der Menge ausgebracht wurde, wie heute in manchem afrikanischen Staat ein Jahr lang für das Besprühen von Zimmerwänden nötig wäre, um die Malaria auszurotten. So aber kam jener Stoff, der einst 40, 50 Millionen Menschenleben gerettet haben dürfte, dessen Verbot seither ebenso viele Todesopfer forderte, aus der Welt.
Die Menschen sollten sich einfach häufiger waschen
DDT ist nicht das einzige Mittel gegen Malaria. Womöglich werden eines Tages sinnvolle Alternativen gefunden, sodass man auch den nur gefühlten Risiken begegnen kann. Doch bislang haben die Alternativen, die ins Gespräch gebracht werden, den Erfolg von DDT nicht erreichen können. Sie sind zu teuer, zu unsicher in der Anwendung oder auch im Effekt.
Da in den Augen von Umweltverbänden wie PAN im Grunde alle chemischen Mittel gegen die Anopheles-Mücke abzulehnen sind, also auch die häufig als Ersatz angesehenen imprägnierten Moskitonetze, kaprizierte man sich bei der Pressekonferenz besonders auf alternative Methoden. In Mexiko, so hieß es, seien sie bereits erfolgreich getestet. Doch abgesehen davon, dass das vergleichsweise wohlhabende Mexiko mit nur einem Prozent aller weltweit verzeichneten Malaria-Toten eine überschaubare Problemlage aufweist (Schwarzafrika: 71 Prozent), können die Vorschläge, die da in den Raum geworfen wurden, eher als rührend angesehen werden. Gewässer sollten gereinigt werden, oder die Menschen sollten sich einfach häufiger waschen.
Eine Milllion Todesfälle pro Jahr
Wer weiß, wie seit Jahrzehnten die stinkenden Kanäle, Tümpel und Kloaken in den hoffnungslosen, überfüllten Vorstädten der Megametropolen aussehen, und wer berücksichtigt, dass zweieinhalb Milliarden Menschen, besonders auch in den Malarialändern Afrikas, überhaupt keinen Zugang zu sanitären Einrichtungen haben, der ist wenig überzeugt, wenn Carina Weber sagt, mit der Gewässerreinigung würden schließlich auch andere Probleme gelöst. Das mag ja stimmen. Das war aber auch bei den Armen so, denen Kuchen empfohlen wurde, als sie kein Brot mehr hatten.
Eine Million Todesfälle pro Jahr, zwei- bis dreihundert Millionen Kranke, drei Milliarden gefährdete Menschen – DDT könnte leicht helfen. Wie damals.
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