Nostalgie-Trip in die Swinging Sixties: Die Ensemble-Komödie "Radio Rock Revolution" huldigt der Zeit, als Piratensender vor der Küste Britanniens mit Rockmusik gegen die brave BBC tönten - und Playlisten noch nicht von iTunes, sondern von coolen, rebellischen DJs gemacht wurden.
Wer besonders schlecht gealterte Phänomene der Popkultur sucht, wird schnell beim abgewirtschafteten "Cool Britannia"-Hype fündig. Den gab es zeitweilig auch im Kino. Ein verspätetes, zudem ausgesprochen ärmliches Beispiel dafür ist "RocknRolla", der aktuelle Film von Madonnas Ex-Mann Guy Ritchie.
Die fade Gangsterposse, die vor kurzem, nahezu unbeachtet vom Publikum, auch in deutschen Kinos lief, nervt mit schalen London-Klischees, tumbem Kirmes-Machismo und einer extrem lieblosen Musikbeschallung. Also eigentlich allem, was seit den Neunziger Jahren für fehlgeleitetes, Union Jack-wedelndes, sich selbstbeweihräucherndes Spießer-Entertainment von der Insel steht.
Glücklicherweise finden das etliche Briten genauso öde, was sowohl die vielen anderen, schönen Platten und Filme aus England erklärt, wie auch den erfreulichen Umstand, dass Guy Ritchie für sein Altherren-Gepose kaum noch Zuschauer findet.
Wie sich das oft behauptete Liebesverhältnis Englands zum Pop ungleich charmanter und vor allem unterhaltsamer beleuchten lässt, zeigt "Radio Rock Revolution": Die unbekümmerte Ensemblekomödie von Autor und Regisseur Richard Curtis erinnert an jene privaten Piratensender, die in den sechziger Jahren von hoher See aus den Beat ins Vereinigte Königreich brachten. Das ist unverfroren nostalgisch, bisweilen schlicht albern, verdient aber gerade deshalb tatsächlich das olle Attribut "cool".
Von swingender Lässigkeit ist der junge Carl (Tom Sturridge) jedoch noch weit entfernt, als er 1966 nach einem Schulverweis auf dem Piratenschiff "Radio Rock" landet. Unter dem Kommando seines Patenonkels Quentin (Bill Nighy) bespielt eine Mannschaft exzentrischer DJs rund um die Uhr vom Ankerplatz in der Nordsee aus das britische Festland mit Musik, die im Programm der staatlichen BBC keinen Platz findet.
Das sind neben Songs der originalen "The"-Bands - wie Kinks, Who, Rolling Stones, Beach Boys - viele weitere Pretiosen der ersten Popgeneration. Aber ebenso wichtig für den Erfolg sind die schillernden Persönlichkeiten am Studiomikrofon: Der herzensgute Romantiker Simon (Chris O'Dowd), der Schnellredner und passionierte Bettabenteurer Dave (Nick Frost), ein penetranter "Seekers"-Fan namens Angus (Rhys Darby), das wortkarge Sexsymbol Midnight Mark (Tom Wisdom) und The Count (Philip Seymour Hoffman), ein bärtiger Rock-Apostel mit Hang zur Revolte - sie und ihre nicht minder verschrobenen Kollegen sind die Stars in einem klassischen Sender-Empfänger-Modell. Dabei wird die Hingabe, mit der sie Platten auflegen, nur noch von ihrer Leidenschaft für die weiblichen Fans übertroffen.
In dieser maritimen Wohn- und Arbeitsgemeinschaft holt Carl seine versäumte musikalische und sexuelle Sozialisation nach, wobei sich der Alltag auf und unter Deck als bunte Nummernrevue gestaltet. Zu den Höhepunkten zählen etwa ausschweifende Landgänge, eine bizarre Hochzeitsfeier oder die messianische Rückkehr des verlorenen Sohns Gavin (Rhys Ifans), des mutmaßlich besten Discjockeys Großbritanniens.
Der große, liebenswert-narzisstische Jungenstraum droht jedoch zu enden, als der lustfeindliche Regierungsminister Minister Dormandy (Kenneth Branagh) beschließt, die Musikflotte per Gesetz zu versenken. Ein dramatischer Showdown auf dem offenen Meer scheint unvermeidbar, doch wie weiland auf der "Titanic" spielt die Musik trotz drohenden Untergangs weiter.
Angesichts der fidelen Paisley-Piraten ist es eine schöne Parallele, dass im Mai "The Who Sell Out" in einer Deluxe-Ausgabe wiederveröffentlicht wird. 1967 verbeugten sich Pete Townshend und seine Kollegen mit dem verspielten Album - man denke nur an das Cover mit Roger Daltrey in einer Badewanne voll Konservenbohnen - ein letztes Mal vor der UK-Pop-Art-Szene und zollten zugleich durch eingestreute Jingles den just per Gesetz verbotenen, privaten Hochseesendern Respekt.
Die Idealisierung eines werbefinanzierten Rundfunks mag in Zeiten des profillosen Formatradios natürlich arg naiv wirken. Aber den ursprünglichen Reiz einer kollektiven UKW-Party, die noch nicht durch individuelle Playlists, iTunes und Webradio auseinanderdividiert wurde, transportiert "Radio Rock Revolution" mit ansteckender Begeisterung.
Für Richard Curtis, Drehbuchautor bei den immens erfolgreichen Produktionen "Vier Hochzeiten und ein Todesfall" und "Notting Hill", bedeutet die ausgelassene Bootstour eine Abkehr vom vertrauten Raster der romantischen Brit-Komödien mit ihren neurotischen Großstadtsingles um die 30, die sich trotz aller Unbill stets riesige Loftwohnungen in London leisten konnten.
"Radio Rock Revolution" ist da viel eher englischen Kinoburlesken der "Carry On"-Tradition sowie den hysterischen Sixties-Komödien Richard Lesters verpflichtet. So lassen die hauchdünne Handlung, buchstäblich überbordende Spiel- und Schaulust und ein über jeden Zweifel erhabener Soundtrack auch an Lesters Beatles-Filme "A Hard Day's Night" und "Help" denken.
Nun ist das 2009 wahrlich keine Revolution mehr, weder im Kino, noch auf dem Plattenteller. Doch für undogmatische Popfreunde und Liebhaber inspirierten Leinwandklamauks kann dieses, bei aller Vergangenheitsseligkeit überraschend flotte Boot aus Britannien auch heute ein veritables Traumschiff sein.
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