Von Volkhard Windfuhr, Kairo
Erst gab's ein Hupkonzert - und dann eins von Daniel Barenboim. Trotz vehementer Proteste von Islamisten und Nationalisten gastierte der weltbekannte israelische Musiker erstmals in Kairo. Es wurde ein Auftritt von historischen Dimensionen.
"Was zum Teufel ist hier los", fluchte der livrierte Fahrer eines nagelneu wirkenden Mercedes 500. "Ist da hinten eine Bombe hochgegangen?". Der Zorn des Chauffeurs der Edelkarrosse – eingepfercht in eine kilometerlange Blechlawine, die sich nur zentimeterweise vorwärts schob – war verständlich. Einen derartigen Stau hatte es auf der baumbestandenen Gabalaya-Uferstraße auf der als "Gasira" bekannten Nilinsel in der Tat bislang noch nicht gegeben.
Doch Grund des Quasi-Stillstands war weder das Hochgehen eines Sprengsatzes, noch ein größerer Verkehrsunfall, sondern ein kulturelles Ereignis, dem Tausende seit Tagen entgegenfieberten. Der Pianist und Stardirigent Daniel Barenboim, unter anderem in Berlin lebender Bürger des ungeliebten Nachbarlands Israel, das seit 30 Jahren mit Ägypten in einem "kalten" Frieden lebt, hatte seinen ersten Auftritt in der 16-Millionenstadt – als Virtuose und Maestro.
Das nutzlose Hupkonzert verebbte. Damen in Festkleidung und Diplomaten in Ordensschmuck entstiegen den Autos, eilten über den abendlichen Asphalt, um rechtzeitig das nahe Opernhaus zu erreichen – ehe die Türen schlossen. Barenboim wollte sich keiner e ntgehen lassen. Schon fünf Tage vor dem denkwürdigen Auftritt waren alle Karten ausverkauft.
Dabei war dieser - von Szenekennern noch vor Wochen als völlig undenkbar eingestuften Veranstaltung - eine heiße politische Debatte vorausgegangen. "Der Mann aus Israel ist manipuliert," erregte sich ein Sprecher der links-nasseristisch geprägten oppositionellen "Tagammu'-Partei. "Israel ermordet unschuldige Frauen und Kinder, die Regierung Benjamin Netanjahu lehnt ein unabhängiges Palästina ab, warum sollen wir das honorieren?" Auch die Überfrommen waren erbost. Mitglieder der radikalislamischen Muslimbruderschaft beschieden Anrufer mit dem Standardsatz: "Die Zionisten sind bei uns nicht willkommen – ohne Ausnahme. Der Friedensvertrag von Camp David war vom Volke nicht gewollt."
Der Druck wurde täglich stärker. Selbst Amr Mussa, Generalsekretär der Arabischen Liga, distanzierte sich von dem Disput um den israelischen Künstler und ließ sich bei einem Abendessen zu Ehren Barenboims wegen "Arbeitsüberlastung" entschuldigen. "Soll er doch erst einmal Netanjahu einheizen und ihm klarmachen, was er für den Frieden tun muss", wetterte der bekannte Kairoer Politblogger "Adil", "hier zu musizieren bringt nichts".
Doch ein angekündigter Protestauflauf am Suleiman-Pascha-Platz im Herzen Kairos fand nicht statt. Ganze 18 Jugendliche hatten sich eingefunden, die Passanten grinsten, sichtlich enttäuscht zog die kleine Schar der "Rafidin" ("Ablehnenden") im Gänsemarsch mit einer nicht ausgerollten Banderole wieder ab.
Omar Sharif hält eine Rede
Die Tore des großen Saals des Opernhauses schlossen mit 40 Minuten Verspätung. Ein Novum. "Ungeheuerlich", schimpfte ein hoher Verwaltungsbeamter des wichtigsten Musenpalastes der arabischen Welt. Doch wegen der "surrealistisch verstopften" (Ägyptens Kunstkritiker Samir Gharib) Zufahrtsstraßen konnte der Öffnungstermin nicht eingehalten werden.
Und dann die erste Überraschung: Omar Sharif, Ägyptens bekanntester Filmstar von internationalem Rang, hielt eine Eröffnungsansprache. "Wir heißen den Künstler und Friedensvermittler willkommen und..." Im aufbrausenden Applaus gingen die Sätze unter.
Und dann kam der Star aus Tel Aviv, stürmisch begrüßt. Und setzte sich an den Flügel. Und spielte wie erwartet à la perfection. Bekannte Solostücke. Simpel, und doch göttlich. In die fast unheimliche Stille nach dem letzten Akkord tönte eine hysterische Frauenstimme: "Baarenboooiiim". Donnernde Ovationen, Blumen. Vorhang.
Nach einer Viertelstunde Pausenmusik trat der Musikmeister Barenboim dann ans Podium. Er dirigierte das Kairoer Symphonieorchester. Mit leichter Hand – doch diesem Akt waren 16 Stunden hartes Proben vorausgegangen. "Härter als Furtwängler" bezeugte ein 86-jähriger ägyptischer Schriftsteller, der eigens aus dem großen Anlass aus Paris in seine Heimatstadt geflogen war.
Nach Beethovens fünfter Symphonie dankte der Ägypten-Neuling allen Mitgliedern des Symphonieorchesters – jedem gab er die Hand. Das Publikum raste. Und dann wandte er sich an "my new friends" auf Englisch. "Musik verbindet die Menschen und kennt keine Feindschaften. Ich komme aus Israel, bin aber auch Palästinenser." Das stimmt sogar.
Den gebürtigen Argentinier Daniel Barenboim hatte die palästinensische Autonomieregierung vor einem Jahr zum "Ehrenbürger Palästinas" erklärt.
Im Saal wurde es wieder still. Fast betreten schauten sich die Festgäste um, als ob sie nach etwas Unsichtbarem suchten. Es war etwas Unfassbares, eine atmosphärische Veränderung, wie man sie am 19. Januar 1977 erleben konnte, als Ägyptens Ex-Präsident Anwar al-Sadat seine historische Friedensreise nach Jerusalem antrat. Es fehlte nur noch der zehnjährige Volksschüler Schlomo, der damals einen israelischen Ehrengardisten aufgefordert hatte, die ägyptische Fahne ebenso hochzuziehen wie die ein paar Handbreit höher flatternde Fahne Israels vor dem Jerusalemer Stadttheater.
Vielen wischten sich die Tränen aus den Augen. Warum Tränen? Warum weinten die Deutschen beim Fall der Mauer? Der selbsternannte Friedensapostel war angekommen. Eine Viertelstunde lang klatschten die 1200 Operngäste, der Gefeierte musste beinah fliehen.
"Barenboim riss wieder einmal eine psychologische Mauer ein", kommentierte Ägyptens Kulturminister Faruk Husni den gelungenen Galaabend.
Selbst die Oppositionspresse trug dem überzeugenden Auftritt Barenboims Rechnung. Die regierungskritische Tageszeitung "Ad-Dastur" brachte auf Seite eins ein Foto des jetzt auch am Nil gefeierten Maestro mit einem Violinisten des Kairoer Symphonieorchesters.
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