Von Matthias Gebauer und Shoib Najafizada
Entsetzen im Westen, Lob von den Taliban: Afghanistans Präsident Karzai hat ein Gesetz unterzeichnet, das Frauenrechte einschränkt - und Männern Herrschaftsrechte einräumt. Machtlos schaut die Welt auf einen Staatschef, der sich bei Fundamentalisten Wählerstimmen sichern will.
Berlin/Kabul - Der afghanische Präsident Präsident Hamid Karzai hat kürzlich ein umstrittenes Familiengesetz für Schiiten unterzeichnet, das Frauen in Afghanistan nach Ansicht von Menschenrechtlerinnen sogar weniger Rechte einräumt als unter den Taliban. Tage, nachdem der oft kritisierte Präsident eine Paraphe unter den Text setzte, ist im Westen nun ein Sturm der Kritik entbrannt. Vor allem die USA setzen, doch auch andere Nato-Staaten halten mit ihrem Zorn nicht hinter dem Berg.
Afghanische Frau: Mann muss Spaziergang erlauben
Es brauchte ein paar Tage, bis die Nachrichten aus Kabul im Westen ankamen. Am Dienstag hatte der britische "Guardian" erstmals über das Gesetz berichtet, das der Zeitung jedoch nur in Auszügen vorlag. Unter der Zeile "Schlimmer als unter den Taliban" veröffentlichte das Blatt erste Details. Mittlerweile liegt SPIEGEL ONLINE der komplette Text vor - er ist noch drastischer, als der erste Bericht nahelegte.
Für westliche Beobachter ist vor allem der Teil des Gesetzes schockierend, der das Sexualleben von schiitischen Ehepaaren regelt: In Artikel 132 des Gesetzes heißt es zum Beispiel: "Die Frau ist verpflichtet, den sexuellen Bedürfnissen ihres Mannes jederzeit nachzukommen." Wenn der Mann nicht auf Reisen sei, habe er mindestens jede vierte Nacht das Recht auf Geschlechtsverkehr mit seiner Frau. Ausnahmen kämen nur bei Krankheiten der Frau in Frage. Ähnlich mittelalterlich hört sich auch Artikel 133 an. Darin ist festgehalten, dass Ehemänner ihre Frauen von jeder "unnötigen" Beschäftigung abhalten können.
In vergleichbarem Ton sind auch viele andere Regeln verfasst. So müssen Frauen sich zunächst die Erlaubnis des Ehemannes einholen, wenn sie das Haus verlassen wollen: "Nur aus medizinischen oder rechtlichen Gründen kann die Frau das Haus ohne das Einverständnis des Ehemannes verlassen." Auch das Heiratsalter wird durch das neue Gesetz gesenkt: Schiitische Frauen können statt wie bisher mit 18 Jahren künftig mit 16 Jahren verheiratet werden.
Das neue Gesetz, das jetzt für 20 Prozent der afghanischen Bevölkerung gilt, platzt mitten in die weltweite Debatte über die katastrophale Lage am Hindukusch. Als hätte es eines Beweises bedurft, wie wenig die westlichen Interventionen am Hindukusch gebracht haben, steht nun auf Gesetzespapier, dass der Staat die Unterdrückung von Frauen nicht nur toleriert, sondern schiitische Männer geradezu anweist, ihre Frauen unter die Burka zu zwingen und zu erniedrigen.
Frauenrechtlerinnen laufen Sturm
Besonders in westlichen Ländern dürfte es die ohnehin große Sorge um die Zukunft des Landes verstärken. Zuletzt hatte sich Präsident Karzai angesichts des Vormarschs von al-Qaida und der Taliban massive Kritik von westlichen Partnern anhören müssen. In solchen Diskussionen ist stets gern die Rede von dem, was der Westen in Afghanistan erreicht habe, Mädchenschulen werden genannt, gerne auch die wenigen weiblichen Abgeordneten im Parlament.
Das neue Gesetz scheint alle Hoffnungen ad absurdum zu führen.
Frauenrechtlerinnen laufen gegen die Paragraphen für Schiiten Sturm. "Ein klarer Verstoß gegen die Verfassung", klagt Soria Sabhrang von der unabhängigen Menschenrechtskommission in Kabul. "Dieses Gesetz wird die Gewalt gegenüber Frauen steigern - und keine Frau wird sich irgendwo beschweren können", klagt sie. Auch die Parlamentsabgeordnete Sabrina Saqeb ist entsetzt. "Ich vermute, Karzai hat das Gesetz nicht einmal richtig gelesen. Er schielt nur auf die Stimmen der Hazara", so Saqeb zu SPIEGEL ONLINE in Anspielung auf die radikal-islamische Volksgruppe.
Lob hingegen kommt von denen, die Karzai gern als die "Feinde Afghanistans" bezeichnet. Die radikal-islamischen Taliban lobten Karzais Initiative ausdrücklich. "Das Schiiten-Gesetz ähnelt den Regeln der Taliban. Wir werden es unterstützen", kündigte Taliban-Sprecher Zabiullah Mojaheed in einem Telefonat mit SPIEGEL ONLINE an. Der Sprecher fungiert als Propaganda-Chef der Taliban. Ob er wirklich in Kontakt mit der politischen Spitze der Radikalislamisten steht, ist zumindest unklar.
Tatsächlich dürfte der Grund für Karzais Unterschrift die baldige Präsidentschaftswahl sein, bei der der Amtsinhaber um seine Wiederwahl bangen muss. Außerhalb der Hauptstadt Kabul hat er nur wenig Einfluss, viele halten ihn für eine westliche Marionette, Erfolge hat er wenig vorzuweisen. Besonders in erzreligiösen Kreisen ist sein Rückhalt schwach - das Gesetz könnte ein Versuch sein, sein Image in dieser Wählergruppe aufzupolieren. Auch unter der bei den Wahlen wichtigen Volksgruppe der Hazara könnte das drastische Gesetz gut ankommen.
Bei den Nato-Ländern, die sich in Afghanistan engagieren, sorgte Karzais Unterschrift hingegen für einen Schock. Eigentlich wollte man sich auf der großen Afghanistan-Konferenz in Den Haag am vergangenen Dienstag Mut zusprechen, dass wenigstens manche der Ziele, die sich die Weltgemeinschaft gesetzt hat, erreicht worden seien. Am Ende musste man intern konstatieren, dass so ziemlich alles im Argen liegt. Vor allem aber verdeutlichte die Entscheidung Karzais, dass dieser nicht nur Teil sondern das Zentrum vieler Probleme ist.
Nato-Länder sind von Karzais Unterschrift geschockt
Die Nachricht von dem Gesetz bestimmte neben den Fensterreden die Diskussion in Den Haag. Statt eine der üblichen Weiter-so-Ansprachen zu halten, stellte als erster der finnische Außenminister Alexander Stubb die Frage, ob die afghanische Regierung oder gar der angereiste Präsident Karzai sich zu den "erschreckenden Meldungen" aus Kabul äußern könnte. Der Moderator war perplex. Wie bei den Großveranstaltungen üblich, war die afghanische Delegation recht schnell zu bilateralen Gesprächen verschwunden. Einen Kommentar gab es bis zum Ende der Tagung nicht.
Allerdings pickte das Presseteam der US-Außenministerin vor ihrer Abschlusserklärung extra eine Afghanin aus den Hunderten Journalisten heraus, damit diese die Frage nach dem neuen Gesetz stellen sollte. Hillary Clintons Antworten dazu waren mehr als deutlich. "Dies ist ein Thema, das uns sehr besorgt", sagte sie in mehr als undiplomatischem Ton und setzte nach, dass Frauenrechte ein "zentraler Teil" der neuen Politik des Obama-Teams seien.
Auch wenn Karzai selber die Kritik nicht in großer Runde kommentierte, weiß er, was die Gemeinschaft über ihn und seinen machtpolitischen Schachzug denkt. Aus Diplomatenkreisen war gar zu erfahren, dass Clinton den Präsidenten bei ihrem kurzen Gespräch konkret auf das Thema angesprochen haben soll. Kandas Außenminister Stephen Harper sagte kurz darauf: "Ich denke, Karzai und alle Unterstützer des Gesetzes befinden sich gerade unter massivem Druck".
Was der Westen allerdings tun kann, um die Entscheidung noch einmal umzudrehen, ist schwer zu sagen. Grundsätzlich müssen sich die Regierungen von Berlin bis Washington bei internen afghanischen Angelegenheit zurückhalten, um Karzai Präsidenten nicht noch mehr wie eine Marionette aussehen zu lassen. Hinter den Kulissen aber werden sie massiv Druck auf den afghanischen Präsidenten ausüben. Bisher hat er sich diesem meist gebeugt. So kurz vor den Wahlen aber wird das mehr als schwierig.
Entsetzen im Westen, Lob von den Taliban: Afghanistans Präsident Karzai hat ein Gesetz unterzeichnet, das Frauenrechte einschränkt - und Männern Herrschaftsrechte einräumt. Machtlos schaut die Welt auf einen Staatschef, der sich bei Fundamentalisten Wählerstimmen sichern will.
Berlin/Kabul - Der afghanische Präsident Präsident Hamid Karzai hat kürzlich ein umstrittenes Familiengesetz für Schiiten unterzeichnet, das Frauen in Afghanistan nach Ansicht von Menschenrechtlerinnen sogar weniger Rechte einräumt als unter den Taliban. Tage, nachdem der oft kritisierte Präsident eine Paraphe unter den Text setzte, ist im Westen nun ein Sturm der Kritik entbrannt. Vor allem die USA setzen, doch auch andere Nato-Staaten halten mit ihrem Zorn nicht hinter dem Berg.
Afghanische Frau: Mann muss Spaziergang erlauben
Es brauchte ein paar Tage, bis die Nachrichten aus Kabul im Westen ankamen. Am Dienstag hatte der britische "Guardian" erstmals über das Gesetz berichtet, das der Zeitung jedoch nur in Auszügen vorlag. Unter der Zeile "Schlimmer als unter den Taliban" veröffentlichte das Blatt erste Details. Mittlerweile liegt SPIEGEL ONLINE der komplette Text vor - er ist noch drastischer, als der erste Bericht nahelegte.
Für westliche Beobachter ist vor allem der Teil des Gesetzes schockierend, der das Sexualleben von schiitischen Ehepaaren regelt: In Artikel 132 des Gesetzes heißt es zum Beispiel: "Die Frau ist verpflichtet, den sexuellen Bedürfnissen ihres Mannes jederzeit nachzukommen." Wenn der Mann nicht auf Reisen sei, habe er mindestens jede vierte Nacht das Recht auf Geschlechtsverkehr mit seiner Frau. Ausnahmen kämen nur bei Krankheiten der Frau in Frage. Ähnlich mittelalterlich hört sich auch Artikel 133 an. Darin ist festgehalten, dass Ehemänner ihre Frauen von jeder "unnötigen" Beschäftigung abhalten können.
In vergleichbarem Ton sind auch viele andere Regeln verfasst. So müssen Frauen sich zunächst die Erlaubnis des Ehemannes einholen, wenn sie das Haus verlassen wollen: "Nur aus medizinischen oder rechtlichen Gründen kann die Frau das Haus ohne das Einverständnis des Ehemannes verlassen." Auch das Heiratsalter wird durch das neue Gesetz gesenkt: Schiitische Frauen können statt wie bisher mit 18 Jahren künftig mit 16 Jahren verheiratet werden.
Das neue Gesetz, das jetzt für 20 Prozent der afghanischen Bevölkerung gilt, platzt mitten in die weltweite Debatte über die katastrophale Lage am Hindukusch. Als hätte es eines Beweises bedurft, wie wenig die westlichen Interventionen am Hindukusch gebracht haben, steht nun auf Gesetzespapier, dass der Staat die Unterdrückung von Frauen nicht nur toleriert, sondern schiitische Männer geradezu anweist, ihre Frauen unter die Burka zu zwingen und zu erniedrigen.
Frauenrechtlerinnen laufen Sturm
Besonders in westlichen Ländern dürfte es die ohnehin große Sorge um die Zukunft des Landes verstärken. Zuletzt hatte sich Präsident Karzai angesichts des Vormarschs von al-Qaida und der Taliban massive Kritik von westlichen Partnern anhören müssen. In solchen Diskussionen ist stets gern die Rede von dem, was der Westen in Afghanistan erreicht habe, Mädchenschulen werden genannt, gerne auch die wenigen weiblichen Abgeordneten im Parlament.
Das neue Gesetz scheint alle Hoffnungen ad absurdum zu führen.
Frauenrechtlerinnen laufen gegen die Paragraphen für Schiiten Sturm. "Ein klarer Verstoß gegen die Verfassung", klagt Soria Sabhrang von der unabhängigen Menschenrechtskommission in Kabul. "Dieses Gesetz wird die Gewalt gegenüber Frauen steigern - und keine Frau wird sich irgendwo beschweren können", klagt sie. Auch die Parlamentsabgeordnete Sabrina Saqeb ist entsetzt. "Ich vermute, Karzai hat das Gesetz nicht einmal richtig gelesen. Er schielt nur auf die Stimmen der Hazara", so Saqeb zu SPIEGEL ONLINE in Anspielung auf die radikal-islamische Volksgruppe.
Lob hingegen kommt von denen, die Karzai gern als die "Feinde Afghanistans" bezeichnet. Die radikal-islamischen Taliban lobten Karzais Initiative ausdrücklich. "Das Schiiten-Gesetz ähnelt den Regeln der Taliban. Wir werden es unterstützen", kündigte Taliban-Sprecher Zabiullah Mojaheed in einem Telefonat mit SPIEGEL ONLINE an. Der Sprecher fungiert als Propaganda-Chef der Taliban. Ob er wirklich in Kontakt mit der politischen Spitze der Radikalislamisten steht, ist zumindest unklar.
Tatsächlich dürfte der Grund für Karzais Unterschrift die baldige Präsidentschaftswahl sein, bei der der Amtsinhaber um seine Wiederwahl bangen muss. Außerhalb der Hauptstadt Kabul hat er nur wenig Einfluss, viele halten ihn für eine westliche Marionette, Erfolge hat er wenig vorzuweisen. Besonders in erzreligiösen Kreisen ist sein Rückhalt schwach - das Gesetz könnte ein Versuch sein, sein Image in dieser Wählergruppe aufzupolieren. Auch unter der bei den Wahlen wichtigen Volksgruppe der Hazara könnte das drastische Gesetz gut ankommen.
Bei den Nato-Ländern, die sich in Afghanistan engagieren, sorgte Karzais Unterschrift hingegen für einen Schock. Eigentlich wollte man sich auf der großen Afghanistan-Konferenz in Den Haag am vergangenen Dienstag Mut zusprechen, dass wenigstens manche der Ziele, die sich die Weltgemeinschaft gesetzt hat, erreicht worden seien. Am Ende musste man intern konstatieren, dass so ziemlich alles im Argen liegt. Vor allem aber verdeutlichte die Entscheidung Karzais, dass dieser nicht nur Teil sondern das Zentrum vieler Probleme ist.
Nato-Länder sind von Karzais Unterschrift geschockt
Die Nachricht von dem Gesetz bestimmte neben den Fensterreden die Diskussion in Den Haag. Statt eine der üblichen Weiter-so-Ansprachen zu halten, stellte als erster der finnische Außenminister Alexander Stubb die Frage, ob die afghanische Regierung oder gar der angereiste Präsident Karzai sich zu den "erschreckenden Meldungen" aus Kabul äußern könnte. Der Moderator war perplex. Wie bei den Großveranstaltungen üblich, war die afghanische Delegation recht schnell zu bilateralen Gesprächen verschwunden. Einen Kommentar gab es bis zum Ende der Tagung nicht.
Allerdings pickte das Presseteam der US-Außenministerin vor ihrer Abschlusserklärung extra eine Afghanin aus den Hunderten Journalisten heraus, damit diese die Frage nach dem neuen Gesetz stellen sollte. Hillary Clintons Antworten dazu waren mehr als deutlich. "Dies ist ein Thema, das uns sehr besorgt", sagte sie in mehr als undiplomatischem Ton und setzte nach, dass Frauenrechte ein "zentraler Teil" der neuen Politik des Obama-Teams seien.
Auch wenn Karzai selber die Kritik nicht in großer Runde kommentierte, weiß er, was die Gemeinschaft über ihn und seinen machtpolitischen Schachzug denkt. Aus Diplomatenkreisen war gar zu erfahren, dass Clinton den Präsidenten bei ihrem kurzen Gespräch konkret auf das Thema angesprochen haben soll. Kandas Außenminister Stephen Harper sagte kurz darauf: "Ich denke, Karzai und alle Unterstützer des Gesetzes befinden sich gerade unter massivem Druck".
Was der Westen allerdings tun kann, um die Entscheidung noch einmal umzudrehen, ist schwer zu sagen. Grundsätzlich müssen sich die Regierungen von Berlin bis Washington bei internen afghanischen Angelegenheit zurückhalten, um Karzai Präsidenten nicht noch mehr wie eine Marionette aussehen zu lassen. Hinter den Kulissen aber werden sie massiv Druck auf den afghanischen Präsidenten ausüben. Bisher hat er sich diesem meist gebeugt. So kurz vor den Wahlen aber wird das mehr als schwierig.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen