Washington/Ankara - US-Präsident Barack Obama preist die Türkei gerne als "Brücke" zwischen der islamischen Welt und dem Westen. Doch das Verhältnis zwischen den Verbündeten hat sich nun drastisch abgekühlt. Auslöser ist eine Resolution des auswärtigen Ausschusses des US-Kongresses, in der die Verfolgung der Armenier als "Völkermord" bezeichnet wird.
Die türkische Regierung wies den Vorwurf scharf zurück. "Wir verurteilen diese Resolution, die der türkischen Nation ein Verbrechen anlastet, das sie nicht begangen hat", hieß es in einer Erklärung. Die Entscheidung des Ausschusses habe "in den Augen des türkischen Volkes keinen Wert", sagte Präsident Abdullah Gül.
Zugleich warnte Gül vor möglichen Folgen der Resolution für die Annäherung zwischen der Türkei und Armenien sowie für die Beziehungen zum Bündnispartner USA. Der Kongress müsse einen "historischen Fehler" berichtigen, zitierten türkische Medien Parlamentssprecher Mehmet Ali Sahin. Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu drängte die US-Regierung, die Resolution zu blockieren. Ankara bestellte zudem seinen Botschafter zu Konsultationen in die Heimat.
Trotz scharfer Warnungen der US-Regierung hatte der Ausschuss das Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich als "Völkermord" eingestuft. Die Mitglieder stimmten mit einer knappen Mehrheit von 23 zu 22 Stimmen für die Resolution. In der nicht-bindenden Erklärung forderten sie Obama auf, die "systematische und vorsätzliche Auslöschung von 1,5 Millionen Armeniern klar als Völkermord zu qualifizieren". Außerdem solle er sicherstellen, dass die Erinnerung an diese Ereignisse während des Ersten Weltkriegs Teil der US-Außenpolitik sei.
"Deutschland hat die Verantwortung für den Holocaust akzeptiert", sagte der Ausschussvorsitzende Howard Berman. "Für die Türkei ist es jetzt Zeit, die Realitäten des Genozids an den Armeniern zu akzeptieren." Das werde am Ende auch die Demokratie in der Türkei und die amerikanisch-türkischen Beziehungen stärken.
Immer wieder Verstimmungen wegen Armenier-Frage
Das Votum des Ausschusses könnte den Weg zu einer Plenarabstimmung im Repräsentantenhaus freimachen. US-Präsident Obama hatte im Wahlkampf angekündigt, das Massaker als Völkermord klassifizieren zu wollen, kam dieser Zusage bisher allerdings nicht nach.
Im US-Kongress gibt es seit Jahren Bestrebungen, die Verfolgung der Armenier als Völkermord anzuerkennen. Zu ähnlicher Verstimmung war es bereits 2007 gekommen, als derselbe US-Kongressausschuss ebenfalls eine "Völkermord-Resolution" verabschiedete. Nach heftigem internen Widerstand wurde das Dokument aber nicht im Plenum verhandelt. Die Türkei ist Rechtsnachfolgerin des Osmanischen Reichs und ein wichtiges Nato-Mitglied. Die USA nutzen unter anderem Stützpunkte in der Türkei, um ihre Truppen im Irak zu versorgen.
Hunderttausende Tote nach Vertreibungen
Bei Vertreibungen und Todesmärschen waren zwischen 1915 und 1917 nach armenischen Angaben mehr als 1,5 Millionen Armenier getötet worden, nach türkischen Angaben zwischen 250.000 und 500.000. Der Vorwurf des Genozids wird von der Türkei allerdings vehement bestritten. Die christlichen Armenier hätten an der Seite des Kriegsgegners Russland gestanden, heißt es in der Türkei zur Begründung. Im Osmanischen Reich lebten gegen Ende des 19. Jahrhunderts bis zu 2,5 Millionen Armenier. Heute sind sie im Nachfolgestaat Türkei nur noch eine kleine Minderheit.
Anfang Oktober 2009 unterzeichneten die Außenminister der Türkei und Armeniens ein Protokoll zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Ankara wolle nun trotz des US-Votums den Friedensprozess vorantreiben, sagte Außenminister Davutoglu.
Der armenische Außenminister Edward Nalbandjan hat die US-Resolution begrüßt. Er bezeichnete den Beschluss als "wichtigen Schritt auf dem Weg zur Unterbindung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Nalbandjan begrüßte, dass die USA "an humanitären Werten" festhielten. Mehrere Organisationen der armenischen Minderheit in den USA nannten den Beschluss "einen Triumph der Gerechtigkeit".
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