Samstag, 27. Juni 2009

Tot auf dem Klo und anderswo

POPSTARS TRETEN AB

Nur ein toter Star bewegt die Menschheit noch mehr als ein lebender. Doch was sagten Elvis Presley, Jimi Hendrix, Jim Morrison oder Bob Marley eigentlich im Angesicht des Todes? Ein neues Buch gibt Auskunft und zeigt: Der eine nahm's ernst, der andere blieb gelassen.

Gewöhnlich machte Elvis Presley (1935-1977) die Nacht zum Tage. Deshalb schlief er bis gegen 15 Uhr. Dann gab es Frühstück - vorher aber noch die Medikamente: eine Kräuter- und Vitaminspritze für die Stimme, ein Kreislaufmittel gegen die Schwindelgefühle, eine Abführtablette und drei Appetitzügler und schließlich eine intramuskuläre Injektion von Testosteron, dem männlichen Geschlechtshormon. So gestärkt, sollte der "King" den Tag herausfordern.

Die letzten Worte des King: "Okay, I won't"
Vor dem Auftritt, immer abends, verabreichte sein mitreisender Hausarzt ihm wieder Spritzen für die Stimme und den Kreislauf, dazu Codein und Amphetamin ("Speed"). Das eine sollte die Atemwege beruhigen, das andere den dicken Sänger auf Trab bringen.

Deshalb bekam er, kurz bevor er ins Rampenlicht trat (Honorar: 500 000 bis eine Million Dollar), noch Koffein und Dilaudid, eine Schwester des Morphiums.

Weil der amerikanische Künstler nur sehr selten Alkohol trank (und nicht rauchte), hatte "Elvis the Pelvis" Mühe, sich nach seinen strapaziösen Liveshows "herunterzudimmen".

Wieder half der Onkel Doktor, diesmal mit Barbituraten und Psychopharmaka, schweren Schlaf- und Beruhigungsmitteln. Sicherheitshalber gab es noch eine Pille gegen Bluthochdruck und Abführmittel, auf Wunsch von allem auch einen Nachschlag.

So wurde Elvis Presley aus East Tupelo/Mississippi zur wandelnden Apotheke gemacht. Ohne massive Überdosierung von Medikamenten ging gar nichts mehr.

Mit den Drogen aber auch nicht. Der Musiker spürte das. Fünf Monate vor seinem Tod setzte er das Testament auf: alles für seine einzige Tochter, nichts für die geschiedene Ehefrau, nichts für seine Freundin Ginger Alden, 20. Sie hat als letzter Mensch mit dem gutmütigen, schwerkranken Mann gesprochen, als er morgens gegen neun Uhr ins Badezimmer wankte:

"Aber schlaf nicht ein!"

"Okay, werd ich nicht." Ginger fand ihren Freund fünf Stunden später zusammengekrümmt, regungslos, todeskalt im Badezimmer. Der "All-American-Boy", geliebt von Millionen, war für immer eingeschlafen, in seinem 43. Lebensjahr.

Jimi Hendrix (1942-1970)

Die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts wurden von der Kulturrevolution des Rock 'n' Roll überstrahlt. Einer ihrer hellsten Stars war der Gitarrist Jimi Hendrix aus Seattle, USA. Er revolutionierte Gesang und Instrumentalsoli, die Bühnenshows und das Vagantenleben der jungen Künstler.

Der exzentrische Musiker hatte sein Lebenslicht nicht bloß an beiden Enden angezündet, er setzte die Kerze 1962 gleich total in Brand.

Ein Held an der Gitarre: Jimi Hendrix
Vorher hatte der schwarzgelockte junge Mann aus der Unterschicht die üblichen Fehltritte begangen - Schulabbruch, Autodiebstahl -, dann aber als Fallschirmspringer in der berühmten 101. Airborne Division Disziplin gesucht.

Nach dem 26. Absprung entließ man den "Soldaten erster Klasse", weil er sich dabei das rechte Fußgelenk gebrochen hatte. Nun begann sein kometengleicher Aufstieg.

Jimi Hendrix tourte ruhelos durch Europa und Amerika, Gesang und Gitarrenspiel waren kreativ und voller Überraschungen (Noten konnte er nicht lesen). Der Nonkonformist faszinierte seine jungen, revolutionär gestimmten Fans auch durch seine bedingungslose Risikofreude. Daran starb er im Alter von 27 Jahren. Bei der Sektion fand man in seiner Leiche große Mengen des Schlafmittels "Vesparax", dazu Alkohol, Nikotin, Cannabis, Kokain und Amphetamine ("Speed"). Das war zu viel. Jimi Hendrix kannte das Risiko und seine Feinde.

"Möglicherweise werde ich bei meiner eigenen Beerdigung verhaftet", scherzte er. Seine andere Voraussage traf zu:

"Meine nächste Reise nach Seattle werde ich in einer Holzkiste antreten."

Jim Morrison (1943-1971)

Der Sänger aus Amerika, Frontmann der "Doors", liegt auf dem schönsten Friedhof von Paris begraben, in illustrer Gesellschaft. Noch immer wachen an seinem Grab die Fans, lassen die Kerzen seit Jahrzehnten niemals ausgehen, legen Gedichte und Devotionalien nieder.

Frontmann der "Doors": Jim Morrison
Der Cimetière du Père-Lachaise, so benannt nach dem Beichtvater des französischen Sonnenkönigs Ludwig XIV., ist zum Wallfahrtsort geworden und zum Platz, wo die Rätsel des frühen Todes dieses Götterlieblings hin und her bedacht werden, ohne Ergebnis und ohne Ende. Denn viele Fans, die sein Grab besuchen, glauben gar nicht, dass Jim Morrison in der geweihten Erde ruht. Der Künstler sei in Wahrheit nur untergetaucht und führe anderswo ein völlig neues Leben.

Diese Mutmaßung teilt sich in zwei Varianten: Entweder halte die CIA den aufsässigen Bandleader unter Verschluss, damit er die amerikanische Jugend nicht verderbe, oder Außerirdische hätten ihn entführt, damit er sie mit seiner Kunst erfreue. Solche Geschichten hätten die französischen Dichter Honoré de Balzac, Jean-Baptiste Molière und Marcel Proust mächtig gefreut; sie liegen alle nur einen Steinwurf entfernt und sind wirklich tot. So tot wie Jim Morrison, den Pariser Feuerwehrmänner am 3. Juli 1971 leblos aus seiner Badewanne hoben. Der 27-Jährige war drogenkrank, er nahm reichlich Heroin und Kokain und trank seit Jahren unmäßig.

Wegen "Trunksucht in der Öffentlichkeit", auch wegen "unsittlicher Entblößung" und "Gotteslästerung", sogar wegen "Gefährdung des Flugverkehrs" war er in den USA verfolgt worden. Seine Songs und Goldenen Schallplatten wurden dem hochtalentierten Künstler zunehmend gleichgültig. Begleitet von seiner ebenfalls drogensüchtigen Partnerin, wollte er als Dichter im liberalen Paris ein neues Leben beginnen. Beide sprachen kein Wort Französisch, das neue Leben blieb das alte. Am Ende war der Rock 'n' Roll-Star Jim Morrison es leid:

"Ich habe das Ganze satt. Ich ertrage das einfach nicht mehr. Was glauben die Leute eigentlich, wer Jim Morrison ist?"

Darüber rätseln seine Fans noch immer.

Bob Marley (1945-1981)

Der Gitarrist und Sänger aus Jamaika - "The Island in the Sun" - war ein Rastafari. Deshalb trug er die Haare lang, zu Zöpfen gedreht und verfilzt. Das gab ihm das Aussehen eines äthiopischen Löwen. Als er im verschneiten Oberbayern Ende 1980 die aufgeräumte, heile Welt der Ringbergklinik in Rottach-Egern das erste Mal sah, wurde dem Vater des Reggae ganz schwer ums Herz. Hier also, in diesem sterilen deutschen Krebskrankenhaus, das die Patienten gewöhnlich nur liegend, mit den Füßen voran des Nachts in einem Sarg verließen, sollte sich Marleys Schicksal endgültig entscheiden: Würde es dem umstrittenen deutschen Arzt Joseph Issels gelingen, die bösartigen Tumore in Kopf und Körper des weltberühmten Musikers kleinzukriegen?

Zwölf Kinder von sieben Frauen: Bob Marley
Bob Marley glaubte an Gottvater, zusätzlich an etliche lokale Götter und Kobolde und an Joseph Issels, den deutschen Magier. "Wir können es schaffen", hatte er versprochen. Marley verspürte positive "Vibrationen", er ließ sich die faulen Zähne ziehen und die Rachenmandeln operieren, er ertrug klaglos die Vitaminspritzen, eine hauseigene Diät und Transfusionen mit sauerstoffreichem Blut. Er gewöhnte sich sogar an den Schnee. Wenn er Zuversicht schöpfte, dröhnte er sich den Kopf mit seinen unvergänglichen Liedern voll: I shot the Sheriff, Buffalo Soldier und vor allem No woman, no cry. Zwölf Kinder hatte er in seinem kurzen Leben gezeugt, zwölf Kinder von sieben Frauen. In Rottach-Egern war er ziemlich allein, und dem Reggae durfte er aus Rücksicht auf die todkranken anderen Patienten nur über Kopfhörer lauschen. Seine letzte Freundin Cindy besorgte für den Krebskranken traditionelle Buschheilmittel aus Äthiopien, damit nichts versäumt werde. Doktor Issels entließ einen sterbenden Patienten. Der große Mann wog nur noch 42 Kilo. Bob Marley wollte unbedingt auf Jamaika sterben. Über den Wolken, auf dem Flug nach Amerika, sah er noch einmal die Sonne. Doch in Miami/Florida war der Sänger zu schwach für den Weiterflug. Als er im Bett lag, nahm er Cindys Hand und sagte in seinem unnachahmlichen Jamaika-Kreolisch:

"Maddah, don't cry. I'll be alright. I'm gwan ta prepare a place." - Ich werde einen Platz für dich herrichten.

Einen Platz im himmlischen Paradies der Rastafari. Vierzig Stunden nachdem er Deutschland verlassen hatte, war Bob Marley tot.

URL: http://www.spiegel.de/kultur/musik/0,1518,632858,00.html

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