Sonntag, 7. Juni 2009

Glückloser Premierminister verteidigt nur noch die eigene Position

Gordon Brown ist sich selbst sein ärgster Feind

Gordon Brown erkannte seine eigenen Grenzen nicht. Nach zwei turbulenten Jahren als Premierminister steht er vor einem Scherbenhaufen.

Martin Alioth, Dublin

Es hätte ein Befreiungsschlag werden sollen. Aber nach 24 Stunden, die von Shakespeare inszeniert schienen, fand sich der britische Premierminister Gordon Brown am Freitagabend in eigenartiger Gesellschaft am Kabinettstisch. Sein wichtigster Fachminister, Schatzkanzler Alistair Darling, hatte soeben die beabsichtigte Kabinettsumbildung sabotiert, indem er seine Degradierung vereitelte. Aussenminister David Miliband hatte vor einem Jahr erfolglos versucht, Brown zu stürzen. Mit dem inzwischen allmächtigen Wirtschaftsminister, Lord Mandelson, verbindet Brown eine über zehnjährige, bittere Feindschaft.

Ein sichtlich erschöpfter Brown wandte sich schliesslich mit belegter Stimme an die Öffentlichkeit: «Ich laufe in schwierigen Zeiten niemals davon. Ich werde nicht wanken. Ich werde nicht aufgeben. Ich werde mich meiner Aufgabe widmen.»
Giftpfeile aus dem Hinterhalt

In den Tagen und Stunden zuvor waren Browns Minister reihenweise zurückgetreten. Teilweise kamen sie nur ihrer unvermeidlichen Entlassung zuvor. Bei den unverschämten Spesenbezügen britischer Parlamentarier, die seit einem Monat enthüllt werden, hatten sie sich als allzu gierig erwiesen. Andere hatten ganz einfach die Nase voll. Einige liessen es sich nicht nehmen, zum Abschied einen Giftpfeil abzuschiessen: Europaministerin Caroline Flint beschuldigte Brown, nur einem kleinen Männerzirkel zu vertrauen und Frauen bloss als Dekoration zu dulden. Lokalministerin Hazel Blears trug bei ihrem Auszug eine Brosche mit der Aufschrift «Rocking the boat» – und tatsächlich brachte sie Leben in die Bude. Als Brown vor zwei Jahren die Leitung der Regierung von Tony Blair übernahm, waren die Ansichten über den Schotten geteilt. Während seiner zehn Jahre als allmächtiger Finanzminister hatte Brown zwar eine wirtschaftliche Blütezeit beaufsichtigt, aber gleichzeitig Blair unentwegt Knebel zwischen die Beine geworfen.

Bei jedem Reformprojekt liessen seine Mitarbeiter durchsickern, Brown kämpfe darum, die schlimmsten neoliberalen Exzesse zu verhindern; der Schatzkanzler hielt sich einen Stab von anonymen Intriganten, die nicht müde wurden, die Blair-Regierung als Titanenkampf zwischen dem seriösen, sozial gesinnten Brown und dem frivolen Blender Blair darzustellen. Zeitweise konnte dieser Antagonismus als kreative Spannung interpretiert werden, zeitweise wirkte er bloss lähmend. Doch diese Bedenken wurden beim Stabwechsel vor zwei Jahren grösstenteils unterdrückt. Brown wurde mit Vorschusslorbeeren bedacht, weil er eine Abwechslung zu den Feuerwerken Blairs anbot, die immer öfter verpufften. Und tatsächlich nutzte Brown die ersten Bewährungsproben gut. Gegen Terror, Sintflut und Seuche handelte er resolut, aber ohne Bombast. Auf diese breiten Schultern, so schien es, konnte sich das Land stützen.

Unter dem Eindruck der vielversprechenden Anfangserfolge spielte Brown im Herbst 2007 kurz mit dem Gedanken, sich in vorgezogenen Neuwahlen ein eigenes Mandat zu erwerben. Denn er war ja nie ins höchste Amt gewählt worden, weder vom Volk noch von seiner Parteibasis. Aber im letzten Moment schreckte er zurück und vergab so seine vermutlich einzige Chance, die Quälgeister der Vergangenheit zu bannen. Die Episode offenbarte alle Schwächen des Premierministers: seine Entscheidungsschwäche, seine Neigung zu Intrigen, das Abschieben von Verantwortung und schliesslich seine Unfähigkeit, Widrigkeiten mit einem geistreichen Scherz oder einem charmanten Schulterzucken zu überwinden. Brown ist ein brütender, zutiefst unsicherer Mann, dessen Lächeln oft nicht mit seinem Redefluss übereinstimmt und daher aufgesetzt wirkt und der noch immer an den Fingernägeln kaut.
Tragisch wie bei Shakespeare

Gordon Brown ist möglicherweise der intellektuell neugierigste und gebildetste Premierminister der Nachkriegszeit. Sein presbyterianisch geprägtes soziales Gewissen fügt sich gut in den Kanon der traditionellen Labourpartei ein. Seine Verdienste um die Weltwirtschaft in der gegenwärtigen Krise haben ihm in den letzten Monaten kurz zu neuem Respekt verholfen. Aber er hat die Vorhersage des Verteidigungsministers John Hutton erfüllt, der vergangene Woche ebenfalls zurückgetreten ist. Brown würde «ein verflucht schrecklicher Premier» werden, hatte Hutton vor zwei Jahren prophezeit. Brown vermag weder seine engsten Kollegen noch die britische Öffentlichkeit um sich zu scharen.

Nachdem die im Kabinett verbleibenden Minister ihre Karrieren höhergestellt haben als das Wohl von Partei und Vaterland, liegt es an der Unterhausfraktion, ob sie Brown doch noch stürzen will. Doch den demoralisierten Hinterbänklern fehlt eine Galionsfigur.

Die politische Karriere Browns war darauf ausgerichtet, Premierminister zu werden. Lange hat er mit offener Ungeduld auf den Moment gewartet. Dass der Traum platzte, kaum war er in Erfüllung gegangen, enthält tragische, erneut an Shakespeare gemahnende Aspekte. Doch die Keime des Scheiterns lagen in Browns Person.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen