Donnerstag, 25. Juni 2009

Für Gott in den Tod

Harald Neuber

Nach Morden im Jemen: Deutsche Bibelschule leugnet Missionsauftrag ihrer Schülerinnen. Doch das Dementi ist wenig glaubwürdig

Vier Monate vor ihrem Tod verfassten Anita Grünwald und Rita Stumpp zwei verhängnisvolle Dokumente. Am 12. Februar legten die 24- und 25-jährigen Mitglieder des Vereins Bibelschule Brake den Vorsitzenden dieser evangelikalen Gruppierung eine Tätigkeitsbeschreibung für ein Praktikum im Jemen vor. Ausgerechnet im Norden dieses Landes wollten die jungen Frauen in einem Krankenhaus arbeiten, in dem seit über drei Jahrzehnten die christliche niederländische Stiftung Worldwide Services (WWS) aktiv ist. Die WWS ist eine der größten international agierenden Organisationen zur Missionierung. Das Al-Dschumhuri-Krankenhaus in der Provinz Sa'ada ist das renommierteste Projekt der 1979 gegründeten Missionierungsgruppe. Der Einsatz im Jemen sollte die letzte Reise der beiden jungen Frauen werden. Exakt vier Monate nach dem Antrag wurden Gründwald und Stumpp von Unbekannten im Jemen entführt und – ebenso wie eine 34-jährige südkoreanische Missionarin – wenig später erschossen. Ihr tragischer Tod hat nun eine Debatte um Missionswerke ausgelöst.

Die beiden Frauen absolvierten zum Zeitpunkt ihres gewaltsamen Todes das dritte Ausbildungsjahr bei dem Verein "Bibelschule Brake" im ostwestfälischen Lemgo. Gut 1.800 tiefreligiöse Christen haben sich hier nach Angaben der Nachrichtenagentur ddp ausbilden lassen, um in der Gemeindearbeit oder als Missionare tätig zu werden. In rund 60 Staaten seien die Bibelschüler aus Lemgo inzwischen tätig. Dass die Vereinsleitung die beiden Frauen aber ausgerechnet in den Nordjemen reisen ließ, wirft Fragen auf.

"Dürfen Hilfsorganisationen ihre Mitarbeiter einer solchen Gefahr aussetzen?", schrieb Gudrun Büscher in einem Leitartikel für die "Westdeutsche Allgemeine Zeitung" wenige Tage nach den Morden. Das Risiko müsse grundsätzlich so klein wie möglich gehalten werden, forderte die Journalistin: "Und das ist in diesem Fall für unerfahrene Helfer und bibeltreue Christen noch einmal höher als beispielsweise für jeden muslimischen Mitarbeiter".

Bibelschule leugnet eigenen Missionsauftrag

Bibelschule leugnet eigenen Missionsauftrag

Der Verein "Bibelschule Brake" war zuvor Berichten über die Missionstätigkeit der jungen Frauen in einer öffentlichen Erklärung entgegengetreten. "Die Behauptung ist falsch und entbehrt jeder Grundlage", heißt es in der Mitteilung, die im Internet verbreitet wurde. Richtig sei vielmehr, "dass sie als Praktikantinnen der niederländischen Hilfsorganisation 'Worldwide Services' in einem ausschließlich humanitären Dienst eingesetzt wurden." Diese Frage dominiert seither die mediale Debatte: Wurden Anita Gründwald und Rita Stumpp von Lemgo aus in das Kriegsgebiet Nordjemen entsandt, um zu helfen? Oder sollten sie zugleich den Missionsauftrag erfüllen, für den sie ausgebildet wurden?

Für Aufklärung sorgte die britische Tageszeitung "Times". Auch in Großbritannien ist der Entführungsfall in Jemen ein Dauerthema in den Medien: Neben den drei Mordopfern und der noch vermissten deutschen Familie befindet sich unter den Entführten schließlich auch ein Brite. Nach dem Bericht der "Times" arbeitet die niederländische Stiftung WWS eng mit dem Missionswerk "Worldwide Evangelization for Christ" (WEC) zusammen. Im deutschsprachigen Raum ist diese Organisation unter dem Namen Weltweiter Einsatz für Christus bekannt. Die Intention ist in beiden Fällen gleich: Volontäre werden für den humanitär-missionarischen Einsatz in Zielgebieten ausgebildet, vor allem in arabischen Staaten. Das Selbstverständnis bei solchen Einsätzen wird bei einem Blick auf die Erfahrungsberichte von Absolventen deutlich.


Macht Euch auf, Jünger zu machen! Macht Eure Herzen auf für Gottes Wort! Macht Euch auf, um Euch verändern zu lassen! Macht Euch auf, Euch von Gott als Werkzeuge gebrauchen zu lassen!

So schreibt ein Absolvent des Vereins "Bibelschule Brake" in dem Blog einer ehemaligen Klassenkameradin. Die Lemgoer Bibelschülerin Bernice Reckstadt berichtet an gleicher Stelle von ihrem Praktikum:


Ich darf im Weinberg Gottes mitarbeiten! Nächste Woche fahre ich für zwei Wochen in die Ostslowakei zur Zigeunermission. Das wird sicher sehr herausfordernd (…).

Bekenntnis an Wunderglaube von Homepage genommen

Über den Charakter der Ausbildung bei der Bibelschule Brake e.V. konnte man sich noch bis vor kurzem auf ihrer Homepage ein Bild machen::


Angesichts des Missionsbefehls Jesu Christi soll die gesamte Ausbildung (…) dazu beitragen, dass jeder die Schule mit einem "Herzen für Mission" verlässt. Obwohl nicht alle Absolventen Missionare im Ausland sein werden, soll jeder aktiv und vorrangig an der Weltmission beteiligt sein.

An anderer Stelle der Internetpräsenz wurden neun Grundsätze der Bibelschüler wiedergegeben:


Wir glauben an die jungfräuliche Geburt Jesu Christi, Seine Wunder, Sein sündloses Leben und an die Versöhnung des Menschen mit Gott durch Sein Blut und Seinen Opfertod auf Golgatha.

Wir glauben an Jesu leibliche Auferstehung, Seine Himmelfahrt, Sein Wiederkommen zur Entrückung der Gemeinde und Aufrichtung des Tausendjährigen Reiches auf dieser Erde. (…)

Wir glauben, dass alle Menschen leiblich auferstehen werden: die Gläubigen zur ewigen Herrlichkeit, die Ungläubigen zur ewigen Verdammnis.

Wir warten auf einen neuen Himmel und eine neue Erde und wissen um die Verantwortung eines jeden Gläubigen, durch seinen Wandel die Wahrheit der Heiligen Schrift zu bezeugen und das Evangelium allen Menschen zu verkündigen.

Aus den "Bekenntnissen" des Bibelschule Brake e.V.

Wer nach dem gewaltsamen Tod der beiden Bibelschülerinnen den Sinn solcher religiöser Konfessionen hinterfragte, musste mit dem Zorn der Evangelikalen rechnen. Jochen Hoff, Betreiber des Blogs Duckhome, setzte sich wenige Tage nach dem Tod der Missionarinnen kritisch mit der Bibelschule auseinander. Es folgten über 200 zum Teil heftige Statements evangelikaler Aktivisten. "Diese Kommentare sind aber noch der harmlosere Teil", so Hoff gegenüber Telepolis: "Da ich meine Telefonnummer im Impressum angegeben habe, war meine Leitung mehrere Tage lang nicht zu gebrauchen."

Inzwischen haben die Betreiber der Internetpräsenz bibelschule-brake.de die zitieren Texte von ihrer Seite genommen. Auf der Seite erscheint eine Traueranzeige für die beiden Missionarinnen.

Humanitäre Hilfe als Instrument der Missionierung

Die heftige Reaktion evangelikaler Missionare auf Kritiker mag auch damit zusammenhängen, dass das tödliche Ende des Einsatzes von Anita Grünwald und Rita Stumpp eine der Hauptstrategien der aggressiven Glaubensverbreitung bedroht: die Missionierung über Hilfseinsätze.

Sowohl in den Reaktionen auf den "Duckhome"-Artikel als auch in den Stellungnahmen der Bibelschule wurde immer wieder auf den "humanitären Einsatz" der jungen Frauen rekurriert. Dabei ist der Vorsitzende der niederländischen Stiftung WWS, Paul Lieverse, in deren Auftrag die Missionarinnen unterwegs waren, einer der Protagonisten der "medizinischen Missionsarbeit" und zugleich führendes Mitglied der Stiftung Medici Missionare.

Die evangelikalen Strukturen um den nordrhein-westfälischen Verein "Bibelschule Brake" stehen damit in direkter Tradition evangelikaler Missionsarbeit. In seiner 2006 erschienenen Doktorarbeit an der Universität von Südafrika hat der Theologe Pieter Pikkert die Geschichte dieser Missionen in arabischen Staaten nachgezeichnet. Nach dem Zweiten Weltkrieg und im Zuge der Dekolonisierung der arabischen Welt hätten missionarische Gruppen neue Strategien gesucht, um ihren Glauben unter Muslimen zu verbreiten. Vordenker wie Christy Wilson oder Kenneth Cragg hätten schon früh für "pragmatische Lösungen" plädiert: den Rückzug auf Bildungsarbeit und medizinische Hilfe. Nach der Gründung des Staates Israel nutzen die christlichen Organisationen etwa die Not der rund 900.000 palästinensischen Flüchtlinge, um ihre religiöse Botschaft zu verbreiten. Vor allem aber die christlichen Krankenhäuser wie das 1903 in Bahrain gegründete Mason Memorial Hospital fanden Zulauf.

Pikkert zählt drei führende Krankenhäuser missionarischer Gruppen in der Region auf: das Oasis-Hospital in Al Ain (Abu Dhabi), ein weiteres Krankenhaus im Emirat Fudschaira und das Krankenhaus im jemenitischen Sa'ada, in dem Anita Grünwald und Rita Stumpp eingesetzt wurden.

Kritik von etablierten Hilfswerken und von Wissenschaftler

Bei etablierten christlichen Hilfswerken trifft die Arbeit der evangelikalen Gruppen nicht erst seit dem Tod der beiden jungen Frauen im Jemen auf harsche Kritik. "Bei uns kommt das Wort Mission noch nicht einmal in den Statuten vor", sagte Barbara Wiegard vom katholischen Hilfswerk Misereor mit Sitz in Aachen. Die Ende der 1950er Jahre gegründete Organisation unterstützte Projekte in aller Welt, "unabhängig von ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit der Menschen". Auch arbeite Misereor fast ausschließlich mit einheimischen Projektpartnern, sagte Wiegard. Die Tätigkeit evangelikaler Missionare sieht sie kritisch: "Dieses Vorgehen schadet uns als Organisation der Entwicklungshilfe". Es sei erfahrungsgemäß "sehr gefährlich", wenn humanitäre Hilfe und missionarischer Einsatz vermischt werden.

Auch Christoph Lammers von der Technischen Universität Dortmund beanstandet das Vorgehen der Bibelschulen. Der Autor des Buches "Mission Klassenzimmer: Zum Einfluss von Religion und Esoterik auf Bildung und Erziehung" verweist auf die Voraussetzungen für die Aufnahme auf einer der deutschlandweit rund drei Dutzend Bibelschulen: "Um an solchen Institutionen ausgebildet zu werden, muss man sich als wiedergeborener Christ bekennen", so Lammers. Auch der Politik- und Sozialwissenschaftler zitiert die "Bekenntnisse" des Vereins aus Lemgo. Für ihn besteht kein Zweifel: Im Zentrum der internationalen Arbeit der Bibelschüler stehe der missionarische Auftrag: "Gehet nun hin und machet alle Nationen zu Jüngern", heißt es in Matthäus 28 (16-20).

Hätten Anita Grünwald, Rita Stumpp oder die Verantwortlichen ihres Vereins neben der Bibel auch die Reisewarnungen weltlicher Institutionen gelesen, wären die beiden jungen Frauen jetzt womöglich noch am Leben.

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