Ihr gewaltsamer Tod am Rande der Proteste im Iran wurde gefilmt und das Video im Internet verbreitet. Seitdem gilt Neda Agha Soltani als Ikone der Widerstandsbewegung. Doch warum gerade sie? Warum kein anderes Opfer der Staatsgewalt? Weil wir lieber eine schöne, junge Frau sterben sehen.
Neben der reinen menschlichen Tragödie hat das Schicksal von Neda Agha Soltani mittlerweile eine Dimension angenommen, die außerhalb jeder Einflussnahme derer liegt, die ihr zu Lebzeiten nahe waren. Seit die junge Frau am vergangenen Samstagabend auf der Straße erschossen, ihr Tod gefilmt und das Video im Internet verbreitet wurde, ist ihr Gesicht zum Symbol der iranischen Protestbewegung geworden. Zumindest von hier aus gesehen.
Zu diesem Zweck wurde das bewegte Bild des im Original 50 Sekunden langen Videos, das offensichtlich ein Passant mit dem Mobiltelefon aufnahm, angehalten, als Nedas Blick aus einem blutüberströmten Gesicht am Ende ins Leere geht. Mal wird dieses Standbild "verbessert", der Kontrast geschärft, die Oberfläche geglättet. Oder der Popart-Effekt, den Barack Obama berühmt gemacht hat, wird darüber gelegt. Auch das Antlitz der lebendigen Soltani ist "in Bearbeitung". Auf dem am häufigsten verwendeten Foto lächelt sie ein bisschen schüchtern und trägt ein lockeres Kopftuch. Immer wieder - und nun auch hier bei stern.de - wird es neben das der toten Soltani gestellt, wie in einer grausigen Variante des "Vorher-Nachher". So erscheint Neda, wie sie schlachtrufartig genannt wird, auf Zeitungstiteln, in Nachrichtensendungen, auf Gedächtnis-Webseiten, dient als Profilbild in Facebook und beim Twittern und wird auf Plakate gezogen.
Das Abbild des klar geschnittenen Gesichts der 26-jährigen Studentin ist in den Besitz der Öffentlichkeit übergegangen. Es ist Ikone geworden, Projektionsfläche für die politische Agenda des jeweiligen Betrachters, was eine wertungsfreie Feststellung sein sollte, doch auch die Frage aufwirft, warum es eigentlich das Gesicht von Neda Agha Soltani ist und nicht das eines Studenten, der angeblich am Wochenende in einem Wohnheim erschossen wurde. Oder das eines jungen Mannes, der laut Beschreibung des Youtube-Videos am 22. Juni während einer Demonstration sterben musste. Immer mehr dieser Videos, deren Echtheit kaum zu beweisen ist, tauchen auf und werden von den Protest-Beobachtern vor ihren Computern daheim im sicheren Westen mit Empörung und Faszination betrachtet. Vor allem sie haben Neda Agha Soltani als Gesicht der Bewegung ausgewählt.
Es überrasche sie nicht, dass eine Frau, zudem Studentin, zur Ikone geworden sei, so Bronfen weiter: "Wenn wir über die arabischen, islamischen, persischen Länder sprechen, geht es immer auch um die Situation der Frau, deren private Rechte, deren Bildung. Es hat sich schon angebahnt, dass Frauen die treibende Kraft sein würden, als das, was eine Veränderung bewirken kann. Das ist schon länger eine Fantasie. Die Protestbewegung im Iran hat vor allem ein weibliches Gesicht. In diesem Kontext hat eine erschossene Studentin mehr Bedeutung als ein erschossener Student."
"Vor allem das Ausland macht sie zu einer Märtyrerin", fügt Bronfen hinzu. "Sie funktioniert im Westen so gut, weil sie für die westliche Seite des Irans steht. Der Iran ist zum Teil ein extrem westliches Land, wenn man das kulturelle Leben betrachtet. Viel westlicher als beispielsweise Saudi-Arabien. Mit diesem Land können wir uns noch am ehesten identifizieren. Trotz Ahmadinedschad ist der Iran uns sehr nah."
So nah, wie er uns am Computer kommen kann.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen