Freitag, 26. Juni 2009

Protest-Ikone Neda: Die schöne Frau ist tot

Von Sophie Albers

Ihr gewaltsamer Tod am Rande der Proteste im Iran wurde gefilmt und das Video im Internet verbreitet. Seitdem gilt Neda Agha Soltani als Ikone der Widerstandsbewegung. Doch warum gerade sie? Warum kein anderes Opfer der Staatsgewalt? Weil wir lieber eine schöne, junge Frau sterben sehen.

Neben der reinen menschlichen Tragödie hat das Schicksal von Neda Agha Soltani mittlerweile eine Dimension angenommen, die außerhalb jeder Einflussnahme derer liegt, die ihr zu Lebzeiten nahe waren. Seit die junge Frau am vergangenen Samstagabend auf der Straße erschossen, ihr Tod gefilmt und das Video im Internet verbreitet wurde, ist ihr Gesicht zum Symbol der iranischen Protestbewegung geworden. Zumindest von hier aus gesehen.

Zu diesem Zweck wurde das bewegte Bild des im Original 50 Sekunden langen Videos, das offensichtlich ein Passant mit dem Mobiltelefon aufnahm, angehalten, als Nedas Blick aus einem blutüberströmten Gesicht am Ende ins Leere geht. Mal wird dieses Standbild "verbessert", der Kontrast geschärft, die Oberfläche geglättet. Oder der Popart-Effekt, den Barack Obama berühmt gemacht hat, wird darüber gelegt. Auch das Antlitz der lebendigen Soltani ist "in Bearbeitung". Auf dem am häufigsten verwendeten Foto lächelt sie ein bisschen schüchtern und trägt ein lockeres Kopftuch. Immer wieder - und nun auch hier bei stern.de - wird es neben das der toten Soltani gestellt, wie in einer grausigen Variante des "Vorher-Nachher". So erscheint Neda, wie sie schlachtrufartig genannt wird, auf Zeitungstiteln, in Nachrichtensendungen, auf Gedächtnis-Webseiten, dient als Profilbild in Facebook und beim Twittern und wird auf Plakate gezogen.

Das Abbild des klar geschnittenen Gesichts der 26-jährigen Studentin ist in den Besitz der Öffentlichkeit übergegangen. Es ist Ikone geworden, Projektionsfläche für die politische Agenda des jeweiligen Betrachters, was eine wertungsfreie Feststellung sein sollte, doch auch die Frage aufwirft, warum es eigentlich das Gesicht von Neda Agha Soltani ist und nicht das eines Studenten, der angeblich am Wochenende in einem Wohnheim erschossen wurde. Oder das eines jungen Mannes, der laut Beschreibung des Youtube-Videos am 22. Juni während einer Demonstration sterben musste. Immer mehr dieser Videos, deren Echtheit kaum zu beweisen ist, tauchen auf und werden von den Protest-Beobachtern vor ihren Computern daheim im sicheren Westen mit Empörung und Faszination betrachtet. Vor allem sie haben Neda Agha Soltani als Gesicht der Bewegung ausgewählt.

Die Ästhetik des Todes
Die Frau stehe als zukünftige Mutter für das Fortleben der Familie, des Stammes und der Gemeinschaft. Sie gelte zudem immer noch als die Hilflosere, die zu Beschützende, die Reinere, erklärt die Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen im Gespräch mit stern.de die rasante Verbreitung der Neda-Bilder in den westlichen Medien. "Eine am Boden liegende Frau ist hilfsbedürftiger als ein am Boden liegender Mann." Das entspreche unserer kulturellen Kodierung, so die Autorin des Buches "Nur über ihre Leiche", das die Verschränkung von Weiblichkeit, Tod und Ästhetik zum Thema hat. Diese Ikonisierung greife auf eine lange Bildgeschichte von durch Männer gemarterten Frauen zurück. Von den geschändeten sterblichen Überresten der schönen wie tugendhaften Lucretia in der römischen Antike bis zur ansehnlichen Leiche der Laura Palmer in David Lynchs TV-Serie "Twin Peaks".
Es war der Schriftsteller Edgar Allen Poe, der 1846 sagte: "Der Tod einer schönen Frau ist ohne jeden Zweifel das poetischste Thema auf der Erde." Elisabeth Bronfen, die an der Universität Zürich lehrt, sieht in der Wahl der Ikone Neda letztlich auch eine Weiterführung dessen, was sie Erotisierung des Todes nennt. Das Gesicht einer schönen Frau mache den Anblick des Todes, den man verdrängen will, erträglicher, sogar faszinierend. "Das ist eine Bildanalyse, die ich vom konkreten Fall löse", so Bronfen: "Die Weiblichkeit soll uns schützen, vor allem, was mit Verfall und Zerstörung zu tun hat. Schönheit, und das ist ein Gemeinplatz in der westlichen Ästhetik, verdeckt die Vergänglichkeit. In Verbindung mit Schönheit potenziert das Weibliche diesen Effekt. Neda ist sehr schön. Wäre sie eine Greisin, würde es bei weitem nicht so gut funktionieren. Aber hier ist es eine junge Frau. Das makellos schöne Antlitz [der Lebenden] wird nun permanent mit dem blutüberströmten Gesicht der Toten verglichen, was die Frage der Vergänglichkeit und der Fragilität des Lebens stellt. Warum musste dieser junge, schöne Mensch sterben, der noch so viel Leben vor sich hatte?"

Weibliche Bewegung
Neben dem ästhetischen liegt auch ein politischer Grund nahe für die vereinten heftigen Reaktionen auf Neda. Eine junge aufstrebende Frau, die in Freiheit leben will, ist das ultimative Opfer des Regimes Ahmadinedschad, das ihr scheinbar all das verwehrt. Dass der vom Westen favorisierte Oppositionsführer Mir-Hussein Mussawi alles andere als liberal ist, wird von vielen virtuellen Protestunterstützern mindestens übersehen, wenn nicht sogar ignoriert.

Es überrasche sie nicht, dass eine Frau, zudem Studentin, zur Ikone geworden sei, so Bronfen weiter: "Wenn wir über die arabischen, islamischen, persischen Länder sprechen, geht es immer auch um die Situation der Frau, deren private Rechte, deren Bildung. Es hat sich schon angebahnt, dass Frauen die treibende Kraft sein würden, als das, was eine Veränderung bewirken kann. Das ist schon länger eine Fantasie. Die Protestbewegung im Iran hat vor allem ein weibliches Gesicht. In diesem Kontext hat eine erschossene Studentin mehr Bedeutung als ein erschossener Student."

"Vor allem das Ausland macht sie zu einer Märtyrerin", fügt Bronfen hinzu. "Sie funktioniert im Westen so gut, weil sie für die westliche Seite des Irans steht. Der Iran ist zum Teil ein extrem westliches Land, wenn man das kulturelle Leben betrachtet. Viel westlicher als beispielsweise Saudi-Arabien. Mit diesem Land können wir uns noch am ehesten identifizieren. Trotz Ahmadinedschad ist der Iran uns sehr nah."

So nah, wie er uns am Computer kommen kann.

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