Freitag, 19. Juni 2009

George W. Bushs Leben als Pensionär

Von Bill Minutaglio

Das Leben als Ex-Präsident der USA ist merkwürdig. George W. Bush hofft, dass ihn die Nachwelt positiv beurteilt; sicheren Trost findet er derzeit nur bei den Fans.

In seinem Texas fühlt er sich geborgen
George W. Bush als Ruheständler

Der 19-jährige Patrick Bibb aus Dallas schaute auf sein Handy. Das war im Februar, und er befand sich gerade im Wirtschaftsunterricht an der Texas Christian University. Die Nummer des Anrufers war blockiert, deshalb nahm er nicht ab. Als er später seine Nachrichten abhörte, merkte er, dass George W. Bush versucht hatte, ihn zu erreichen.

Der Ex-Präsident dankte ihm mindestens viermal. Bibb hatte überall in Bushs neuer Nachbarschaft 20-Dollar-Schilder mit der Aufschrift «Willkommen zu Hause, George & Laura» verkauft. «Ich hoffe, meine Nachricht reicht aus, um zu zeigen, wie sehr ich das geschätzt habe», sprach Bush auf Bibbs Telefonbeantworter.

Bibb hatte Monate zuvor gehört, dass Bush in die Nähe seiner Eltern ziehen werde. Seine Schilder schossen überall im exklusiven Quartier Preston Hollow wie Pilze aus dem Boden. Hier, im Norden von Dallas, kosten die Häuser zwischen 5 und 20 Millionen Dollar.

Als Bibb sich für die nächste Stunde bereit machte, klingelte das Handy erneut. Diesmal scherzte er, als er nach draussen ging: «Entschuldigung, ich muss mit dem Präsidenten reden.» Tatsächlich war es wieder Bush, der ihm erneut dankte, wieder mehrmals. Bibb sagte schliesslich, er müsse jetzt aufhören: «Es tut mir leid, Mr. President. Ich bin mitten in einer Vorlesung.» Bush antwortete: «Kein Problem. Dort sollten Sie ja auch sein.»

14-jähriger Gesprächspartner
«Ich wollte Bush zeigen, dass die Leute ihn den Umfragen zum Trotz noch mögen», sagt Bibb heute. Ganz in seiner Nähe wohnt auch Molly Vilbig. Bush müsse gehört haben, dass ihr Enkel einst im zarten Alter von sechs Jahren versuchte, einen Dollar für dessen erste Präsidentschaftskampagne zu spenden, vermutet sie - deshalb wohl habe der Ex-Präsident kürzlich angerufen und ihren inzwischen 14-jährigen Enkel zu sich eingeladen. Unter den wachsamen Augen des Secret Service habe sich der Junge mit Bush in den Garten gesetzt, und Bush habe gesagt: «Frag mich alles, was du willst.» Die beiden verbrachten 90 Minuten zusammen.

In Washington lebte Bush die meiste Zeit in einer Blase. Als er das Weisse Haus verliess, waren 73 Prozent der Amerikaner mit ihm unzufrieden. Seit seinem Abgang aus dem Amt hat er kein grösseres Interview gegeben. Stattdessen scheint er zu Hause in Texas ein ungezwungenes Leben zu beginnen. In aller Stille kontaktiert er alte Freunde, stramme Anhänger und gelegentlich einen Fan im Teenageralter, der sich des harschen Urteils der Öffentlichkeit noch nicht ganz bewusst ist.

«Er ist auf heimischem Territorium, kein Zweifel. Und dort will er auch sein», sagt Bruce Buchanan, Präsidentenhistoriker an der University of Texas in Austin. «Im Moment braucht er den schützenden Kokon. Er ruft keinen an, der ihn nicht unterstützt hat, sondern Leute, die hinter ihm standen. Eben diesen 14-Jährigen.»

Ballwurf im Stadion
Ob und wie ernsthaft Bush an der Debatte über sein Erbe teilzunehmen gewillt ist, werde man noch sehen, sagt Buchanan: «Möglicherweise findet er: Vergiss es! Vielleicht aber schafft er seine eigene Version des Jimmy-Carter-Modells. Oder er nimmt einfach nur am Vortragszirkus teil, um Geld zu verdienen. Er hat all diese Möglichkeiten.»

Momentan erprobt er sie. Bushs erster Auftritt im lukrativen Nach-Präsidentschafts-Geschäft mit öffentlichen Reden fand im April statt, als er Leute aus der Ölindustrie für 400 Dollar pro Ticket zum Lachen brachte. Ende Mai trat er zusammen mit Bill Clinton auf. Des Weitern schreibt er an einem Buch und sammelt mit Nachdruck Geld für ein 300-Millionen-Dollar-Projekt: eine Bibliothek, ein Museum und eine Denkfabrik auf dem Gelände der Southern Methodist University.

Als Bush am 20. Januar aus Washington abflog, ging er auf Nummer sicher. Er landete in Midland. Seine Freunde gehören zu den prominentesten Figuren dieser reichen Kleinstadt in Westtexas. Hier wuchs er auf, hier hatte der Name Bush stets Gewicht, von hier stammt Laura Bush, deren Umfragewerte doppelt so hoch waren wie seine, als die zwei Washington verliessen. «30 000 Menschen kamen», sagt Bushs ehemaliger Buchhalter Bob McCleskey. «Und sie kamen, ohne dass es gratis Essen oder Bier gab. Die meisten Leute hier schätzen ihn, weil er eine Entscheidung getroffen hat und bei ihr geblieben ist.»

Die Freunde aus Texas sagen, Bush habe sich in den acht Washingtoner Jahren kaum verändert. «Jedes Mal, wenn ich mit ihm sprach oder mit ihm zusammen war, war er sehr optimistisch», sagt Nolan Ryan, eine Baseball-Legende, die Bush als seinen «Helden» bezeichnet. Ryan ist heute Präsident der Texas Rangers, jenes Baseballteams, dessen Mitbesitzer Bush einst war. Im April lud Ryan Bush ein, den ersten Ball der Saison zu werfen. «Er wurde äusserst nett empfangen. Das war ein sehr positiver Tag», sagt Ryan.

Die einstige Residenz zündete man an
Als Bush das letzte Mal hier lebte, war er der Medienliebling mit hohen Umfragewerten. Heute ist die einstige Villa, in der er als Gouverneur von Texas residierte, eine Ruine, die vergangenen Juni bis fast auf die Grundmauern niederbrannte - der Brandstifter wurde bis heute nicht gefasst. Der Name Bush, der im texanischen Parlament einst mit Ehrfurcht ausgesprochen wurde, gleicht heute dem von Lord Voldemort in den Harry-Potter-Romanen: «Es ist der Name, den es nicht auszusprechen gilt», sagt der örtliche Politberater Bill Miller. «Die emotionale Reaktion der Leute ist fast immer negativ, nie positiv.»

Früher in diesem Jahr schlug ein Abgeordneter aus Waco, das in der Nähe der Bush-Ranch liegt, eine parlamentarische Grussadresse vor. Sie sollte den Ex-Präsidenten als einen Mann loben, der «jeden Tag zuvorderst unser aller Sicherheit und Wohlbefinden im Sinn hatte; er verhielt sich prinzipienfest zu einer grossen Zahl von Themen, die jedem Amerikaner wichtig sind, und seine unermüdlichen Anstrengungen werden nicht so bald vergessen sein». Ausserdem hielt das Dokument fest, Bush gehöre für seine «neuen Antiterror-Instrumente» gelobt.

Die Grussadresse traf auf den Widerstand eines Abgeordneten von Fort Worth, der bemängelte, man wolle Bush offenbar zu «Waterboarding und anderen Foltertechniken» gratulieren. Die Vorlage wurde zurückgezogen und umgeschrieben. Am letzten Hearing darüber Ende April traten keine Zeugen auf, um sie zu verteidigen oder zu attackieren. Sie befindet sich in einer Art Schwebezustand - ein wenig wie die Person, für die sie geschrieben wurde.

Nur einen Monat, nachdem er Washington verlassen hatte, besuchte Bush die Pershing Elementary School in der Nähe seines neuen Wohnorts. Er fragte die Primarschüler, ob sie wüssten, wer er sei. Einer rief: «George Washington!» Der Ex-Präsident gab zurück: «George Washington Bush.»

Präsenz auf dem Campus
Im heutigen Texas steigt die Arbeitslosigkeit, und in einigen städtischen Gegenden wird sich die Rezession verschlimmern. Obwohl dies immer noch ein solider Republikaner-Staat ist, besitzt die republikanische Partei im texanischen Parlament bloss einen Vorsprung von zwei Sitzen. Obama holte 44 Prozent der Stimmen aus Texas und verbesserte sich damit gegenüber jenen 38 Prozent, die Kerry machte, als er 2004 gegen Bush kandidierte. Auf dem veränderten Terrain zu navigieren, ist für Bush und seine Leute heikel. Gegen jene Denkfabrik, die er an der Southern Methodist University einrichten will, hat sich Opposition geregt. Kritiker wittern eine Institution, die das Bush-Erbe polieren und die Probleme ausblenden will, was die Unabhängigkeit der Hochschule in Mitleidenschaft ziehen könnte. Mittlerweile hat Bush sich mit Studenten der Politikwissenschaft an der Hochschule getroffen, in deren Fitnessclub trainiert und alte Verbündete hinzugezogen. «Er ist eigentlich permanent auf dem Campus», sagt ein Studentensprecher. «Obwohl ich mit ihm politisch nicht in allen Dingen einverstanden bin, denke ich, dass er aus ganzem Herzen führte, dass er also nicht nur auf das schaute, was als populär gilt, sondern vielmehr das tat, was er für richtig hielt.»

Im Norden von Dallas hat sich Bush ein Büro eingerichtet, wo er laut Freunden tief in seine Memoiren verstrickt ist. Das Buch wird von den Schlüsselentscheidungen seiner Präsidentschaft handeln. Und von seinem Leben vor Washington und wie er, beispielsweise, mit 40 zu trinken aufhörte. «Ich spüre, dass er darauf vertraut, dass ihn die Geschichte anders beurteilen wird als die‹New York Times› oder andere heutige Medien», sagt ein alter Freund, der Milliardär Tom Hicks.

Die Freunde in der Nähe
Hicks half den Bushs, sich in ihrem neuen Haus niederzulassen - gleich neben seinem eigenen Grundstück. Ein anderer texanischer Milliardär, Harold Simmons, wohnt auch ganz in der Nähe der Bushs. Simmons assistierte dabei, jene Kampagne gegen John Kerry in Schwung zu bringen, wonach dieser seine Taten in Vietnam übertrieben darstellte. Die Männer, die Bush zur Plattform, zum Geld und zur politischen Macht verhalfen, mit denen er seine Kampagnen gewann, leben in Gehdistanz von dessen neuer Veranda.

Die angeschlagene Wirtschaft hatte schon den Enthusiasmus für George Bushs Vater gedämpft. Doch als dieser von Washington heim nach Houston flog, betrug die Zustimmungsrate für ihn doch 56 Prozent, und die vielen, die er sich im Laufe seiner langen Karriere zu Freunden gemacht hatte, trugen ihn. Larry Temple, ein früherer Sonderberater von Lyndon Johnson, sagt, im Fall des Bush-Sohns sei die Stimmung ganz anders: «Da ist ein nachklingendes Unbehagen. Es mag der Krieg sein oder die restlichen Folgen der Wirtschaft.»

«Präsidenten bekommen keine umfassende und faire Beurteilung, bis jeder Zeitzeuge ebenso tot ist wie sie selber», sagt Präsidentenhistoriker Buchanan. Das Warten muss hart sein für George W. Bush, der mit 62 immer noch voller Bewegungsdrang und Energie ist. In Dallas, als er auf Schulbesuch war, bat ihn jemand von den Eltern, er solle doch am Schulkarneval mitmachen. «Ich wäre ein guter Geist», antwortete Bush.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen