- Im Machtkampf in Iran verhält sich ein Mann auffällig vorsichtig
Das Ringen um die Macht in Iran geht weiter: Der nach offizieller Zählung unterlegene Präsidentschaftskandidat Hossein Mussawi lehnt einem engen Vertrauten zufolge die Teilnahme an einer Nachzählung in einzelnen Bezirken ab. Mussawi bestehe auf einer Annullierung der Wahl, sagte er am Samstag Reuters in Teheran. Mussawi werde auf seiner Internetseite eine Erklärung veröffentlichen, in der es unter anderem heiße: "Diese Nachzählung wird die Unklarheiten nicht beseitigen. Es gibt keine Alternative zu einer Annullierung." Einige Mitglieder des Gremiums, das für die Zählung einberufen wurde, seien nicht neutral.
Der mächtige Wächterrat der Islamischen Republik hatte die Nachzählung vorgeschlagen, um den Vorwurf des Wahlbetrugs zu entkräften. Offiziellen Angaben zufolge sollen die Stimmzettel aus zehn Prozent der Wahllokale überprüft werden, die nach dem Zufallsprinzip ausgesucht werden. Bei der Abstimmung vor zwei Wochen soll angeblich Amtsinhaber Mahmud Ahmadinedschad mit großer Mehrheit bestätigt worden sein. Bei Protesten gegen den Ausgang der Wahl wurden mehrere Menschen getötet.
Einer der mächtigsten Unterstützer Mussawis vor der Wahl war Ali Akbar Haschemi Rafsandschani - seit der Abstimmung aber ist es um den regierungskritischen Ex-Präsidenten ziemlich ruhig geworden, rätselhaft ruhig. Dabei steht für ihn derzeit beinahe alles auf dem Spiel: Der Konflikt um den Ausgang der Wahl entscheidet auch seine Zukunft.
Entschließt sich die Führung in Teheran für eine ruhige Gangart, dann könnte er der Mann sein, der zwischen Hardlinern und Regierungsgegnern vermittelt und so die Islamische Republik rettet. Entscheidet sich das konservative Regime jedoch weiterhin für ein brutales Vorgehen gegen die Protestbewegung, so dürfte selbst Rafsandschani ins Visier der Staatsmacht geraten. Die kurzzeitige Verhaftung von Rafsandschanis Tochter Faeseh, die zu Mussawi-Anhängern gesprochen hatte, war bereits ein eindeutiger Warnschuss des Regimes.
Schlichterrat: Opposition soll mit Wahlprüfern kooperieren
Nach langem Schweigen meldete sich Rafsandschani am Samstag zu Wort - mit einer Botschaft des Kompromisses zwischen Hardlinern und Reformern. Der von ihm angeführte Schlichterrat des Landes hat einerseits die Opposition zu einer Zusammenarbeit mit der Führung in Teheran aufgefordert. Das Gremium appellierte am Samstag an die unterlegenen Kandidaten, mit der neuen Sonderkommission zu kooperieren, die im Auftrag des Wächterrats den Wahlhergang untersuchen soll. In einer Erklärung schrieb Rafsandschani aber auch: "Wir fordern auch den Wächterrat auf, alle Beschwerden und Einwände genau zu untersuchen." Der Schlichterrat vermittelt für gewöhnlich zwischen Wächterrat und Parlament.
Im Wahlkampf hatte Rafsandschani noch viel klarer Partei bezogen. Klar und eindeutig stellte sich der 75-Jährige gegen Ahmadinedschad und stärkte dem moderaten Mussawi den Rücken. Doch seit der umstrittenen Abstimmung vom 12. Juni trat Rafsandschani nicht ein einziges Mal persönlich in der Öffentlichkeit auf.
Über die Gründe dafür wird viel spekuliert. Mal soll Rafsandschani hinter den Kulissen einen Kompromiss aushandeln, mal die Straßenproteste orchestrieren. Und dann sind da einige, die vermuten, Rafsandschani plane kraft seines Amtes als Vorsitzender der Expertenversammlung den Sturz des geistlichen Oberhaupts des Landes, Ajatollah Ali Chamenei.
"Trotz all dieses Geredes über Hinterzimmer-Aktivitäten sehe ich nichts", sagt der Iran-Experte Anusch Eschtami von der Universität Durham. "Das bedeutet, dass er keinen Fortschritt erzielen konnte - welche Absicht auch immer er verfolgt."
Nach Ansicht von Baker Moins, Biograf von Ajatollah Ruhollah Chomenei, sorgt sich Rafsandschani nicht allein um sein politisches Überleben, sondern auch um die Zukunft der Islamischen Republik, die er einst mitbegründete. "Er will nicht, dass sie von den Hardlinern ruiniert wird. Er denkt, dass sie Chamenei beeinflusst haben", sagt der Londoner Iran-Experte Moins.
Human Rights Watch: Milizen-Terror mit Razzien in der Nacht
Rafsandschani selbst würde könnte einem Sieg der Hardliner zum Opfer fallen. Daher bemühe er sich hinter verschlossenen Türen um einen Ausweg. "Sein Hauptziel ist, die Legitimation des Establishments zu erhalten, die durch den Streit über die Wahl Schaden genommen hat", sagt ein Experte, der ungenannt bleiben will.
Wahrscheinlich geht Rafsandschani, politisches Stehaufmännchen und Pragmatiker, aber auch aus Selbstschutz nicht in die Offensive. Ahmadinedschad hat nie ein Geheimnis aus seiner Abneigung gegen ihn gemacht und ihm und seinen Söhnen im Wahlkampf Selbstsucht und Korruption vorgeworfen.
Vielleicht hält sich Rafsandschani aber auch einfach nur alle Optionen offen und wartet ab, bis sich die Wogen geglättet haben. "Er könnte eine große Rolle spielen, da er das wichtigste Bindeglied zwischen Führung, Chamenei, vielen Religionsgelehrten und Reformkräften ist", sagt Moins.
Ahmadinedschad hat den Westen am Samstag wieder attackiert. Er forderte die G-8-Staaten auf, ihre Haltung gegenüber seinem Land "zu korrigieren". "Es ist genug. Blamieren Sie sich durch solche Sprache und solch ein Verhalten nicht weiter", sagte er laut Nachrichtenagentur Irna. Er warf US-Präsident Barack Obama eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten seines Landes vor. Obamas Äußerungen widersprächen "den Regeln und der Höflichkeit". Obama hatte sich "erschüttert" über den Umgang mit regierungskritischen Demonstranten im Iran gezeigt und das offiziell verkündete Wahlergebnis in Zweifel gezogen.
Nach Augenzeugenberichten terrorisieren Basisch-Milizen mit nächtlichen Razzien Einwohner von Teheran und anderen Städten. Die paramilitärische Miliz dringe willkürlich in Privatwohnungen ein und schlage die Bewohner, hieß es in einem Bericht der Organisation Human Rights Watch, der in Washington veröffentlicht wurde. Ziel der Einsätze sei es, die Menschen an nächtlichen Protestrufen von den Dächern zu hindern. Eine unabhängige Bestätigung für die Berichte liegt nicht vor.
"Augenzeugen erzählen uns, dass sich die Basisch-Milizionäre sich teilweise ganze Straßen vornehmen oder sogar ganze Viertel", sagte Sarah Leah Whitson, Nahost-Chefin der Gruppe. Der Bericht zitiert mehrere Teheraner, darunter einen Bewohner des Bezirks Wanak: "Als wir am 22. Juni von den Dächern 'Allahu Akbar' riefen, rückten die Basischi in unser Viertel ein und begannen scharf in die Luft zu schießen, und zwar Richtung der Gebäude, von denen sie dachten, dass von dort die Rufe kommen." 'Allahu Akbar' ist ein religiöser Ruf und bedeutet soviel wie 'Gott ist allmächtig'.
Eine Frau sagte den Menschenrechtlern, die Milizionäre seien am 23. Juni im Bezirk Welendschak über Mauern geklettert, nachdem es ihnen nicht gelungen sei, das Tor zu einem Wohngelände einzutreten. "Sie drangen in die Häuser ein und schlugen die Bewohner. Als Nachbarn sie mit Flüchen eindeckten und Steine auf sie warfen, um sie von den Schlägen abzubringen, griffen sie die Häuser der Nachbarn an und versuchten, dort einzudringen."
Ein weiterer Teheraner berichtete, die Miliz habe in einem zentral gelegenen Viertel bestimmte Häuser zunächst mit Zeichen markiert. Dann seien weitere Kräfte angerückt und hätten die Türen der gekennzeichneten Gebäude aufgebrochen. "Sie prügelten die Bewohner, zerschlugen die Fenster des Hauses und der Autos, die der Familie gehörten." Der Menschenrechtsorganisation zufolge liegen ähnliche Berichte aus weiteren Teilen der Hauptstadt vor, vor allem aus besseren Wohngebieten.
Mehr als 1000 Menschen demonstrierten am Samstag in Frankfurt am Main "gegen den Staatsterror im Iran", in Hamburg protestierten rund 300 Menschen vor dem iranischen Generalkonsulat gegen das "barbarische Vorgehen" der iranischen Führung.
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