Samstag, 27. Juni 2009

Aids im Fußballland Südafrika: Spieler mit Virus

aus Johannesburg Ronny Blaschke

Südafrika startet den Countdown zur Fußball-WM 2010, doch die Euphorie überdeckt eines der größten Probleme des Landes: Aids. Dabei trifft die Immunschwäche gerade den Ballsport - die Aufklärungsarbeit dort hat erst begonnen.

Chris Barkley, 28, liebt das Abenteuer. Nachdem der Fußballer seit der Kindheit in seiner US-Heimatstadt Ithaca gespielt hatte, zog es ihn vor vier Jahren in die Fremde. Es musste ein Land sein, in dem Fußball die wichtigste Sportart ist, so viel stand immerhin fest. Nach Europa wollte er nicht, das wäre ihm zu einfach gewesen. Es zog ihn nach Afrika.

2005 landete Barkley schließlich in Botswana, dem nördlichen Nachbarn Südafrikas. Er meldete sich in einem Verein an, wurde herzlich aufgenommen. Alles lief nach Plan. Der Club war erfolgreich. Doch irgendwann macht der Amerikaner eine beunruhigende Entdeckung: Immer wieder musste das Team auf Spieler verzichten, sie kamen einfach nicht mehr. Es hieß, sie seien erkrankt. Irgendwann hörte Barkley, sie seien gestorben. Woran, sagte niemand. Er konnte es sich denken. Die Ursache war Aids.

Barkley wollte dem Sterben nicht länger zusehen. Er schloss sich einem Projekt an, das den Namen Grassroot Soccer trägt, Graswurzel-Fußball. 2002 hatten sich vier ehemalige Profis aus den USA und Simbabwe entschlossen, in Simbabwe eine Initiative gegen HIV zu gründen, mit der beliebtesten Sportart als Medium. "Die WM 2010 schenkt uns eine weltweite Öffentlichkeit", sagt Barkley jetzt. "Diese Chance dürfen wir nicht verspielen." Seit Monaten tourt er durch das Gastgeberland Südafrika, organisiert Turniere für Kinder, Lehrgänge für Trainer, verteilt Broschüren, sucht nach Partnern. Die Idee von Grassroot Soccer gibt es mittlerweile in zwölf afrikanischen Staaten. "Aufklärung ist das Wichtigste, nur so können wir dieses Tabu brechen."

Aids bleibt eines der größten Entwicklungshindernisse Südafrikas. 5,7 Millionen Menschen sollen laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) infiziert sein, das entspricht fast zwölf Prozent der Bevölkerung, in Deutschland sind es 53.000 Infizierte. In der Altersgruppe von 15 bis 49 Jahren liegt die HIV-Rate in Südafrika laut WHO bei über 18 Prozent.

"Offiziell will niemand darüber sprechen", sagt Barkley und schimpft auf die Politik. Ein Grund dafür ist auch der nachlässige Umgang der Regierung mit dem Problem. Die ehemalige Gesundheitsministerin Manto Tshabalala-Msimang etwa empfahl Rote Beete, Knoblauch und Zitronensaft gegen das Virus.

Vor allem in der Männerdomäne Fußball ist Aids ein Thema, das nur allzu gern ignoriert wird. In den Medien prahlen Kicker mit ihrer exzessiven Lebensart, dazu gehören Kinder von verschiedenen Frauen.

Einer der wenigen Betroffenen, der mit der Krankheit offen umgeht, ist Irvin Khoza, Präsident der Orlando Pirates in Soweto und einer der mächtigsten Männer des südafrikanischen Fußballs. Vor drei Jahren starb seine Tochter an Aids, sie hatte sich bei ihrem Ehemann angesteckt - bei Sizwe Motaung, einem ehemaligen Nationalspieler. Khoza wandte sich an die Presse und erhielt dafür Lob von Nelson Mandela, dem Vater der Republik. "Fußballprofis werden als Helden vergöttert", berichtet Aktivist Chris Barkley. "Aber man muss differenzieren und ihre Fehler herausstellen."

Jeder sechste Erstligaspieler soll infiziert sein

Ephraim Nematswerani, Teamarzt der Moroka Swallows ging in die Offensive, der südafrikanischen Zeitung "Sunday Times" sagte er, er habe mehrere infizierte Profis betreut, seinen Schätzungen nach trage jeder sechste Erstligaspieler das Virus in sich. Zugleich warnte er vor den Konsequenzen, Hochleistungssport könne das Immunsystem schneller schwächen.

Chris Barkley sagt: "Fußballer sollten den Jugendlichen zeigen, was sie in Südafrika für Privilegien genießen dürfen." Wenn er in den Armenvierteln mit Kindern spricht, erwähnt er gern Magic Johnson. Der Basketballstar der Los Angeles Lakers bekannte sich im November 1991 zu seiner Erkrankung. Trotzdem gewann er mit der amerikanischen Auswahl 1992 Olympia-Gold, noch immer soll er weitgehend ohne Symptome leben. "Für die Prävention wäre es ein Meilenstein, wenn sich ein HIV-positiver Spieler positionieren würde", sagt Barkley.

Doch diese Vorstellung ist utopisch: Infizierte, die ihre Krankheit nicht verheimlichen können oder wollen, werden in Südafrika oft von Verwandten, Freunden, Kollegen ausgegrenzt. Sie leben und sterben allein, in der Leistungsgesellschaft Fußball besonders.

Anti-Aids-Initiativen bei der WM

Der Aufklärungsbedarf ist groß, vielen Südafrikanern ist nicht bekannt, dass HIV nicht mehr einem Todesurteil gleichkommt, Medikamente können die Lebenszeit um Jahrzehnte verlängern - vorausgesetzt, die Betroffenen können sie sich leisten.

An diese Botschaft knüpfen vor der WM viele Initiativen an. "Über den Fußball erreichen wie Gruppen der Gesellschaft, die wir sonst nie erreichen würden", sagt Irene Lukassowitz von der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), die sich vor allem in den Townships stark engagiert.

Auch in der Liga zeigen sich erste Signale einer offenen Diskussion, die Spielervereinigung SAFPU um den ehemaligen Profi Ronnie Zondi hat eine Kampagne gestartet. "Das ist ein Anfang, mehr nicht", sagt Chris Barkley. Oft muss er in den Jugendcamps bei null anfangen, viele Kinder wissen nicht, woran ihre Eltern gestorben sind.

Er versucht ihnen klar zu machen, dass Bildung und Vorsorge das Wichtigste sei. Sonst könnte es ihnen ergehen wie ihm: dass gute Freunde plötzlich nicht mehr zum Training erscheinen.

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