Dienstag, 23. Juni 2009

Rebellion in Iran stellt Israel vor Probleme

Von Christoph Schult, Jerusalem

Der Chef des Geheimdienstes Mossad hat die Dimension des Widerstands in Iran grandios unterschätzt - und findet, ein Sieg Ahmadinedschads nütze Israel. Egal, wer den Machtkampf in Teheran schließlich gewinnt: Die Unruhen erschweren Jerusalem den Kampf gegen das Atomprogramm des Regimes.

Am Sonntag verlängerte das israelische Kabinett die Amtszeit des Chefs der israelischen Auslandsspionage, Meir Dagan, um ein weiteres Jahr. Er sei ein "exzellenter Mossad-Direktor", lobte Premierminister Benjamin Netanjahu.

Es liegt wohl nicht an der Qualität seiner politischen Vorhersagen, dass Dagan jetzt bereits dem dritten Premier in Folge dient. Zumindest lässt das, was der Mossad-Chef am Dienstag zuvor im Parlamentsausschuss für Außen- und Sicherheitspolitik zu Iran zu sagen hatte, Zweifel an seiner außenpolitischen Kompetenz aufkommen. "Die Wirklichkeit in Iran wird sich wegen der Wahlen nicht ändern", sagte Dagan. Der Wahlbetrug in Iran unterscheide sich nicht von dem, was gemeinhin in freien Staaten passiere. Seine Ausführungen gipfelten in der Vorhersage, die Unruhen würden "in wenigen Tagen absterben".

Die Wut der iranischen Opposition hat nicht nur Israels Chef-Agent unterschätzt. Gefördert von der jahrelangen PR der israelischen Politik, hatten die meisten Israelis bis vor kurzem Iran als eine lupenreine Diktatur betrachtet, eine fromm-fundamentalistische noch dazu. Und so sind, während die Aufstände in Teheran in die zweite Woche gehen, die meisten Israelis hin- und hergerissen zwischen Skepsis und Sympathie.

Sie haben noch immer die Einflüsterungen von Politikern und Geheimdienstlern im Ohr, wonach es praktisch keinen Unterschied gebe zwischen dem amtierenden Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad und seinem aussichtsreichsten Herausforderer Hossein Mussawi. "Es ist wichtig zu erinnern, dass es Mussawi war, der in seiner Zeit als Premierminister das iranische Atomprogramm begann", hatte Mossad-Direktor Dagan vor dem Knesset-Ausschuss gewarnt.

Er legte nahe, dass es sogar im israelischen Interesse sei, dass Ahmadinedschad an der Macht bliebe. "Wenn der Reformkandidat gewonnen hätte, hätte Israel ein größeres Problem." Es sei viel schwieriger, vor dem iranischen Atomprogramm zu warnen, wenn die Welt Mussawi gleichzeitig als gemäßigt ansehe, so Dagan. In Israel wird seitdem gewitzelt, der Mossad habe im Auftrag von Netanjahu den Wahlbetrug organisiert und Ahmadinedschads Sieg sichergestellt.

Doch viele Israelis bekommen inzwischen Zweifel an der einseitigen Sicht auf Iran, die ihre Führung ihnen über Jahre eintrichterte. Schon der mit äußerster Schärfe geführte Wahlkampf erstaunte die Menschen zwischen Haifa, Tel Aviv und Jerusalem. "Die trauen sich ja, ihre Meinung zu sagen, sogar die Frauen!", wunderte sich ein Fernsehkommentator.

Die Titelseiten der israelischen Zeitungen machen mit Fotos blutüberströmter iranischer Demonstranten auf, und in den Fernsehnachrichten werden die YouTube-Aufnahmen über das harte Vorgehen der iranischen Sicherheitskräfte gezeigt. Sogar Premier Netanjahu musste am Montag im Interview mit der "Bild"-Zeitung zugeben, in Teheran sei zurzeit "ein mächtiges Verlangen nach Freiheit in einem Teil des iranischen Volkes" zu sehen.

Die israelische Regierung vermeidet es jedoch bislang, sich öffentlich hinter Mussawi zu stellen - es könnte dem Reformkandidaten schaden. Zudem kommt es ihr einzig darauf an, dass Iran sich klar vom Bau einer Atombombe distanziert - und da haben Netanjahu und Co. eben Zweifel, ob Mussawi auf die Mahnungen des Westens eingeht.

Aber egal, wer am Ende Iran regiert - den Kampf gegen das Atomprogramm haben die Unruhen bereits extrem erschwert. So groß die Risiken eines israelischen Militärschlags bislang bereits waren, eine solche Option würde weltweit jetzt noch mehr Kritiker auf den Plan rufen.

Allerdings könnte sich ein in die Enge gedrängter Ahmadinedschad auch gezwungen sehen, mit Hilfe verschärfter Drohungen gegen Israel sich aus der innenpolitischen Bredouille zu befreien. Eine Kostprobe davon gab bereits der religiöse Führer Ali Chamenei, als er in der Teheraner Universität neben den USA und Großbritannien auch die "Zionisten" für die Unruhen verantwortlich machte. "Das Regime in Teheran könnte versucht sein, Israel dazu zu benutzen, um von seinen internen Problemen abzulenken", sagte Efraim Halevy, Mossad-Direktor von 1998 bis 2002 dem SPIEGEL. "Daher sollten wir auch keine voreiligen Schlüsse ziehen, was die Krise in Iran für das Atomprogramm bedeutet."

Die Verlängerung der Amtszeit von Halevys Nachfolger Dagan ging denn auch nicht ganz geräuschlos über die Bühne. Neben seinen Äußerungen über die vermeintlich kurze Dauer der Teheraner Demonstrationen stieß noch eine andere Aussage des Mossad-Chefs auf Kritik. Iran werde seine erste Atombombe erst im Jahre 2014 zur Verfügung haben, sagte Dagan vor dem Parlamentsausschuss und überraschte damit so ziemlich alle Abgeordneten. Bislang hatte Israel den Westen immer zu Eile gedrängt und behauptet, Iran können bereits 2011 im Besitz der Bombe sein. Vor allem der militärische Geheimdienst, der mit dem Mossad bisweilen konkurriert, sieht durch Dagans Äußerungen den Kampf gegen das iranische Atomprogramm beschädigt.

Doch Dagan hatte bei seinem Auftritt vor den Parlamentariern noch einen Satz hinzugefügt. Iran werde 2014 über die erste Atombombe verfügen, "wenn das Programm nicht gestört oder unterbrochen wird". Damit, so erklären Geheimdienstexperten, müsse nicht unbedingt ein Militärschlag gemeint sein. Wie Ronen Bergman, investigativer Journalist der Tageszeitung "Jediot Acharonot" in seinem Buch "The Secret War with Iran" beschreibt, beherrscht der Mossad vor allem eine Technik besonders gut: Sabotage. Und für Dagan habe, sagt Bergman, der Kampf gegen das iranische Atomprogramm in den vergangenen Jahren höchste Priorität gehabt. So gesehen macht die Verlängerung seiner Amtszeit wieder Sinn.

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