Donnerstag, 18. Juni 2009

Ahmadinedschad gehen die Follower aus

Ohne Netz weniger Kommunikation, ohne Kommunikation weniger Proteste, ohne Proteste weniger Veränderung: Blogger und Twitterer über den Kampf um die digitale Vorherrschaft im Iran.

Im Iran, einem von jungen Menschen geprägten (das Durchschnittsalter ist 24, in Deutschland 49) und von alten Männern beherrschten Land, ist das Internet die wichtigste Waffe der Opposition. Die iranische Blogosphäre ist deutlich größer als die deutsche. Iran ist nach China das Land, das weltweit die meisten Hinrichtungen durchführt. Durch Steinigungen, Exekutionskommandos oder am Galgen werden Menschen - unter ihnen entgegen internationaler Abkommen auch Minderjährige - getötet, weil sie homosexuell sind, Ehebruch begangen haben oder man ihnen Abkehr von der Religion vorwirft. Vor den Wahlen ist die sowieso schon ungeheure Zahl der Hinrichtungen noch einmal deutlich gestiegen, betroffen waren vermehrt Angehörige ethnischer Minderheiten. Natürlich ist einem solchen Regime Wahlfälschung zuzutrauen. Momentan jedoch kann die Frage, ob - und wenn ja, in welchem Ausmaß - manipuliert wurde, nicht beantwortet werden. Im Blog Zoon Politikon heißt es dazu: «Mir scheint, viele Spekulationen basieren auf Wunschdenken in den westlichen Medien. Fragen wie 'Können die Stimmen überhaupt so schnell ausgezählt worden sein?' folgt meist keine wirkliche Analyse und sie erinnern in ihrer suggestiven Wirkung mehr an die Art und Weise wie man Verschwörungstheorien belegt. Hingegen ist es weiteherum annerkannt, dass bei der letzten Wahl von Ahmadinejad zahlreiche Unregelmässigkeiten existierten. Auch wenn seine Popularität nicht unterschätzt werden sollte, sind gewisse Zweifel an der Höhe des Resultats durchaus plausibel.»

IranElections
Im vergangenen Blogblick war zu lesen, wie schwer es für den Einzelnen selbst in einem westlichen Rechtsstaat ist, aus seinem privaten Umfeld heraus Wahlergebnisse zu prognostizieren. Der Spiegelfechter macht entsprechend darauf aufmerksam, dass die Eindrücke der iranischen Twitterer kein objektives Bild abgeben können. «Da arme Bauern mit niedrigem Bildungsniveau nicht eben dafür bekannt sind, sich im Internet herumzutreiben, steht das Netz auch nicht im Verdacht, ein repräsentatives Meinungsbild widerzuspiegeln.» Selbst die unüberschaubare Zahl an Kurznachrichten bei Twitter kann also nicht mehr als einen subjektiven Eindruck vermitteln. Der Spiegelfechter schreibt weiter: «Während viele Blogs und Netzmedien unbestätigte Gerüchte aus dem digitalen Äther mit einem geradezu ideologischen Enthusiasmus aufgreifen und weiterverbreiten, sollte es Aufgabe der klassischen Medien sein, hier einen Trennstrich zu ziehen und nur verifizierbare Meldungen mit klarer Quellenangabe weiterzugeben.» Er kommt zu dem Schluss: «Twitter kann helfen, sich einen rudimentären Überblick über die Situation zu verschaffen – so lange man nicht jede Meldung glaubt und für wahr hält, ist dies sicher eine wertvolle Zusatzinformation. Ein Ersatz für seriöse Informationen aus erster Hand ist Twitter allerdings nicht.»

Holzmedien
Matthias Schwenk hält dagegen auf Carta die alten Medien Twitter gegenüber für hoffnungslos unterlegen. «Während Twitter schnell und effizient informiert, halten selbst die Onlineausgaben der Zeitungen nicht mehr Schritt: Der Qualitätsjournalismus braucht neue Techniken für den Umgang mit der digitalen Schnelligkeit.» Geschwindigkeit ist jedoch gar nicht das entscheidende Kriterium. Vielmehr kommt es darauf an, dass das Internet im Gegensatz zum staatlichen Rundfunk für das Regime schwieriger zu kontrollieren ist und so eben auch die iranische Öffentlichkeit sich ein Bild der Ereignisse machen kann. Die iranische Führung mag in der Lage sein, ihre eigenen Journalisten und die ausländischen Korrespondenten vor Ort zu kontrollieren, das Internet beherrscht sie nicht. Ganz nebenbei: Angesichts der Bedeutung von Twitter für die iranischen Demonstranten hat sich die US-Regierung bei den Betreibern nun dafür eingesetzt, dass anstehende Wartungsarbeiten, die zu Einschränkungen führen könnten, verschoben werden. Weiterhin wird der Protest auf Facebook dokumentiert, Bilder werden bei Twitpic oder Flickr hochgeladen und Videos auf Youtube zeigen das Ausmaß der Gewalt. Thomas Knüwer hat eine neue Qualität des digitalen Protests ausgemacht:

«Wir sehen eine Revolution. Nein, wir sehen zwei Revolutionen. Der Ausgang der einen, der politischen, ist ungewiss. Die zweite, die technische, wird uns erhalten bleiben. Denn die Welt hat sich nicht nur solidarisiert mit den Protestzügen in Teheran - sie wird Teil der Proteste.» Die Weltöffentlichkeit schaue nicht nur passiv Bilder und Videos: «Menschen weltweit richten selbst Proxy-Server ein und reichen deren Adressen weiter.»

Proxy-Server und DoS-Attacken
Tatsächlich sind die Verbindungen im Iran zur Zeit entweder dramatisch überlastet oder werden sabotiert, weshalb über Twitter Angebote, Proxy-Server einzurichten, abgegeben werden. Sogar DoS-Attacken werden über Twitter konzertiert und die Ruhrbarone geben die Parole «Wir sind jetzt Iraner» aus. Man solle im Twitteraccount unter der Rubrik Ort «Teheran» eingeben, da die iranischen Sicherheitskräfte Twitter nach Ortsangaben durchsuchten und so die tatsächlichen Aufrührer schwerer zu identifizieren seien. Einen interessanten Bezug zur deutschen Zensurdebatte stellt Stefan Waidele her: «Wo wäre der Protest im Iran, wenn die Regierung dort schon lange eine ausgereifte Zensurmachinerie installiert hätte - natürlich nur gegen Kinderpornos und Urheberrechtsverletzungen und Bombenbauanleitungen und so. Dann sähe die Sache nämlich eher so aus, wie in China. Dort hat die Opposition nämlich nicht den Vorsprung, von dem die iranische Opposition momentan noch profitiert.» Was in Deutschland Horrorszenario ist - ein Staat, der die Informationskanäle kontrolliert, ist im Iran grausame Realität. Und dann bleibt nur noch Twitter.

Interview mit Michael Seemann aka mspro.

Du hast bei Twitter wahrscheinlich mehr Leser als in deinem Blog.

Gibst du dir entsprechend Mühe mit deinen Tweets oder fließt da einfach nur rein, was dir eben so passiert?

Michael Seemann: Klar entwickelt man einen gewissen Anspruch. Was mir zu schlecht ist, um es zu twittern, lass ich heute in Offline-Konversationen raus. Wer braucht heutzutage schon noch Freunde?

Im Ernst. Also halbernst: Ich hab mir eine kleine innere Redaktion aufgebaut. Die gibt aber nur Empfehlungen und ist an sich auch sehr schluderig. Das kommt mir aber sehr entgegen, denn ich mag es zu trollen. Besonders gegen meine Follower. Da trete ich oft und gerne über Grenzen und wenn mir ein Thema (z.B. Politik) wichtig ist, kann ich schon sehr enervierend sein. Die Redaktion guckt da meist nur schulterzuckend zu, ermahnt mich aber stetig zur Originalität. So züchte ich mir einen Stamm resistenter Follower, die mich auch dann noch lesen, wenn ich wirklich mal meine Tage habe. Das nenne ich dann Liebesersatz.

Und wozu das Alles?

Seemann: Ich gehöre nicht zu den Menschen, die in ihrem Tun immer einen tieferen Sinn sehen müssen, um es vor sich selbst zu rechtfertigen. Ich tue, um genau zu sein, die meisten Dinge nur zum Spaß. Der Spaß an Twitter ist sicher einer gewissen Affinität zur Öffentlichkeit geschuldet. Das, was mich bei Blogs sofort in den Bann zog, ist auch das selbe wie bei Twitter: ein leeres Textfeld! Und niemand, der mich hindert, alles was da reinschreibbar ist, reinzuschreiben.

Bei Twitter kommt dann noch der Echtzeitaspekt hinzu. Man ist, wie beim Chat, in Echtzeit verbunden, aber nicht mit irgendjemandem, sondern mit einem Publikum. Ein Publikum zudem, das freiwillig gekommen ist! Das macht das Textfeld zu einer Bühne. Eine Bühne, verdammt! Wer möchte da nicht sofort raufspringen und rumhampeln?

Was wird das nächste Twitter?

Seemann: Im Gegensatz zu den - jetzt pass auf - Social Media Experten - bin ich nicht so optimistisch, was das so genannte «Web 2.0» angeht. Meiner Meinung nach ging die Entwicklung so: Das Netz emergierte zu Communities (ca. 1996), Blogs (ca. 1999) und Twitter (2006). Wobei Twitter eigentlich auch nur eine Variation des Blogprinzips ist. Mehr ist an Relevantem eigentlich nicht passiert, die ganze Zeit.

Dass da dennoch was hinterherkommen wird, davon bin ich überzeugt. Aber wenn ich auch nur den Hauch einer Ahnung hätte, was das sein wird, empfände ich das schon als Beweis dafür, dass es das eben nicht sein kann. Echte Innovationen bedienen ein Bedürfnis, von dem man vorher nicht wusste, dass es das gibt. Wenn wir es erahnen, liegen wir falsch. Es bleibt nur der Versuch.

Für das Web ediert von Malte Welding. Netzeitung auf Twitter.

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