Freitag, 4. Juni 2010

Zensur macht erfinderisch

von Kirstin Hausen

Dass sich die Medienallmacht von Silvio Berlusconi negativ auf die Pressefreiheit in Italien auswirkt, ist auch im Ausland bekannt. Weniger bekannt ist, wie kreativ eine Reihe kritischer Journalisten und Verleger darauf reagieren.

Die Journalistin Antonella Masca
li liest aus ihrem Buch "Ein Geschenk für Berlusconi, der Fall Mills", das die Korruptionsvorwürfe gegen den Regierungschef detailliert beschreibt. In ganz Italien finden in dieser Woche öffentliche Lesungen statt. "Bücher für die Freiheit" heißt diese Initiative, die viel mit Kultur, aber noch mehr mit Politik zu tun hat. Es ist eine Protestveranstaltung gegen das Informationsmanko, das sich in Italien ausbreitet.

In punkto Pressefreiheit liegt das Land im Ranking der Organisation "Reporter ohne Grenzen" auf dem 44. Platz. Das hat natürlich mit Berlusconi zu tun. Er regiert das Land und kontrolliert die Mehrheit der Medien. In drei von den vier großen privaten Fernsehanstalten hat er das Sagen. Sein Bruder ist Herausgeber einer nationalen Tageszeitung, außerdem gehört ihm ein Buchverlag. Doch gerade die Bücher sind die neuen Waffen kritischer Journalisten.

Etwa 60 Zuhörer haben sich in der Buchhandlung in Mailand eingefunden: neugierige, politisch interessierte Bürgerinnen und Bürger wie die 43-jährige Caterina. "Ich informiere mich über Dinge, die ich in Ansätzen weiß, aber die ich vertiefen möchte.  Wir sind ein ganz besonderes Land. Das Fernsehen berichtet längst nicht mehr unabhängig und objektiv, sondern einseitig zugunsten eines Mannes und seiner Gefolgsleute."

Gemeint ist natürlich Silvio Berlusconi. Um ihn geht es in vielen der Bücher, aus denen in dieser Woche öffentlich gelesen wird. Es sind fast ausschließlich Sachbücher und auffallend viele stammen aus dem Verlag Chiarelettere. Chiarelettere ist mittlerweile so etwas wie eine Anlaufstelle für Regimekritiker mit spitzer Feder. Verlagsleiter Maurizio Donati: "Wir versuchen, mit unseren Büchern der Pressefreiheit Raum zu geben, bei uns herrscht vollkommene Autonomie, was die Inhalte angeht, es gibt keine Kontrolle von oben wie in vielen anderen Buchverlagen. Das schätzen unsere Autoren sehr."

Kein Wunder, dass bei Chiarelettere inzwischen all diejenigen publizieren, die sich im Italien des Silvio Berlusconi einen Namen gemacht haben als lästige Fragensteller und unbestechliche Erzähler der Wahrheit. Gianni Barbacetto ist einer von ihnen. Sein neustes Buch hat der Journalist in knapp drei Wochen fertig geschrieben: Es ist eine kommentierte Zusammenfassung von gerichtlichen Abhörprotokollen, die viel aussagen über den moralischen Zustand der italienischen Politikerklasse.

Engagement für ein anderes Italien
"Die italienische Regierung will mit einem neuen Gesetz das Abhören von Telefonaten von Verdächtigen eingeschränken und das Veröffentlichen von Abhörprotokollen ganz verbieten", sagt Barbacetto. "Wenn das durchgeht, wird den Italienern die Möglichkeit genommen, zu wissen, was in ihrem Land vor sich geht. Deshalb haben wir rasch eine Sammlung von Abhörprotokollen zusammengestellt und veröffentlicht, solange es eben noch geht."

Es gleicht einem Katz-und-Maus-Spiel, was unabhängige Verleger und kritische Journalisten da treiben. Es ist ihre Art des Protestes gegen die teils offene, teils subtile Zensur, die in den meisten italienischen Medien praktiziert wird. Maurizio versteht seine Arbeit als Engagement für ein anderes Italien. "Unsere Bücher sind Instrumente, damit sich Italien verändert. Sie sollen die öffentliche Diskussion anstoßen und das nötige Wissen liefern, um zu verstehen, was hier passiert", sagt der Verlagsleiter. " Wenn du die sogenannte Justizreform der Regierung bewerten willst, musst du dir die Zeit nehmen, ein Buch darüber zu lesen."

Die Bücher kosten zwischen acht und 15 Euro, sind auf billigem Papier gedruckt und geklebt, nicht gebunden. Taschenbücher zum sofortigen Gebrauch, nicht gemacht für die Ewigkeit. In ein paar Monaten können die gelieferten Informationen bereits veraltet sein, wenn zum Beispiel das geplante Gesetz, dessen Auswirkungen detailliert beschrieben werden, dann doch nicht in dieser Form verabschiedet wird.

Gianni Barbacetto stört das nicht. Er ist sehr froh, kritisch berichten zu können, und hält sich im Vergleich zu vielen Kollegen sogar für privilegiert. "Ein großer Teil der italienischen Journalisten kann nicht so arbeiten wie er will, weil er keine Abnehmer findet. Ein sehr guter Freund von mir schreibt für den 'Corriere della Sera', die wichtigste italienische Tageszeitung, und wenn ich ihn frage, wie es dort so ist, sagte er: nicht leicht, wir haben viele Hindernisse. Früher war es auch nicht leicht, sage ich dann, ich meine, der 'Corriere della Sera' gehörte früher Gianni Agnelli, also der FIAT-Familie. Aber mein Freund meint, heute mit mehr als 15 Aktionären sei es noch schwieriger geworden, etwas Kritisches zu schreiben, als früher. Damals durftest du nichts gegen FIAT bringen, heute kannst du über niemanden mehr kritisch berichten."

Mahnwache für die Pressefreiheit
Wer in Italien wissen will, was wirklich läuft, ist auf informative Bücher angewiesen. Die meisten sind inhaltlich schwer verdaulich, aber in einem ironisch-unterhaltsamen Plauderton geschrieben, der inzwischen zu einem eigenen literarischen Genre geworden ist. Den Anfang machte Roberto Saviano mit seinem weltweit erfolgreichen Buch Gomorra, das detailliert, beschreibt wie der Camorra-Clan der Casalesi arbeitet, womit er sein schmutziges Geld verdient und wer bei ihm mitmacht. Ein Tatsachenroman, der Fakten und Namen nennt. Saviano ist damit zu einer Ikone geworden, und zu einem Vorbild.  Immer mehr junge Autoren schlagen Verlagen wie Chiarelettere Buchprojekte vor, die viel Recherche und  persönlichen Mut  verlangen.

"Charakteristisch ist unser direktes, klares Benennen von Fakten und Namen. Wir haben Autoren, die bei uns ihr erstes Buch überhaupt veröffentlichen, das sind junge Journalisten, die ansonsten in den Redaktionen versauern. Auch unsere Leser sind jung, oft sind es Leute, die ansonsten kaum Bücher lesen, aber für uns zur ganz treuen Leserschaft zählen."

Darunter sind natürlich auch die über Facebook vernetzten Berlusconi-Gegner des "popolo viola", auf deutsch: "lila Volk". Sie organisierten im Dezember vergangenen Jahres den ersten "No Berlusconi Day" und halten in dieser Woche eine Mahnwache vor dem Sitz der zweiten Kammer des italienischen Parlamentes in Rom ab. Eine Mahnwache für die Pressefreiheit.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen